„Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, dann bist du nicht nah genug dran“, ein legendäres Zitat des Kriegsfotografen Robert Capa, der durch seine waghalsigen Fotos allerdings mit dem Leben bezahlte. 1954 trat er bei einem Indochina-Kriegseinsatz auf eine Mine. Berühmt wurde er mit seinen nur elf Fotos über den Einmarsch der US-Truppen am Strand der Normandie am 6. Juni 1944. Eine von vielen spannenden Anekdoten der Magnum-Fotoagentur, die im Rahmen der ersten Ausstellung im neuen Wiener Foto Arsenal medial präsentiert werden.
Es gilt hier ausnahmsweise nicht „Der Weg ist das Ziel“, ein gewisse Wegstrecke muss allerdings sportlich zu Fuß bewältigt werden, um in den Genuss der neues Photography-Hot Spots zu kommen. Das Foto Arsenal Wien hat seinen Standort im 3. Bezirk, am besten erreichbar mit der Linie D Belvedere 21 und dann per pedes neben dem Schweizergarten Richtung Heeresgeschichtliches Museum zum Objekt 19 a, einem ehemaligen Werkstattgebäude. Nach 18 Monaten Umbau befindet sich heute in dem dreistöckigen Ziegelbau ein Fotomuseum (inkl. Museumsshop und Gastrobereich) mit einer Fläche von 1000 Quadratmetern, in den Obergeschossen zusätzlich eine eigene Abteilung für Vermittlung mit Workshopräumen und eine Dunkelkammer.
Rund 10 Ausstellungen pro Jahr sollen stattfinden, außerdem ist es das eherne Ziel des Foto Arsenals, die Medienkompetenz der Menschen (insbesondere der Kinder und Jugendlichen auch mit Schulbesuchen) zu stärken, so der deutsche Kunsthistoriker und künstlerische Leiter Felix Hoffmann, der zuvor als Hauptkurator der C/O Berlin Foundation tätig war. „Viele Menschen trauen immer noch Bildern, weil Bilder so stark sind“, so Hoffmann, und das, obwohl bereits in der analogen Fotografie (weit vor der Ära der digitalen Revolution und der künstlichen Intelligenz) genauso mit Fotos manipuliert wurde.
Prominente Beispiele dazu werden in der ersten Ausstellung „Magnum. A World Photography“ gezeigt, die noch bis 1. Juni 2025 besucht werden kann. Die 1947 in Paris gegründete Agentur hat angeblich diesen Namen, weil bei der Gründung eine Magnumflasche Champagner getrunken wurde. Die (aktuell rund) 50 Mitglieder werden anhand spezieller Aufnahmeverfahren mit Zweidrittelmehrheit ausgewählt. Die besondere Exklusivität zeigt sich darin, dass die Rechte am Bild und den Negativen beim Fotografen verbleiben, wodurch sich auch die Vermarktungsmöglichkeiten verbessern.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen dabei nicht nur die Kult-Fotos an sich, sondern die Arbeitsprozesse, die mittels Kontaktbögen, Auswahlmechanismen, Dunkelkammerbeschriftungen und Background-Informationen veranschaulicht werden. Zu sehen ist ein berühmtes Foto des US-Fotografen Elliott Erwitt über ein Treffen von Richard Nixon und Nikita Chruschtschow bei einer Moskauer Haushaltswarenmesse 1959. Obwohl handwerklich eigentlich mangelhaft, wurde dieses Foto – unautorisiert – von den Republikanern im Wahlkampf verwendet. Grund: Die Hand Nixons, die scheinbar drohend gegen den Körper des russischen Ministerpräsidenten gerichtet ist.
Weltberühmt ist auch das Che Guevara-Foto des Schweizer Magnum-Fotografen Rene Burri, der auf ausdrücklicher Order nur bei geschlossenen Jalousien fotografieren durfte. Bei seinem nächsten Kuba-Besuch entdeckte Burri sein Foto auf zahlreichen T-Shirts. Weitere ikonenhafte Motive in der Ausstellung: James Dean very cool mit Trenchcoat und Zigarette im Mund auf dem Times Square (kreiert von seinem persönlichen Freund Dennis Stock), Cassius Clay, Malcom X, die Staatsvertrags-Zeremonie auf dem Belvedere-Balkon, New Yorker Subway-People, der Funeral Train nach dem Tod Robert Kennedys und das Blumenmädchen Marc Ribouds. Ein besonderer Hit (nicht nur für die Kinder) ist das süße Lama Linda, das im einem in Manhattan fahrenden Auto mit aus dem Fenster gestreckten Kopf abgelichtet wurde. Kreative Schöpferin: Die österreichische Fotografin Inge Morath, ihres Zeichens erste Frau in der glanzvollen Riege der Magnum-Fotografen.
In dem hinteren Raum zeigen jüngere Fotografen, wie sehr sich die moderne Fotografie in Richtung Multimedia, Installationen und Aktivismus entwickelt hat. Susan Meiselas dokumentiert mit Fotografien, Videos und Berichten die kurdische Diaspora, Rafal Milach arrangiert meterhohe Bilder und Videos von polnischen Demos gegen das Abtreibungsverbot, und die belgische Fotografin Bieke Deeporter erläutert ihre mysteriöse Suche nach einem Mann namens Michael. Dieser übergab ihr 2015 drei Koffer mit persönlichen Gegenständen und Essays und verschwand dann spurlos.
Auch für Newcomer ist Platz im neuen Foto Arsenal. „Clean Thoughts. Clean Images“ heißt die erste Einzelausstellung des 1996 geborenen Fotografen Simon Lehner, der unterschiedlichste Techniken (inkl. der Einbeziehung eines Roboters) verwendet und dabei Bilder in Holzplatten einfräst. Man darf gespannt sein auf das künftige Programm des neuen Fotografie-Epizentrums. Das alle 2 Jahre stattfindende Festival der Foto Wien im Oktober 2025 zählt auf jeden Fall dazu…
„Favourite Darkness“ heißt die erste Einzelausstellung des niederländischen Fotografen und Regisseurs Anton Corbijn in Wien. Klingt irgendwie nach einem Depeche Mode-Titel. Nahe dran, die Wortzeile „in your favourite darkness“ findet man tatsächlich in ihrem 90er-Hit „In your Room“. Und der läuft in einer Dauerschleife auf einem TV-Screen, als Hintergrundbeschallung zu einem phänomenal unter dem Mondlicht tanzenden Dave Gahan-Epigonen. In einem separaten Depeche Mode-Raum (mit Konzertfotos, kunstvollen Presseshots, Plattencover und Andrew Fletcher-In Memoriam Visuals), der kompakt die fast 40jährige Zusammenarbeit zwischen Corbijn und der britischen Elektronik-Formation widerspiegelt.
NME-Shots
Das erste Depeche Mode-Video „A Question of Time“ drehte Corbijn 1986 unter Low Budget-Bedingungen in Amerika, die ersten Fotoaufnahmen lagen allerdings noch weiter zurück. Corbijn war seit Ende der 70er Cheffotograf beim Londoner NME (New Musical Express) und veröffentlichte dort (und im Londoner Monatsmagazin „The Face“) coole Schwarz-Weiß-Fotos der größten Stars der Pop-, New Romantics- und Punkszene: David Bowie im Lendenschurz, Nina Hagen gemeinsam mit der nackten Slits-Punk-Ikone Ari Up (das Plakatmotiv der Ausstellung), U2-Sänger Bono Vox, Kraftwerk, Johnny Rotten und natürlich Joy Division im U-Bahn-Abgang. Ian Curtis bzw. der Rest der Band schauen dabei in unterschiedliche Richtungen. Eine mysteriöse Vorahnung: Sänger Ian Curtis beging 1980 ein Jahr später – einen Tag vor der geplanten Tournee – Selbstmord, Joy Division transformierten zur (erfolgreichen) Wave-Band New Order. Zu sehen sind diese prickelnden Classic Shots im Raum 2 der Ausstellung.
Direkt im Eingangsbereich des Kunstforums hat der niederländische Fotograf seine Lieblingspics platziert, darunter eine (ausnahmsweise farbige) Aufnahme der Creatures, Bilder von Nelson Mandela und dem niederländischen König Willem-Alexander und ein „One Way“-Shot des leider schon verstorbenen Filmstars Philip Seymour Hoffman, mit dem Corbijn den Film „A Most Wanted Man“ drehte. Zwischen den Säulen wurde ein Self-Porträt des Kult-Fotografen aus den wilden Londoner Years aufgehängt.
Cemeteries
Im zentralen Raum des Kunstforums werden eindrucksvolle Gegenüberstellungen zwischen den Ikonen der Popszene und der Kunstgeschichte gezeigt. „Cemeteries“ nennt sich die Foto-Serie über religiöse Skulpturen, die Corbijn 1982/83 auf den Friedhöfen von Wien, Paris, Venedig, Genua und Mailand kreiert hat. Kongenial dazu passen seine Celebrity-Aufnahmen, bei denen die Künstler wie Heilige dargestellt werden: Natürlich inklusive Dave Gahan, der vor allem beim Album „Songs of Faith and Devotion“ mit dieser Thematik gespielt hat, Courtney Love, Skin, Bryan Ferry, Nick Cave oder die Band Arcade Fire, die in cooler Black & White-Ästhetik das „letzte Abendmahl“ ins 21. Jahrhundert torpedierten. Diese Motive seien allerdings nicht absichtlich in dieser Art und Weise entstanden, sondern rein intuitiv, so Corbijn.
Musikvideos
In einem verdunkelten TV-Room wird eine Auswahl der besten Videoclips Corbijns präsentiert. Natürlich vertreten Depeche Mode mit „Enjoy the Silence“ und „Ghosts again“. „I soon started to realise that the visuals and their music went really well together“, so Corbijn, der nicht nur die Videoclips und Fotos der Band arrangiert, sondern auch deren (Konzert)-Filme (zuletzt „Global Spirit Tour“ und den Fan-Streifen „Spirits in the Forest“) und die Stage-Visuals konzipiert. In den 80ern und 90ern arbeitete Corbijn auch eng zusammen mit der irischen Formation U 2, er führte Regie u.a. für deren Clips „Pride“, „One“ und „Please“ und schoss die Fotos für „The Joshua Tree“ und „Achtung Baby“. Im Video-Repertoire der Ausstellung weiters zu sehen: Clips von Joy Division („Atmosphere“), The Killers, Arcade Fire, Coldplay, Herbert Grönemeyers und Nirvana („Heart Shaped Box“, 1994 ausgezeichnet mit zwei MTV-Video Awards).
Females
Corbijn wird manchmal oberflächlich nur mit männlichen Protagonisten in Verbindung gebracht. Dies widerlegt der vorletzte Raum der Ausstellung „Favourite Darkness“, in dem ausschließlich Bilder von weiblichen Popstars, Models und Schauspielerinnen publiziert werden: Siouxsie Sioux, Sängerin der Rock-Band Siouxsie & The Banshees und später der Creatures (eine der Lieblingsmotive Corbijns), Kim Wilde, Kate Bush, Gwyneth Paltrow oder die kürzlich verstorbene Marianne Faithfull. Im Gegensatz zu Fotografen wie Newton oder Lindbergh setzt Corbijn auf natürliche Sexualität, unorthodoxe Posen und eine subtile Verletztlichkeit der Frauen.
Painters
Der letzte Raum der Ausstellung ist unter dem Titel „Inwards and Onwards“ den Malern und Malerinnen gewidmet. Seit den 90ern fotografiert Corbijn bildende Künstler verschiedenen Genres in ihren Ateliers, darunter Gerhard Richter, die britische Porträtmalerin Lynette Yiadom-Boakye oder Marlene Dumas. Mit der südafrikanischen Künstlerin hat Corbijn außerdem zwischen 1998 und 2000 die „Stripping Girls“ in Amsterdam abgelichtet.
Kinofilme
„Favourite Darkness“ ist bis 29. Juni 2005 im Kunstforum zu sehen. Parallel dazu laufen Filme von Corbijn im Gartenbaukino, darunter der Joy Division-Film „Control“ (mit dem brillierenden Sam Riley als Ian Curtis), „The American“ (mit George Clooney), „A Most Wanted Man“, „Life“ und „Squaring the Circle“. Für Fans gibt es neben zahlreichen Katalogen und You Tube-Musikvideos noch eine auf DVD veröffentlichte Filmdokumentation unter dem Titel „Anton Corbijn Inside Out“. Check it out…
Der Kölner Dom, der verrückte Karneval, das lässig-pinke Lebensgefühl, die attraktive Sportinfrastruktur, das bunte Nightlife: Es gibt viele Gründe, die 1 Millionen-Einwohner-Stadt am Rhein zu besuchen. Das Museum Ludwig in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs und des Doms gehört auf jeden Fall dazu. Die Vorschusslorbeeren können dabei nicht größer sein. Das von den Kölner Architekten Peter Busmann und Godfrid Haberer kreierte und 1986 eröffnete Museum enthält die größte Pop Art-Kollektion Europas und die nach Barcelona und Paris drittgrößte Picasso-Sammlung der Welt.
Verantwortlich für den hohen kulturellen Wert der Sammlung ist das Industriellenehepaar Peter und Irene Ludwig. Die beiden Kunstmäzene schenkten im Jahr 1976 der Stadt Köln 350 Werke moderner Kunst mit der Bedingung, dass diese in einem eigenen Museum ausgestellt werden. Gesagt, getan. Heute kann man zu einem Tagesticket von nur 11 Euro auf einer Ausstellungsfläche von rund 9000 m2 die spannendsten Kunstwerke aus dem 20. und 21. Jahrhundert bewundern. Andy Warhol, Roy Lichtenstein u.a. mit seiner M-Maybe-Blondine (die eigentlich unverkäuflich war, Peter Ludwig aber dann zum doppelten Kaufpreis erworben hat), Tom Wesselmann und Robert Rauschenberg, das sind die Granden der Pop-Art-Etage im Museum Ludwig. Ein spezielles Highlight ist das „Portable War Memorial“ des US-Künstlers Edward Kienholz, der mit einer Anti-(Vietnam)-Kriegs-Installation (bestehend u.a. aus einer kopflosen Soldatentruppe, einem Grabstein und einer in einer Mülltonne platzierten Sängerin der Nationalhymne „God Bless America“) die düsteren Sixties widerspiegelt.
Apropos Krieg: Zum Repertoire des Ludwig-Museums gehört auch die Sammlung des Rechtsanwalts Josef Haubrich, die dieser 1946 kurz nach dem 2. Weltkrieg der Stadt Köln schenkte. Viele dieser Werke aus der Gattung des Expressionismus bzw. der klassischen Moderne zählten während des Nationalsozialismus zur „entarteten Kunst“. Max Beckmann, Marc Chagall, Ernst Ludwig Kirchner oder Paula Modersohn-Becker, nur einige Künstler, deren Werke durch Haubrich vor den Nazis erfolgreich versteckt wurden.
Im Jahr 1994 schenkte das Ehepaar Ludwig dem Kölner Museum 90 Werke aus ihrer Picasso-Sammlung, im Jahr 2001 kamen weitere 774 dazu. Die großzügigen Spender sind heute beide schon verstorben (Peter Ludwig bereits 1996, seine Gattin 2010), deren Schenkungen aus dem Kreativgeist des spanischen Malers sind allerdings schon alleine einen Besuch der Kulturstätte wert: „Der Kuss“, „Musketier mit Degen“ oder die Kranich-Skulptur „La Grue“.
Damit aber noch lange nicht genug: Neben diversen Sonderausstellungen präsentiert das Museum Ludwig auf mehreren Stöcken Kunstwerke aus dem Rheinland (u.a. von Jörg Immendorff, Gerhard Richter und Josef Beuys), Russische Avantgarde (eine testamentarische Verfügung des Ehepaars Ludwig), Werke des abstrakten Expressionismus und Arbeiten von Künstlern aus Afrika, Asien und Lateinamerika (wie der faszinierenden Installation „Mountain of Encounter“ des koreanischen Multitalents Haegue Yang). Im Portfolio des Museums befinden sich auch rund 3000 Zeichnungen, 10.000 Druckgrafiken und ca. 70.000 Fotografien.
Die Sammlung wird – seit 2015 unter der Ägide von Yilmaz Dziewior – ständig erweitert. Das Untergeschoß ist speziell für zeitgenössische Werke reserviert. Vertreten ist dort auch die deutsche Star-Performerin Anne Imhof, die letzten Sommer im Kunsthaus Bregenz eine stockwerkübergreifende, schaurig-dystopische Exhibition unter dem Titel „Wish you were gay“ inszenierte. Das Kölner Museum erweist ihr mit zwei Skulpturen, einem Ölgemälde und einem Siebdruck ihrer Freundin Eliza Douglas alle Ehre, die allesamt Teil ihrer Performance „Faust“ bei der Biennale in Venedig 2017 waren.
Zum Gebäudekomplex des Museum Ludwig zählt übrigens auch die Berliner Philharmonie. Und damit erklärt sich das Mysterium, warum der Heinrich Böll-Platz direkt vor dem Museum mehrmals am Tag von Securities abgesperrt wird. Darunter befindet sich nämlich der mangelhaft trittschallisolierte Konzertsaal, in dem Aufnahmen, Proben und natürlich Live-Auftritte stattfinden. Ungestörter ist da natürlich die Rooftop-Terrasse des Museums Ludwig mit herrlichem Blick auf den Kölner Dom. Vor allem im Sommer zu empfehlen…
Vor 100 Jahren, genau am 1. Oktober 2024, wurde zum ersten Mal Radio aus Österreich gesendet. Die damalige Radiostation der RAVAG (der „Radio-Verkehrs AG“) befand sich in der Wiener Johannesgasse 4 . 1925 hatte die RAVAG – bei einer Monatsgebühr von zwei Schilling – bereits ca. 100.000 Teilnehmer. Heute hören rund 6,1 Millionen Österreicher laut Radiotest täglich Musik, Nachrichten oder Features per Äther. Für jeden einzelnen ist das weiterhin populäre Medium auch mit persönlichen Erinnerungen, Glücksgefühlen und einer Art Lebensbeziehung verbunden.
Das waren für mich einst der popzeitgeistige Treffpunkt Ö3 (mit Kult-Moderatoren wie Dominic Heinzl, Angelika Lang oder Eberhart Forcher), die Jugendkulturleiste Zickzack oder die wöchentlichen Charts mit Udo Huber, der mich und meine Clique auch in die Locations der TV-Hitparade „Die Großen 10“ und zu diversen Ö3-Discos lockte. Nach der Einführung des mainstream-gestriegelten Ö3-Formatradios 1996 verlagerte sich mein Medienverhalten auf den Alternative Mainstream-Sender FM4 und auf Musikfernsehen a la VIVA, später auf YouTube und MP3-Downloads. Heute höre ich gerne Podcasts (die non-lineare moderne Form des Radios) und Ö1 mit Sendungen wie Radiokolleg, Punkt Eins, Matrix oder Doublecheck.
Viele Geschichten über das Radio hat auch der ehemalige Hörfunkmacher und Journalist Wolfgang Kos zu erzählen. Er war nicht nur Teammitglied der legendären Ö3-„Musicbox“ („Wir machten dort alles, was andere nicht machen!“), sondern auch Erfinder des Ö1-Sendungen „Popmuseum“ und „Diagonal“, bis der gelernte Historiker in den Nullerjahren Direktor des Wien Museums (2003-2015) wurde. Nach Büchern über den Semmering und „99 Songs“ hat Kos jetzt eine kleine, feine Hommage an das Radio geschrieben, die er kürzlich im Wiener Thalia-Landstraße präsentierte.
„Das Radio“ erscheint in der Reihe „Dinge des Lebens“, daher der eher geringe Umfang. „Das Buch hat leider nur 64 Seiten, aber jeder Liebhaber des Mediums Radio sollte es neben sein Empfangsgerät stellen“, so Kos´ ehemaliger Musicbox-Kollege Walter Gröbchen auf Facebook. Bei der Lesung in der Buchhandlung machte Kos bereits mit einzelnen Passagen Lust auf das Buch. Immer wieder betont er die Faszination der „unsichtbaren Sprecher“, die bei den Empfängern eine spezielle Atmosphäre auslösen, egal ob in den 50ern bei der Heinz Conrads-Sendung „Was gibt es Neues“, bei „Autofahrer unterwegs“ oder der Popkultur-Revolution in den 60ern. Die Jugend wurde immer mehr zur Hauptzielgruppe, 1967 startete Ö3 als erstes öffentlich-rechtliches Vollprogramm, Ö1 wurde später zum erfolgreichsten Kultursender Europas.
„Demokratie, dein Mund heißt Radio“, ein Zitat des deutschen Schriftstellers Alfred Döblin, das Kos´ Einstellung zum Radio prägte. Information, Bildung und Aufklärung sind wichtige Funktionen des Wellenempfängers. Und natürlich eine bestimmte Zeitstruktur. Weltweit ähneln sich die Sendeschemen der einzelnen Radiostationen, das Radio ist in dem Sinne ein „Nachfolger der Kirchturmuhr“.
Im persönlichen Gespräch mit dem Thalia-Moderator bedauerte Kos die aktuellen Entwicklungen des österreichischen Radiomarktes. Die Verlagerung von Ö1 und FM4 vom denkmalgeschützten Funkhaus in seelenlose Großraumbüros auf den weit entfernten Küniglberg sei ein Verlust für die urbane Kommunikation und die Kulturszene. Die „kurzen Wege“ von einst seien Geschichte, er hoffe aber auf ein „Kultur-Stadtstudio über die Hintertür“.
Die Zukunft des Radios sieht Kos allerdings nicht negativ. „Das lineare TV werde früher verschwinden als das lineare Radio“. Was sich allerdings geändert habe, seien die Vertriebswege wie Podcasts oder Streaming, die ein monatelanges Nachhören der Live-Sendungen garantieren. Etwas, was in den 70ern aufgrund der hohen Kosten für Tonbänder undenkbar war.
Kos betrachtet die öffentlich-rechtlichen Radiomacher als Küchenchefs, als „Fachleute, die ihre Menüs für ihre Kunden im Radio zusammenstellen“. Es ist zu befürchten, dass vor allem eine Partei dieses Landes diese Meinung nicht vertritt.
1,2 Millionen Besucher zählte die Wiener Albertina im Jahr 2023, ein neuer Rekord. Das hochkarätige Museum im Palais Erzherzog Albrecht, einer ehemaligen Residenz der Habsburger, erlebte unter dem Ende 2024 scheidenden Direktor Klaus Albrecht Schröder einen beispiellosen Erfolgslauf. Die 1776 gegründete Sammlung, deren Namen sich auf den Initiator Albert Casimir Herzog von Sachsen-Teschen (einem Schwiegersohn Maria Theresias) bezieht, hatte bis Ende der 90er als druckgrafische Spezialausstellung rund 15000 Besucher jährlich, bis Schröder 1999 das Konzept änderte. Neben der Renovierung der historischen Prunkräume wurden 5 zusätzliche Ausstellungshallen installiert, die Albertina normierte die „Unteilbarkeit des Künstlerischen“ und präsentierte sich als ganzheitliches Kunstmuseum mit Grafiken, Skulpturen, Architektur, Fotos und natürlich Gemälden.
Maßgeblichen Anteil am Erfolg der Albertina hatten – neben Blockbuster-Ausstellungen über Van Gogh (400.000 Besucher), Munch & Co. auch die übernommenen Sammlungen. 2007 erhielt das Museum mit dem von Hans Hollein kreierten 64 Meter langen Flugdach („Soravia Wing“) die Sammlung Batliner als unbefristete Dauerleihgabe. Diese war nicht nur Grundlage für Sonderausstellungen von Picasso, Magritte bis Matisse, sondern auch für die Dauerausstellung „Monet bis Picasso“. Seit 2017 ist die Albertina im Besitz der Sammlung Essl, die 2018 in eine Schenkung transformiert wurde. Über eine Million Kunstwerke liegen in der Hand der Albertina, davon rund 65.000 Werke nach 1945. Sie zählt damit – neben Kapazundern wie der Londoner Tate Modern, dem Pariser Centre Pompidou oder dem New Yorker Museum of Modern Art – zu den größten zeitgenössischen Museen weltweit.
2020 erfolgte eine weitere Expansion. Schröder eröffnete im Künstlerhaus am Karlsplatz die Albertina Modern, die die Nettoausstellungsfläche von 5500 m2 auf 8000 m2 vergrößerte. Der letzte große Coup gelang im April 2024. Im ehemaligen Essl-Museum in Klosterneuburg, nur wenige Kilometer von Wien entfernt, öffnete die Albertina Klosterneuburg mit einer zusätzlichen Ausstellungsfläche von 3000 m2 ihre Pforten. Für Fans der Albertina stehen jetzt also insgesamt 11.000 m2 Ausstellungsfläche zur Verfügung.
Der besondere Vorteil der Location in Klosterneuburg: Die Kunstwerke werden dort gleichzeitig gelagert und können direkt aus dem Depot im Erdgeschoß in die Ausstellungsräume transportiert werden. Aufgrund der weiträumigen Hallen können hier – im Gegensatz zu den beiden anderen Museen – auch Großformate präsentiert werden. Die Titel der ersten drei Ausstellungen: „Pop Art – The Bright Side of Life“, „Von Hundertwasser zu Kiefer“ und „Die lädierte Welt“. Ergänzt werden die Ausstellungsformate durch das neue Konzept „Im Blickpunkt“, durch das einzelne Künstler (wie Valie Export, Ben Willikens und Roy Lichtenstein) oder einzelne künstlerische Techniken (wie das Tondo in der Kunst der Gegenwart) abgeschlossen dargestellt werden.
Pop Art
Im Pop Art-Areal trifft man auf Werke der US-Ikonen Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Chuck Close oder Roy Lichtenstein, der kürzlich in der Wiener Albertina mehr als 300.000 Besucher begeisterte. Vertreten sind allerdings auch Werke österreichischer Pop Art-Künstler, deren Sujets im allgemeinen selbstironischer und humorvoller angelegt wurden. Darunter Kiki Kogelnik mit ihrer „Cooking Lesson“ (als Kritik an der traditionellen Rolle der Frau), Christian Ludwig Attersee mit seinem „Hundebüstenhalter“ oder Peter Pongratz mit seinem „Schutzengel“, dessen Vorlage aus einer Bildtafel des Religionsunterrichts stammt.
Die lädierte Welt
„Das Leben ist eine Wunde, und sie heilt so schwer“ – Ein Satz der österreichischen Schriftstellerin Marianne Fritz, der als Pate für die „lädierte Welt“ steht. Die düsteren Themen: Krankheit, Krieg, Zerstörung, Tod. In einem separaten Raum steht die imposante, überlebensgroße Skulptur „Die Päpste“ des rumänischen in Wien lebenden Künstlers Virgilius Moldovan. Altersgeplagt und gezeichnet vom Leben werden die bereits verstorbenen Ex-Päpste Ratzinger und Wojtyla ineinander verhakt dargestellt. In dem monumentalen 4 mal 13 m großen Gemälde „Gates of Justice“ zeigt Sasha Okun todkranke Menschen, denen der Arzt in der Mitte nicht mehr helfen kann. Marc Quinns kopulierende „Skeletons“ bringen dagegen zum Schmunzeln, haben aber eigentlich dieselbe Message. Sie zeigen die menschlichen Skelette, die als einziger körperlicher Bestandteil den Tod überwinden. 27 Monitore, angeordnet als Pyramide, bilden die 80er-Video-Installation „Tränen aus Stahl“ der belgischen Künstlerin Marie-Jo-Lafontaine. Zu sehen darin: Muskulöse Männer im schweißtriefenden Power-Training, als Metapher für Lust und Leid zugleich.
Valie Export
Im dritten Ausstellungsraum warten deutsche Künstler mit ihren Meisterwerken auf die Besucher: Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Gerhard Richter (der laut „Kunstkompass“ weltweit wichtigste Künstler) und Jörg Immendorff, der insbesondere die Teilung Deutschlands thematisiert. Zu sehen sind außerdem Exponate des Wiener Aktionismus (von Arnulf Rainer bis Otto Mühl und Günter Brus). Back to the Sixties geht es mit Valie Export, deren legendärer mit Peter Weibel inszenierter Video-Film „Tapp und Tastkino“ (1968) den Voyeurismus der Männer offenlegt. Ebenfalls im Repertoire sind die Installation „I beat it“ und die Fotografien „Smart Export“ und „Aktionshose: Genitalpanik“, die auch 2023 Teil der Sonderausstellung in der Wiener Albertina waren.
Fazit: Ein Besuch in den drei Albertina-Locations lohnt sich auf jeden Fall. Albertina und Albertina Modern sind täglich geöffnet, die Albertina Klosterneuburg Donnerstag bis Sonntag (bis 5. Jänner). Die Wiedereröffnung erfolgt im April 2025, und das bereits unter dem neuen Generaldirektor (und ehemaligen Chef der Berliner Nationalgalerie), Ralph Gleis. Der nach der erfolgreichen Ära Schröder in keine einfachen Fußstapfen tritt…
Anne Imhof zählt seit ihrem Gewinn des Goldenen Löwen bei der Biennale in Venedig 2017 zu den renommiertesten Künstlerinnen der Welt. Die 1978 in Gießen geborene Ex-Techno Club-Türsteherin, Hausbesetzerin und Absolventin der Städelschule in Frankfurt am Main kreierte unter der Trademark „Faust“ eine progressive fünfstündige Performance mit zahlreichen Darstellern und Hunden, die sich auf einem erhöhten Glasboden bewegten. Es folgten Performances in der Londoner Tate Gallery („Sex“, 2019), im Pariser Palais de Tokyo („Natures Mortes“, 2021) und im Amsterdam Stedelijk Museum („Youth“, 2022). Beim Kremser Donaufestival war Imhof während der Corona-Pandemie mit einer Video-Performance der wellenpeitschenden Eliza vertreten. Für das Kunsthaus Bregenz war es daher ein großer Coup dass Imhof ihre neueste, 7 Jahre lang vorbereitete Ausstellung im Zumthor-Gebäude direkt am Bodensee konzipierte.
Im Mittelpunkt von „Wish you were gay“ stehen dabei nicht Performances externer Darsteller, sondern die eigene Lebensgeschichte Imhofs (und die anderer queerer Personen), eingebettet in eine düstere, dystopische Atmosphäre, die sich auf alle vier Stockwerke des Kunsthauses erstreckt. Imhof, die mit 21 Mutter wurde und ihre Tochter Zoe allein aufgezogen hat, sei „als jungenhaftes Mädchen, das in einer kleinen Stadt aufwuchs und Mädchen liebte, extrem einsam gewesen“. „Ich hatte damals keine Worte und keine Orte, um meine Wut, meine Wünsche, mein Anderssein zum Ausdruck zu bringen“, so Imhof in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Diese Mittel biete ihr jetzt die Kunst.
Im Erdgeschoß sieht man Imhof per Screen boxend in Richtung Kamera, zu den Klängen aus „West Side Story“. Eine von sechs Videoarbeiten Imhofs aus den Jahren 2001-2003, die die queere Künstlerin erstmals im Kunsthaus Bregenz präsentiert und die, erstellt per Camcorder mit ihren Freund*innen, Liebhaber*innen und Mitarbeiter*innen, ihre Übergangsphase sowohl im Leben als auch im Werk widerspiegelt. Im Video „Work“ sitzt Imhof gemeinsam mit einer ehemaligen Bandkollegin in der Badewanne eines besetzten Hauses, in „Turnpike“ wird Imhof von ihrer damaligen Partnerin und späteren Fotografin Nadine Fraczkowski im öffentlichen Raum gefilmt.
Im ersten Stock trifft man – wie auch in den oberen Floors – auf Barricades und Absperrungen im Stile von Live-Konzerten, Glaswänden mit Graffitis und auf schwer einordenbare Ready-Mades (wie eine Bank mit Sport-Trikots). Der First Floor erscheint komplett in rotem Licht, auf den Wänden thronen atompilz-artige Wolken-Gemälde Imhofs, die zuerst digital erzeugt und dann per Hand „hyperrealistisch“ rekonstruiert wurden. In der Mitte des Raums steht eine monolithische, abgeschlossene Glasstruktur mit einer Matratze am Boden, ein Verweis auf ihre Installation „Nature Mortes“, bei der die Performancer im Gegensatz dazu freien Zugang hatten.
Im zweiten, ebenfalls rot gleißenden Stock ließ Imhof Stahlstäbe unter einer herabgesetzten Decke errichten, die der Besucher frei betreten kann und die ihn zu skulpturalen Bronzereliefs mit androgynen Figuren führen. Ein Konnex zur queeren Lebenssituation der Künstlerin ist nicht von der Hand zu weisen. Auf dem Podest steht ein schickes Motorrad, das den Titel „My own private Idaho“ trägt. Ein LGBTIQ-Kult-Film der 90er mit dem an einem Drogencocktail früh verstorbenen River Phoenix. Im Hintergrund erscheint das Gemälde „Wish you were Gay III“, das schemenhaft eine Person zeigt, die sich eine Pistole an die Schläfe hält. Das Selbstmord-Motiv, das immer wieder in Werken Imhofs auftaucht und das vermutlich darauf hinweisen soll, dass vor allem queere Menschen im Rahmen ihrer Lebens- und Sinnkrisen oft suizidale Tendenzen aufweisen. Der oberste dritte Floor ist im Gegensatz zu den anderen Stockwerken hell erleuchtet, enthält allerdings ebenfalls Barrikaden, Korridore, bildhafte Selbstmord-Motive und weitere Videoarbeiten aus der queeren Coming of Age-Phase Imhofs. Der Hintergrund-Sound entstammt einem Klangteppich aus alten Sound-Sessions Imhofs und hypermoderner künstlicher Intelligenz.
„Die Welt wäre ein besserer Ort, wenn wir alle etwas mehr queer wären“, so Imhof. Ein frommer Wunsch, der trotz zahlreicher aktivistischer Proponenten, Regenbogenparaden und Pride Weeks noch in weiter Ferne liegt. Bereits zweimal wurden die sechs auf der Bregenzer Seestraße ausgestellten „Wish you were Gay“-Billboards vorsätzlich beschädigt. Für die mit der US-Sängerin, Malerin und Performerin Eliza Douglas liierten Künstlerin ein klarer Auftrag, weiterhin mit vereinten Kräften für eine Welt ohne Homophobie und Diskriminierung zu kämpfen.
„Virgin Mary, Mother of God, banish Putin, banish Putin!“ – So schallte es am 21. Februar 2012 durch die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Die Protagonistinnen: Pussy Riot, drei mit Sturmhauben verhüllte Aktivistinnen gegen das Putin-Regime. „Punk Prayer“ hatte für das Kollektiv schwerwiegende Folgen: Eine Verurteilung zu zwei Jahren Lagerhaft wegen grober Verletzung der öffentlichen Ordnung (Rowdytum), weit entfernt von den Familien und den Kindern.
Eine der drei, Nadya Tolokonnikova, präsentierte kürzlich im OK (= Offenes Kulturhaus) Linz ihre erste Einzelausstellung. Bezeichnender Titel des düsteren Parcours: „Rage“. Dieser beginnt an sich schon auf dem Platz vor dem Museum. In der dortigen Kapelle hat Nadya ihre „Pussy Riot Sex Dolls“ platziert, Symbole weiblichen Widerstands. Den realen Pussy Riot-Heldinnen wird, anonymisiert unter ihren charakteristischen Balaclavas, in der Rage Chapel die Ehre erwiesen. Inklusive Protestparolen wie „You can´t stop the future with bullets, poisons or prisons“, „Enlightening of the Darkness“. oder „Fear no more“. Höhepunkt ist das im Jahr 2023 entstandene dreiminütige Video „Putin´s Ashes“, in dem Nadya gemeinsam mit zwölf anderen Frauen aus der Ukraine, Weißrussland und Russland ein Porträt Putins in der Wüste verbrannte und die entstandene Asche in kleine Fläschschen füllte.
Im Stil von Ai Weiwei ließ Tolokonnikova einen Stock höher ihre eigene, karge Gefängniszelle rekonstruieren. Hungerstreik, Kollektivstrafen, verpflichtende Nähdienste zum Monatslohn von 25 Rubel (= 60 Cent), Drohungen durch Mitgefangene und die Verlegung nach Sibirien ohne sofortiger Informierung der Familie. Das sind nur einige der Widrigkeiten im russischen Strafvollzug, mit denen die Gefangene konfrontiert wurde. Dokumentiert wird die „Langzeit-Performance“ (wie Nadya die „Inhaftierung“ gerne nennt) durch Tagebuchaufzeichnungen, Briefe und Fotos.
Gegenüber der Zelle werden Videos der Pussy Riot-Aktionen in Dauerschleife gezeigt, die die Unverhältnismäßigkeit des russischen Justizsystems darlegen sollen. In einem separaten Raum gedenkt Nadya mit Foto, Kerzen und Blumen dem am 16. Februar 2024 verstorbenen Putin-Gegner Alexei Nawalny. Der Schriftzug „Murderers“ lässt wohl keine Zweifel offen, wen die Künstlerin für den Tod Nawalnys im sibirischen Straflager verantwortlich macht.
Das schärfste Kunstwerk Tolokonnikovas wurde im Treppenhaus des OK installiert, ein überdimensionales „Damokles Sword“, das direkt über den Besuchern der Ausstellung hängt. Ein Synonym für die Situation der putin-kritischen Künstler und Aktivisten, die stets mit der Verfolgung durch die Justiz rechnen müssen. Tolokonnikova selbst steht seit 2023 auf der „Liste der meistgesuchten Krimnellen Russlands“, ihren Wohnsitz gibt sie aus Sicherheitsgründen nicht bekannt, und das ist gut so…
RAGE, Nadya Tolokonnikova / Pussy Riot.
21.6.-20.10. 2024, OK Linz
„Ich entdeckte, dass die Party, die am Abend des 4. Juni 1666 auf der Bühne des Theaters vom Palais-Royal begann, immer noch andauert“, so der 2022 verstorbene deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der 1979 eine Überarbeitung der bissigen Komödie „Der Menschenfeind“ von Moliere herausgab. Im Mittelpunkt: Die Schicki-Micki-Gesellschaft der Bonner Republik.
Was wäre daher besser geeignet als die Handlung ins mondäne Wien zu verlegen, in die post-türkise „Feschisten“-Ära? Als Regisseur Burgtheater-Chef Martin Kusej, dessen Vertrag nicht verlängert wurde und der im nächsten Spieljahr 2024/25 vom Schweizer Stefan Bachmann abgelöst wird.
Im Mittelpunkt des im November 2023 uraufgeführten Stückes steht der aus einer adeligen Familie stammende Alceste (Itay Tiran im weißen Anzug mit schwarzem Shirt), der die Pseudo-Moral und Heuchelei der Gesellschaft verachtet. Sein bester Freund Philinte (gespielt vom Film- und Theaterschauspieler Christian Luser) sieht dies pragmatisch: „Der Mensch ist eben schlecht, und schwach, und roh. Das lässt mich kalt. Die Welt ist wie ein Zoo. Die Affen prügeln sich, und der Schakal verzehrt sein Aas. So ist es nun einmal.“ Noch oberflächlicher agiert die Wiener Party-Gesellschaft, die herrlich schnöselig und arrogant persifliert wird durch die jungen Burgtheater-Ensemblemitglieder Tilman Tuppy, Lukas Vogelsang und Lili Winderlich. Falco hätte seine Freude daran, so frei nach dem Motto: „Wir haben die Medizin, der Dekadenz haben wir an Preis verliehn“. Gespottet und gescherzt wird über Basti, Benko, einen Wörthersee-Bootsunfall oder über Koks in einem Szene-Restaurant. In der Rolle des Dichters Oronte, der von Alceste wegen seiner geringen Kunstfertigkeit verspottet und deshalb von ihm verklagt wird, agiert Markus Meyer, der seit Jahren mit seinem One-Man-Stück „Dorian Gray“ das Wiener Akademietheater füllt.
Inmitten dieser Szene bewegt sich die Witwe Celimene (zu Beginn des Stückes wird ein Sarg abtransportiert) -, die mit all diesen Protagonisten ihre Spielchen treibt. „Spiele gibt´s zu spielen viele“… - Und gerade in diese Dame, gespielt von Mavie Hörbiger im schwarzen Glitzerkleid – ist die Hauptfigur Alceste verschossen. Kusej präsentiert diese illustre Gesellschaft auf einer verspiegelten Bühne, auf der im Hintergrund immer wieder eine Gruppe von Komparsen auftaucht, die zu Techno-Beats, Walzer, Schlager und Volksmusik abtanzen. Ein Tanz auf dem Vulkan. Vor allem die männlichen Darsteller landen zumeist in einem vorgelagerten Wassergraben. Denn die Register zieht die Femme Fatale Celimene, die in schlussendlich offengelegten Briefen alle ihre Verehrer verspottet hat.
Trotzdem will Alceste weiterhin, dass sie seine Liebesschwüre erhört und sich mit ihm in die „Einsamkeit zu zweit“ zurückzieht. „Ich sehe mich schon in einer Höhle kauen, Kartoffeln schälen und total verbauern: Nur du und ich, allein mit Mutter Erde und einer riesenhaften Hammelherde! Verzeih, wenn ich das etwas anders seh“. Irgendwie kann man Celimene bei solcher Unterwürfigkeit dies nicht verdenken…
„Die Tänzerin von Krems“ wird der monumentale Kubus des Architekten-Brüderpaares Bernhard und Stefan Marte gerne genannt, in dem die Landesgalerie Niederösterreich seit 2019 untergebracht ist. Als Vorbild diente übrigens die „figura serpentinata“, ein Gestaltungsmotiv aus der Spätrenaissance, das spiralförmig dargestellte Figuren von jedem Standpunkt aus unterschiedlich erscheinen lässt. 21,5 Meter hoch ist der aus Stahlbeton bestehende Kubus, der mit 7200 Schindeln aus einer Zink-Titan-Legierung bedeckt ist. Die Grundrissfläche im Erdgeschoß beträgt 33 x 33 Meter, jene im Obergeschoß 30 x 30 Meter.
Trotz seiner extravaganten Konstruktion und seiner Lage unmittelbar vor dem mittelalterlichen Städtchen Stein hielten sich die Proteste der Bevölkerung und der Welterbeschützer in Grenzen. Der Spatenstich erfolgte am 5. Juni 2016, im Dezember 2018 wurde das Museum fertiggestellt, kurze Unterbrechungen ergaben sich durch historische Funde bei den Aushubarbeiten (wie einer Tonvase, einem Holzpaddel und Holzpfeilen einer Uferbefestigung).
Am 25. Mai 2019 wurde die Landesgalerie Niederösterreich als Bestandteil der Kunstmeile Krems eröffnet. In dem fünfgeschossigen Museum (mit 3000 m2 Ausstellungsfläche und einer Aussichtsplattform auf die Donau und das Stift Göttweig) wurden seitdem zahlreiche spannende Ausstellungen präsentiert. Gruppenausstellungen wie „Auf zu Neuem – 3 Jahrzehnte von Schiele bis Schlegel“, „Rendezvous mit der Sammlung – Kunst von 1960 bis heute“ oder „Kunstschätze vom Barock bis zur Gegenwart“ basieren auf den umfangreichen Landessammlungen Niederösterreichs, die rund 100.000 Kunstwerke enthalten. Während der Corona-Zeit lockten insbesondere die Ausstellung „Spuren und Masken der Flucht“ und die Sammlung Ernst Ploil mit Werken von Schiele, Rainer und Kokoschka zahlreiche Besucher nach Krems.
Ein besonderes Augenmerk wird gelegt auf weibliche Künstlerinnen, die zumeist erst im späteren Alter ihre künstlerische Anerkennung erhielten wie Renate Bertlmann, Lieselott Beschorner oder Isolde Maria Joham. Letztere starb im Alter von 90 Jahren, am letzten Tag ihrer Ausstellung „Eine Visionärin neu entdeckt“. Im Erdgeschoß sorgen zumeist aufwendige Installationen für künstlerische Diversität. Hervorstechend dabei „Across der River“ der seit der Biennale 2015 weltweit bekannten Künstlerin Chiharu Shiota, die rund 700 km Wolle mit realen Booten und Landkarten verwoben hat.
Mit einem abwechslungsreichen Programm feierte die Landesgalerie am 25. Mai 2024 ihren 5. Geburtstag. Als besonderes Highlight seilten sich die Akrobaten Cataracts & Silk Fluegge mit Saxophon Live Sound und Techno Beats von der Nordfassade des Kubus ab. Dazu zahlreiche Kinder- und Kreativstationen, Open Piano, Silent Disco, Backstage-Führungen oder einfach die Gelegenheit, bei freiem Eintritt die aktuellen Ausstellungen der Landesgalerie zu besuchen.
Im 1. Stock präsentiert die Landesgalerie bis 19. 4. 2026 Landschafts- und Alltagsbilder aus mehr als fünf Jahrzehnten, unterteilt in sechs niederösterreichische Orte und Regionen. Krems selbst ist u.a. mit Bildern Franz Stöbers vom Kloster Und und der Donaulände vertreten, imposant das acht Meter lange Gemälde „Panorama des Donautals mit der Ruine Dürnstein“ von Anton Hlavecek aus dem Jahre 1906. Der 2. Stock ist der österreichischen Fotografin Elfriede Mejchar (1924-2020) gewidmet, die dieses Jahr ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte. Ihre Werke reichen von sachlichen Architekturaufnahmen bis hin zu experimentellen Kunstwerken (wie ihrer progressiven Serie „Nobody is perfect“). Im Obergeschoß faszinieren die auf Algorithmen basierenden Bild- und Klanglandschaften des Klosterneuburger Künstlers Monocolor.
Live zu Gast war die irische Künstlerin Claire Morgan, die mit ihrer begehbaren Installation „Hold me tighly lest I fall“ im Erdgeschoß alle Generationen begeisterte. Morgan verwendete für ihre erste Ausstellung in Österreich bunte Plastikschnipsel, Distelsamen und transparente Nylonfäden. Innerhalb dieses Konstrukts platzierte sie zehn Vögel und eine menschliche Skulptur. Ein subtiles Statement der Künstlerin gegen die Umweltzerstörung und für eine nachhaltigere Beziehung zur Natur. Ein zeitgemäßeres Sujet kann sich die Landesgalerie bei ihrer Jubiläumsfeier nicht wünschen.
Im New Yorker Auktionshaus Christie´s erreichen seine Werke zwei- bis dreistellige Millionenbeträge: Roy Lichtenstein, 1923 als Sohn deutsch-jüdischer Eltern in New York geboren und seines Zeichens Gründungsvater der Pop Art.
Die Wiener Albertina widmet dem 1997 verstorbenen Künstler eine Retrospektive zum 100. Geburtstag. Von 8. März bis 14. Juli 2024 sind in der Basteihalle rund 90 Werke Lichtensteins zu sehen, die seine gesamte Karriere ab seinem Durchbruch in den 60ern abdecken. Bei der Eröffnung war auch seine Frau Dorothy, Präsidentin der Roy Lichtenstein Foundation, anwesend, die 2023 der Albertina 95 Objekte (im besonderen Pinselstrich-Skulpturen, Skulpturenmodelle, Vorzeichnungen, Teppiche und Keramiken) als Schenkung übergab.
„Pop Art basiert auf jener kommerziellen Illustration, von der wir verdorben wurden“, so Lichtenstein. Und das sind laut seiner Diktion die Werbegrafik und die Comics (damals in den Sixties im Gegensatz zu heute „Fließband-Schund“). Mit einer Comic-Adaption schaffte der gelernte Lehrer mit knapp 37 den Sprung in den künstlerischen Zenit. „Look Mickey“, als Vorlage ein Kaugummibild (!) und gemalt auf Inspiration seines Sohnes, erzürnte Puristen, Plagiatsjäger und manche Medien („Is he the Worst Artist in the U.S.?“, Life 1964), die Besucher seiner ersten Einzelausstellung in der New Yorker „Leo Castelli Gallery“ waren aber begeistert.
Lichtenstein verwendete in dieser künstlerischen Phase gerne Vorlagen und Texte aus kitschigen Liebes-Comics: Frauen, die sich weinend nach einem Mann verzehren, Mädchen in der Badewanne, küssende Liebespärchen (im berühmten Sujet „We rose up slowly“). Umgesetzt werden diese im Stile der mechanischen Drucktechnik, mit grellen Farben, scharfen Abgrenzungen und den sogeannnten „Ben-Day-Dots“. Diese gelten als Markenzeichen Lichtensteins, die er zuerst mit Lochschablonen und später mit perforierten Metallplatten (inkl. der Unterstützung von Assistenten) auf die Leinwände bannte. Im Gegensatz zu Andy Warhol (in dessen legendärer Factory sich Künstler, Superstars und Freaks die Klinke in die Hand gaben) arbeitete Lichtenstein in einem schlichten Atelier an mehreren Leinwänden gleichzeitig.
„Was kann man schon malen, das nicht von vornherein lächerlich ist?“ Der Fantasie Lichtensteins waren insofern keine Grenzen gesetzt: Zu den Comics und Werbesujets gesellten sich bald Landschaften, Strände mit Sonnenuntergängen, Alltagsgegenstände (wie Spraydosen, Kristallschalen oder Gläser), Blumen, antike Säulen, Atomic Landscapes oder Waffen im Abzug („Fastest Gun“). Sein für das Stockholmer Moderna Museet angefertigte Motiv „Finger Pointing“ bezog sich auf ein Symbol einer US-Kampagne, die Männer zum Wehrdienst rekrutieren sollte. Bei Protestkundgebungen gegen den Krieg resultierte es zum Gegenteil. Die Kritik am herrschenden System der Politik, des Kapitalismus und des Konsumwahns liegt vielen Werken Lichtensteins subtil inne, der Künstler selbst sprach in einer Arte-Doku vom „wahrscheinlichen Hang der Gesellschaft zu gelenkten Massenentscheidungen, der dem Herstellungsprozess der Comics vergleichbar ist“.
Lichtenstein gilt als Vorläufer der Appropriation Art, wenn er sie auch nicht so ernst nahm wie die späteren Vertreter dieser Kunstrichtung. Er adaptierte beispielsweise Werke von Picasso, Monet oder Dali. In den 70ern paraphrasierte er den surrealistischen Stil von Künstlern wie Magritte oder Miro. In der Albertina zu sehen in Form des großformatigen Kunstwerks „Studie zu Figuren in einer Landschaft“. Lichtenstein fertigte im Rahmen seiner Karriere auch zahlreiche Skulpturen an, die Motive reichen von Frauenköpfen, Spiegeln, Gläsern, Kaffeetassen bis hin zu Pinselstrichen. „Die Pinselstrichskulpturen sind der Versuch, etwas, das eine Augenblickserscheinung ist, eine feste Form zu geben, etwas Vergänglichem Substanz zu geben“, so das Pop Art-Mastermind.
Zum Spätwerk Lichtensteins in den 90ern zählten die Darstellung von Interieurs – eine Replik auf die standardisierte amerikanische Wohnkultur – und ein Revival der Frauenmotive der 60er. Herausragendes Beispiel: Die „Strandszene mit Seestern“ aus dem Jahre 1995, eine monumentale Verknüpfung eines Picasso-Werkes („Badende mit Ball“) mit einem Liebescomicroman der 60er Jahre.
Die Karriere des 1997 an einer Lungenentzündung verstorbenen Roy Lichtenstein wurde durch zahlreiche Höhepunkte gekrönt: Ausstellungen in den renommiertesten Museen der Welt (von Guggenheim Museum, Museum of Modern Art New York bis zu Stedelijk Museum Amsterdam, Museum Ludwig Köln und Tate Modern London), Biennale Venedig 1966, Aufnahme in die American Academy of Arts and Sciences (1979) und Kyoto Preis (1995). Und welch ein Künstler sonst wurde mit dem herausstechenden Privileg ausgestattet, dass selbst kunstferne Personen dessen Trademark sofort in seinen Werken erkennen? Egal, ob in Galerien, Museen, Büros, Privatwohnungen oder im öffentlichen Raum („Barcelona Head“).
Diversity (dt. Verschiedenheit, Unterschied), ein Begriff, der seit einigen Jahren in allen Bereichen unseres Lebens herumgeistert und aus unserem Alltag, im Berufsleben und im gegenseitigen Umgang nicht wegzudenken ist. In der Kulturszene existieren zweifelsohne zahlreiche Proponenten eines fortschrittlichen Kunstverständnisses, in der von eurozentrischem und westlichem Denken traditionell geprägten musealen Praxis sieht dies leider nicht immer so aus.
Die Albertina Modern widmet sich in ihrer neuen Sonderausstellung „The Beauty of Diversity“ sowohl renommierten Künstlern, die schon immer gegen den Strom geschwommen sind, als auch neuen, kreativen Talenten kurz vor dem Sprung Richtung Weltkarriere und Kunstschaffenden abseits des Mainstreams. Im Mittelpunkt stehen dabei Frauen, LGBTQIA-Künstler, People of Color, Autodidakten und künstlerische Außenseiter, die – mit insgesamt 110 Kunstwerken, verteilt auf 13 themenbezogene Räume – einen spannenden, bunten Stil-Mix versprechen.
Ein besonderes Augenmerk richtet die Kuratorin Angela Stief auf Künstler aus Australien, Afrika, Asien und Südamerika. Vertreten in der Albertina Modern sind insbesondere afrikanische Künstler, die bereits in der Ausstellung „The New African Portraiture“ der Kunsthalle Krems ihr großes Talent gezeigt haben, so der an der Akademie für bildende Künste bei Daniel Richter studierende Alexandre Diop mit seinen komplexen Assemblagen, der US-Amerikaner Basil Kincaid oder der ghanaische Maler Amoako Boafo. Dessen Credo: „The primary Idea of my practice is representation, documenting, celebrating and showing new ways to approach blackness“.
Eines deren Vorbilder darf natürlich in der Ausstellung nicht fehlen: Jean-Michel Basquiat, zeit seines kurzen Lebens ein strikter Kämpfer gegen Rassismus und Diskriminierung, mit seinem minimalistischen „Venus“-Bild aus dem Jahr 1983. Das Teaser-Plakat dagegen ist einer Frau vorbehalten, der 1991 in Tansania geborenen Sungi Mlengeya, die mit ihren dunklen Figuren vor weißem Hintergrund klare Akzente setzt. Betroffen macht die auf den Wandtafeln beschriebene Lebensgeschichte der Pakistanin Aicha Khorchid, die den Selbstmord ihrer Mutter und den sexuellen Missbrauch durch ihren Ziehvater in drastischen Bildern dokumentierte.
Die Aboriginal Art wird u.a. vertreten durch Nyunmiti Burton, die mit ihrer abstrakten Serie „Seven Sisters“ sich auf eine indigene, mythische Geschichte über sieben von Männern verfolgten Schwestern bezieht und damit eine klare feministische Position einnimmt. Dies gilt auch für die in Iran geborene und in Wien lebende Soli Kiani, die mit ihren Malereien und Seilkonstruktionen die mangelnden Frauenrechte in ihrer Heimat anprangert. Kiani ist in Wien keine Unbekannte mehr, sie kann bereits eine Solo-Ausstellung („Ossian-Rebellion“) im Kunstforum für sich verbuchen.
Große Namen zeitgenössischer Kunst dürfen natürlich in der Ausstellung nicht fehlen: Maria Lassnig mit ihrem New Yorker Hauptwerk „Woman Power“ (inklusive einer nackten Riesin, die inmitten der Wolkenkratzer tänzelt), Valie Export (mit ihrer „Aktionshose Genitalpanik“), „Rollenspielerin“ Cindy Sherman, Marc Quinn, Jonathan Meese (mit skurril-horriblen Skulpturen), Cecily Brown, die Schweizer Künstlerin Miriam Cahn mit ihrer großformatigen „Atombomben“-Serie oder „Lemurenkopf“-Schöpfer Franz West.
Für erfrischenden Espirit sorgen aber auch die unbekannteren Namen: Verena Bretschneider mit ihren witzigen Face-Assemblagen aus Blumen, Federn, Haarteilen und Plastikgabeln (die man zwecks guter Laune am liebsten nach Hause mitnehmen würde), Claudia Märzendorfer mit ihren wollgestrickten LKW-Bestandteilen (als Beitrag zur Klimakrise) oder die gesellschaftskritischen Puppenkabinette der steirischen Autodidaktin Stefanie Erjautz. Letztere kongenial plaziert zwischen den „Mona Lisa“-Plastilin-Variationen der österreichischen Künstler-„Boygroup“ Gelatin und den brabbelnden Projektions-Gesichtern des US-Installationskünstlers Tony Oursler.
„The Beauty of Diversity“ ist von 16. Februar bis 18. August 2024 in der Albertina Modern zu sehen, und vermutlich bald im Triple-Kombi-Ticket mit der Wiener Albertina und der am 9. April neu eröffnenden Albertina Klosterneuburg.
„Ich heiße Hosea, sonst niemand“: Auf der Bühne im Kremser Kesselhaus nicht ein „exzentrischer Paradiesvogel, der mit seiner Schildkröte verlobt ist“, sondern der österreichische Kabarettist, Schauspieler und Moderator Hosea Ratschiller. Im September 2023 war Premiere seiner neuen Show „Hosea“ im Kabarett Niedermair, jetzt tourt der in Wien lebende Künstler quer durch Österreich und startet auch im Kesselhaus mit Pointen rund um seinen seltenen Vornamen, der von einem Propheten aus dem Alten Testament stammt. „Sie säen Wind, aber sie werden Sturm ernten, das passt für jedes Kind“.
Das Kärntner Multitalent ist in der Kulturszene schon lange kein Unbekannter mehr: Poetry Slam-Meister, FM4-Ombudsmann, Moderator der (leider 2023 eingestellten) Sendung „Pratersterne“ im Fluc, Schauspieler, Buchautor und dreifacher Träger des österreichischen Kabarettpreises. Sein neues Programm „Hosea“ ist nach eigenen Angaben sein „bisher persönlichstes“ und wirft mit Passagen aus seinem Alltagsleben einen witzigen, charmanten, aber manchmal auch zweifelhaften Blick auf die österreichische Seele.
Ratschiller ist verheiratet und Vater dreier Kinder, kurz „Papi“, das ist für ihn ein besonderer Orden. „Für ein bürgerliches Leben fehlt mir nur die Erbschaft“, stattdessen ist er stolz auf seine Kinder, mit denen er gerne im Zug fährt und dabei immer wieder mit der Verbröselung der Zugabteile konfrontiert wird. Und mit den kessen Sprüchen seiner Tochter. So wie der hier: „Was ist der Unterschied zwischen einer Pizza und einem Kabarettisten? Die Pizza kann eine Familie ernähren.“
Die nunmehr 12jährige Tochter ist der ideale Anknüpfungspunkt zur Darstellung des raschen Zeitenwandels. Für den Papi ist das Internet ein „Adventkalender mit viel zu vielen Fenstern“, für die Tochter nur ein Achselzucken, die wartet lieber auf das Abendessen. Das Jugendwort „cringe“ ist für Hosea die „rhetorische Demarkationslinie zwischen Alt und Jung“. Fußball ist schon lange nicht mehr nur Bubensport, Schaffnerin hätte früher niemand gesagt, und in der Welt der Tochter sind Lesbenehen state of the Art. Während die Oldies noch immer Hermann Maiers Goldmedaillen-Fahrt 3 Tage nach seinem „Jahrhundertsturz“ bewundern, rüstet sich die Jugend für den Klimaaktivismus. Eine deutliche Kritik am Homo Sapiens: „Der Mensch existiere bereits seit 300.000 Jahren, die Wissenschaft allerdings erst seit 250“.
Geschliffene Repliken auf die österreichische Politik dürfen nicht fehlen „Wer Schiss hat vor der Gasrechnung, kann aufhören, sich vor der Vermögenssteuer zu fürchten“ oder „Leistbares Wohnungen gilt in Österreich mittlerweise als linksextrem. Unsere Miete steht dagegen weit rechts der Mitte, sie ist bereits ein Fall für den Verfassungsschutz“. Zum Lachen und gleichzeitig zum Weinen, wenn man die neuesten Wahlumfragen studiert. Auch über dem satirischen Ich Ratschillers kreisen schon die „völkischen Aasgeier“: „Schon pleite, müde und zornig genug? Komm zu uns!“
Die Business-Klasse in den Zügen vergleicht Hosea mit den Schulen. Angebot und Ausstattung sind fast dasselbe, aber „die Reichen wollen unter sich bleiben“. Wenn das Baby in der 1. Klasse schreit, dann „stört man dort nur ein dutzend Gestopfte, die arbeitende Bevölkerung in der 2. Klasse dagegen wird geschont.“ Und natürlich werden auch die Boulevardmedien nicht geschont von Ratschillers Verbalakrobatik. „Früher gab es in den Zeitungen Überschriften MIT Text, und man bekam von den Schlagzeilen keinen Herzkasperl.“ Als besonderes Unikum sieht der Kabarettist die Sonntags-Krone in den Zeitungsständern. Dort solle man Geld einwerfen, obwohl diese ohnehin schon mit Steuergeld gefördert ist.
Handysucht, die ehemaligen ÖBB-Raucherabteile, Weltreisen der Generation 60plus, künstliche Intelligenz, Demokratie-Petitionen oder private Faschingsparties („Meine Tochter verkleidete sich als Vampirin mit zurückgeschleckten Haaren. Sie sah aus wie ein Altkanzler beim Gerichtstermin“) – Viele weitere Themen streifte Hosea noch im Rahmen seiner zweistündigen Show. Über das Programm habe er 1 Jahr lang nachgedacht. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. Ausverkaufte Vorstellungen, minutenlanger Applaus und kreatives Training fürs Gehirnschmalz der Besucher.
„Als Annie und ich zusammen lebten, schrieben wir keine Songs zusammen. Erst als die Beziehung beendet war, produzierten wir 120 Stücke“. Eine witzige Anekdote, die Dave Stewart gerne bei seiner Europa-Tour zwischen seinen hochkarätigen Songs einstreut. In der Royal Festival Hall in London präsentierte der stets mit Hut auftretende 71jährige britische Popstar zum ersten Mal sein „Eurythmics-Songbook“, die Kritiken waren so enthusiastisch, dass eine World Tour keiner Überredung mehr bedurfte. Zum 40. Jubiläum des All Time-New Wave-Classics „Sweet Dreams“, der die Eurythmics – nach jahrelang mäßigem Erfolg (immerhin ein Top Ten-Hit als „The Tourists“) – in den Pop- und Rockolymp schoss.
Nicht mit dabei: Die einstige, stets androgyn gestylte, charismatische Sängerin Annie Lennox, die zuletzt 2022 mit Stewart bei der Aufnahme der Eurythmics in die Rock´n Roll Hall of Fame aufgetreten ist. „Annie wollte nicht mehr auf Tour gehen, das hat sie nie gemocht. Es ist ein anstrengendes Leben“, so Dave Stewart in einem Interview. Stattdessen steht Stewart im Berliner Tempodrom gemeinsam mit einer Band von acht (!) Frauen auf der Bühne, drei davon übernehmen den Part von Annie Lennox: Dave Stewarts Tochter Kaya, die Australierin Vanessa Amorosi (deren Karriere bei den Olympischen Spielen in Sydney mit dem Superhit „Absolutely everybody“ begann) und die aus Manchester stammende Soulsängerin RAHH. Die weiblichen Bandmitglieder wurden von Dave Stewart, teils auch über Instagram, persönlich selektiert.
Die Setlist der rund 90 Minuten langen Show reicht von Frühwerken (wie der ersten Single „Never gonna cry again“ als Opener), dem im Kim Basinger-Mickey Rourke-Erotikstreifen „9 ½-Wochen“ platzierten „The City never sleeps“, den Superhits der 80er (wie „Love is a Stranger“, „Who´s that Girl“, „Thorn in my Side“ oder „When tomorrow comes“) bis hin zur Comeback-Single „I saved the World today“ aus dem Jahr 1999. Eine Reunion kurz vor der Jahrtausendwende, im Rahmen der die Eurythmics auch wieder auf Tour gingen und dabei die gesamten Gewinne Greenpeace und Amnesty International spendeten.
Die großartige Saxophon-Spielerin Yasmin Ogilvie bekommt beim Instrumental-Classic „Lily was here“ einen Spezial-Auftritt und steht Candy Dulfer um nichts nach. Stewarts Tochter Kaya brilliert an der Seite ihres Vaters beim einzigen UK-Nr. 1-Hit der Eurythmics, „There must be an Angel“ (den sie schon als Fünfjährige auf dem Schoß ihrer Patentante Annie Lennox gesungen hat), und der Ballade „You have placed a chill in my heart“, Vanessa Amorosi transformiert das chillige „Here comes the Rain again“ gegen Ende in eine Rock-Hymne, während RAHH mit ihren Power-Vocals den Missionary Man beschwört. Beim Feminist Anthem „Sisters are doing it for themselves“ (in den schrillen Eighties ein Duett mit der Soul-Legende Aretha Franklin) rocken alle drei Leadsängerinnen gemeinsam die Bühne. Das Finale Furioso natürlich „Sweet Dreams“ in einer Extended Version mit Konfettiregen.
Fazit: Eine großartige Retrospektive, die nicht nur den Fans, sondern auch Mastermind Dave Stewart und seiner Girls Band Spaß gemacht hat. Und obendrein den Sanktus der Eurythmics-Ikone Annie Lennox genießt.
Der Wiener Künstler Gottfried Helnwein feierte kürzlich im Oktober seinen 75. Geburtstag. Und hatte gleichzeitig das Vergnügen, mit der Kuratorin Elsy Lahner seine vierte Ausstellung in der Wiener Albertina zu konzipieren. 1979 war Helnwein, der den langjährigen Generaldirektor Klaus Albrecht Schröder schon seit Studententagen kennt, zum erstenmal mit Zeichnungen zu Edgar Allan Poe vertreten, dann 1985 mit einer Einzelausstellung und 2013 mit einer umfassenden Retrospektive. „Realität und Fiktion“ heißt seine aktuelle Ausstellung, die sich mit seinen Werken aus den letzten 3 Jahrzehnten beschäftigt. Die Grundthematiken haben sich nicht verändert, die Methoden wurden allerdings adaptiert an den aktuellen, nicht unbedingt positiven Zeitgeist.
Kinder
Bereits vor der Eröffnung der aktuellen Ausstellung sorgte Helnwein mit zwei großformatigen Bildern eines blutverschmierten Mädchens („My Sister“) für Aufregung, die den Ringturm am Schottenring umhüllten. Damit einhergehend wurde eine Kampagne gegen Gewalt an Frauen und Kindern gestartet. Kinder stehen seit Beginn der künstlerischen Karriere Helnweins im Zenit seines Schaffens. „Die Helden meiner Geschichten sind die Kinder, als Metapher für eine potenzielle Unschuld und eine im Innersten des Menschen vorhandene Unverletzlichkeit und Unbesiegbarkeit“, so ein in der Ausstellung platziertes Zitat Helnweins.
Jugend in der Nachkriegszeit
Aufgewachsen im Wien der 50er („ein schrecklicher Ort“) wurde Helnwein konfrontiert mit der kollektiven Amnesie der Elterngeneration über die Greuel des Zweiten Weltkrieges, der beklatschte Freispruch des NSDAP-Funktionärs Franz Murer bekräftigte seine Einstellung, dass er mit dieser Gesellschaft nichts zu tun haben wolle und „Kunst für ihn die einzige Möglichkeit wäre“, sich selbst zu verwirklichen. Helnwein studierte – gemeinsam mit Manfred Deix – an der Höheren Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien, danach Malerei an der Akademie der bildenden Künste. Helnwein erregte damals nicht nur Aufsehen mit seinen Bildern, sondern auch mit radikalen Protesten gegen politische Missstände (wie der Aktion „Akademie brennt“ im Jahre 1971).
Der Schrei
Im Gegensatz zu seinen Kollegen wollte Helnwein seine Kunst nicht nur in elitären Galerien präsentieren, sondern ein möglichst großes Publikum erreichen. Und so erschienen seine teils provokanten Fotos und Bilder bald auf den Covers bekannter Zeitungen und Magazine (wie dem „Profil“, dem „Stern“ oder dem Time Magazine). Oder auf Plattencovern. „Der Schrei“, Helnweins brutales Selbstporträt mit aufgerissenem Mund, Gabeln in den Augen und bandagiertem Kopf, verwendeten die Scorpions als Cover ihres Albums „Blackout“. Das Kult-Bild der 80er, einerseits ein verzweifelter Aufschrei gegen die herrschenden Strukturen, andererseits ein knallharter Aufruf zum Protest, ist auch in der aktuellen Helnwein-Ausstellung zu sehen.
Donald Duck
Helnwein, der 2008 die Ausstellung „Donald Duck – Und die Ente ist Mensch geworden“ im Kremser Karikaturmuseum kuratiert hat, ist seit seiner Kindheit Fan der Entenhaus-Family. Die Walt Disney-Comics waren für ihn eine Aufhellung der düsteren Nachkriegs-Wien-Atmosphäre. Vor allem mit Donald Duck (der in der aktuellen Albertina-Ausstellung mit dem neuen Bild „In the Heat of the Night“ vertreten ist) verbindet ihn eine besondere Sympathie, dieser „rapple sich immer wieder wie ein Stehaufmännchen auf, ungeachtet welches Unglück ihm auch widerfährt“. Die Micky Maus erscheint in seinen Arbeiten überdimensional, monströs und zähnefletschend, eine beabsichtigte Verzerrung mit Blick auf die gewalttätigen Zeiten. Helnwein sieht sich insofern als „Gott seines Universums“, die „Leinwand ist seine Bühne“, auf der er reelle Gestalten mit Fantastiefiguren kombiniert.
In seinem Kunstwerk „The Man who laughs“ grinsen sich Minnie Maus und Diktator Adolf Hitler vor einer verwüsteten Stadt teuflisch entgegen, „The Visit 4“ zeigt einen gelben Vogelmann mit spitzem Schnabel, der sich über ein schlafendes Kind beugt. Die Interpretation bleibt dem Publikum überlassen, „die Kunst braucht nur eines, einen naiven Betrachter“, so Helnwein.
The Disasters of War
Bei seiner neuesten, an Goya angelehnten Serie „The Disasters of War“ verwendet Helnwein die japanische Comic-Ästhetik, indem er Manga-Girls in Katastrophenszenarien einbettet. Diese posieren im Instagram-Style vor brennenden Häusern, explodierenden Tanks und sinkenden Schiffen, die in ihrer malerischen Ausgestaltung Hochglanz-Action- und Animationsfilmen entsprechen. Eine doppelte Fake Reality. Mangas stellen für Helnwein eine „künstliche, sexualisierte Kindlichkeit in einer kalten designten Welt“ dar, ebenso haben die in den Medien publizierten Bilder oft nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun, sie dienen zumeist der Propaganda der Kriegsparteien. „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges. Ich sehe bei den kriegerischen Auseinandersetzungen nur die Kinder, die haben das nicht verdient“, so Helnwein bei der Vernissage der Ausstellung.
Helnwein versteht sich als Konzeptkünstler. Im Mittelpunkt stehen der Inhalt und die Botschaft und nicht die Form der Umsetzung, die von Aquarellen, Zeichnungen, Aktionen bis zu Malereien, Installationen im öffentlichen Raum und Bühnenbilder für Inszenierungen reicht. „The Child Dreams“, bei dem Mädchen und Puppen an Seilen von der Decke hängen, basiert beispielsweise auf dem Bühnenbild für eine gleichnamige Oper Hanoch Levins 2010 in Tel Aviv. Die großformatigen Bilder hat er bereits seit seinem Wegzug nach Deutschland 1985 im Repertoire. Ansonsten hätte man keine Chance, sich gegen die massenhaften Bilder und Werbeplakate durchzusetzen.
Hyperrealismus
„Ich will Dinge sichtbar machen, die die Menschen lieber verdrängen und unsichtbar lassen würden, und sie dazu verführen, diese Dinge anzusehen“, das ist das Credo Helnweins. Als Vorlage für seine Bilder dienen zumeist Fotografien. Die Methode des Hyperrealismus sei insofern notwendig, als sie nicht nur fasziniert, sondern auch das Mindset der Betrachter verändern kann. Bei monochromen Zyklen wie der in der Albertina präsentierten „Sleep“-Reihe verzichtet Helnwein fast gänzlich auf Farben, sodass die Gesichter der Kinder kaum mehr erkennbar sind.
Epiphany
„Die Kunst ist immer Spiegel der Zeit“, auch ein Helnwein-Zitat. In „Epiphany 1“ nimmt er Bezug auf die ihn zeit seines Lebens belastete Verdrängung des Nazi-Terrors durch die Nachkriegsgeneration und zeigt eine Variation der christlichen Anbetung des Jesuskindes und der Jungfrau Maria. Bei den Heiligen Königen handelt es sich allerdings um devote SS-Offiziere. Grundlage dieses provokanten Werks ist eine Fotoaufnahme mit Adolf Hitler in der Mitte, der im Bild durch ein den Betrachter anstarrendes Jesukind und eine stolz-arrogante Gottesmutter ersetzt wurde.
Ebenfalls im letzten Raum zu sehen ist das neueste Werk Helnweins, eine Skulptur eines ganz in Weiss gekleideten, bandagierten Mädchens, das auf einem Holztisch liegt. Formal identisch zum Bild dahinter, bei dem das Mädchen von Kriegsveteranen umringt wird. Es steht außer Frage, dass die kreativ-innovativen Zeiten des in Irland und Los Angeles lebenden Künstlers noch lange nicht vorbei sind.
Österreich liegt laut einem aktuellen OECD-Gesundheitsbericht im Spitzenfeld beim Alkoholkonsum. Pro Kopf werden jährlich 11,1 Liter reiner Alkohol getrunken, dies entspricht ungefähr 220 Litern Bier. Nur in Bulgarien, Tschechien, Litauen und Lettland wird mehr getrunken. 370.000 Menschen (ca 5 % der Bevölkerung) gelten als alkoholabhängig, davon 100.000 Frauen. Während Jugendliche tendenziell immer weniger Alkohol konsumieren (alternativ allerdings auf Cannabis, Ecstasy oder Amphetamine zugreifen), kam es vor allem bei einer Gruppe zu einem Anstieg in den letzten Jahren, bei den jungen, gebildeten Frauen.
Alkohol in Wien
Eva Biringer ist bzw. war eine davon. Die 34jährige deutsche Journalistin und Theaterkritikerin hat über dieses Thema ein spannendes Buch – „Unabhängig: Vom Trinken und Loslassen“ – geschrieben und dieses bei der Buch Wien präsentiert. Wien war insofern auch Gegenstand der amüsanten Leseprobe über ein gar nicht so amüsantes Problem der Gesellschaft. In den Kaffeehäusern wechsle man schon um 15 Uhr von der Melange zum Achterl. Trinken sei Teil des Assimilierungsprozesses in Wien, egal ob am Donaukanal, bei Vernissagen oder in den Beisln. „Ich habe nie verstanden, warum man Wein mit Wasser mischen soll. Ich trank ihn lieber pur“, so Biringer, die allerdings jetzt trocken ist und – ähnlich wie Buchautorin und Podcasterin Nathalie Stüben („Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens“) oder Instagrammerin und TikTokkerin-Laura („Laurassoberlife“) – für ein Leben abseits von Räuschen, Abstürzen, Unfällen, Gedächtnisverlust und verkaterten Wochenenden eintritt.
Edward Munch
„Der Tag danach“: So heißt ein Bild des ebenfalls mit dem Dämon Alkohol ringenden norwegischen Maler Edvard Munch. Dieses hing bereits in Form einer Postkarte im WG-Zimmer der Autorin. Das Motiv: Eine auf einem Bett liegende Frau mit leicht aufgeknöpfter Bluse und komatösem Zustand, auf dem Tisch daneben eine Flasche Alkohol. Ein Bild, mit dem sich Biringer zur Zeit ihrer Alkoholexzesse vollends identifizieren konnte.
Gelebte Emanzipation
Alkohol sei für die Frauen gelebte Emanzipation, so Biringer. „Früher konnten die Töchter kochen wie ihre Mütter, heute saufen sie wie ihre Väter“. Gefährdet seien laut aktueller Studien vor allem gut ausgebildete, alleinstehende Frauen aus der Mittel- und Oberschicht, die später Kinder bekommen und sowohl bei ihren Jobs als auch in der Freizeit mehr Gelegenheit haben, zu trinken. „So gesehen habe ich das große Los gezogen: Master-Universitätsabschluss, erwerbstätig, die meiste Zeit meines Lebens Single".
Schädliche Folgen
Die Alkoholprobleme (vor allem in der Kunst-, Gastro- und Medienszene) sind offensichtlich, werden allerdings mehr oder weniger geschickt versteckt und verdrängt, und das obwohl Alkohol sich bei Frauen schädlicher auswirkt als bei Männern. Frauen werden aufgrund eines unterschiedlichen Körperbaus (mehr Fettgewebe, weniger Flüssigkeitsanteil) schneller betrunken und bauen den Alkohol langsamer ab, als psychische Folgen drohen vor allem Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Depressionen.
Therapy
Unter der Kontrolle habe sie den Alkohol seit ihrer Jugend nicht gehabt. Es gab immer wieder Versuche, den Alkohol zu reduzieren, mit sogenannten „Dry Months“, Trinken nur am Wochenende oder geringeren Mengen. Erfolglos. „Man kann nur so lange abhängig sein, solange man konsumiert“, ihre Therapeutin. Mit 30 hat Biringer, selbst „nur“ psychisch und nicht körperlich abhängig, beschlossen, einen Schlussstrich unter das Saufen zu ziehen und eine ambulante Entwöhnungstherapie mit Einzel- und Gruppengesprächen zu absolvieren. Erfolgreich. Sie habe seitdem keinen Alkohol mehr getrunken, sei viel entspannter und betreibe viel Sport und Wander-Touren. Wer auf Bier und Wein nicht verzichten wolle, könne auf die boomenden alkoholfreien Varianten umsteigen, so die aktuell als Gastro- und Foodjournalistin arbeitende Biringer.
Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch
Das Problem von Alkohol in unserer Gesellschaft sei – im Vergleich zu illegalen Drogen - die ständige Verfügbarkeit. Als Maßnahmen gegen den Alkoholmissbrauch schlägt Biringer Verkaufseinschränkungen, rigorose Werbeverbote und ein Verbot im Straßenverkehr vor. Außerdem müssen vor allem Kinder und Jugendliche geschützt werden, um nicht bereits im Teenageralter in den Teufelskreis Alkohol zu schlittern.
Allerdings möchte Biringer mit ihrem Buch nicht den Moralapostel spielen. Jedermann habe das Recht auf Rausch, es gebe allerdings auch alternative, gesündere Formen, einen Ausgleich im Leben zu finden.
„Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein“, ohne Zweifel eines der bezaubernsten Zitate der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann, deren bereits 50. (!) Todestag dieses Jahr zelebriert wird. Tatsächlich war ihre turbulente Vita vor allem in den letzten Lebensjahren nicht immer durch Sonnenseiten geprägt.
Klagenfurt
Geboren wurde Bachmann am 25. Juni 1926 in Klagenfurt, wo sie auch ihre Kindheit verbrachte. Sie besuchte u.a. das katholische Ursulinengymnasium, bevor sie nach dem 2. Weltkrieg in Innsbruck, Graz und Wien zu studieren begann. Ihre erste Erzählung „Die Fähre“ erschien 1946 in der Kärntner Illustrierten. Reist man mit dem Zug in die Kärntner Landeshauptstadt, dann wird man sofort beim Verlassen des Bahnhofes mit dem Konterfei Ingeborg Bachmanns konfrontiert, und zwar durch ein bläulich gefärbtes Graffiti des französischen Street Art-Stars Jef Aerosol am Robert Musil-Haus. Dieses als Museum konzipierte Institut beinhaltet nicht nur eine Ausstellung über ihren Klagenfurtner Schriftsteller-Kollegen Robert Musil („Der Mann ohne Eigenschaften“), sondern auch eine Hommage an Ingeborg Bachmann mit zahlreichen Privatfotos, Gedichten und Dokumentationen ihres künstlerischen Schaffens.
Bereits im 2024 soll in der Klagenfurter Henselstraße zusätzlich das Bachmann-Haus eröffnet werden, in dem die weltbekannte Dichterin während ihrer Kindheit wohnte. Dort soll das gesamte Leben und Werk Bachmanns präsentiert werden, von ihrer Kindheit in Klagenfurt, ihren literarischen Anfängen in Wien bis hin zu ihren späteren Aufenthaltsorten in Europa und ihrem durch eine brennende Zigarette (und Medikamentenentzug) ausgelösten Tod in Rom am 17. Oktober 1973. Begraben ist Bachmann ebenfalls in Klagenfurt, am Zentralfriedhof Annabichl.
Biopic „Reise in die Wüste“
Ein Mosaik ihres Lebens behandelt der aktuell in den Kinos laufende Biopic-Film „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“, und zwar die (toxische) Beziehung zwischen Bachmann und dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch in den Jahren 1958 bis 1963. In den Hauptrollen agieren die deutsch-luxemburgische Schauspielerin Vicki Krieps (bekannt u.a. aus der Bobo-Satire „Was hat euch bloss so ruiniert“, dem oscar-nominierten Liebesdrama „Der seidene Faden“ und dem Historienstreifen „Corsage“, wo sie durch ihre Rolle der Kaiserin Sisi den Europäischen Filmpreis gewann) und Ronald Zehrfeld („Im Angesicht des Verbrechens“, „Babylon Berlin“), Regie führte die durch Biopic-Filme wie „Hannah Arendt“ und „Rosa Luxemburg“ renommierte Margarethe von Trotta, die keinerlei Recherche-Anstrengungen ausließ und auch im stetigen Kontakt mit Bruder Heinz Bachmann stand. Allerdings verweigerte der Suhrkamp-Verlag den Zugriff auf die 297 Briefe zwischen Bachmann und Frisch, die kurz nach der Fertigstellung des Films im November 2022 unter dem Titel „Wir haben es nicht gut gemacht“ publiziert wurden. Vermutlich hätte sonst das Drehbuch etwas anders ausgesehen.
The Beginning
„Versprich mir, dass du nicht mehr unglücklich wirst“, einer der Kernzitate des Films vom österreichischen Komponisten Hans Werner Henze (Basil Eidenbenz), selbst schwul und in einer freundschaftlichen Bruder-Schwester-Beziehung zu Ingeborg Bachmann. Doch was verstand Bachmann eigentlich unter privatem Glück? Zahllose Affären (u.a. mit Hans Weigel, Paul Celan, dem späteren Außenminister Henry Kissinger oder Hans Magnus Enzenberger), die unbeschwerte Freiheit und Unabhängigkeit unter der italienischen Sonne oder eine Partnerschaft mit einem geliebten Menschen? Kann man überhaupt alles gleichzeitig haben? Ist dies nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt? Frisch und Bachmann lernten sich nach einer brieflichen Kontaktaufnahme 1958 in Paris kennen, Frisch war von ihrem Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“ begeistert und bald auch von Bachmann selbst. „Before Sunrise“ am ersten Abend statt „Biedermann und die Brandstifter“.
Alltagsfrust
Der private Alltag funktionierte aber überhaupt nicht. Trotta schildert dies in einigen prägnanten Szenen, u.a. als sich Bachmann vom Schreibmaschinen-Geklemper ihres Partners gestört fühlte und sich nicht aufs Schreiben konzentrieren konnte. Oder sich gesellschaftlich langweilte im kleinen Uetikon bei Zurich (wo beide zuerst eine Wohnung bezogen), der Antithese zum Dolce Vita Italiens.
Mein Name sei Gantenbein
Missbraucht fühlte sich die Autorin, weil Frisch seine Erlebnisse mit Bachmann in einem Tagebuch niederschrieb. „Ein Schriftsteller lebt von der Sprache und nicht von dem Leben anderer Leute. Schon gar nicht von dem seiner eigenen Frau“, so die Diktion Bachmanns, der Frisch nichts abgewinnen konnte. Bachmann kritisierte nach der Trennung, dass sie Frisch sie als Vorbild für die Figur der eitlen Lila in seinem 1964 veröffentlichten Roman „Mein Name sei Gantenbein“ herangezogen hatte. Ein scheinbarer Sinneswandel: Denn die Briefwechsel der beiden bewies, dass Max Frisch bei all seinen Manuskripten die Zustimmung Bachmanns einholte.
The End
1960 bezogen Bachmann und Frisch eine Wohnung in Rom, dort wird der Schweizer Schriftsteller im Film vor allem als patriarchal, aggressiv und eifersüchtig dargestellt. Tatsächlich fühlte sich Frisch in Italien wohl und schrieb dort Tag und Nacht an seinem Roman, während Bachmann eine Affäre mit dem Germanisten Paolo Chiarini begann, eine Schreibkrise hatte und immer mehr dem Alkohol und den Tabletten verfiel. „Deine Lethargie….Ich habe darunter gelitten. Ich habe vielerlei versucht, aber ohne Glück. Dein Nichtaufwachenwollen, dein Hindösen,…deine Flucht in Narkotika.“, so in einem Brief im Mai 1962. Im Film wird dieser psychische Ausnahmezustand der Autorin nur in kaum sichtbaren Nuancen erläutert. Die neue Liebe von Frisch, die lebenslustige Studentin Marlene alias Margarethe Oellers (die spätere Ehefrau Margarethe Frisch), die Bachmann selbst in die Arme ihres Partners getrieben hat, erscheint daher keinesfalls abwegig. „Mörder meiner selbst“ warf Bachmann Frisch entgegen, dieser erwiderte „Manchmal sind nicht nur die Mörder, sondern auch die Ermordeten schuldig“. Klingt brutal, trifft es aber auch in der Filmbiographie auf den Punkt.
Trottas Bachmann-Film ist laut eigener Aussage eine Mischung aus Doku und Fiktion. Die „Reise in die Wüste“ mit dem Schriftsteller Adolf Opel (Tobias Resch) als persönliche Katharsis auf Rat ihrer Ärzte entsprach ebenfalls den Tatsachen, und zwar nach Ägypten und Sudan. Warum die Regisseurin allerdings einseitig dem Mann die Schuld am Beziehungsende und dem gesundheitlichen Verfall der Autorin zuschiebt, ist auch im Rahmen der Storyline nicht nachvollziehbar. Oder eben feministischer Aktionismus, der das Gegenteil erreicht.
„Kind sein heißt, die Welt mit anderen Augen zu sehen“, das ist nur eines von vielen Zitaten, die die Ausstellungsbesucher zum Nachdenken, Erinnern und Schmunzeln bringen und die bereits auf dem Weg hinauf zum Renaissance-Schloss Schallaburg platziert wurden. „Kind sein“ – Eine Ausstellung, die für alle Generationen informativ, kurzweilig und penibel zusammengestellt wurde, für Großeltern, die sich noch an tradierte Unterrichtsformen und längst vergessene Ausstattungen erinnern können, für Eltern, die sich mit einer modernen Zeitepoche konfrontieren müssen und manchmal mit den Kindern nicht mehr Schritt halten können und natürlich für die Kinder selbst, die in den 15 Räumen der Ausstellung interaktiv spannende Fragen stellen, eine Zukunftsberufsmaschine testen oder sich mit der gesamten Familie auf einem überlebensgroßen Sessel fotografieren lassen können. Eine Perspektive, die jedes Baby oder Kleinkind durchmacht, wenn es auf die riesige Welt der Erwachsenen blickt. Doch die Zeiten ändern sich bald.
Internationale Riten
„Denn die Kinder lernen täglich Neues. Und das in einem Tempo, das uns als Erwachsene schwindlig machen würde“. Und dieses Lernen findet noch dazu inmitten gesellschaftlicher und religiöser Riten statt, Erstkommunion oder Firmung in unseren Breiten. Im antiken Griechenland wurden beim Dionysos-Fest bereits 3jährige in die religiöse Gemeinschaft aufgenommen, als Symbol ein Weinkännchen. In vielen Regionen Lateinamerikas werden 15jährige Mädchen im Rahmen der „Fiesta de quinceanera“ gefeiert, als Geschenk bekommen sie eine letzte opulente Puppe als Abschied von der Kindheit. In Indien erhalten Frauen bei der ersten Menstruation einen teils umstrittenen Halb-Sari-Wickelrock.
Schule
„Kind sein heißt auch, für das Leben zu lernen und für die Schule“. Was naturgemäß nicht immer Begeisterung bei den Kids auslöst. Beim „Nie mehr Schule“-Spind fehlt nur der gleichnamige Falco-Track aus seinem ersten Album „Einzelhaft“, genial ist die auf eine kleine Box komprimierte Schummelsammlung. Eine Schulordnung der niederösterreichischen Gemeinde Michelstetten aus dem Jahre 1950 zeigt, wie rigide und konservativ einst die Zustände an den Schulen waren. Der Turnaround hat längst stattgefunden, viele Lehrer haben jetzt anscheinend vor den Schülern Angst, bereits 1994 vom Karikaturisten Gerhard Haderer aufs Tapet gebracht. Laut einer Studie aus dem Jahre 2018 wurden ein Viertel der deutschen Lehrer mit Schülergewalt konfrontiert, von Beschimpfungen in sozialen Medien bis hin zu körperlichen Angriffen.
Obdachlose, die vor den Schaufenstern einer Bettenabteilung schlafen, Fitness-Sportler, die selbst bei der allergrößten Anstrengung auf ihr Handy starren, junge Leute, die bei den Bankomaten Geld für ihre Vergnügungen abheben, während unmittelbar daneben gestrandete Bettler ums Überleben kämpfen. Es sind (scheinbar) skurrile Fotos, die in der Stadtgalerie Klagenfurt auf einer Fläche von 700 Quadratmeter von 18. Mai bis 27. August 2023 zu sehen sind.
Der Urheber: Das deutsche Multi-Talent Lars Eidinger, Schauspieler, Regisseur, Ex- „Jedermann“, DJ und Fotograf zugleich. „Overlooks“ nennt sich seine hochspannende Foto-Ausstellung, die nicht nur subtil hinter die Kulissen unseres gesellschaftlichen Lebens blickt. Denn bei diesen Fotos handelt es sich keineswegs um Kuriositäten. „Ich würde behaupten, die Bilder, die hier in der Galerie hängen, könnte ich mit ihnen gemeinsam an einem Nachmittag in Klagenfurt aufsuchen. Es ist wahnsinnig alltäglich, nur haben wir es halt gelernt, zu übersehen“, so Eidinger in seiner Eröffnungsrede bei der Vernissage.
Eidingers Hoffnung ist, dass „das Unsichtbare wieder sichtbar wird“ und der Narzissmus in unserer Gesellschaft zurückgedrängt wird. Die Fotos sind innerhalb der letzten Jahre überall auf der Welt entstanden, mit einer Spiegelreflexkamera und großteils mit dem Smartphone. Viele davon sind auf seinem Instagram-Account veröffentlicht worden, den er vor rund einem Jahr allerdings gelöscht hat. „Ich behaupte, dass Instagram ein toxisches Medium ist, man vergiftet sich da sukzessive. Langfristig macht das krank“, so der „Babylon Berlin“-Star in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
Tatsächlich machen die Fotografien, derer (vermutlicher) Aussagegehalt sich teils erst nach einer Nachdenkphase offenbart, nachdenklich. Vor allem die starken Gegensätze zwischen Reich und Arm werden im alltäglichen Leben kaum mehr bemerkt und registriert. Mondäne Bürger, die neben einem schlafenden Obdachlosen Luxusjuwelen im Schaufenster begutachten, ein Ehepaar, das auf einer Bank sitzend vor einem Armen-Zeltlager seine Füße ausstreckt oder eine Touristin, die während des Ablichtens der Pariser Notre Dame gar nicht bemerkt, dass sie das Schlaflager eines Obdachlosen stört.
Smartphone-Mania, dauernde Erreichbarkeit, Informations-Overkill, das zwanghafte Streben nach Bestätigung in den sozialen Medien. „Den (dystopischen) Kampf Mensch gegen Maschine haben wir eigentlich schon verloren, wenn man sich die Leute anguckt auf der Straße, wie sehr sie der Maschine gehorchen“, so Eidinger bei der Eröffnung. Rhetorisch verziert mit einem Prince-Zitat aus den 80ern: „Use the Computer, don´t let the computer use you“.
Nicht fehlen dürfen in der umfangreichen Ausstellung der Disco-Würfel (der auf Eidingers „Autistic DJ“-Shows hinweist) und die Wand-Uhr in Form einer gekreuzigten Jesus-Figur, die zweimal pro Tag den Status des (okkulten) „umgekehrten Kreuzes“ einnimmt. Wie schändlich der Mensch mit der eigenen Umwelt umgeht, zeigt sich am besten an dem Foto eines Baumes, dessen Wurzeln mit Ziegelsteinen betoniert wurde.
„Meine Bilder sind visuelle Readymades. Der morbide Charme der Fotografie besteht nicht darin, dass sie das Leben anfängt, sondern den Tod abbildet. Ein Memento Mori.“ Das mag wohl stimmen. Ziel seiner Fotografien ist allerdings auch eine Selbstanalyse der Fotobetrachter hinsichtlich des eigenen Verhaltens, eine Neu-Interpretation der gesellschaftlichen Zustände und eine Rückbesinnung auf ethische Werte. „Ohne missionarischen Auftrag“…
In einer Zeit, als weltweit die Hippies die sexuelle Revolution ausriefen und für die freie Liebe eintraten, war es in der kleinen Alpenrepublik noch vergleichsweise bieder und konservativ. Für Aufregung sorgten vielleicht die Wiener Aktionisten und in deren Dunstkreis die mutig-provokante Multimedial-Künstlerin Valie Export. „Tapp und Tastkino“ nannte sich beispielsweise die legendäre Expanded-Cinema-Aktion von Export und ihrem Partner Peter Weibel, bei denen Passanten mit einem Megafon aufgefordert wurden, in eine umgeschnallte Box zu greifen und dort für eine kurze, festgelegte Zeit die Brüste Exports zu berühren. Filme und Fotos dokumentieren diese 1968 in Wien und München konzipierte Performance, die den männlichen Voyeurismus offenlegen sollte. Eine von 163 Werken der 1940 in Linz geborenen Waltraud Lehner, die in unterschiedlichen medialen Formen – von Fotografien, Videos, Zeichnungen bis hin zu Installationen – im Rahmen einer Retrospektive in der Wiener Albertina zu sehen sind.
In der Performance „Aus der Mappe der Hundigkeit“ führt Export ihren damaligen Freund und Medienkünstler Peter Weibel wie einen Hund an der Leine durch die Kärntner Straße. Eine Umkehrung der patriarchalen Machtverhältnisse, die sich seitdem zumindest in Nuancen verbessert haben. Das Publikum reagierte damals erstaunlich tolerant, belustigt und amüsiert. Nicht fehlen dürfen in der Ausstellung die Pop Art-angehauchten Fotos der „Aktionshose Genitalpanik“, bei denen Valie Export – ihr urheberrechtlich geschütztes Pseudonym leitet sich von der Zigarettenmarke „Smart Export“ ab – sich mit gespreizten Beinen, im Schambereich ausgeschnittener Hose, Lederjacke und Maschinengewehr präsentiert.
Die angepasste und devote Rolle der Frau in den 60ern und 70ern thematisiert Export auch in zahlreichen Collagen und Nachbildungen alter Kunstwerke, durch die jahrhundertelange tradierte Stereotype schonungslos offengelegt werden. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen allerdings auch die grandiosen fotokünstlerischen Ideen Exports. Bei dem Projekt „Foto-Raum“ erweitert Export scheinbar den physischen Raum durch wandfüllende Aufnahmen des ihn umgebenden Außenraums. Auf dem Wiener Südbahnhof kombiniert Export Fotografie und Schrift, indem sie Waggons mit dem Wort „Schriftzug“ beschriftet. Parlament, Heldenplatz, Rathaus und viele andere andere Stätten des öffentlichen Raums dienen als Kulisse für die „Körperkonfigurationen“, bei denen sich Export oder engagierte Models an mächtige Stadtbauten schmiegen, um soziale Machtstrukturen zu hinterfragen. Deftigere Kost bekommt der Ausstellungsbesucher bei diversen Performances, wo sich Export selbst Schmerzen zufügt (wie bei der vierteiligen Aktion „Kausalgie“ oder der „Asemie – Die Unfähigkeit, sich durch Mienenspiel ausdrücken zu können“).
Beeindruckend sind zwei weiträumige Installationen Valie Exports in der Albertina: Bei den „Fragmenten der Bilder einer Berührung“ werden 18 leuchtende Glühbirnen in mit Öl, Milchersatz und Wasser gefüllte Zylinder getaucht. Die Flüssigkeiten brechen das Licht auf unterschiedliche Weise und entsprechen den Farbwerten eines durchleuchteten Schwarz-Weiß-Filmes. Kritik an der Massenproduktion und dem sinnentleerten Arbeitsalltag von Frauen äußert Export mit der in einem Sonderraum plazierten Installation „Die un-endliche/-ähnliche Melodie der Stränge“ aus dem Jahr 1998, bei der auf- und abwärtsbewegende Nähmaschinennadeln auf 25 PC-Bildschirmen zu sehen sind.
„Kunst soll dazu beitragen, Wahrnehmungen zu schärfen, und das auch abseits der künstlerischen Pfade. Man muss als Bürger beispielsweise wahrnehmen, welche Gesetze wir haben, ob diese richtig oder falsch sind oder von wem sie diktiert wurden“, so Export in einem aktuellen Interview. Ob´s gelingt, wird sich nach dem Besuch der spannenden Retrospektive zeigen.
„Es sind keine Kinder, die ich male. Für mich sind das alles eigene Selbstporträts“, so der japanische Künstler Yoshitomo Nara, der mit seiner Retrospektive „All my Little Words“ von 10. Mai bis 1. November 2023 in der Albertina Modern vertreten ist. Im Mittelpunkt dieser mehr als 600 Werke umfassenden Ausstellung stehen dabei die „angry girls“ oder „big headed girls with piercing eyes“ (oder wie man so auch bezeichnen mag), die Nara Anfang der 90er entwickelt hat und die zu seiner Trademark geworden sind.
Die Einsamkeit und das Alleinsein hatten dabei einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung dieser Comic-Figuren. Nara wuchs auf dem Land auf, spielte dort am liebsten mit Tieren und führte gerne Selbstgespräche. Dies hat sich auch nicht geändert, als er in der Großstadt Tokio lebte (wo man sich unter vielen Menschen allein fühlt) oder später im Rahmen seines Studiums in Düsseldorf, wo er die deutsche Sprache kaum beherrschte. „Statt des Wortes hatte ich die Kunst“, so Nara, der mittels seiner Girls-Zeichnungen seine Gefühle und Emotionen ausdrückte. Eine große Inspirationsquelle Naras ist auch die westliche Musik, die er bereits als Kind über die amerikanische Military Radio-Station Far East Network genossen hat. „I listen to music, when I draw“: Die Werke, die Nara auf den verschiedensten Materialien – von Zetteln, Kuverts bis Flyern oder Kartons – realisiert, haben allerdings weniger mit den Songinhalten als mit seinem persönlichen Seelenzustand und mit Gesellschaftskritik im Stile der Punk- und Hippie-Kultur zu tun.
„Live for the Moment“, „Marching on, still alive“, „I´m a son of a gun“ oder ganz straight „Fuck U“ kommen da aus dem schmalen, ungeschliffenen Mund der Young Girls mit ihren stechenden Augen und ihren zornigen Blicken. Der Sound darf natürlich nicht fehlen: Die „Long Hair Rockers“ spielen fetzige Gitarren und laute Drums. Und schrecken auch vor dem Einsatz von Boxhandschuhen nicht zurück. Ob hinter „Stand by me“ der Wunsch nach Zweisamkeit oder die Aufforderung nach mehr Solidarität steckt, das bleibt im Auge der Betrachter, die durch die Comic-Figuren, ihre Gefühlsausbrüche und ihre Parolen auch mit ihrer eigenen Identität, ihrer Vergangenheit und ihren Wertvorstellungen konfrontiert werden sollen. „If the audience is able to discern new discoveries, then that makes me happy“, so Yoshitomo Nara, der – wie auch bei seiner großen Retrospektive im Los Angeles County Museum of Art (LACMA) – die chronologisch angeordneten Ausstellungsparcours persönlich zusammengestellt hat.
Eine Zäsur seiner künstlerischen Karriere erlebte Nara durch die Dreifachkatastrophe an der Ostküste Japans im März 2011. Ein Seebeben löste Tsunami-Flutwellen aus, die eine Fläche von über 500 km2 der japanischen Pazifikküste überfluteten und zu Unfällen im Atomkraftwerk Fukushima führten. Nara zweifelte an der Sinnhaftigkeit seiner Kunst, begann dann aber große Bronzeskulpturen (wie der in der Albertina Modern ausgestellten „Midnight Pilgrim“) zu konzipieren. Der gesellschaftskritische Aktivismus kam aber bald zurück, der sich vor allem gegen die Atomkraft („Love or Nuclear“) und gegen die Informations- und Kommunikationspolitik des Staates („For true democracy to work, people need easy access to independent diverse sources of news and information“) richtete.
Finales Highlight der Ausstellung ist der „Drawing Room“ des Künstlers, der in einem separaten abgedunkelten Raum in Form einer Hütte aufgestellt wurde. „A Place like Home“ nennt sich dieses Konstrukt, das den (fingierten) Atelierraum des Künstlers zeigt, mit all seinen Stiften, Zeichnungen, Zetteln, Kalendern, Landkarten, Radios, Bierflaschen und Kuscheltieren. Ein Ort, an dem Nara nicht nur künstlerisch tätig ist, sondern sich auch zurückzieht, um seine Gedanken und Ideen zu sammeln. Als Background hört man seine sixties-angehauchten Lieblingssongs – von den Byrds, Donovan, Mary Hopkin bis hin zu Barry Mc Guires „Eve of Destruction“.
Yoshitomo Nara ist nicht nur in der Kunstszene angesagt – seine Originalwerke werden um viele Millionen Dollars verkauft – sondern auch in der Protestkultur. Seine Werke werden bei zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen verwendet. Unterstützt vom Künstler selbst, der diese per Download gratis zur Verfügung stellt. Bei der nächsten Demo in Wien also darauf achten, ob ein Angry Young Girl den Protestzug begleitet…
„She´s undoubtely the girl of the future“: Das schrieb einst im Jahr 1966 die US-Modezeitschrift Women´s Wear Daily über die damals 31jährige österreichische Künstlerin Kiki Kogelnik, die sich damals im New Yorker Dunstkreis von Andy Warhol, Roy Liechtenstein, Robert Rauschenberg, Claes Oldenburg und Carolee Schneemann bewegte. Das Fashion-Magazine hatte nicht ganz unrecht. 25 Jahre nach ihrem Tod aufgrund einer Krebserkrankung (1997) war Kogelnik mit ihren Mensch-Maschinen-Hybriden Teil der Venediger Biennale. Und das Wiener Kunstforum widmet Kogelnik, die bereits 2013 in der Kunsthalle Krems mit einer Sonderausstellung vertreten war, die bisher größte Retrospektive. Bezeichnender Titel: „Now is the Time“.
Die Kuratorin Lisa Ortner-Kreil hat nach einer dreijährigen Vorbereitungszeit – in Zusammenarbeit mit der Kiki Kogelnik Foundation – das Werk Kogelniks chronologisch angeordnet. Empfangen werden die Besucher allerdings von einem ihrer bekanntesten Werke, dem „Painter“ aus dem Jahr 1975, das eines ihrer künstlerischen USP´s zeigt, das Ausschneiden ihrer (bzw. anderer) körperlicher Umrisse, die dann für die weitere Gestaltung ihrer Kreationen verwendet werden.
Galerie St. Stephan
Kogelnik stammt ursprünglich aus dem kärntnerischen Bleiburg und studierte ab Herbst 1955 Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Dabei schloss sie Bekanntschaft mit der Avantgarde-Gruppe rund um die Galerie St. Stephan (der u.a. Mäzen Otto Mauer, Arnulf Rainer oder Hans Hollein angehörten). Obwohl Männerdomäne, präsentierte sie dort 1961 ihre erste Einzelausstellung, die von abstrakten Malereien geprägt war. Tatsächlich zog es sie damals schon in das Art-Epizentrum New York („challenging“), wo die Kosmopolitin ein eigenes Atelier bezog und ihren eigenen Stil entwickelte.
Szene New York
„Kiki is an original. Her Style is part bohemian, part film star, part intellectual“, so der Kunstkritiker Robert Fulford im Toronto Daily Star. Kogelnik erlangte Popularität in der Szene nicht nur durch ihre grellen Kunstwerke (wie „Fly me to the Moon“, 1963), sondern auch durch ihren schrillen Fashion-Look, ihre lebenslustige Art und ihre Performances. So fabrizierte sie aus ihren körperlichen Umrissen Schaumstofffiguren und trug diese in New York und in Wien durch die City-Streets. In der wilden Sixties-Dekade entstanden ebenso die – im Hauptraum positionierten - knallbunten „Bombs in Love“ und die auf Kleiderbügeln platzierten „Hangings“, die – aus Vinyl bestehend – ebenfalls auf den Umrissen Kogelniks basieren. Der Kleiderbügel steht dabei nicht nur als Symbol für weibliche Rollenklischees, sondern auch für illegale Abtreibungen.
Space Art
Ein Sonderraum der Ausstellung widmet sich einem besonderen Faible Kogelniks, der Space Art. In der Mitte steht der rekonstruierte „Lover Boy“ (1963), ein überlebensgroßer Roboter, der aus Backformen (!) und Rohren besteht. Zu sehen sind auch Ausschnitte des legendären „Moonhappenings“ in der Galerie nächst St. Stephan. Kogelnik veranstaltete dort ein Public Viewing der ersten Mondlandung am 21. Juli 1969 und erstellte dazu parallel Siebdrucke mit Datum und genauer Uhrzeit.
Frauenbilder
In den 70er Jahren setzte Kogelnik feministische Akzente, indem sie die Rolle der Frau in der patriarchalen Gesellschaft hinterfragte. Weltberühmt ist ihr Sujet „Women´s Lib“ aus dem Jahr 1971, das Kogelnik mit ihrem „Lieblingswerkzeug“, der Schere, und ausgeschnittenen Körpersilhouetten zeigt. Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählen die bunten, lebensgroßen „Frauenbilder“, bei denen Kogelnik Hochglanz-Fashion-Magazine als Vorlage verwendet. „My paintings are about woman, about illusions woman have about themselves“, so Kogelnik, die die ästhetisch wunderschönen Frauenkörper mit geisterhaften, blassen Gesichtern und subtil-ironischen Elementen kombinierte. Beim Gemälde „Superserpent“ (1974) trägt die Frau einen Medusa-Schlangenkranz auf dem Kopf und eine Schlange in der Hand. Im Jahr 2019 wurde dieses Meisterwerk – bei einem Schätzwert von 20.000 Euro – um 162.500 Euro versteigert. Eine verspätete (postmortale) Genugtuung für Kogelnik, die damals laut ihrer privaten Tagebuchaufzeichnungen an der Akzeptanz ihrer Kunst zweifelte („I´m only the Doctor´s wife cooking. My Social standard is wrong“).
Spätwerk
Kogelnik war zeit ihres Lebens stets für neue Techniken und Stilgattungen aufgeschlossen. Sie besuchte an der New Yorker University einen Filmkurs und drehte danach im Jahr 1978 einen Kurzfilm über den Underground-Punk-Club „CBGB“, u.a. mit dem Schriftsteller Jim Carroll, Blondie und den Ramones. In der Retrospektive sind natürlich auch ihre Keramik-Arbeiten und ihre Glasköpfe (die „Venetian Heads“) zu sehen. Bei den weltweit ausgestellten „Expansions“ vermischte Kogelnik die Keramik mit der Malerei, das Verhältnis zwischen Leben und Tod steht immer mehr im Mittelpunkt ihres Spätwerks. Eines der Highlights der winkende, lachende Tod mit einem „Hi“ auf der Stirn und drei Keramik-Gesichtern über dem Gemälde. Ein ironisch, aber auch bitter anmutendes Kunstwerk Kogelniks, die am 1. Februar 1997 im Alter von 62 viel zu früh gestorben ist.
Mit ihren Themen ist Kogelnik 26 Jahre später am Puls der Zeit. Und der Hype um die österreichische Weltbürgerin wird so schnell nicht abreißen: „Now is the Time“ wandert nach dem Wiener Kunstforum ins Kunsthaus Zürich und danach in das Kunstmuseum Brandts in Odense. New York Calling nicht ausgeschlossen.
„Alle Kinder sind Künstler. Das Problem ist, ein Künstler zu bleiben, wenn man erwachsen ist“, ein berühmtes Zitat des wohl genialsten Malers des 20. Jahrhunderts, Pablo Picasso (1881-1973). Kunsttempel, Museen und Galerien weltweit zollen dem spanischen Künstler zu seinem 50. Todestag am 8. April Tribut und widmen ihm zahlreiche Sonderausstellungen, so auch die Wiener Albertina mit ihrer insgesamt 3. Picasso-Exhibition („Malen gegen die Zeit“, 2006, „Peace and Freedom“, 2010). Die rund 60 Kunstwerke, die seine gesamte Schaffenszeit umfassen, stammen aus eigenen Beständen, die 14 Gemälde großteils aus der Sammlung Batliner.
Blaue Periode
Picasso wurde 1881 im spanischen Malaga geboren. In Barcelona besuchte er bereits mit 14 die Kunstakademie „La Llotja“, wo er die ersten zwei Klassen überspringen durfte. Die katalanische Hauptstadt war gleichzeitig auch Schauplatz seiner ersten Einzelausstellung im Jugendstil-Cafe „Els Quatre Gats“, zum Epizentrum seiner Karriere wurde allerdings Paris, die anfänglich durch eine private Tragödie erschüttert wurde. Sein Freund Carlos Casagemas brachte sich 1901 aus enttäuschter Liebe zu einer Tänzerin um. Der Startschuss für die „Blaue Periode“ des damals in einem verwahrlosten Haus am Montmartre in einer Künstlerkommune wohnenden Picasso. Eines der Hauptwerke, die in der Albertina präsentierte „Schlafende Trinkerin“, die traurig und einsam – in düsteren Blautönen – auf ein Absinthglas starrt. Auch die erste Radierung Picassos, „Das karge Mahl“ stammt aus dieser Ära.
Kubismus
Gemeinsam mit dem fauvistischen Maler Georges Braque prägte er zwischen 1908 und 1914 die neue Kunstrichtung des „Kubismus“, die durch geometrische Formen, multiple Perspektiven, eine monochromatische Farbpalette und eine abgeflachte Bildebene gekennzeichnet ist. Vertreten in der Albertina durch das aus dem Jahr 1911 stammende, erstmals gezeigte Gemälde „Etagere“ und „Die Frau mit dem grünen Hut“. Das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, 1947 entstandene Bild ist auch ein Zeichen dafür, dass sich Picasso nie auf einen bestimmten Stil zu einer bestimmten Zeit festlegen ließ, sondern nach subjektiver Befindlichkeit und aufgrund äußerer Einflüsse künstlerisch agierte.
Krieg
Der Spanische Bürgerkrieg und die dadurch resultierende bis 1975 dauernde Diktatur Francos waren der Grund, dass Picasso seit 1936 zeit seines Lebens nie mehr sein Heimatland Spanien betreten hat. Für die Pariser Weltausstellung kreierte er 1937 das damals umstrittene Meisterwerk „Guernica“, das den deutsch-italienischen Bombenangriff auf die urbane Zivilbevölkerung unter Verwendung zahlreicher unterschiedlicher interpretierbarer Figuren, Allegorien und Symbole zeigt. Heute kann man „Guernica“ – nach einem langen Aufenthalt im Museum of Modern Art von New York – im Musea Reina Sofia Madrid bewundern. Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs war Picasso mit der Fotografin und Antifaschistin Dora Maar zusammen und war – nach der Nazi-Besetzung von Paris – mit Ausstellungsverbot belegt. Picasso wohnte damals in einem Atelier nahe der Notre Dame und malte dort u. a. das „Stillleben mit Gitarre“ (1942), das die Ambivalenz zwischen düsterem Krieg und den trotzdem noch existierenden schönen Seiten des Lebens schildert.
Picassos Frauen
Inspirieren ließ sich Picasso während seiner gesamten künstlerischen Karriere von Frauen, egal, ob es sich um Ehefrauen, Lebensgefährtinnen, Geliebte, Freundinnen oder Bekannte handelte. Das zeigen auch eindrucksvoll zahlreiche Kunstwerke in der Pfeilerhalle der Albertina. Im surrealistischen Meisterwerk „Femme, sculptures et vase de fleures“ (1929) offenbart Picasso subtil sein Doppelleben zwischen seiner ersten Ehefrau Olga und seiner 17jährigen Geliebten Marie Therese Walter. In der „Mittelmeerlandschaft“ (1952), dem Lieblings-Gemälde des Albertina-Direktors Klaus Albrecht Schröder, erzeugt Picasso eine beengte, labyrinthartige Atmosphäre an der schönen Cote d´Azur und dokumentiert dadurch die konfliktreiche Beziehung zur 40 Jahre jüngeren Jacqueline Gilot (für die er zuvor die in einer Psychiatrie landenden Dora Maar verlassen hat).
In Vallauris direkt an der Mittelmeerküste konzipierte Picasso nicht nur eine Friedenstaube für den Pariser Weltfriedenskongress, sondern malte auch zahlreiche Porträts der 19jährigen Sylvette David und beschäftigte sich mit der traditionellen Kunst des Töpferns. Die Keramikverkäuferin Jacqueline Rogue wurde nach dem Tod seiner ersten Ehefrau Olga seine zweite, Picasso produzierte über 4000 Keramiken und Teller mit antiken Motiven (wie Stieren, Fischen und Eilen). In seinen letzten Lebensjahren beschäftigte er sich immer wieder mit der Vergänglichkeit des Lebens, so wie in dem auch in der Albertina ausgestellten Meisterwerk „Nackte Frau mit Vogel und Flötenspieler“, das aber gleichzeitig auch eine Liebeserklärung an die Verführung und Erotik darstellte.
Picasso starb am 8. April 1973 mit 91 Jahren. Seine über 50.000 Kunstwerke, von denen 3800 als „Erbschaftssteuer“ im Museu Picasso von Paris landeten, werden noch Jahrhunderte für Freude, Kritik und Interpretationen sorgen. Ganz nach dem Geschmack des spanischen Jahrhundertkünstlers. „Es ist nicht Sache des Malers, die Symbole zu definieren. Sonst wäre es besser, wenn er sie in vielen Worten ausdrücken würde. Die Öffentlichkeit, die das Bild betrachtet, muss die Symbole so interpretieren, wie sie sie versteht.“, so Picasso nach Fertigstellung der „Guernica“.
„It was our way of saying you can put emotion into electronic music“, Marc Almond über seinen größten Hit „Tainted Love“, den er 1981 gemeinsam mit seinem Partner David Ball unter der Trademark „Soft Cell“ produzierte. 42 Jahre später präsentiert der nunmehr 65jährige auf der Bühne des renovierten Wiener Volkstheaters seine Greatest Hits. Ein abwechslungsreiches Potpourri aus düsterem New Wave der 80er, romantischen Schmachtfetzen und eleganten Pop-Chansons, bei dem die Fans voll auf ihre Kosten kamen.
Almond & Ball waren eigentlich Kunst-Studenten in Leeds, die die Original-Version von „Tainted Love“ aus den lokalen Clubs kannten. Der Northern Soul-Klassiker aus dem Jahre 1965 stammt von Gloria Jones, die mit dem T.-Rex-Sänger Marc Bolan (einem Jugendidol Almonds) ein Verhältnis hatte und im September 1977 als Lenkerin den Tod Bolans verursachte. Für Almond war das nicht nur subtil gay angehauchte „Tainted Love“ („Verdorbene Liebe“) der Startschuss für ein exzessives Nightlife in den Clubs von New York, wo die Alben von Soft Cell produziert worden.
Almond feierte, aufgeputscht durch Ecstasy- und Speed-Cocktails, bis zum Umfallen, bewegte sich im Dunstkreis von Andy Warhol und Freddie Mercury und gab wie dieser keine Details zu seiner privaten Sexualität ab. Die Zeiten damals waren laut Almond aber besser für Homosexuelle: „We were together. There was more of a shared experience, us against the World. Now I feel gay people are very divided. I hate the way, the LGBT thing has emerged, transgender community, lesbians, all divided.“ Weitere Tracks aus dem Debüt-Album „Non Stop Erotic Cabaret“ stürmten die Charts, „Bedsitter“ (mit den genialen, szene-kompatiblen Lyrics „Dancing laughing, Drinking loving, And now I'm all alone, In bedsit land, My only home“), „Torch“ und „Say Hello Wave Goodbye“, die natürlich auf der Setlist im Volkstheater nicht fehlen durften.
Soft Cell trennten sich 1984: Kurze Reunions sollten folgen. Für Marc Almond begann eine lange Solo-Karriere mit zahlreichen Kollaborationen, Stilwechseln und Releases, die eigentlich nur durch einen schweren Motorrad-Unfall 2004 mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen unterbrochen wurden. „The Stars we are“ aus dem Jahr 1988 war sein erfolgreichstes Solo-Album, mit dessen brillantem Titel-Track der Auftritt im Volkstheater startete. Aus diesem Album stammt auch das Duett mit dem Sixties-Sänger Gene Pitney, „Something´s gotten hold of my Heart“, das, sogar erfolgreicher als das 68er-Original, in den europäischen Charts die Spitzenpositionen erklommte. Das erste große Highlight einer Show, die auch zahlreiche Raritäten (wie „Black Heart“ von seiner Zweitband Marc and the Mambas), neue Tracks (wie „Hollywood Forever“ oder „Golden Light“) und Coverversionen von T.-Rex, Rod Mc Kuen bis hin zu David Bowie´s „John I´m only dancing“ enthielt.
Pop-Chamäleon David Bowie inspirierte Almond – durch sein Jacques Brel-Cover „Amsterdam“ (1973) – zu seiner Verehrung des 1978 verstorbenen, belgischen Chansonniers, 1989 veröffentlichte er ein eigenes Brel-Cover-Album („Jacques“), der Single-Hit „Jacky, natürlich auf der Setlist des Konzerts im Volkstheater, oszilliert – ebenso wie „Tears run rings“ und „A Lover spurned“ perfekt im Spannungsfeld zwischen „romance“ und „gutter“, Almonds musikalische und seelische Spielwiese. Die Electro-Pop-Hymne „Purple Zone“, 2022 als euphorischer Neustart nach den dunklen Covid-Zeiten mit den Pet Shop Boys aufgenommen („Let's get out of this life. I'm afraid and alone. Paralyzed in the purple zon“) präsentiert Almond minimalistisch mit Klavier-Begleitung.
Gegen Ende des Konzerts können sich die Zuschauer nicht mehr auf den Sitzen halten: „The Days of Pearly Spencer“ (sein elegantes UK-Top 5-Cover des David Mc Williams-Klassikers aus dem Jahre 1967), „Tainted Love“ und das schwülstige „Say Hello Wave Goodbye“ als krönender Abschluss, bevor Almond mit Standing Ovations und zahlreichen Rosensträußen frenetisch verabschiedet wird. A Great Night in einer wunderschönen Location…
„Fight for your Right to Party“, „Fiesta Grande, Fiesta Noche“, „A little party never killed nobody“, „Get the Party started“ – Die Liste an leidenschaftlichen Parolen, den biederen Alltag zu vergessen und sich in das düster-exzessive Party-Nightlife zu werfen, ist endlos. Das MAK (Museum für Angewandte Kunst) hat sich jetzt dieses Themas angenommen und unter der Trademark „The Fest“ einen spannenden Parcours mit über 650 Objekten konzipiert. 600 Jahre Fest- und Partykultur, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Dekadenz im Kaiserreich
So wurde auch in der Habsburger-Monarchie gefeiert, allerdings dienten die damaligen Feste, die durch detaillierte Sitzordnungen und Hierarchien gekennzeichnet waren, oftmals einer reinen Machtdemonstration. Zu sehen ist gleich zu Beginn der Ausstellung der „Königskopfschlitten“ (laut Kuratorin Brigitte Felderer der „Bugatti des Rokoko“), mit dem die Fürsten des 18. Jahrhunderts sich dem Volk präsentierten. Die Untertanen selbst durften bei Faschingsumzügen und Karnevalsveranstaltungen ihren Spaß haben. Wie dekadent und verschwenderisch die Monarchen mit ihrem Geld umgingen, zeigt ein prächtiger Aquarellschrank, den Kronprinz Rudolf seiner Braut Stephanie von Belgien geschenkt hat. Der Begriff „Exzessmöbel“ könnte nicht besser gewählt sein. Schick und mondän ist auch ein riesiger Luster, der zu den zeitgenössischen Kunstwerken der Ausstellung zählt. Er stammt vom britischen Künstler Cerith Wyn Evans und kann per Morsecodes und Lichtsignalen mit den Besuchern kommunizieren.
Totenkronen (als Zeichen habsburgischer Bestattungsrituale) sind in einem eigenen Raum positioniert zwischen den Porträts von Kaiserin Maria Theresia und Franz Stephan (edel dekoriert und mit Maske in der Hand) und einem modernen „Knochenporträt“ ihrer Tochter Maria Anna von Österreich (1738-1789). Für die japanische Künstlerin Haruko Maeda symbolisieren Knochen die „Ewigkeit und eine geistige Stärke, die das Fleisch überdauert“. Maria Anna war eine zu ihrer Zeit gering geschätzte Kaisertochter, ihre hochwertige Mineraliensammlung ist allerdings heute noch im Naturhistorischen Museum zu betrachten.
Un Ballo in Maschera
Direkt daneben läuft in einem abgedunkelten Raum das vom britisch-nigerianischen Künstler Yinka Shonibare produzierte Video „Un Ballo in Maschera“ (A Masked Ball). In Anlehnung an ein historisches Faktum und eine Verdi-Oper wird der schwedische König Gustav III. während eines Maskenballs erschossen, steht aber danach wieder auf und tanzt – im Loop – weiter. Shinabare kritisiert hier die finanzielle und personelle Ausbeutung ausländischer Völker, durch Verwendung sogenannter „wax prints“, die nicht aus Europa, sondern aus den niederländischen Kolonien Afrikas stammen.
Ballroom Blitz
Ein Gläschen in Ehren, das kann keiner verwehren. Die Scherzgläser, die einst dem Brautpaar vor der Hochzeit überreicht wurden, sind wohl die Ausnahme von der Regel. Eine Vitrine mit den schönsten Champagnengläsern wurde platziert gegenüber den glamourösen Bildern des Venediger Le Bal 1951, einer vom Multimillionär Charlie de Beistegui inszenierten Veranstaltung mit Hocharistokratie, Hollywood-Stars und Modezaren auf der Einladungsliste, die man unter der elitären Trademark „Ball of the Century“ kennt. Spaß hatte man garantiert auch bei den Wiener Festen im Künstlerhaus und der Sezession. Auf den von Gary Keszler von 1993 bis 2019 organisierten Aids-Charity-Life Ball, die U4-Exzesse in den 80ern oder auf die Clubbing Nights Hannes Jagerhofers im Technischen Museum und in den Sofiensälen hat das MAK leider vergessen. Wie eine freakige Party aber jenseits aller Freizügigkeitsgrenzen und Tabus ablaufen könnte, zeigt das großformatige Kunstwerk der österreichischen Aktionskünstler von Gelitin.
Berghain
Parties ohne Unterbrechung von Samstag nacht bis Montag früh, streng selektierte Party People, Exzesse aller Art on the Dancefloor und in den Dark Rooms. Kein Wunder, dass im Berliner Kult-Club Berghain Film- und Fotoverbot herrscht. Strictly feel the Moment. Im MAK ist ein Kork-Modell des weltberühmten Techno-Clubs von Philip Topolovac zu sehen, dazu eine witzige Zeichnung Sampo Hänninens über die Verteilung der Stammgäste im Berghain und der inkludierten Panorama Bar. Ein Foto („studio party“) von Kult-Szenefotograf Wolfgang Tillmans (von dem einige großformatige Shots im Club hängen) darf natürlich nicht fehlen.
Reclaim the Streets
„There are two different forms of dancing, that of entertainment and that of urgency“, so der serbische Künstler Bogomir Doringer, der seit 2014 Clubs aus der Vogelperspektive fotografiert und die Choreographien der Tänzer studiert. In Zeiten von Krisen ist der Tanz eine kollektive Ausdrucksform der Teilnehmer. Bei der Berliner Love Parade mit dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ standen mehr der hypnotische Sound, Spaß, Ecstasy und der ultimative Exzess im Mittelpunkt. Anders bei authentischeren politischen Demonstrationen wie „Reclaim the Streets“ (die ihren Ausgangspunkt im Widerstand gegen den „techno-party-feindlichen“ Criminal Justice Act Margaret Thatchers hatten, später sich allerdings auch gegen Kapitalismus, Konsumwahn, Umweltverschmutzung, Autoverkehr und die Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes richteten) oder den global inszenierten „Carnival against Capital“ 1999, der das G8-Treffen in Köln im Visier hatte. Zahlreiche Videos derartiger Protest-Demos sind auf großen Leinwänden im MAK zu sehen.
Maifeiern
Ebenso wie alte Filme über die Maifeiern der Sozialdemokraten. Die erste Mai-Kundgebung fand übrigens am 1. Mai 1890 unter dem Motto „888“ (8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Schlaf, 8 Stunden Erholung) statt, mehr als 100.000 Arbeiter versammelten sich damals im Prater, zu dieser Zeit die größte Zusammenkunft in der Habsburger-Monarchie.
Sports Banger
Aus einem versteckten Kämmerchen dröhnen kontinuerlich progressive UK-Techno- und House-Vibes. Ein Raum zum hedonistischen Abtanzen und zum Look auf die schrillen Fashion-Shows des T-Shirt- und Sportswear Labels Sports Banger. Die Auswahl der Modemarke hätte nicht besser sein können. Denn Boss Jonny Banger gilt schlechthin als Personifikation für den modernen „Fest“-Begriff. Er kreiert nicht nur Mode, ist Gründer eines Musik-Labels (Heras), organisiert Food Banks für hilfsbedürftige Menschen, veranstaltet Club Nights und inszeniert sich als politischer Aktivist (u.a. mit den im Londoner Foundling Museum ausgestellten „Covid-Letters“ Jugendlicher). Motto: „Everything comes back to the spirit of Rave“…
Serialität, Monumentalisierung und die Erfindung des Siebdrucks: Das sind die drei Merkmale, die zu einer Revolution in der Druckgrafik nach dem 2. Weltkrieg geführt haben. Die Albertina Modern präsentiert – parallel zur zeitlich vorgelagerten Ausstellung „Von Dürer über Munch zu Miro“ in der Albertina – rund 80 Kunstwerke dieser Zeit, die allesamt aus dem eigenen Bestand stammen.
Prominent vertreten sind natürlich die Vertreter der Pop Art, von Andy Warhol, Roy Lichtenstein bis hin zu Robert Rauschenberg. Warhol verglich die Herstellung von Kunstwerken mittels Siebdruckverfahrens mit der Arbeit in einer Fabrik, sein Atelier bezeichnete er daher kongenial als „Factory“. Als Motive wählte er Alltagsgegenstände, Fotos aus der Zeitung und den Medien und Celebrities. Zu sehen sind in der Albertina Modern u.a. seine weltberühmten Foto-Konstellationen von Mao Tse Tung, dem electric chair und den Campbell Soups.
Ein Musterbeispiel für die Monumentalisierung der Druckgrafik sind die Kunstwerke des US-Amerikaners Chuck Close, der mit einem 4 mal 14 Meter großen Bild aus variierten Porträts die gesamte Seitenfront einer Ausstellungshalle besetzt. In bester Gesellschaft befinden sich dabei Werke der deutschen Künstler Anselm Kiefer (mit seinen großformatigen Holzschnitten über die Hermanns-Schlacht und das Rheingold), Jörg Immendorff und Georg Baselitz.
Österreich ist u.a. vertreten durch den 2022 verstorbenen Aktionskünstler Hermann Nitsch („Das letzte Abendmahl“), Arnulf Rainer, Auguste Kronheim (die die Rolle der Frau als Mutter, Köchin und Hausfrau kritisch hinterfragt) und die Grazer Illustratorin Michaela Konrad, die im Rahmen ihres Zyklus „Can this be tomorrow“ mit einer grellen Comic-Serie die „Brave New World“-Utopien Aldous Huxleys aus dem Jahre 1932 mit dem Überwachungsstaat der Gegenwart konfrontiert.
Das American Way of Life wird zelebriert durch Kunstwerke von Alex Katz (mit schick-oberflächlichen Frauen-Porträts), Jack Pierson (der Stars wie Marilyn Monroe oder Tony Curtis mit Vintage-Schriftzügen wie „Boy“ oder „Legend“ schmückt), Jim Dine (mit seinen Summer-Holzschnitten) und Kiki Smith, die durch ein Ineinanderfließen von Selbstporträts und Masken eine düstere Atmosphäre erzeugt („Banshee Pearls“).
Der britische Superstar Damien Hirst erwartet mit seinem „Last Supper“ die Kunstfreaks beim Ausgang der Ausstellung. Zu sehen sind dort – angelehnt an Jesus und seine 12 Jünger – 13 typische Medikamenten-Verpackungen, die allerdings laut Aufschrift Lebensmittel wie Chips, Sandwich, Salat, Chicken und Mushrooms enthalten. Eine mögliche Interpretation liefert Hirst selbst mit einem Zitat: „Art is like medicine – it can heal. Yet I’ve always been amazed at how many people believe in medicine but don’t believe in art, without questioning either.“
Andy Warhol bis Damien Hirst: The Revolution in Printmaking. 24. Februar – 23. Juli 2023…
Startschuss Ibiza. Das australische Duo Tim Metcalfe und Flynn Francis aka Lufthaus sorgte im August 2022 u.a. im 528 Ibiza und im Ibiza Rocks mit trance-artigen Electro-Tracks für Party-Stimmung. Mit im Gepäck ein Sensationsgast: Robbie Williams, der auch auf ihren Tracks „Sway“, „Soul Seekers“, „To the Light“ und „Unlovable“ zu hören ist. Das beim von Trance-Legende Armin van Buuren mitbegründeten Label Armada Music unter Vertrag stehende Duo wurde kongenial von Robbie Williams als Support-Act für seine „XXV-Tour“ gebucht. Nicht wenige dürften der Annahme gewesen sein, dass Robbie Williams auch bei der Pre-Show auf der Bühne steht, bester Beweis die unendlichen Menschenmassen vor der Wiener Stadthalle um ca. 19 Uhr. Leider ein Fehlalarm, Robbie war noch im Backstage-Bereich, und die Fans trösteten sich mit den tanzbaren Lufthaus-Tracks und einem „Sweet Dreams“-80er-Klassiker der großartigen Eurythmics.
Superstar Robbie Williams
„This is my band, this is my arse, and I am Robbie Fucking Williams“: So peitschte der „MTV Greatest Superstar“ und „most influential artists of the 90´s die Fans ein, als er mit rotem Fußball-T-Shirt (inkl. Penis-Karikatur) die Bühne betrat. Über 77 Millionen Tonträger hat der am 13. Februar 1974 geborene Robert Peter Williams verkauft, dazu 18 Brit Awards und ein Eintrag im Guinness Buch der Rekorde mit 1,6 Millionen verkaufte Eintrittskarten an einem Tag für seine 2006er-Tour. Nur der Durchbruch in den USA (kein einziger Top 40-Hit) gelang ihm nicht. Dies war allerdings nicht Thema seiner Jubiläums-Tournee, die sich zahlenmäßig auf das erste Solo-Album „Life thru a lens“ (1997) u.a. mit dem Welthit „Angels“ bezieht. Andere berufliche und private Probleme von Williams dagegen standen durchaus im Zenit der mehr als zweistündigen Show, der einst in Wien lebende Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, hätte seine Freude damit gehabt.
Take That-Memories
Vorerst aber wurde Party gemacht, mit einem Up-Beat-Track, der gleichzeitig Trademark von Robbie Williams ist: „Let me entertain you“. Die Journey durch 33 (!) Jahre Williams-Life mit vielen Ups and Downs konnte beginnen. Kurz nach dem Mauerfall mit dem Jahr 1990, als der erst 16jährige Robbie Williams Teil der fünfköpfigen Boy-Band Take That aus Manchester wurde. „Do what u like“ war die erste (mäßig erfolgreiche) Single der Jungs, das dazu gedrehte Video ließ Williams bei der Stadthallen-Show unter der Bezeichnung „Gay Porn“ einspielen, am Schluss ein Standbild seines nackten Pos. Kurz angestimmt wurde auch der 92er-Hit „Could it be Magic“, der erste Song, bei dem Williams hinter das Mikro treten durfte. Ansonsten war zumeist der Songschreiber Gary Barlow der unumstrittene Vocal-Leader der Band, Selbstzweifel, der Hang zum Alkohol und zu Drogen und die unerträgliche Überwachung des Privatlebens plagten damals schon Williams. Die Lebensbeichte seiner „Teenagerjahre“ erfolgte live minutenlang auf der Bühne. Nach einem Champagner- und Kokainrausch düste Williams Richtung Glastonbury (Juni 1995) und machte dort mit den berühmt-berüchtigten Gallagher-Brothers von Oasis die Nacht zum endlosen Tag. Der Rausschmiss aus der Band erfolgte nur einige Wochen danach am 17. Juli 1995, noch vor der Take-That-Tour (die Williams eigentlich noch absolvieren wollte).
Don´t look back in anger
„Take That became a painful distant memory“, so Robbie im Original-Ton. Viel später kam es aber wieder zu einer Annäherung mit der Band („If you can´t beat them, join them“). Den ersten gemeinsamen „Wiedervereinigungs-Song“, „The Flood“, präsentierte Williams in voller Länge. Und danach eines der Show-Highlights: „Don´t look back in anger“: das wunderschöne Oasis-Cover, gleichzeitig cool-lässiges Statement des vom geschniegelten Boyband-Popper zum schnörkellosen Indie-Rocker mutierten Superstars.
Eternity
„You were there for Summer Dreaming. And you gave me what I need. And I hope you find your freedom. For Eternity“. Die romantische Ballade aus dem 2000er-Album „Sing when you´re winning“, als Begleitung ein ganzes Orchester im Hintergrund. Robbie Williams widmet diesen speziellen Song dem ehemaligen Spice Girl Geri Halliwell. Trotz seines großen Erfolges fühlte sich Robbie allein, depressiv, war emotional am Ende und schwerst alkoholabhängig. Halliwell fuhr mit ihm auf Urlaub und half ihm bei seinem Weg aus der Sucht. Seitdem hat Williams 23 Jahre lang keinen Alkohol mehr angerührt.
Drugs vs. Family Life
„I took Alcohol, Cocaine, Ecstasy (this was great). The Party had to end, but I didn´t know when it should end“, so Williams bei einer späteren Rede vor dem gespannten Publikum. 2007 war Williams zuletzt in einer Reha-Klinik. Zu dieser Zeit lernte er auch seine spätere Frau, die Schauspielerin Ayda Field, kennen. „At the end of the 90´s I had two rules. Never get married. And no children“. Diese Grundsätze haben sich zum Glück geändert. Williams ist seit 2010 mit Ayda verheiratet und hat vier Kinder. „I love my Life“, seine musikalische Liebeserklärung an seine Familie, geschmückt mit Baby- und Kinderspielzeug-Visuals und einem Konfettiregen.
Encore
„I just wanna feel real love. Feel the home that I live in“. Auf diesen Superhit aus seinem vierten Album „Escapology“ haben bereits alle gewartet, Robbie elegant grün beleuchtet vor blauem Hintergrund. Danach schlüpft eine blonde Background-Sängerin in die Rolle Kylie Minogues, it´s „Kids“-Time. Der disco-lastige „Rock DJ“ sorgt für Dancefloor-Atmosphäre in der mit 15.000 Besuchern ausverkauften Wiener Stadthalle. Als Zugabe das von den Pet Shop Boys produzierte „No Regrets“, „She´s the one“ und als Finale – Handy-Lights inklusive - der Fan-Favourite „Angels“:
Die musikalische und psychologische Odyssee durch das Leben von Robbie Williams ist zu Ende, das Publikum ist happy, überglücklich und strahlend auch der Manegenstar. „I hope I´m old before I die“ stand nicht auf der Setlist, das hat ihm vermutlich der Herr Freud geraten...
Der 1964 im deutschen Erlangen geborene Juergen Teller trägt – neben dem kürzlich im Mumok mit seiner Ausstellung „Schall ist flüssig“ herausragenden Wolfgang Tillmans – die Trademark „Popstar der zeitgenössischen Fotografie“. Im September 1986 zog er nach London, um der Wehrpflicht zu entgehen, kreierte dort Plattencover für Stars wie Sinead O´Connor, Soul to Soul, Elton John, Neneh Cherry und Morrissey und arbeitete für die Fashion-Lifestyle-Magazine „The Face“, „ID“ und „Arena“. Weltberühmt wurden seine Fotos von Kurt Cobain und Nirvana, die er 1991 auf ihrer „Nevermind-Tour“ – kurz vor ihrem unerwarteten Charts-Durchbruch – begleitete. Teller war auch verantwortlich für die erste Modekampagne der damals 15jährigen Kate Moss und konzipierte die ambivalenten Shots des extrem dürren US-Supermodels Kristen McMenamy.
„Portraits“ internationaler Stars und nationaler Persönlichkeiten von Teller sind bis Anfang März 2023 in der Christine König Galerie in der Schleifmühlgasse 1a (1040 Wien) zu sehen. Die Palette reicht von Punk-Rocker Iggy Pop (im Juli mit den Red Hot Chili Peppers im Wiener Ernst Happel-Stadion), Schachweltmeister Garri Kasparow, Maler Anselm Kiefer bis hin zu teils freizügigen Motiven der kürzlich verstorbenen Fashion-Ikone Vivienne Westwood. Zu den Highlights der Ausstellung zählen auch die Aufnahmen der österreichischen Schriftstellerin Friederike Mayröcker, die sie in ihrer Wiener Dachgeschoßwohnung inmitten eines „Zettelgebirges“ zeigen.
Teller arbeitet ohne Retuschierungsprogramme, sondern lichtet die Porträtierten so ab, wie sie sind – mit Narben, Falten und Hautunreinheiten. Ein klarer Abgesang auf die hyperkünstliche Ästhetik anderer Fotografen. Dass er auf Instagram selbst keine Fotos postet, die Plattform aber spannend findet, ist insofern keine Überraschung. Tellers Foto sind allerdings „in der Regel inszeniert“. „Ich prüfe die Räume, in denen ich fotografiere, überlege mir, welche Posen dort infrage kommen. Aber ich lasse den Leuten auch den Spielraum, sich zu positionieren, wie und wo sie sich am wohlsten fühlen“, so Teller kürzlich in einem „Profil“-Interview.
Der Kult-Fotograf vergleicht dabei seine Methodik mit der von Ulrich Seidl. Ein Foto des österreichischen Film-Regisseurs findet man auch in der Christine König Galerie, gleich rechts nach dem Eingang…
Juergen Teller – Portraits – Galerie Christine König, Schleifmühlgasse 1a, 1040 Wien
„Die erste Ausstellung über zeitgenössische afrikanische figurative Malerei in Europa“ – Mit diesem Teaser lockt die Kunsthalle Krems Besucher aus aller Welt in die Exhibition „The New African Portraiture“, die sich über beide Stockwerke des Museums erstreckt. Impulsgeber war eine Ausstellung im Pariser Musee d´Orsay, die sich mit dem Schwarzen Körper in der Malereigeschichte von 1800 bis zur Klassischen Moderne beschäftigte.
Kuratiert wird die Ausstellung von Ekow Eshun, der zuletzt in der Londoner Hayward Gallery die Schau „In the Black Fantastic“ über Afrofuturismus konzipierte. Die afrikanischen Kunstwerke stammen aus der Sammlung von Amir Shariat, den der künstlerische Direktor der Kunsthalle, Florian Steininger, im Rahmen der Robin Rhode-Ausstellung „Memory is a Weapon“ 2020 kennenlernte. Der südafrikanische Street-Art-Künstler Rhode teilt sich mit einem der Shooting Stars der Ausstellung, Alexandre Diop, ein Studio. Ein kongeniales Netzwerk als Basis für einen attraktiven Parcours durch die Portraitmalerei Afrikas, die dort im Gegensatz zum weltweiten Trend der Abstraktion und Konzeptkunst stets im künstlerischen Zenit verharrte.
Die Arbeitsweisen, kreativen Ideen und Perspektiven der insgesamt 24 Künstler unterscheiden sich aber nicht unwesentlich. Cornelius Annor beispielsweise, dessen Werke im Oberlichtsaal zu sehen sind, dokumentiert das traditionelle ghanaische Familienleben, in der Küche, im Wohnzimmer oder im „Cabinet of Memories“. Auf dieser Schiene bewegt sich auch Crystal Yayra Anthony, die mit ihren Werken Geschlechterstereotypen aufbrechen will. Eines der Highlights: „What are you looking at“, das eine nackte schwarzte Frau – bei einer Alltagshandlung - mit Wasserschlauch in einem Garten zeigt.
Andere Künstler wie Souleimane Barry oder der in Paris aufgewachsene und in Wien an der Akademie der bildenden Künste studierende Alexandre Diop lassen sich vom kürzlich in der Albertina gewürdigten 80er-Superstar Jean Michel Basquiat beeinflussen und konzipieren eine Mixtur aus Pastell, Ölfarben, Bleistift, Klebstoff und diversen Materialien (wie Holz, Latex, Nägel, Gips oder Schnüren). Der im Künstler-Epizentrum Accra (in Ghana) geborene Amoako Boafo kreiert moderne, trendige Porträts von Freunden und Szene-Artists wie der amerikanischen Bildhauerin Kennedy Yanko.
Nicht fehlen dürfen in der Ausstellung sozialkritische Aspekte und Fragen der Diskriminierung. Jean David Nkot thematisiert die Rohstoff-Ausbeutung in Afrika u.a. mit seinem Porträt von drei selbstbewussten Minenarbeiterinnen. Mit Rassismus und Sexismus beschäftigt sich die nach Schweden emigrierte Everlyn Nicodemus nicht nur künstlerisch, sondern auch wissenschaftlich. Aus dieser Inspiration entstanden u.a. familiäre Motive wie in „Mother and Child“ oder „The Wedding“.
„No, I don´t speak Swahili“, so reagierte die in den USA geborene Künstlerin Josie Love Ruebuck auf eine verletzende Klassifikation aufgrund ihrer Hautfarbe. In dem daraus entstandenen Kunstwerk zeigt sie anhand von drei Gesichtern, wie sie selbst sich wahrnimmt und wie sie von anderen kategorisiert wird. Ein toughes Statement in der Zentralhalle kurz vor dem Ausgang, das auch nach dem spannenden Ausstellungsbesuch noch zum Nachdenken anregen soll…
„The New African Portraiture“ – 19. 11. 2022 bis 10. April 2023 Kunsthalle Krems.
Zeitgenössische Kunst soll im Mittelpunkt der Landesgalerie Niederösterreich in Krems stehen. In einem Monumentalgebäude des Architekten-Brüderpaares Marte Marte nahe der Donau, das weltweit für Anerkennung sorgt. So werden die Besucher derzeit verführt zu einem progressiven „Rendezvous mit der Sammlung“ aus der Ära von 1960 bis heute, einem bunten, abwechslungsreichen und stilvariablen Parcours auf 3 Stockwerken mit hochkarätigen Vertretern wie Nitsch, Kowanz, Gelitin oder Deborah Sengl. Als besonderes Highlight winkt im Erdgeschoß der Landesgalerie eine sensationelle Installation der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota, die ihre speziellen Fertigkeiten kongenial mit der Lage der Landesgalerie an der Donau verbindet.
„Across the River“ nennt sich das Konstrukt, das aus ca. 700 Kilometern (!) Wolle und damit verwobenen Booten (Zillen mit Namen wie „FF Palt“ und „Poldi Fitzka“, dem Restaurant der Galerie) besteht. Die Installation wurde innerhalb von zwei Wochen von Assistenten Shiotas und Mitarbeitern der Landesgalerie nach genauen Skizzen der Künstlerin errichtet. Inmitten des Netz-Konglomerates wurden historische Landkarten des Donauraumes platziert. „Der Titel der Ausstellung bezieht sich sowohl darauf, den Fluß zu überqueren als auch ihm zu folgen. Die Donau fließt durch 14 Länder und ist ein starkes Symbol dafür, wie wir miteinander verbunden sind, bei allen kulturellen Unterschieden“, so Shiota in einem Gespräch mit dem Kurator Günther Oberhollenzer.
Die 1972 in der Präfektur Osaka geborene Künstlerin studierte zuerst Malerei in Kyoto und zog 1996 nach Berlin nahe dem Szeneviertel Prenzlauer Berg. Nach einigen Semestern in Hamburg und Braunschweig schloss sie 2003 ihr Studium auf der Universität der Künste Berlin ab, sie war u.a. Schülerin von Marina Abramovic und Rebecca Horn.
Ihren internationalen Durchbruch feierte sie bei der Biennale 2015 mit der Installation „Der Schlüssel in der Hand“, bei der – wie in Krems – rote Wollfäden, Boote und zusätzlich Schlüssel (als Symbole für Erinnerungen) verwendet wurden. Ihr besonderes Markenzeichen sind Wollfäden (in verschiedensten Farben), die Kleider, verbrannte Klaviere (wie in der Ausstellung „The Soul Trembles“ in Tokio 2019), Türen oder Stühle umhüllen. In ihrem neuesten Werk „Silent Word“, zu sehen im Schauwerk Sindelfingen (bei Stuttgart), hat Shiota Buchstaben auf den Wollfäden platziert, die – nicht hörbar – die Gedanken und Emotionen der Menschen widerspiegeln sollen.
In Krems dagegen steht die Donau im Mittelpunkt, für Besucher unmittelbar sichtbar durch die großen Außenfenster und auf der offen zugänglichen Terrasse der Landesgalerie. Die Boote verkörpern für Shiota „Objekte der Ungewissheit“, „die sich nur nach vorne in das große Unbekannte bewegen können. So wie die „Welt, die im steten Wandel begriffen ist“. Spannende Thesen einer weltberühmten Künstlerin, die nicht nur zu einem kurzem Trip durch das „Wolle-Wonderland“ einladen, sondern auch zum nachhaltigen Nachdenken über den Sinn und Fortschritt des eigenen Lebens.
Chiharu Shiota: Across the River.
11. Juni 2022 bis 19. Februar 2023
Landesgalerie Niederösterreich, Kunstmeile Krems
Mode-, Akt- und Porträtfotografie, das sind die drei Spezialdisziplinen des im Oktober 1920 in Berlin geborenen Fotografen Helmut Newton (eigentlich: Helmut Neustädter), dessen Fotos zwischen 19. Oktober 2022 und 15. Jänner 2023 im Rahmen einer Retrospektive im Kunstforum Wien gezeigt werden. Bei der Ausstellung „Legacy“ („Vermächtnis“) handelt es sich um eine Wanderausstellung aus der Helmut Newton Stiftung in Berlin, die dort anlässlich seines 100. Geburtstages präsentiert wurde. Newton selbst starb 2004 bei einem tödlichen Autounfall, kurz nach Einrichtung der Stiftung im ehemaligen Offizierskasino in der Jebensstraße.
Melbourne
Mehr als 250 Arbeiten Newtons wurden – unter Mithilfe des deutschen Hauptkurators Matthias Harder – in einem spannenden Parcours platziert, der alle Tätigkeitsdekaden des Fotografen umfasst, beginnend vom 1. Bild aus seiner kriegsbedingten Wahlheimat Melbourne bis zu Spätwerken aus Los Angeles und Monaco u.a. für den exzentrischen Modeschöpfer Thierry Mugler. In Melbourne hat Newton auch seine spätere Ehefrau, die Schauspielerin June Brunell, kennengelernt, die ihm zeit seines Lebens nicht von seiner Seite wich, nicht nur selbst porträtiert, sondern auch selbst als Fotografin (unter dem Pseudonym Alice Springs) tätig wurde.
Paris
Zwischen 1961 und 1981 wohnten die beiden in Paris und St. Tropez, es entstehen die ersten lukrativen Fotoaufnahmen für Vogue, Elle und Queens. Mit dem damals so innovativen Stil Newtons, die Models nicht nur als „Kleiderträger“ abzulichten, sondern die Aufnahmen bis ins kleinste Detail zu inszenieren. Hitchcock-Filme, Bond-Klassiker, die durchgeknallten Swinging Sixties oder das römisches Dolce Vita (mit seinen Paparazzis an jeder Ecke) standen Pate für die cool-extravaganten Shots Newtons, eine Trennlinie zwischen Art und Fashion war längst nicht mehr erkennbar.
Zwei seiner berühmtesten Bilder haben die Kuratoren Harder und Evelyn Benesch zwischen den Säulen des Kunstforums positioniert, jene mit der androgynen Frau (Vibeke Knudsen), im Männeranzug solo bzw. im kühl-erotischen Clinch mit einer nackten Frau in der Pariser Rue Aubriot. Newton hat dort jahrelang gewohnt und hat diese Fotos 1975 für Yves Saint Laurent angefertigt. Es war gleichzeitig auch das Jahr seiner ersten Ausstellung in der Pariser Nikon Galerie.
Naked
„Nichts wurde retuschiert, nichts elektronisch verändert. Ich habe das fotografiert, was ich sah“, Helmut Newton über seine Arbeitsweise im Katalog zur Ausstellung „Work“ (die 2003 auch in der Kunsthalle Krems zu sehen war). Der Starfotograf arbeitete ohne Photoshop und ähnliche „Tricks. Dies gilt insbesondere auch für seine in den 80ern entstandenen Fotoserien „Dressed and Naked“ und „Big Nudes“, die im Kunstforum lebensgroß platziert wurden und – entgegen diverser feministischer Kritiker – die Stärke und Macht der abgelichteten Frauen widerspiegeln.
Celebrities
1982 verlegten die Newtons ihren Wohnsitz nach Monaco bzw. im Winter nach Los Angeles. Im dortigen Hotel Chateau Marmomt entstanden zahlreiche Porträt-Fotos der Celebrities aus der Kino-, Musik- und Mode-Branche. Zu sehen sind die großartigen Aufnahmen in einem separaten Raum der Ausstellung, von Romy Schneider, Liz Taylor, Gianni Versace, Karl Lagerfeld, Nastassja Kinski, Marlon Brando, David Bowie, Nadja Auermann, Charlotte Rampling,…. – bis hin zum Meister selbst. Fotografiert von seiner Frau June im Jahr 1958 in Melbourne, in der Hand das „Werkzeug“, das sein Leben bis zum Ende prägte, die Kamera…
DVD: Helmut Newton: The Bad and the Beautiful (2020, Doku).
Im Karikaturmuseum Krems stand bereits 2007 alles im Zeichen von Donald Duck. „Und die Ente ist Mensch geworden“ lautete der Untertitel der von Künstler Gottfried Helnwein kuratieren Ausstellung zu Ehren des Duck- und Entenhausen-Schöpfers Carl Barks.
15 Jahre später ist die am 9. Juni 1934 erstmals in einem Zeiehentrickfilm erschienene Ente wieder Protagonist einer Ausstellung, auf dem Teaser-Bild sieht man den notorischen Pechvogel Donald Duck mit einem Hausboot auf dem Kopf. Und das hat tatsächlich Sinn. Denn in jenem ersten Film, „The Wise little Hen“, lebt Donald – als Nebenfigur – auf einem Hausboot, daher auch der später charakteristische Matrosenanzug.
Die Idee für diese Adaption stammt vom österreichischen Zeichner Florian Satzinger, der mit seinen Kreationen im Mittelpunkt der Ausstellung „Donald Made in Austria“ steht. Der in Graz geborene Satzinger wurde bereits in seiner Jugend inspiriert von den Walt Disney-Filmen (wie „Bernard und Bianca“ und „101 Dalmatiner“), studierte Malerei an der Middlesex University London und danach Zeichentrick am Vancouver Institute of Media Arts. Er war Schüler des legendären Sir Ken Southworth (1918-2007), der u.a. für „Alice im Wunderland“, „Die Schlümpfe“ und „Tom & Jerry“ Animationen entwarf.
Satzinger selbst arbeitete nach seiner Ausbildung u.a. für Warner Bros und Walt Disney, Phantomias-Donald Duck-Comics waren hier bereits inkludiert. „Es wird geplant und recherchiert. Es werden Layouts gemacht. Perspektivisches Zeichen und Verstehen begleitet und durchdringt alles“, so der Künstler über seinen Job als „Character Designer“. Die auf der ersten Ebene des Karikaturmuseums platzierte Ausstellung zeigt über 200 Originale des Grazers und erklärt detailliert die Arbeitsweise Satzingers, von noch auf Papier vorgefertigten Skizzen bis hin zu Computeranimationen bis hin zur kolorierten Endfassung. Neben Donald Duck zählt übrigens der aus der belgischen Comic-Hochburg stammende Hotelpage Spirou zu seinen besonderen Stileinflüssen.
Dass Comicfiguren Stereotypen und Klischees unterliegen, zeigt die Diversitäts-Expertin Maryam Laura Moazedi in einer integrierten Sonderausstellung („Exkurs #9“). In „Samples of Shame“ visualisiert Satzinger die wissenschaftlichen Erkenntnisse Moazedis anhand afrikanischer und asiatischer Duck-Variationen. So wird der schwarze Mann („Mandingo“) als großer, starker und hypersexueller Wilder abqualifiziert, der die weiße Frau begehrt. „Blickt kritisch auf eure Entwürfe und schafft so neue Bilder“, eine Aufforderung Moazedis an die kreative Szene.
Ein Paradies ist der Comic-Parcour im Karikaturmuseum Krems auch für Kinder, die nicht nur herzhaft lachen über Donald Duck, Tick, Trick und Track und Mickey Mouse, sondern auch beeindruckt sind von Satzingers schrägen Kreationen wie einem dunkelgrauen Drachen mit einer Ente im Maul oder einer per Kanone in eine (vom deutschen Biedermeier-Maler Carl Spitzweg inspirierte) Bibliothekswand geschossene Ente („Duckland“). Vor großformatigen Zeichnungen, dem im Main Room platzierten „Fat Car“ und einer Donald Duck-Figur posieren die Kinder bereits wie professionelle Influencer oder schießen selbst Fotos. Trotz Paw Patrol, Peppa Wutz, Eiskönigin Elsa & Co. – Donald Duck hat 2022 noch immer Saison, und das garantiert noch viele weitere Dekaden…
Fünf Tage lang wurde Wien wieder zum Mekka der Literaturfans. Mehr als 470 Aussteller aus 28 Ländern und mehr als 400 Events standen am Programm der Buch Wien in den Messehallen. Gestartet wurde bereits am Mittwoch Abend mit einer Langen Nacht der Bücher, im Rahmen derer Kabarettist und Satiriker Florian Scheuba hochkarätige Gesprächspartner auf der ORF-Bühne interviewte.
Lukas Resetarits: Krowod
Lukas Resetarits präsentierte gemeinsam mit dem Autor Fritz Schindlecker das Buch „Krowod – Erinnerungen an meine Jugend“, das das turbulente Leben des späteren Kottan-TV- und Kabarettstars bis zum 30. Lebensjahr skizziert. Von mit Tricks bestandenen Prüfungen an der Uni, der Herumgammlerei in München, einer wegen einer Autopanne gescheiterten Karriere als schwedischer Pop-Star bis hin zu Schmankerl seiner Berufstätigkeit als Traffic Officer am Wiener Flughafen. In seinem aktuellen Programm steht die Tagespolitik aufgrund deren „katastrophaler Entwicklung“ nicht mehr im Mittelpunkt. Beim Talk mit Scheuba bekommt aber vor allem die SPÖ vom links angehauchten Künstler ihr Fett ab. Das Heil der Sozialdemokratie sehe er weder in Wien noch im Burgenland, die Roten würden bereits seit Jahren damit scheitern, den Stanglpass zu verwerten (wie man im Fußball so sagt).
Michael Häupl: Freundschaft
Einer, der das vielleicht besser beherrschen würde, schreitet gleich nach Resetarits auf die Bühne, der ehemalige Wiener Bürgermeister Michael Häupl, der seine Autographie „Freundschaft“ vorstellt. „Wenn es in einer Partei keine Diskussionen gibt, sind wir tot“, so sein Credo. Das Vorgehen Doskozils bezeichnet er allerdings als „illoyal“. Der stets vehemente Kritiker der FPÖ kommentiert mit scharfer Zunge den intellektuellen Abstieg der Blauen. „Mit Jörg Haider konnte man wenigstens streiten“. Dazu ein – einst vermutlich im Landtag tatsächlich gefallenes – Zitat an HC Strache: „Sie wollen sich geistig mit mir duellieren, sind aber unbewaffnet.“
Häupl erinnert auch die düsteren Wiener Zeiten Ende der 60er, „zu denen um 10 Uhr die Gehsteige aufgeklappt worden sind“ und das Ökista-Gschnas die wildeste Party war. Nach der Arena-Besetzung (1976) entstand dann eine „Luft voll Politik“ in der Bundeshauptstadt. Der Humor soll aber nie verloren gehen, „Wer Umwelt schützt, muss fröhlich sein“, seine Replik auf die aktuellen Klimaschutz-Aktionen.
Judith Holofernes: Die Träume anderer Leute
„Guten Tag, guten Tag, ich will mein Leben zurück. Guten Tag, ich gebe zu, ich war am Anfang entzückt. Aber euer Leben zwickt und drückt nur dann nicht, wenn man sich bückt.“ – Diese genialen Wortkreationen stammten von Judith Holofernes, der Sängerin und Texterin der Hamburger Band „Wir sind Helden“. Und sie liefen 2003 auf Dauer-Airplay im österreichischen Indie-Sender FM4, der damit mitverantwortlich war, dass bei den Konzerten im Münchner Raum die Fans in den ausverkauften Locations bereits textsicher mitsangen.
Seit April 2012 pausiert die Band, Sängerin Judith Holofernes schrieb jetzt über die Zeit vor, während und nach der Band ein autobiographisches Buch, „Die Träume anderer Leute“. Es geht um Promotion bis zum Umfallen, ein Familienleben mit 2 Kindern inmitten von Tour und Plattenaufnahmen, Gefallsucht, pathologische Freundlichkeit und ein dunkles Loch, in das die Sängerin nach dem Ende der Band gefallen ist. Erfolg steht in der Hierarchie nicht mehr oben, sie freue sich mehr auf das gemütliche Sofa, so Holofernes (die auch mit gesundheitlichen Problemen wie einer viralen Hirnhautentzündung zu kämpfen hatte) beim Buch Wien-Gespräch mit Florian Scheuba, Musik, Podcast und Blog finanziert sich Holofernes mit dem US-Social Payment Service Patreon, bei dem Fans per Abo-Crowdfunding die kreative Arbeit der Künstlerin unterstützen. Inspiriert wurde sie dabei von Amanda Palmer, die zu ihren ersten Supportern gehört.
Manuel Rubey: Der will nur spielen
Manuel Rubey ist ein vielseitiger Künstler: Musiker, Kabarettist („Goldfisch“) und Autor. Wenn er on Tour ist, dann denkt er in den Hotelzimmern über die Welt, sein Leben oder die seiner Zeitgenossen nach. Dokumentiert in seinem neuen Buch „Der will nur spielen“. Im Talk mit Florian Scheuba erzählt er, dass er auch schon in Kinderzimmern übernachtet hat und vertraglich fixiert hat, dass die Veranstalter keine Reden vor seiner Show halten dürfen bzw. die Pause nur 20 Minuten dauern darf. Österreichweit bekannt wurde Rubey durch seine Rolle als Falco im Bio-Drama „Verdammt, wir leben noch“ (2008“), aufgrund derer er von „Fans“ des Falken auch mit Mord- und Gewaltdrohungen konfrontiert wurde. Über 200 Anfragen zu „Falco-Auftritten“ habe er nach dem Film abgelehnt, von Werbespots, Donauinselfest bis hin zu Kirtagen und Mitternachtseinlagen.
Rubey schreibt jeden Tag, für ihn ist das Schreiben ein Therapieersatz und eine Alternative, „Dämonen auf Distanz zu halten“. Seine Sprüche und Zitate geben Gelegenheit zum Nachdenken, aber auch zum Perspektivenwechsel. „Vergleich dich nicht mit anderen, sondern mit deinen Möglichkeiten“, ein Aufruf, sich dem Neid zu widersetzen oder „Die Wirklichkeit schaffen durch die Dinge, die uns begegnen“ als Quelle gegen den Negativismus.
Kritisch sieht Rubey die Sozialen Medien, die er zwar selbst zwar (seriös) bedient, bei denen er sich aber auf keinerlei Diskussionen einlässt. Bei Spaziergängen solle man gezielt sein Handy zuhause lassen. Außer hat man habe Orientierungsprobleme bei wichtigen Terminen. Wie den Eingang zur Buch Wien zu finden...
46 Jahre sind The Cure rund um Sänger Robert Smith bereits im Musik-Business, in den ersten Jahren ihrer Karriere Anfang der 80er prägten sie den Begriff des Gothic Rock. Und so durchstreiften auch einige Epigonen der Gruftie-Bewegung, mit schwarzen Lederjacken, (dezent) weiß geschminkt, Nieten und klobigen Boots, die weitverstreuten Marx Hallen in Wien. Der Großteil der älteren Konzert-Besucher hätte modetechnisch auch zu einem Robbie Williams- oder Pink-Konzert gepasst. Und wollte – neben zahlreichen jungen Fans - eigentlich nur eintauchen in die längst vergangenen 80er-Jahre, als The Cure nicht nur den Underground, sondern auch die Charts eroberten.
„Lost World“ lautet die Trademark der mehr als 50 Konzerte umfassenden Tour von The Cure. Sie könnte nicht besser gewählt sein. Selbst die ausgezeichnete schottische Support-Band „The Twilight Sad“ kreist ihre Bombast-Hymnen rund um dieses sehnsüchtig-verzweifelte Vokabel („Let´s get lost“).
Ein Album haben The Cure seit 2008 („4:13 Dream“) nicht veröffentlicht, neue – melancholische - Tracks sind allerdings fertig und stehen fix auf der Setlist: Der Opener „Alone“ (im Rahmen dessen Smith mit leicht ergrauten, hoch toupierten Haaren auf die Bühne „schwebt“ und vorerst verträumt ins Publikum blickt), „And Nothing is forever“, „Endsong“ und „I can never say goodbye“. Mit an Bord ist Bassist Simon Gallup, der seit 1979 – mit kurzer Unterbrechung – als kreativer Konterpart von Robert Smith gilt.
Andere populäre Bands ihres Formats spielen lieblose Greatest Hits-Shows, The Cure liefern mit greller Light-Show und Top-Vocals des Frontmanns ein über 2,5 Stunden langes, abwechslungsreiches Programm mit neuen Songs, Raritäten (wie dem Crow-Track „Burn“, „Play for Today“ oder „Shake Dog Shake“) und Super-Hits. Die im Hauptteil – mit Ausnahme von „Pictures of you“ und dem seiner Frau gewidmeten „Lovesong“ („I will always love you“), dem größten Cure-Hit in den Staaten - rar gesät sind.
Im 1. Zugaben-Teil brillieren The Cure noch mit dem rockigen „Charlotte Sometimes“ und dem düsteren 80er-Klassiker „A Forest“ („Suddenly I stop. But I know it's too late. I'm lost in a forest. All alone“), mit dem The Cure erstmals 1980 die britischen Single-Charts enterten und Robert Smith 2003 gemeinsam mit dem deutschen Trance-Duo Blank & Jones den Dancefloor eroberte.
Die größten Hits folgen dann im zweiten Encore: „Lullaby“ – „Spiderman is having you for dinner tonight“ – mit einer riesigen Spinne im grünen Netz, der minimalistische Underground-Track „The Walk“, „Friday I´m in Love“ (der meistverkaufteste Hit der Band aus dem 1992er-Album „Wish“), „Close to me“, „In between Days“, „Just like Heaven“ und als Finale der älteste Hit des Abends, „Boys don´t cry“. Ein Paradoxon, trotz ihrer langen Karriere klangen The Cure an diesem Abend so jung wie nie.
Straßenfotos frieren nicht nur die Zeit ein, sondern zeigen auch Zufälligkeiten des Alltagslebens, die Jahrzehnte danach in einem anderen Kontext erscheinen können, so die Kuratoren der Ausstellung „Augenblicke“, Anton Holzer und Frauke Kreutler.
Von 19. Mai bis 23. Oktober 2022 zeigte das Wien Museum Musa in der Felderstraße 6-8 Straßenfotografien von den 1860er-Jahren bis heute. Die Auswahl war keine einfache. Aus insgesamt 1,3 Millionen Objekten wurde eine Vorauswahl von rund 75.000 (!) getroffen. 180 Fotos schafften es dann in die Ausstellung, die in acht verschiedene Bereiche (wie „Unterwegs in der Großstadt“, „Vergnügung, Entspannung, Auszeit“ oder „Geschäft und Geschäftigkeit“) unterteilt war. Es zeigte sich im Zeitablauf auch eine klare Tendenz: Während bei älteren Fotos die Stadt vorwiegend als „Bühne“ präsentiert wurde, legte man später mehr Wert auf kleinere Szenen und Ausschnitte der urbanen Lebens.
Orte, die immer wieder auftauchen, sind vor allem die Märkte (wie der Naschmarkt), wo zeitunabhängig das Klischee der dicklichen Marktfrau bedient wurde, der Prater als Vergnügungsstätte für Familien, Kinder und flirtwillige Jugendliche, Kaffeehäuser und die sich aufgrund der technischen Revolution stetig ändernden öffentlichen Verkehrsmittel, als Tramways bereits prall gefüllt bis auf den letzten Platz.
Die Kuratoren zeigen aber auch die dunklen Seiten der Stadt: Kriegsheimkehrer, Arbeitslose, Obdachlose oder auf Bänken schlafende Betrunkene. Szene-Highlights wie das Rolling Stones-Konzert in der Stadthalle 1965 oder die Arena-Besetzung 1976 dürfen nicht fehlen. Fotos vom Nightlife Wiens sind allerdings rar, die meisten Fotos wurden tagsüber und in schwarz-weiß abgelichtet.
Das hat sich durch die Smartphone-Mania allerdings geändert, und auf diesen Zug sind die Organisatoren aufgesprungen. Im Rahmen des Instagram-Fotowettbewerbs #Augenblicke2022 reichten mehr als 6000 Teilnehmer ihre Street Shots ein. Die Motive so bunt und schrill wie das Leben: Tanzende Frauen im nächtlichen Regen, erste zarte Flirtversuche in der aufgeheizten Nacht, die Lichterparade beim ausverkauften „We stand with Ukraine“-Konzert, aber auch wieder verzweifelte Alkoholiker, einsame Menschen und Kuriositäten (wie ein kauziger Kaktusverkäufer oder ein Dinosaurier-Truck).
Zu den fünf Gewinnern zählt auch der Schnappschuss von Serban Florentin Roman, der einen schicken Mann und eine fesche Frau zeigt, wie sie in einer ansonsten leeren U-Bahn-Station auf ihr Smartphone starren, ohne den anderen zu registrieren. Kann man den Zeitgeist besser treffen?
Die aus Wien stammende und zuletzt am Wörthersee lebende Heidi Horten war jahrelang die reichste Österreicherin, ihr Vermögen stammte großteils aus der Erbschaft des veräußerten Kaufhauskonzerns ihres ersten Mannes Helmut Horten. Mit diesem Geld baute sie gemeinsam mit ihrer Freundin Agnes Husslein eine Kunstsammlung auf, die seit dem 3. Juni 2022 in einer neuen Location zu bewundern ist, der Heidi Horten Collection im Hanuschhof gegenüber der Albertina.
„Ich bin stolz, dass ich mit meiner Sammlung und dem Bau des Museums etwas geschaffen habe, das bleibend ist, etwas, das nachfolgende Generationen auch noch erleben werden, wenn sie mein Museum besuchen und sich an der Kunst erfreuen, die mich lange glücklich gemacht hat“, so Heidi Horten, die traurigerweise kurz nach der Eröffnung am 12. Juni starb.
Das 1914 erbaute Gebäude hat eine historische Vergangenheit hinter sich und war einst der Kanzleisitz Erzherzog Friedrichs. Das Architektenbüro next ENTERprise hatte die Idee, die Außenfassade aufrechtzuerhalten und zu sanieren, während der Mitteltrakt komplett entkernt wurde. Das Privatmuseum besteht aus drei Ebenen mit einer Ausstellungsfläche von insgesamt 1500 m2, die miteinander durch Freitreppen verbunden sind. Auf dem begrünten Vorplatz empfängt zusätzlich ein Skulpturenpark die Besucher.
Die erste Ausstellung trug den Titel „Open“ und enthielt bereits einige Highlights der Kunstsammlung Hortens, von der bereits 2018 rund 150 Werke dem Leopold-Museum unter der Trademark „Wow“ zur Verfügung gestellt wurden: Eine Collaboration von Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat, tote Schmetterlinge mit faszinierendem Täuschungseffekt von Damien Hirst („Love, Love, Love“), der „Weise Affe“ Francois-Xavier Lalannes im Erdgeschoß, Henkes Ur Mutter in Form eines violetten Wildschweins, die Video-Installation „Lady to Fox“ der nackt inmitten einer Schafherde herumlaufenden Künstlerin Lili Reynaud-Dewar, dazu Kunstwerke von Young British Artist Marc Quinn, Robert Rauschenberg, Franz West, Erwin Wurm oder der kürzlich verstorbenen Lichtkünstlerin Brigitte Kowanz.
Inkludiert ist ein von Markus Schinwald konzipierter Tea Room, der auf einer Wand nicht nur Kunstwerke hinter Bullaugen zeigt, sondern auch zum Verweilen dient. Extravagant gestaltet sind die Spiegel in den Sanitärräumen, die mit Blumen- und Pflanzenmotiven (u.a. der portugiesischen Nelkenrevolution 1974) belegt sind. Eine Installation des in Wien lebenden deutschen Künstlers Andreas Duscha.
Bei der Finissage wurde eines der spannendsten Kunstwerke der ersten Ausstellung zum „musikalischen Leben erweckt“, der „Vibrosauria“ Constantin Lusers. Die 6,22 Meter hohe, bis in den 1. Stock reichende Skulptur besteht aus insgesamt 24 Blasinstrumenten von Tuba, Trompeten bis hin zu Hörnern.
Die erste Themenausstellung „Look“, die sich mit dem Wechselspiel von Kunst und Mode beschäftigt, eröffnet bereits am 21. Oktober. Und es sollen noch viele weitere folgen, im Sinne der Glühbirnen-Installation „Forever“ des britischen Duos Tim Noble & Sue Webster. Ein Kunstwerk, das originär eine trostlose Bushaltestelle in der Londoner Tottenham Court Road erhellen sollte, eigentlich aber auf die „ewige Liebe“ Bezug nimmt. Was immer die auch bedeuten mag…
„In jeder Rolle findet man etwas von sich selbst, weil wir alle Brüder sind. Aber in Hamlet habe ich einen Zwillingsbruder gefunden.“ Ein Zitat des genialen österreichischen Schauspielers Oskar Werner, der am 13. November seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Grund genug, für das Metro Kinokulturhaus in der Wiener Johannesgasse, dem charismatischen, aber auch egozentrischen Theater- und Filmstar eine Ausstellung über sein Lebenswerk zu widmen. Die Location ist insofern mehr als passend, hatte doch der aus Wien-Gumpendorf stammende Werner in dem ehemaligen Theater seine ersten kleinen Auftritte im Grillparzer-Drama „Das goldene Vließ“.
Die Kuratoren Raimund Fritz und Martina Zerovnik konzipierten die Retrospektive im wesentlichen auf zwei Ebenen. Im 1. Stockwerk erhalten die Oskar Werner-Fans einen Einblick in das Privatleben des Schauspielers, mit zahlreichen Fotografien, Zeitungsausschnitten, Zitaten und sogar einem alten Schülerausweis. Die zweite Ebene zeigt das künstlerische Schaffen Oskar Werners, der bereits mit 19 vom Burgtheater engagiert wurde und in insgesamt 71 Theaterstücken mitwirkte. Seine Höhepunkte: „Don Carlos“ (mit seinem Vorbild Werner Krauss als König Philipp) und natürlich „Hamlet“. Seinen ersten Film drehte Oskar Werner 1949 in London: „Der Engel mit der Posaune“, die erste und nicht die letzte Rolle des überzeugten Antifaschisten, die sich mit dem Greuel des Nationalsozialismus befasste. Werner lehnte in seiner Karriere viele Rollen ab, die nicht seinem Weltbild entsprachen („Anpassungsfähigkeit ist eine Eigenschaft, die ich nicht anstrebe“). Die größten Kino-Erfolge feierte er in den 60er-Jahren, mit dem französischen Liebesfilm „Jules & Jim“ (1962) und der Ray Bradbury-Roman-Verfilmung „Fahrenheit 451“ (1966) jeweils unter der Regie Francois Truffauts bzw. mit den Hollywood-Streifen „Das Narrenschiff“ (Oscarnominierung 1965) und „Der Spion, der mich liebte“ (Golden Globe 1966).
Danach ging es mit seiner Karriere bergab. „Das Tragische, das ich sehe, dass er sich irgendwann nicht mehr weiterentwickelte. Er, der Frühvollendete, beharrte auf einem Status, den er dann irgendwann verloren hat“, so die Kuratorin Martina Zerovnik in einer Kurier-Sonderbeilage zur Ausstellung. In den 70ern war der mit Depressionen und Alkoholproblemen kämpfende Werner nur in zwei Rollen zu sehen, in einer TV-Folge des „Columbo“ und in der „Reise der Verdammten“ (1976). Er verdiente – dank seiner unverkennbaren Stimme – großteils sein Geld mit Hörspielen und Lesungen. Im Sommer 1983 scheiterte er kläglich mit seinem Wachaufestival: Von insgesamt 26 geplanten Auftritten fanden nur eine Dichterlesung und die Aufführung des „Prinz Friedrich von Homburg“ im (später abgerissenen) Kremser Brauhofsaal statt. Am 23. Oktober 1984 starb Oskar Werner während einer Rezitationstournee in einem Marburger Hotel an einem Herzinfarkt.
Neben seinen zahllosen Filmen erinnert heute noch der Oskar Werner-Platz im 6. Wiener Gemeindebezirk an den großartigen Schauspieler, dessen glanzvolle Karriere leider zu früh endete.
Die Ausstellung „100 Jahre Oskar Werner“ ist von 24. 3. 2022 bis 29.1. 2023 im Metro Kinokulturhaus zu sehen. Und zwar täglich von 14 bis 21 Uhr.
Das Jahr 2000: Weltweit das 1. Jahr nach dem epochalen Millennium-Wechsel, für die britische Hauptstadt London eines der prägendsten Jahre für die Zukunft als Tourismus- und Kulturmetropole. Die von Star-Architekt Norman Foster konzipierte Millennium Bridge wurde im Juni 2000 eröffnet, sie verbindet als reine Fußgängerbrücke über die Themse den Norden (insbesondere die St. Paul´s Cathedral) mit der prosperierenden South Bank. Und damit auch mit der im Mai 2000 neu eröffneten Tate Gallery of Modern Art in der ehemaligen Bankside Power Station.
Entworfen wurde das renommierte Museum vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron, die u.a. auch für die Allianz Arena in München oder das Nationalstadion in Peking verantwortlich zeichnen. Allein die Turbinenhalle ist 160 Meter lang und 30 Meter hoch, in der nicht nur überdimensionale Installationen und Skulpturen präsentiert, sondern auch zahlreiche Performances durchgeführt werden. So ließ dort beispielsweise der chinesische Künstler und Regimekritiker Ai Wei Wei 100 Millionen Sonnenblumenkerne aus Porzellan ausschütten („Sunflower Seeds“, Oktober 2010).
Für die Dauerausstellungen im sechsgeschossigen Natalie Bell Building ist der Zugang niederschwellig, Eintritt ist – wie in London üblich – nur für Sonderausstellungen zu bezahlen. Gegenstand sind Kunstwerke aus dem 20. und 21. Jahrhundert, die nicht chronologisch, sondern nach bestimmten wechselnden Schwerpunkten geordnet werden. Aktuell gliedern die Tate Modern-Kuratoren nach folgenden Kategorien: „Performer and Participant“, „Materials and Objects“, „Media Networks“ und „In the Studio“.
In den frei zugänglichen Ausstellungsräumen warten Künstler wie Picasso, Matisse, Giacometti, Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Jenny Holzer, Barbara Kruger („Who owns what“), Jackson Pollock oder der deutsche Aktionist Wolfgang Beuys auf die zahlreichen Besucher. Der deutsche Fotografie-Künstler Wolfgang Tillmans war 2017 mit einer spannenden Sonderausstellung vertreten. Ein besonderes Highlight ist derzeit der riesige Turm des brasilianischen Konzept-Künstlers Cildo Meireles, der aus rund 800 analogen Radios zusammengesetzt ist. Die Installation, an der Meireles 10 Jahre lang gearbeitet hat, nennt sich „Babel“. Eine Adaption der aus dem Alten Testament überlieferten Geschichte des „Turmbaus zu Babel“ und der „babylonischen Sprachverwirrung“. Die Radios wurden von Meireles so eingestellt, dass in dem blau schimmernden Raum zwar lärmende Töne erklingen, aber keine zu filtrierenden Informationen und Stimmen.
2016 wurde die Tate Modern Gallery durch das „Blavatnik Building“ erweitert, die Ausstellungsräume haben sich dadurch um weitere 60 Prozent vergrößert. Genützt werden dabei auch die ehemaligen Öltanks im Untergeschoß, und zwar für Performances, Installationen und Live-Konzerte.
Mehr als 6 Millionen Besucher strömten im Jahr 2019 in das Londoner Museum für zeitgenössische Kunst. Die Tate Gallery of Modern Art zählt damit – nach dem Pariser Louvre und dem New Yorker Metropolitan of Art - zu den besucherstärksten Museen weltweit.
„Das kommende Jahr wird ein ganz starkes Konzertjahr. Es ist wie früher, und das ist einfach schön.“ – Das waren die positiven Prognosen des Veranstalters Ewald Tatar (Barracuda) vor einigen Monaten, und tatsächlich haben seine Prophezeiungen ins Schwarze getroffen. Seit April findet fast täglich ein Konzert-Highlight in Österreich statt. Das reicht von Konzerten, die nach 2 Jahren Corona-Pandemie endlich nachgeholt werden konnten (wie die zwei fast ausverkauften Wanda-Acts in der Wiener Stadthalle oder den Pet Shop Boys im Gasometer), neu arrangierten Gigs (wie den Imagine Dragons im Ernst Happel-Stadion oder Parov Stelar im klassischen Wiener Konzerthaus) bis hin zum Comeback groß angelegter Festivals (wie dem Nova Rock in Nickelsdorf oder dem Donaufestival in Krems). Die Konzertdichte ist aktuell teilweise so hoch, dass Musik-Freaks auf ein Konzert verzichten müssen (und einen Gutschein in Anspruch nehmen), um zeitgleich ein anderes besuchen zu können. Terminstress nicht nur bei den Künstlern, sondern auch beim Publikum, das nach einer langen Durststrecke endlich wieder – ohne Masken und Corona-Beschränkungen – mit tausenden anderen feiern, trinken und tanzen dürfen.
Franz Ferdinand
Die Wiener Arena startete die Open Air-Saison mit der Glasgower Band Franz Ferdinand, die vor fast 20 Jahren mit dem Indie-Track „Take me out“ den Durchbruch schaffte. Dieser zählt auch heute noch zu den absoluten Highlights jedes Konzert-Gigs der Band, die sich allerdings in der Zusammensetzung geändert hat. Von den Gründungsmitgliedern sind noch der charismatische Sänger (und Gitarrist) Alex Kapranos und Bassist Robert Hardy mit an Bord, neu im FF-Team sind Gitarrist Dino Bardot, Keyboarder Julian Corrie (beide seit 2017) und die Drummerin Audrey Tait. Die bis dato bei mehreren schottischen Bands und Projekten aktive Schlagzeugerin feierte bei der „Hits to the Head“-Tour ein mehr als gelungenes Debüt.
In einem fast zweistündigen Greatest Hits-Furioso präsentierten sich Franz Ferdinand auf dem Arena-Gelände in absoluter Bestform: Smart, sexy, to the Beat und mit Dauer-Euphorie Richtung Fans. „All Killer – No Filler“: Kein Hit wurde ausgelassen: Vom Opener „The Dark of the Matinee“, „Do you want to“, den neuen Tracks „Billy Goodbye“ und „Curious“ bis hin zum Avantgarde-Indie-Track „Ulysses“ und zum Superhit „Take me out“. Eine endlos lange Version von „This Fire is out of Control“ beendete das Hit-Feuerwerk der schottischen Brit-Popper. Out of Control war auch die generationenübergreifende Fan Crowd in der Wiener Arena, endlich wieder Live-Feeling in Vienna.
„1000 Jahre Freud und Leid“ heißt die kürzlich erschienene erste Autobiographie des aus Peking stammenden chinesischen Konzeptkünstlers und Menschenrechtsaktivisten Ai Wei Wei. Mit den Stationen seines Lebens (und damit verbunden dem künstlerischen Werdegang) beschäftigt sich auch die Retrospektive „In Search of Humanity“ in der Albertina Modern. Insgesamt 144 Kunstwerke – von Skulpturen, Installationen, Fotos, Performances, Videos,… - wurden im Erdgeschoß unter der Kuratel von Dieter Buchhart und Elsy Lahner auf einem äußerst spannenden und politisch hochbrisanten Parcours platziert.
Safe Sex
Diskriminierungen musste Ai Wei Wei bereits in seiner Kindheit erleiden. Gemeinsam mit seinem Vater, einem regimekritischen Dichter, lebte er in einem Erdloch und durfte erst nach dem Tod von Mao nach Peking zurückkehren. Nach einem Studium an der Pekinger Filmakademie wagte er als einer der ersten chinesischen Künstler den Sprung in die USA und lernte dort in den 80ern die Konzeptkunst, die Pop Art und den Minimalismus kennen. Aus dieser Zeit stammt u.a. sein auf die Aids-Epidemie bezogenes Werk „Safe Sex“, bei dem aus einem Regenmantel in Schritthöhe ein Kondom hängt.
China
„Dropping a Han Dynasty Urn“ zeigt in drei nacheinander aufgenommenen Schwarz-Weiß-Fotos die Zerstörung einer Urne aus der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.), die heute als wertvoll gilt, obwohl sie damals nur ein Massenartikel war. Auf dem streng bewachten Platz des Himmlischen Friedens fotografierte Ai Wie Wei – als Protest gegen das Regime – die Künstlerin und damalige Freundin Lu Quin mit nach oben gehobenem Rock.
Readymades
Bei einigen Werken in der Ausstellung nimmt Ai Wie Wei Anleihen vom französischen Konzeptkünstler Marcel Duchamp. Er montiert Fahrräder zu einem aus funktionsuntüchtigen Einzelteilen bestehenden Konstrukt (und zieht damit einen Konnex zur chinesischen Bevölkerung), verweist mit einem von Julian Assange 2016 geschenkten Laufband auf die Aussichtslosigkeit einer (illegalen) Haft oder platziert eine Kristallkugel im Mittelpunkt einer Sammlung von Schwimmwesten gestrandeter Flüchtlinge.
Es ist wieder Donaufestival-Time in Krems. Nach einem programm- und besucherbeschränkten Spezial-Termin unter dem Motto „In the Year of the Metal Ox“ konzipierte Artistic Direktor Thomas Edlinger für das reguläre Frühjahrsintervall ein derart spannendes Programm, dass gleich die ersten beiden Tage des April-Wochenendes ausverkauft waren. Die Freude über das Ende der Corona-Maßnahmen verbunden mit der Lust, endlich wieder Konzerte zu besuchen, Gleichgesinnte zu treffen, zu feiern, zu tanzen, die Sorgen des Alltags zu vergessen, tat ein übriges. Und so füllten sich die bewährten Veranstaltungsorte Minoritenkirche, Stadtsaal und Österreichhallen so wie zuletzt vor 3 Jahren.
Auch das Publikum hat sich nicht verändert: Viele Kultur- und Musikfans aus dem Umkreis von Wien, die per Zug oder Shuttle-Busse anreisten, dazu „babylonisches Sprachgewirr“ von hochdeutsch, spanisch, englisch bis holländisch. Alternative-Nerds, die sich vermutlich wundern, warum in diesem traditionell angehauchten 25.000 Einwohnerstädtchen Acts auftreten, die man sonst nur beim Primavera in Barcelona, in düsteren Clubs von Berlin oder in London zu sehen bekommt. Der einst im Falter zitierte „Crash der Kulturen“ mit den Kremser Einheimischen fand allerdings zu keinem Zeitpunkt statt und wurde auch gar nicht angestrebt, der Kremser Jazzkeller fungierte an beiden Saturday Nights spontan als After Hour-Location für jene, die in Krems die Nacht zum Tag machen wollten.
The Motto
„Stealing the Stolen“ nennt sich das Festival-Motto dieses Jahres. Und es bezieht sich auf das ambivalente Thema der kulturellen Aneignung, die einerseits vor allem von Anti-Rassismus-Aktivisten kritisiert wird, andererseits in Form von Samples, Remixes, Appropriation Art (a la Cindy Sherman) oder Memes zu einer Weiterentwicklung der Kultur führt. Kurator Edlinger spricht im Programmheft von „Counter Appropriations“, die „nicht auf Ächtungen, sondern auf Inspirationen setzen, die sich in einer befreienden Praxis von unten und anderswo finden, die sich jenseits der Vorstellung von Besitz und Diebstahl bewegt.
Kriegsspiele
In die Tat umgesetzt wurde dies gleich am Opening Day durch den deutschen Künstler Julian Warner, der in der Kunsthalle Krems einen militärischen Sandkasten installierte und mittels dieses Instruments aus der preußischen Historie Reflexionen auf moderne Kriegsspiele vornahm. In seiner Rolle als Musiker „Fehler Kuti“ (angelehnt an den nigerianischen Afrobeat-Sänger Fela Kuti) zog er mit einer Blaskapelle und Mitgliedern der Band Notwist durch die Gänge der Kunsthalle bis hin auf die Straße und verbreitete dort seine politischen Botschaften über Kapitalismus, Rassismus und die Überwachungsgesellschaft.
Fire walk with me
In der Kremser Dominikanerkirche ließ sich der Performance-Künstler Ariel Efraim Ashbel vom Kult-Regisseur David Lynch und seiner Serie „Twin Peaks“ inspirieren. Nackte Frauen, laute Schreie, teuflische Symbole, Techno-Beats, die Besucher, die jederzeit den Handlungsspielraum betreten und verlassen dürfen, mitten im Geschehen unter dem Regisseur, dem Team und den unmittelbaren Akteuren. „Fire walk with me“ erstreckte sich an zwei Nachmittagen jeweils auf eine Länge von rund sechs Stunden.
Queer Sex Photography
Die Künstlerin Stefanie Seibold zeigte am Messegelände mit ihrer enthüllenden Foto-Installation „Expropriating Appropriators“ die Konflikte zwischen feministischer Kritik und lesbisch-queerem Begehren. Der brillant gewählte Anwendungsfall: Sexualisierte Mode-Fotografien in der LGBTQ-Szene.
Junge Klimaaktivisten gegen die „Betonierer“ der Stadt Wien: Dieser Konflikt spitzt sich seit ein paar Monaten im Norden Wiens zu. Im September 2021 blockierten Gegner des Lobautunnels Eingänge zur Baustelle für die 460 Millionen Euro teure vierspurige Stadtstraße (die künftig Aspern mit Hirschstetten und der Südosttangente verbinden soll) und errichteten Protestcamps u.a. in der Hausfeldstraße. Im Epizentrum: Eine dreistöckige Holzpyramide.
Obwohl die Umweltministerin Leonore Gewessler dem Lobau-Tunnel aufgrund der Klimakrise eine Absage erteilte, bleibt die Stadt Wien beim Bau der Stadtstraße (die – was von den Demonstranten und anerkannten Verkehrsexperten bezweifelt wird - der Verkehrsentlastung der Seestadt dienen soll). Am 1. Februar 2022 erfolgte die polizeiliche Räumung, 48 Aktivisten wurden verhaftet, die Holzpyramide wurde durch Bagger zertrümmert. Parallel dazu wurden rund 380 Bäume gefällt. Die traurigen Bilder davon erschienen nahezu live auf allen sozialen Medien.
Der Künstler und Filmemacher Oliver Ressler, der bereits an über 400 Gruppenausstellungen (u.a. in Madrid, Paris oder Venedig) teilgenommen hat, hat zu diesem Thema in der MQ Art-Box eine Foto-Installation unter dem Titel „Die Wüste lebt“ konzipiert. Kernfrage: „Was wäre, wenn es gelingen würde, das als „Wüste“ bezeichnete Gelände nach den Vorstellungen der Klimaaktivisten umzugestalten?
In direktem Kontrast zu den kahlen, deprimierenden Betonflächen hat Ressler rund um die Holzpyramide eine Wald-Wiesen-Seen-Landschaft erstellt, in der sich jeder Mensch wohlfühlen würde: Mit Bio-Gemüsebau, Aufforstungen, selbstorganisierten sozio-ökologischen Initiativen und einem kreativen Kulturzentrum am Rande des Geländes mit Workshops zu ökologischen und sozialen Themen und Kulturprogrammen.
In der Foto-Montage ist die Stadtautobahn durch ihre Absenz präsent. „Denn die Siege der Klimagerechtigkeitsbewegung sind schwer zu sehen. Es sind die Autobahnen, die nie gebaut wurden; die Erdölförderanlagen, Kohlekraftwerke, Pipelines und Flughäfen, die diesem Planeten erspart bleiben. Es sind die Wälder, die nicht abgeholzt wurden, die Flüsse und Seen, die nicht vergiftet wurden“, so Oliver Ressler in einem eindrucksvollen Text auf der Fläche des Kunstprojekts.
Der politische Irrweg geht leider weiter. Am 5. April wurde – im Auftrag des staatlichen Autobahnunternehmens Asfinag – ein weiteres Protestcamp in der Hirschstettnerstraße geräumt. Dort, wo künftig die 3,2 km lange Stadtstraße in die Südosttangente münden soll. „Ein Relikt aus verkehrspolitischer Steinzeit“, so Global 2000 zu den Plänen der Stadt Wien.
„Was ist das für ein Glockenläuten, mich dünkt, es kann nichts Gut‘s bedeuten!“. Seit dem Jahr 1920 tönen diese knittelformähnlichen Verse am Salzburger Domplatz, wenn der reiche Jedermann wieder einmal seinen letzten Weg antritt. Im März 2022 erobern sie den Club, und zwar den Wiener Stadtsaal, wenn der charismatische Hauptdarsteller Philipp Hochmair mit lauter Stimme nach dem Autor schreit: „Hugo von Hofmansthal, wo bist du?“
„Jedermann Remixed“ nennt sich dieses modern-düstere Avantgarde-Stück, das Hochmair gemeinsam mit dem Wiener Mash-Up-Künstler Kurt Razelli entwickelt hat. Eine fast logische Fortsetzung von Hochmairs Abhandlungen mit dem historischen Stoff: „Jedermann Reloaded“ gemeinsam mit der „Elektro Hand Gottes“ in einer Rock-Version, zu sehen u.a. im Burgtheater und im Stephansdom, in der Hochmair ebenfalls alle Rollen spielte, dann der fast kultige Ersatz des wegen Krankheit ausgefallenen Hauptdarstellers Tobias Moretti bei den (bürgerlichen) Salzburger Festspielen 2018. Und jetzt eine auf die wesentlichen Passagen komprimierte Club-Version mit tanzbaren Beats, Loops, Effekten und Soundgeräuschen, live remixed by Razelli, der auf der Bühne stets seine Arnold Schwarzenegger-Maske trägt.
Tatsächlich ist eigentlich auch Hofmannsthals „Jedermann“ ein Remix. Die Ursprünge des Spiels vom Sterben des reichen Mannes stammen aus dem Mittelalter und zwar von den englischen Mysterienspielen („Everyman – A Morality Play“) im London des 16. Jahrhunderts, bei denen wie in der späteren Bearbeitung die Figuren Gott, Teufel, Tod, Mammon, Glaube und Werke als Personifikationen auftreten. Hochmair spielt alle diese Rollen mit Intensität und Leidenschaft, den Jedermann selbst als rauchenden, trinkenden Rocker mit Lederjacke und Totenkopf-T-Shirt. Requisiten wie ein Trichterlautsprecher verschaffen den alten Versen noch eine züsätzliche Massivität. Die über 100 Jahre alten Zitate Hofmannsthals haben heute noch mehr Wahrheitsgehalt als damals: „Des Satans Fangnetz in der Welt hat keinen anderen Nam als Geld“, auf dem Video-Screen des Stadtsaals werden dazu parallel die Luxusschiffe und Sportwägen der Superreichen abgebildet.
„Ich verlass dich hier. Spiel wird mit nit mehr gefallen“. Nicht nur die Buhlschaft, sondern auch alle anderen Gesellen, Verwandten und Freunde lassen von Jedermann ab und verweigern die Begleitung ins Totenreich. So auch der Mammon ebenfalls in Gestalt von Hochmair mit horriblen Worten „Fährst in die Gruben nackt und bloß. So wie du kamst aus Mutters Schoß“.
„Eine letzte Stunde Aufschub bekommt Jedermann vom Tod, ein schwingendes Pendel symbolisiert im Hintergrund die unentrinnbare Frist. Die guten Werke und der Glaube retten den Jedermann in letzter Sekunde. Hochmair stirbt mit Totenkopf in der Hand einen triumphalen Tod im Stadtsaal, die Engel singen. Nicht nur in Form der Standing Ovations der begeisterten Zuschauer…
„It´s good to be back“ – So heißt die neue Single der britischen Band Metronomy. Und passender kann dieser Titel nicht gewählt sein. Nach zwei Jahren öffnet das Wiener Gasometer wieder seine Pforten für heiße Pop- und Rockkonzerte. Und die südenglische Band Metronomy zählt – mit ihrem aus dem März 2020 (!) verschobenen Gig - zu den ersten, die dort wieder für ausgelassene Party-Stimmung und Clapping Hands sorgen. Die österreichischen Musik-Fans haben viel zu lange auf Live-Atmosphäre und Lebensfreude verzichten müssen.
Nach einer extravaganten Support-Show des britischen Queer-Künstlers Lynks starten Metronomy mit der lässigen „Love Factory“ aus ihrem brandneuen Album „Small World“. Die Band besteht aktuell aus fünf Mitgliedern. Als Sänger und Songschreiber fungiert Joseph Mount, der die Band bereits 1999 gegründet und unter diesem Namen auch zahlreiche Remixes (u.a. für Gorillaz, Ladytron oder Goldfrapp) veröffentlicht hat. Bassist Gbenga Adelekan ist in bester Spiellaune und peitscht das Publikum zum Tanzen und Klatschen auf. Dazu Keyboarder Oscar Cash, Gitarrist Michael Lovett und die lässige Drummerin Anna Prior, die vor einer bunten Visual-Wand den Metronomy-Sound noch tanzbarer macht.
Auf der Tour-Setlist stehen neben Tracks aus dem neuen 7. Album (wie „Right on Time“ und „Things will be fine“, ein weiterer positiver Slogan) Songs aus den letzten 15 Jahren ihrer Karriere: „The Bay“ und „Everything goes my Way“ (aus dem bisher erfolgreichsten Album „The English Riviera“ aus dem Jahr 2011), „Love Letters“ (aus dem gleichnamigen 2014er-Album) oder das an frühe Duran Duran-New-Wave-Hymnen angelehnte „Holiday“ (aus dem zweiten Album „Nights Out“). Nicht fehlen darf natürlich das aus einem Zalando-Werbespot bekannte „Salted Caramel Ice Cream“ aus dem Jahr 2019. Als das Intro zum Superhit „The Look“erklingt, sind die Indie-Pop-Fans im Wiener Gasometer nicht mehr zu halten.
Letzte Zugabe ein treibender, roher Underground-Track aus den Frühzeiten der Band: „You could easily have me“. Dann gehen die Lichter an. Die Party ist zu Ende, und gleichzeitig hat sie wieder begonnen.
Das Museumsquartier Wien setzt politische Akzente und präsentiert unter dem Titel „Artists for Ukraine“ eine künstlerische Solidaritätsaktion für die Ukraine. Verschiedene Künstler aus der Ukraine (Koordination Nikita Kadan), Belarus (Koordination Marina Naprushkina) und Russland zeigen auf der Hauptfassade des MQ Wien und der Fassade des Leopold Museums politische und gesellschaftliche Statements. Mit Hito Steyerl und Clemens von Wedemeyer sind auch zwei renommierte deutsche Videokünstler mit Anti-Kriegs-Botschaften vertreten. Die Beiträge sind bis zu 2 Minuten lang und werden per Loop zwischen 18 und 23 Uhr auf die Mauern des Museumsquartiers projiziert.
Unter der stetig steigenden Anzahl von teilnehmenden Künstlern befinden sich auch Kreative, die bereits in den Hallen des Museumsquartiers mit Ausstellungen und Installationen für Furore gesorgt haben. Der in Kiew geborene Nikita Kadan präsentierte beispielsweise im Jahre 2019 seine „Project of Ruins“, jetzt zeigt er im Rahmen seiner Collage „Protection of Plants“ Fotos von zerschossenen Gebäuden, über die Illustrationen von Pflanzen und Gemüsesorten eingefügt werden. Die noch zu Zeiten der Sowjetunion geflüchtete Widerstandskämpferin Anna Jermolaewa publizierte ihre politischen Videos und Installationen bereits im Mumok und in der Kunsthalle Krems, im Rahmen der Aktion „Artists for Ukraine“ zeigt sie einen emotionalen Zusammenschnitt auf die Flüchtlingssituation in der polnischen Grenzstadt Przemysl.
„Stop the Violence“ ist die eindeutige Botschaft der weißrussischen Künstlerin Antanina Slabodchykava. Das Wort „Gewalt“ wird dabei in verschiedene Sprachen übersetzt und rigoros durchgestrichen. Weite Verbreitung im Internet fand das Video der weissrussischen Aktivistin Ulyana Nevzorova, die in einer U-Bahn das Plakat mit der Aufschrift „This Poster can be the Reason for my Detention“ trägt. Derartige, nicht genehmigte Einzelkundgebungen werden in Belarus mit einer Geldstrafe von bis zu 50 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Tagen bestraft. Psychologisch spannend ist Oleksiy Radinskys 2013 in den Straßen von Moskau gedrehtes Video, das Doppelgänger von Stalin, Lenin und einem am Rand stehenden Putin visualisiert.
Die Videos werden ständig erweitert und sind täglich zwischen 18 und 23 Uhr im MQ-Hof zu sehen…
„Selbstauslöserin“ heißt die erste Retrospektive der nunmehr 85jährigen Margot Pilz in der Kunsthalle Krems. Ein spannender Titel, der einerseits die Technik der großteils solo agierenden Künstlerin als auch deren Lebensspirit umfasst. „Ich habe nicht gewartet, bis mich jemand fragt. Ich habe oft die Initiative ergriffen“, so Pilz in einem ausführlichen Interview im Ausstellungskatalog.
Geboren wurde Pilz 1936 im niederländischen Haarlem. Nach einer Flucht vor den Nationalsozialisten nach Indonesien kam sie dort gemeinsam mit ihrer Mutter in Kriegsgefangenschaft. Eine Erfahrung, die sie in einer auch in Krems zu sehenden Installation („Once upon my Time – Java 1942“) verarbeitet hat. Seit 1954 lebt sie in Österreich, war dort als Werbefotografin tätig und stets konfrontiert mit einer Frauen als Objekt behandelnden „verlogenen Branche“. 1978 wurde sie bei einem Frauenfest in Wien wegen einer harmlosen Bemerkung („Lassen Sie ihre Aggressionen bitte nicht an uns Frauen aus!“) von der Polizei festgenommen.
Dies war gleichzeitig die Initialzündung für Pilz, feministische Akzente in der Kunst zu setzen. Die direkt nach der Entlassung entstandenen teils als Bondage konzipierten Selfies („Sekundenskulpturen“) sind – als Frühwerk der sozial und gesellschaftlich engagierten Künstlerin – in der weiträumigen Säulenhalle zu betrachten. Unmittelbar umgeben von kürzlich entstandenen Keramikskulpturen und renommierten Serien der 80er wie „The White Cell Project“, in der Pilz sich - in einer 1,65 m hohen Zelle (die ihrer Körpergröße entspricht) – ablichten hat lassen. Pilz als durchtrainierte Anti-Aging-Vertreterin mit Hanteln in der Hand, gleichzeitig auch Konterfei am Frontgebäude der Kunsthalle, darf hier ebenfalls nicht fehlen.
Margot Pilz war in den 90ern eine verkannte, jetzt allerdings anerkannte Pionierin der Medienkunst. Die mit kleinen Video-Screens ausgestatteten Skulpturen sind – gemeinsam mit einem die Vergänglichkeit des Menschen thematisierenden Video-Clip („Celebration“) – in einem verdunkelten Raum der Kunsthalle zu sehen. Eine elegant inszenierte Installation mit vier Spiegeln und einem mit einer Mini-Kamera infiltrierten Rind („Cyber Knowledge“) wird – weltpolitisch aktuell – nur durch einen Satz übertroffen: "Der Mensch als gefährlichster Primat dieser Erde".
Eigens für die Kunsthalle Krems geschaffen wurde eine auch im Wiener Stadtpark als Lichtinstallation zu bewundernde Neonröhren-Kreation der Frauenrechtlerin Pilz: „Göttin schuf Eva“. Es handelt sich dabei um eine feministische Variation der Schöpfung Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle.
Im Erdgeschoß der Kunsthalle setzt Pilz starke umweltpolitische Akzente. Im Jahr 1982 inszenierte sie einst im Rahmen der Wiener Festwochen „Kaorle am Karlsplatz“. Ein Sandstrand vor der Karlskirche mitten in der „Großstadtwüste“ mit Sonnenschirmen und feiernden Menschen. Ein Konzept, das heute alle urbanen Metropolen der Welt ungefragt kopieren.
Für Pilz sind diese Zeiten vorbei. In der Kunsthalle Krems steht eine isolierte Palme vor einem blauen Mauer-Hintergrund, der Sand angereichert mit Mikroabfällen und Plastikmüll. Wenn die Verschmutzung der Meere bald nicht gestoppt wird, dann ist es zu spät. Eine politische Anklage von Pilz, die überzeugender nicht sein kann…
„The only Time I feel alive is when I´m painting“ – Ein Zitat des berühmten niederländischen Malers Vincent van Gogh (1853-1890), das alle paar Minuten auf einer der Wände der Ausstellung „Van Gogh Alive“ in der Metastadt aufscheint. Diese tourt bereits seit mehr als 10 Jahren durch die Welt und war in bereits in mehr als 70 Städten zu sehen.
Es handelt sich dabei um keine konventionelle Retrospektive eines Künstlers, bei der Originalbilder präsentiert werden, sondern um eine immersive Multimedia-Ausstellung, im Rahmen der rund 3000 Bilder, Animationen und Zitate in einem 1200 Quadratmeter großen Saal auf die Wände projiziert werden. Das Programm dauert ca. 45 Minuten, die Besucher können sich – nach einer kurzen Einführungs-Galerie über die Werke und das Leben van Goghs – frei in den Räumlichkeiten bewegen oder sich auf den seitlich platzierten Sandsäcken und Sesseln niederlassen. Für Selfies eignen sich besonders das eigens produziertes physisches Modell des Schlafzimmers von Arles und ein verspiegeltes Sonnenblumenfeld abseits der Projektionen.
Geboten wird – per raumumgreifender Projektionsshow – ein chronologischer Überblick über das – kurze – künstlerische Schaffen des niederländischen Expressionisten zwischen 1880 und 1890. In dieser Zeit schuf Van Gogh ca. 800 Gemälde, zahlreiche Briefe vor allem an seinen Bruder Theo van Gogh deklarieren sein damaliges Kunstverständnis. Der am 30. März 1853 in Groot-Zundert geborene Vincent van Gogh begann seine Karriere als Künstler erst mit 27. Seine ersten Werke zeigten das einfache Leben von Bauern und Arbeitern. In Den Haag wurde er vom bekannten Maler Anton Mauve in die Aquarell- und Ölmalerei eingeführt. Neben Zeichnungen von Minenarbeitern und urbanen Häusern fertigte er erstmals Landschaften in Öl an. Zurück im Elternhaus in Nuenen (1884) malte er innerhalb weniger Monate über 180 Gemälde, darunter „Die Kartoffelesser“ und den „Webstuhl mit Weber“.
Leben konnte Van Gogh von seiner Kunst nicht. Nachweislich verkauft hat Van Gogh – zu Lebzeiten – ein einziges Werk, und zwar den „Roten Weinberg von Arles“ um 400 Francs an die impressionistische Malerin Anna Boch. Die berühmtesten Werke des niederländischen Ausnahmekünstlers entstanden in den letzten 3 Jahren vor seinem Tod. Van Gogh lebte zu dieser Zeit in Paris (1886-1888) und in der südlichen Provence, im wunderschönen Arles (1888-1889). In dieser kreativen Ära van Goghs entstanden u.a. die Sonnenblumen-Motive, die „Cafeterrasse am Abend“ und die „Sternennacht über der Rhone“, die mit ihren kräftigen Farben und ihrer Intensität auch das persönliche Glücksgefühl des Künstlers ausdrückten.
Dies änderte sich im Dezember 1888, als sich van Gogh nach einem Streit mit seinem Maler-Freund Paul Gauguin im Absinth-Rausch selbst ein Ohr abtrennte. Selbstporträts mit verbundenem Kopf durften nicht fehlen. Nach weiteren psychischen Anfällen folgte eine Einweisung in die Nervenheilanstalt in St. Remy, wo van Gogh u.a. die weltberühmte „Sternennacht“ (18. Juni 1889) erstellte, deren visuelle Kombination mit anderen nächtlichen Landschaftsbildern zu den Highlights der Ausstellung zählt.
In den letzten zwei Monaten seines Lebens wohnte van Gogh in Auvers-sur-Oise (30 km von Paris entfernt). Er malte dort – bei gleichzeitiger persönlicher Betreuung durch den Arzt Paul Gachet - innerhalb von 70 Tagen 60 Zeichnungen und 75 Bilder. Leider auch sein letztes: „Weizenfeld mit Raben“ (Juli 1890). Am 27. Juli 1890 schoss sich Van Gogh in einem Feld eine Kugel in die Brust, zwei Tage später starb er.
Wie zeigt dies die Ausstellung? Mit einem Schuss-Geräusch und panisch wegfliegenden Raben. Das Original-Gemälde hängt im Van Gogh-Museum in Amsterdam.
Kulturelles Universalgenie Lars Eidinger: Der 1976 in West-Berlin geborene Schauspieler ist nicht nur auf zahlreichen Theater-Bühnen (wie kürzlich als „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen oder als „Hamlet“, „Richard III“ und „Tartuffe“ auf der Berliner Schaubühne), in populären TV-Serien (wie in „Babylon Berlin“), in progressiven Videoclips (u.a. von Deichkind) und Kino-Streifen („Alle anderen“, „Mackie Messer“, „Werk ohne Autor“, „Nahschuss“) zu sehen, sondern mixt auch als DJ im Rahmen seines „Autistic Disco“-Konzepts auf, betreibt einen Instagram-Account mit mehr als 87.000 Followern und publiziert – als fließenden Übergang dazu – seine spannendsten Fotos in diversen Ausstellungsräumen. So in der Hamburger Kunsthalle, wo Eidinger gemeinsam mit Stefan Marx unter dem Titel „Klasse Gesellschaft“ niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts in Konnex mit der Gegenwart zieht, oder in der neu eröffneten Alba-Gallery in der Wiener Schleifmühlgasse 3.
Die Wiener Exhibition trägt von außen kommend den Titel „EVIL“. Drinnen verweilend liest man auf der Glasscheibe „LIVE“. Ein kongeniales Palindrom, das den kreativen Pfad der Exhibition darstellt. Eidinger will mit seinen durch genaue Beobachtung entstandenen Fotos „die Gesellschaft spiegeln“. Und konterkariert damit auch das Vorurteil, dass Menschen, die dauernd aufs Smartphone starren, die Welt in ihrer Pracht, aber auch ihrer Diversität und Skurrilität nicht mehr erkennen.
Da drängt sich eine Touristin neben einem unter einem Zelt lebenden Obdachlosen, damit sie die Kathedrale von Notre Dame fotografieren kann. Zwei Personen betrachten teure Gegenstände einer Luxus-Boutique, während direkt vor ihren Füßen ein armer Mensch sich auf der Straße ausschläft. Eine komplett schwarz vermummte Person, sitzt, vermutlich mittellos, auf einem umgekippten Supermarkt-Wagen, während Eidinger gleichzeitig den Bankomaten im Hintergrund anvisiert. Ein Baum bahnt sich seinen Weg durch einen Pflasterstein-Boden. Im Louvre steht eine riesige Menschenmenge vor der weltberühmten „Mona Lisa“ und wird – frontal fotografiert – dadurch fast Bestandteil des gegenüberliegenden Veronese-Monumentalgemäldes der „Hochzeit von Kana“. Bei der Jesus einst Wasser in Wein verwandelt hat.
Direkt beim Schaufenster platziert ist ein Disco-Würfel mit einer bunten Light-Show. Zumindest hier darf ohne Regeln und ohne Scheu gefeiert werden. Eine Wand-Uhr in Form einer gekreuzigten Jesus-Figur (bei der das Kreuz als Stunden- und Christus als Minutenzeiger agiert) durchläuft zweimal pro Tag den in der Satanisten- und Okkultismusszene verwendeten Status des „umgekehrten Kreuzes“.
Bei zahlreichen, auch skurrillen Moment-Aufnahmen macht sich Eidinger scheinbar unsichtbar. „Der Trick ist, dass man mit seiner Umgebung schwingt“, so der Künstler in einem Interview. Der gleichzeitig betont, dass er bereits vor seiner Schauspielerei fotografiert habe. Quod erat demonstrandum: Eines seiner ersten Fotos, ein verschwommener Hamster in einer Klopapierrolle aus dem Jahre 1982.
ALBA Gallery
(4., Schleifmühlgasse 3)
Lars Eidinger, bis 26. März
Di. – Fr.: 11 – 18 Uhr
Sa.: 12 – 16 Uhr
„An der Zeitgenossenschaft fährt kein Weg vorbei. Und Sachen, an denen man eh nicht vorbeikommt, sollte man mit Leidenschaft erledigen. Dann ist es weniger fad.“ Gesagt, getan. Nach mehr als 20 Programmen und zahlreichen Auszeichnungen (wie dem österreichischen Kabarettistenpreis und dem Deutschen Kleinkunstpreis 2016 für „Der Tolerator“) im Laufe seiner über 30jährigen Karriere präsentierte der Wiener Kabarettist Thomas Maurer im Wiener Stadtsaal sein neuestes Werk unter dem Titel „Zeitgenosse aus Leidenschaft“.
Einziges Requisit auf der Bühne: Ein Sessel, auf dem sich der Kabarettist manchmal niederlässst und – eingebettet in eine Alltagshandlung (dem Kauf eines Poolsaugers) – über das Leben und die Gesellschaft philosophiert. Im Mittelpunkt stehen dabei weniger die Corona-Krise („einfach scheiße, blockiert das normale Leben“) oder die politischen Missstände (die werden ohnehin gemeinsam mit den „Staatskünstlern“ Florian Scheuba und Robert Palfrader scharf debattiert), sondern die Auswüchse des modernen Zeitgeistes, garniert mit spannenden Details und hintergründigem Schmäh.
Maurer zieht einen fast brutalen historischen Konnex zwischen dem Kannibalismus der Azteken und den 15.000 Toten im Rahmen der Errichtung der Infrastruktur für die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar und ruft zum Boykott der WM auf. Im Kreuzfeuer der Kritik steht auch der US-Amazon-Multimilliardär Jeff Bezos, der mit einer „Penis-Rakete“ Richtung All startet. Oder die reichsten Familien von Florenz, die sich zwischen 1423 und der Gegenwart nicht verändert haben.
Zu Beginn des Programms thematisiert Maurer die im urbanen Milieu grassierende „Alles Woke“-Bewegung. Und überlegt sich gleichzeitig, diesen Part am Land wegzulassen. „Die glauben sonst, ich war vorher asiatisch essen“. Die gesamte Show wird fleißig gegendert, „außer bei Arschloch und Nazi“. Denn: „Gegenderte Sätze sind wie Windkraftparks: Nicht schön anzusehen, aber ganz ohne wird es auf Dauer auch nicht gehen.“
Ein besonderes Anliegen sind Maurer auch die negativen landschaftlichen und kulturellen Veränderungen in Österreich. „Am Land sind die Menschen konservativ, so ein Art Naturgesetz. Aber was ist am Land konserviert worden? Das Ortsbild oder die dörfliche Kultur?“ Die Landbewohner behaupten zwar, es sei ihnen in der Stadt zu anonym. Tatsächlich aber seien die Dörfer ausgestorben, „kein Greissler, kein Wirtshaus, keine Post“. Unterwegs seien keine lebenden Menschen, sondern nur die SUV´s, die er als „Werkfahrzeuge vom Todesstern“ metaphorisiert.
Bei seiner Autofahrt im Speckgürtel darf natürlich auch die Bodenversiegelung nicht fehlen. Mit Wehmut denkt er an den Süden Wiens von früher, durch den sich Beethoven einst zur „Pastorale“ inspirieren ließ. „So sieht das Anthropozän aus, wenn der Baumeister der Schwager vom Bürgermeister ist“, so seine zynische Bemerkung über ein Shopping Resort außerhalb Wiens, bei dem einstöckige Betonhallen mit Riesenparkplätzen nebeneinander platziert worden sind.
Dazu historische Reminiszenzen an Andreas Hofers Kampf gegen die Bayern, unterhaltsame Suchtanalysen („Als freier Künstler brauch ich ka Abhängigkeitsverhältnis“), Gedanken an die eigene Jugend als Ministrant, „böse“ Seitenhiebe auf die „Salonbobos“ und ein humorvoller Blick auf japanische Reisegruppen, die Kunstwerke im Smartphone-Display statt in Echtzeit betrachten. Wie die verspätete Klospülung im Flugzeug.
Maurers neues Programm: Eine politisch korrekte Magical Mystery Tour durch das 21. Jahrhundert mit vielen intelligenten Denkansätzen, lässigen Aphorismen und subtilen Zeitgeist-Kommentaren. Oder wie es Maurer selbst formuliert: „Sarkasmus ist die Würze der Debatte“…
„All the lonely people. Where do they all come from. All the lonely people. Where do they all belong?“ tönt es fragmentarisch von der Bühne des Wiener Volkstheaters. „Eleanor Rigby“, der Kult-Hit der Beatles, darf in der von Jan Friedrich und Volkstheater-Chef Kay Voges inszenierten modernen Version der „Einsamen Menschen“ nicht fehlen.
Der Naturalist und spätere Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann hat dieses Werk 1890 – mit 27 Jahren – geschrieben. „Einsame Menschen“ ist nach „Vor Sonnenaufgang“ und „Das Friedensfest“ sein 3. Drama und wurde damals nicht nur in Berlin, sondern auch am Wiener Burgtheater aufgeführt. Die Thematiken – Freiheit, Traditionen, Familienglück, Beziehungsformen – sind trotz anderer gesellschaftlicher Strukturen auch heute noch, mehr als 130 Jahre später, brandaktuell.
Im Mittelpunkt steht das junge Ehepaar Johannes und Käthe Vockerat, die – gemeinsam der Mutter von Johannes und dem Künstler und langjährigen Freund Braun – separiert auf einem Landgut außerhalb der Stadt wohnen. Der Akademiker Johannes vertieft sich in philosophische Ergüsse anstatt aufs Geldverdienen, seine Ehefrau Käthe kümmert sich um das gemeinsame Baby. Intellektuell haben sich die beiden nichts zu sagen, was Johannes seiner Ehefrau auch verbal spüren lässt. Käthe, gespielt von Anna Rieser (die wie auch die anderen Darsteller zum neuen ständigen Ensemble des Volkstheaters zählt), wird zu Beginn des Stücks (und auch am Ende) ganz in Dunkel positioniert, umhüllt von Bühnennebel mit Baby in beiden Armen.
Ganz im Gegensatz dazu die Studentin Anna Mahr (gespielt von Gitte Reppin), die ihren Jugendfreund Braun auf dem Landgut besucht. In grellgelbem Kleid, sonnenbebrillt und mit geballter Lebenslust bringt sie das bis dahin trostlose Leben der vier Landgutbewohner durcheinander. Johannes verliebt sich in die weltgewandte, junge Frau und wird zum „Sinnerman“. Nina Simones lasziver Track versetzt neben zahllosen Lichteffekten die Handlung auch soundtechnisch in die Gegenwart. Die Stimme der Verantwortung und des Traditionalismus wird verkörpert durch die strengen Worte des Vaters (Stefan Suske), der am Ende des Stückes auftritt. Der egoistisch-verzogene Sohn lässt sich von dessen konservativen Wertvorstellungen nicht mehr beeindrucken, seine vermeintlich neue Liebe allerdings steht immer wieder kurz vor der Abreise, während die biedere Ehefrau versucht, ihre inneren Zwänge abzulegen und sich ebenfalls in eine Femme Fatale zu verwandeln. Ob es gelingt, bleibt abzuwarten.
Der Vorhang schließt sich auf jeden Fall mit einem Hit des Schockrockers Marilyn Manson: „We are sick, fucked and complicated“. Das hätte auch Hauptmann gefallen…
Er gilt als Chronist der britischen Rave Culture und der Berliner Love Parade, als EU-, Anti-Brexit und LGBT-Aktivist, bekam als erster Fotograf und nicht britischer Künstler den Turner Prize (2000) und war mit seinen Motiven, Installationen und Abstraktionen bereits in den renommiertesten Museen der Welt (wie dem Tate Modern London, dem Metropolitan Museum in New York oder dem Moderna Museet in Stockholm) vertreten: Wolfgang Tillmans.
„Obwohl ich weiß, dass die Kamera lügt, halte ich doch fest an der Idee von einer fotografischen Wahrheit“, so der Star-Fotograf in einem „Zeit“-Interview. In Österreich konnte man Tillmans Foto-Art vereinzelt in diversen Sammel-Ausstellungen betrachten. Das Mumok im Wiener Museumsquartier widmete dem in Berlin und London lebenden deutschen Künstler im 2. Stock und im Untergeschoß erstmals eine große Solo-Exhibition mit über 250 (!) Werken, kreativ und prägnant zusammengestellt wie eine musikalische Komposition.
Großformatige Werke astronomischer Erscheinungen hängen direkt neben kleinen Porträtfotos (unter denen sich auch Pop-Superstars wie Lady Gaga und Nenah Cherry oder persönliche Freunde wie die späteren Szene-Ikonen Lutz und Alex mischen), Foto-Serien (wie der „After Party“ aus der Club Culture der 90er), polit-aktivistische Shots (von Lampedusa, Black Lives Matter-Demos bis hin zu diversen Gay Prides) und fotografischen Meisterleistungen.
„Schall ist flüssig“, das den Titel der Ausstellung prägende Foto aus dem Jahre 2021, ist eine davon. Es zeigt einen Tropensturm als Stilleben, die Wassertropfen erscheinen aufgrund der kurzen Belichtungszeit tatsächlich als Punkte und nicht als Striche. Oder „Lüneburg“ (self), das als Tillmans´ kommunikative Analyse der Corona-Pandemie zu interpretieren ist. Man sieht ein I-Phone, das an eine Wasserflasche angelehnt ist. Auf dem Handy-Screen erkennt man rechts oben Tillmans, der von einem Krankenhausbett aus diesen fotografiert, der Empfänger ist nicht erkennbar, nur eine rosa Decke erscheint im Hintergrund. In Zeiten von Ausgangssperren, Lockdowns und sozialer Isolation der einzige Weg, um mit Freunden in Kontakt zu treten.
Zu den avantgardistischen Highlights moderner Fotografie zählen die im Berliner Berghain ausgestellten „Freischwimmer“-Motive, die Tillmans mittels künstlicher Lichtquellen auf lichtempfindlichem Fotopapier erzeugt hat, die „paper drops“ (Fotopapier-Bögen in der Gestalt von Tropfen) und die ebenso kameralos produzierte „Silver“-Serie, deren finale Ausgestaltung von der Mechanik der Entwicklermaschine abhängt.
In einem verdunkelten Raum präsentiert Tillmans seine erstmals auf der Architekturbiennale Venedig 2014 publizierte Installation „Book for Architects“, die auf 2 Kanälen 450 Fotografien von Häusern, Innenräumen und Außenfassaden zeigt. Tillmans ist einerseits beeindruckt von der modernen Architektur, andererseits kritisiert er die Eitelkeit der Urheber, die sich mit ihren Projekten unwiderruflich in die Lebensrealität der Menschen drängen.
Im Untergeschoß des Mumok ist Tillmans nicht nur mit einer undergroundigen Tate Modern-Fotogalerie vertreten, sondern auch mit einer Videoclip-Compilation seines kürzlich erschienenen Debüt-Albums „Moon in Earthlight“, die man lässig chillend im Kinosessel betrachten kann.
Das Museum of Modern Art New York plant derzeit eine Retrospektive Tillmans. Das Mumok Wien kann stolz darauf sein, diesem Universalgenie bereits vorher attraktive Räume für sein kreatives Schaffen geboten zu haben. Oder wie Tillmans stets in Interviews betont: „Pictures create space“…
Die 80er: Grassierender Neoliberalismus unter Thatcher und Reagan, der Ost-West-Konflikt, Tschernobyl, Yuppies, Waver & Punks, MTV, Digitalisierung, die tödliche Seuche Aids. Themen, die sich auch in der Kunst der 80er widerspiegeln.
Stilpluralismus ist insofern das Kennzeichen der Kunstszene der turbulenten 80er. Die Albertina Modern zeigt nach der – „nur“ auf österreichische Künstler bezogenen Ausstellung „The Beginning – 1945 bis 1980 – einen Streifzug durch nationale und internationale Kunstströmungen der Eighties. Die Werke stammen einerseits aus der eigenen Sammlung, andererseits von privaten Leihgebern.
Aus Österreich vertreten sind die „Neuen Wilden“ rund um Herbert Brandl, Franz West oder Maria Lassnig, die 1980 die USA verließ und in Wien an der Hochschule für Angewandte Kunst unterrichtete. Brigitte Kowanz präsentiert in einem eigenen Raum ihre damals hypermodernen Artefakte aus Flaschen und Neonröhren.
In Amerika entstanden in den 80ern – parallel zur Hip Hop-Bewegung – die Graffiti-Kultur und die Street Art. Protagonisten von damals, der später an AIDS verstorbene Keith Haring („Subway Drawings“), Jean Michel Basquiat und Kenny Scharf, sind mit ihren kreativen Schöpfungen in der Albertina Modern vertreten. Ebenso die Installationskünstlerin Jenny Holzer, die ihre Messages im öffentlichen Raum verbreitete. Eine Sitzbank beispielsweise zitiert den Spruch „You should limit the number of times you act against your nature. Like sleeping with people you hate“.
Viele Künstler lehnten explizit die Moderne ab, sie bezogen sich stattdessen bewusst auf die Werke anderer Künstler und verstanden den Akt des Kopierens und das Resultat selbst als Kunst. Der Sammelbegriff: „Appropriation Art“, zu der u.a. Cindy Sherman mit ihren „History Portraits“, Sherrie Levine oder Robert Longo zählen.
Angesagt in den 80ern waren auch grelle, großformatige Malereien im Stile des Neoexpressionismus und der Transavantgarde. Prominente Vertreter: Der Italiener Francesco Clemente (der mit Warhol und Basquiat 15 „Collaborations“ anfertigte), Sandro Chia oder Helmut Middendorf, dessen 1979 entstandenes Bild „Electric Night“ die Nightlife-Subkultur der damaligen Zeit veranschaulicht.
Extravagant die Holz-Skulptur „The Bear and the Policeman“ von Jeff Koons, die nur äußerlich niedlich anzusehen ist. Der amerikanische Künstler sieht in dem Plüschtier nur ein Kostüm, hinter dem sich auch eine gefährliche Person mit dunklen Absichten verstecken kann. Ein direkter Konnex zu den fragwürdigen Methoden demokratischer Gesellschaften von heute.
Grell, divers, bizarr, ambivalent: Die spannende Tour durch die Kunst der 80er ist von 10. Oktober 2021 bis 13. Februar 2022 in der Albertina Modern zu sehen…
Eine heile Welt, die eine Weile hält“ – Eine knallige Zeile, die in der krisengeschüttelten Gegenwart nicht besser passen könnte. Tatsächlich stammt dieser dichterische Erguss aus einem Schüttelreim Gunkls bei einem Live-Auftritt der Familie Lässig vor einigen Jahren. Jetzt ist er gleichzeitig PR-Album-Teaser, Titel und Refrain des gerade erschienenen zweiten Albums „Eine heile Welt“ und des gleichnamigen Opening Tracks. Jeweils mit Rufzeichen, denn dahinter stehe eine Hoffnung, eine Forderung, so Sänger und Gitarrist Gerald Votava.
Die Famile Lässig kann man getrost als Supergroup bezeichnen. Ihre Ursprünge hat sie im Jahr 2014, als sie bei einer Benefizveranstaltung für den Verein „Purple Sheep“ im Wiener Stadtsaal Spenden sammelte. Damals mit kessen Coversongs, die auch heute noch teils zum Repertoire gehören (wie „Blumen im Sand“ von Steffi Werger, „Guten Tag“ von Wir sind Helden“ oder „Alles nur geklaut“ der Prinzen). Chefin der Band ist die Drummerin Catharina Priemer-Humpel, ihre Ehefrau, Clara Lucia, die „Königin“. Dazu 4 Typen – Sänger, Schauspieler und Kabarettist Manuel Rubey, Gerald Votava (aka „Der Mond“), „Jazzpolizei“ Boris Fiala und Satire-Original Gunkl. Besonderes Kennzeichen: Ein Matriarchat in der Familie.
Im Wiener Stadtsaal stellte die Familie Lässig jetzt erstmals ihr neues Album „Heile Welt“ vor. Ein Album, das in Kleingruppen produziert wurde und bei alle Familienmitglieder musikalisch zum Zug kommen. Die Themenauswahl weit gestreut: Von boboesken „Besserwissern“ bis hin zu Korruption („Mein Herz ist korrupt“) und Liebessehnsucht („Hund vor deine Dia“), garniert mit poppigem Indie-Rock-Sound. Aus der Kreativfabrik der Sterne bzw. der Berliner Band Britta stammen die Coverversionen „Risikobiographie“ und „Büro Büro“.
Bei „Nur nachts sind alle Schaukeln frei“ erinnert sich Rubey live an seine Zeit auf dem Kinderspielplatz mit seinen Töchtern, bei der genialen Mitsinghymne „Irgendwann wird´s wieder Sommer“ freut man sich schon auf die schönste Zeit des Jahres. Ohne Masken und Corona-Schikanen am wunderschönen Meeresstrand.
Part jeder Show ist das sogenannte „Gunkeln“, bei der der Kabarettist spontane Wortakrobatik auf Anfragen und Inspirationen des Publikums liefert. „Wird alles gut?“ fragte ein Premierengast. Gunkls Antwort: „Das ALLES gut wird, spüt´s ned!“ Ein toller Abend im ausverkauften Stadtsaal war es allerdings trotzdem. Auch ohne - reale - heile Welt!
Der britische Schriftsteller Oscar Wilde hat nur einen einzigen Roman geschrieben. Dieser aber prägt seinen Weltruhm bis heute. Eine Geschichte über ewige Jugend, Dekadenz und Hedonismus, die sich zum Inhalt zahlreicher Theaterstücke, Opern oder Filme kristallisierte und immer wieder Debatten über den gesellschaftlichen Lifestyle auslöste. Sogar Diskotheken und Clubs wurden nach der Hauptfigur des Romans benannt: Dorian Gray. Jener junge, naive Jüngling, der von einem Maler (Basil Hallward) kunstvoll porträtiert wurde, sich in sein „Spiegelbild“ verliebte und sich wünschte, sein Bild solle altern, er aber ewig jung bleiben. Dieser sehnsüchtige Wunsch sollte sich erfüllen.
Regisseur Bastian Kraft konzipierte aus diesem Roman-Stoff eine multimediale One-Man-Show, die erstmals am 19. März 2010 im Vestibül des Burgtheaters uraufgeführt wurde. Im Epizentrum steht die Titelfigur Dorian Gray, dunkel gekleidet, mit Blattgold im Gesicht. Als Hauptdarsteller fungiert der deutsche Schauspieler Markus Meyer, der seit einer Rolle in Tennessee Williams „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ 2005 zum fixen Ensemble des Burgtheaters zählt. Meyer personifiziert aber gleichzeitig auch alle anderen Figuren des Wilde-Dramas, und zwar per Videoinstallation auf 17 Screens, die auf einer Stahlkonstruktion montiert sind. Diese Aufnahmen wurden bereits 2010 gedreht, im Gegensatz zum Hauptdarsteller sind sie – wie das geheimnisvolle Porträt – niemals gealtert. Verändert wurde lediglich die Location: Das überaus populäre Stück wanderte vom räumlich begrenzten Vestibül ins Akademietheater, wo im Oktober 2020 bereits die 200. Aufführung gefeiert wurde.
Auch zu Silvester verwandelte sich Meyer wieder in den ewigen Jüngling Dorian Gray, live geschminkt vor der unmittelbaren Aufführung. Und tritt dann, akrobatisch kletternd auf dem Gerüst, in direkte Kommunikation mit seinen Alter Egos, dem snobistischen Lord Henry (der Dorian Gray mit seinen Aphorismen umschmeichelt), dem Maler Basil Hallward (der nicht nur in sein Porträt, sondern auch in den Porträtierten, Gray himself, verknallt ist), dem Chemiker Alan Campbell und dem langhaarigen, verrucht aussehenden James Vane, der Rache für den Selbstmord seiner Schwester Sybil schwört. Jene Theaterdarstellerin, in die sich Dorian Gray zuerst verliebt, die er dann aber skrupellos fallen lässt, als ihre schauspielerischen Künste aufgrund ihrer Liebe zu ihm schwinden („Die gemalten Kulissen waren meine Welt. Du lehrtest mich, was die Wirklichkeit wirklich ist“).
Eine perfekt getimte Inszenierung, die vom Hauptdarsteller nur mit höchster Konzentration und Akribie performt werden kann. Die nahezu ausverkaufte Audienz dankte am Silvesterabend mit tosendem Applaus. Solange Meyer weiterhin so topfit bleibt, dürfte Dorian Gray wohl noch viele weitere Male einen tragischen Tod sterben. Und das (in der Aufführung nicht zu sehende) Porträt wieder seine juvenile Makellosigkeit erlangen…
„Grandmaster Flash was Hip Hop in the same way Velvet Underground was Punk. Or King Tubby was dub. Or Wiles was grime. They were predecessors, making the music before it even had a name.“ (Tom Wakins)
Und diese Ikone der Hip Hop History, Joseph Saddler aka Grandmaster Flash, stattete dem Wiener Undergroundclub Fluc im November 2021 einen sensationellen Besuch ab. „Hip Hop People, Places & Things“ war das Motto des Abends. Dabei handelte es sich um kein konventionelles DJ-Set, sondern um eine kongeniale Mixtur aus Lecture, Visuals und Hot Dance Beats.
Grandmaster Flash präsentierte live hinter den Turntables die Hintergründe der Hip Hop History, die Ursprungsorte der Bewegung in den 70ern (die Blockparties in der New Yorker Bronx) und die prägenden Stars der Szene. Der aus Barbados stammende Künstler selbst war der Erfinder des Cuttings, des Backspinnings und des Phasings. Und er war ein ungekrönter Meister des Scratching, das von seinem Weggefährten Grand Wizard Theodore kreiert wurde.
Der erste kommerzielle Hip-Hop-Hit, „Rapper´s Delight“, stammte 1979 von der Sugarhill Gang, deren Label auch Grandmaster Flash und seine Furious Five unter Vertrag nahm. Der größte Hit der Jungs aus der South Bronx, „The Message“, eine sozialkritische Hymne über Armut, Frustration und Kriminalität in den Ghettos von New York, folgte im Jahr 1982 und stand auch im Mittelpunkt des zweistündigen Rap-, Funk- und Soul-Reigens im Fluc, bei dem die begeisterten Besucher ekstatisch und schweißüberströmt abtanzten.
Grandmaster Flash legt übrigens Wert darauf, dass die Hip Hop-Szene sich aus vier verschiedenen Elementen zusammensetzt: Rap, Breakdancing, Graffiti und das Djing hinter den Turntables. Das beherrscht der 1958 geborene Künstler auch heute noch, garniert mit aufpeitschenden Vocals und groovigen Tracks.
„Can I kick it“, „Ghetto Supastar“, „Walk this Way“, „Tom´s Diner“ (Suzanne Vegas Klassiker im genialen DNA-Remix), „Gangsta´s Paradise“ und „Jump around“ rauschten im Rahmen einer audiovisuellen Hip Hop-Zeitreise durch die Ohren der Fans. Und natürlich „White Lines“ von Grandmaster Flash selbst, das er in den 90ern mit den Pop-Superstars von Duran Duran neu aufgenommen hat.
Abzocke durch die Plattenfirmen („Abgespeist haben die uns mit ein paar Autos“), geplatzte Plattenverträge, Drogensucht, Betrügereien durch seine besten Freunde. Grandmaster Flash schreibt in einer Autobiographie von seinen Niederlagen im Leben. Der Familienvater, der 2007 gemeinsam mit den Furious Five als erste Hip Hop-Band in die Rock´n Roll of Fame aufgenommen wurde, gilt allerdings als Mastermind der Hip Hop- und -DJ Culture, auf dessen Roots sich auch 40 Jahre später noch junge Stars der Szene berufen. Und er garantiert mit seinen Skills und seiner Track-Auswahl noch immer für volle Dancefloors.
„Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste“, sprach einst Heinrich Heine. Insofern fielen für Bücher-Freaks mit der – nach einem Jahr Pause – wieder stattfindenden Buch Wien einige Feiertage zusammen. Von 10. bis 14. November 2021 präsentierten 323 Aussteller aus 31 Ländern ihre Produkte, insgesamt 513 Autoren stellten in den Messehallen ihre neuesten kreativen Werke vor. Von Sachbüchern, Polit-Analysen, Biographien bis hin zu Romanen, philosophischen Ergüssen und Kinderbüchern. Ein besonderer Schwerpunkt wurde der von der schwedischen Autorin Astrid Lindgren erschaffenen Kult-Figur Pippi Langstrumpf gewidmet, deren erstes Buch vor 75 Jahren publiziert wurde. Als Gastland bei der Buch Wien vertreten war Russland, dessen großer Literat Fjodor Dostojewski dieses Jahr seinen 200. Geburtstag feierte.
Liebe in Zeiten des Hasses
„Weltgeschichte ist zur Hälfte Liebesgeschichte“ – So promotete der deutsche Autor Florian Illies sein neues Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“, das sofort nach Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerlisten schoss. Im Mittelpunkt stehen dabei Liebes-, Sex- und Eifersuchtsgeschichten prominenter Zeitgenossen wie Sartre, Picasso, Brecht, Zweig & Co. während der (noch zügellosen) 30er. Akribisch recherchiert und spannend geschrieben.
Corona
Die Corona-Pandemie bzw. deren Begleiterscheinungen und das Phänomen Sebastian Kurz waren die Haupt-Themen bei den politischen Sachbüchern. ORF-Wissenschaftsjournalist Günther Mayr präsentierte sein mit Hans Bürger gestaltetes Buch „Entscheidung – Ein Virus diktiert“, Ingrid Brodnig („Einspruch“) gab einen Einblick in die täglich skurriler werdenden Verschwörungstheorien, und Robert Misik skizzierte die „neue Abnormalität“. Ex-Rockstar und Filmregisseur Reinhold Bilgeri verwendete die New Yorker-Lockdown-Atmosphäre als Hintergrund für seinen Roman „Die Liebe im leisen Land“, in dem ein verheiratetes Pärchen (Reporter Thomas Maas und Anwältin Amy Alister) ins emotionale Straucheln gerät.
Phänomen Kurz
Am 9. Oktober 2021 trat Sebastian Kurz als österreichischer Bundeskanzler zurück. Seine Taktiken und Tricks wurden bei der Buch Wien von Natascha Strobl und Peter Pilz schonungslos analysiert. „Radikaler Konservatismus“, so bezeichnet die Politikwissenschaftlerin Strobl die zuletzt im Zuge von Politikern (wie Trump, Johnson oder eben Kurz) konzipierten, von rechten bis rechtsextremen Parteien kopierten Strategien. Dazu zählen u.a. die Übernahme von Feindbildern (wie „fremdländische Kultur“ oder Feminismus), der Angriff auf Medien, NGO´s oder die Justiz und die tägliche Schlagzeilen-Politik („riding the news cycle“), die nur der eigenen Marke und nicht gesamtstaatlichen Zielen dient. Hinter die Kulissen des System Kurz blickt Peter Pilz mit seinem Buch „Kurz – Ein Regime“. Der türkise Ex-Kanzler sei ein reines Propagandaprodukt, der sich nicht für Politik, sondern nur für seine eigene Macht interessiert, so Pilz vor einer prall gefüllten Audienz in den Wiener Messehallen.
Einen anderen Ansatz wählte der 27jährige Wiener Schriftsteller Elias Hirschl, um die oberflächliche Yuppisierung der Politik anzuprangern. „Salonfähig“ heißt sein – unter dem zündenden Slogan „Austrian Psycho“ beworbene – Roman, dessen namenloser Ich-Erzähler Mitglied einer rechtskonservativen Partei („Junge Mitte“) ist. Sein großes Vorbild ist der junge Vorsitzende und künftige österreichische Bundeskanzler Julius Varga, Ähnlichkeiten mit realen Figuren sind natürlich nur rein zufällig.
Ein anderes politisches Kaliber war einst der sozialdemokratische Bundeskanzler Vranitzky, der auf der ORF-Bühne sein gemeinsam mit der Autorin Margarethe Kopeinig erstelltes Buch „Politik mit Haltung“ präsentierte. Vranitzky verwies dabei auf die Bedeutung des Kompromisses und des sozialen Ausgleiches in der Alltagspolitik und erinnerte an die Abkehr Österreichs von der „Opfertheorie“ in bezug auf die Ereignisse des 2. Weltkriegs durch seine parlamentarische Rede im Juli 1991.
„Selbstauslöserin“ heißt die aktuelle Ausstellung der 1936 in Haarlem (Niederlande) geborenen und seit 1954 in Österreich lebenden Künstlerin Margot Pilz in der Kunsthalle Krems.
Pilz ist seit den 70ern als Fotografin tätig, gilt als engagierte Feministin und als progressive Pionierin der Medienkunst, die sich genreübergreifend mit Fotografie, Video, digitaler Skulptur, Performance und Installation beschäftigt. Zu den Highlights der noch bis 3. April dauernden Ausstellung zählt eine moderne, durch die Umweltzerstörung beeinträchtigte Version der Installation „Kaorle am Karlsplatz“ (1982, Wiener Festwochen) und das extra für die Ausstellung konzipierte Werk „Die Göttin schuf Eva“ (2021).
Die Neonskulptur zeigt eine feministische Neudeutung der Schöpfung, angelehnt an Michelangelos Fresko in der Sixtinischen Kapelle. Diese kann – trotz der corona-bedingten temporären Schließung der Museen – aktuell besichtigt werden, und zwar im Wiener Stadtpark.
Im Rahmen der Wiener Lichtblicke ist das Werk von Margot Pilz im Form einer Lichtprojektion auf den Wien Fluss zu sehen. Ein heißer Tip für den nächsten nächtlichen Spaziergang durch das schöne Wien!
Prag, die Goldene Stadt im Herzen Mitteleuropas, zu jeder Jahreszeit eine Reise wert und prall gefüllt mit traditionellen Stadt-Vierteln, prachtvollen Sehenswürdigkeiten und historischen Schauplätzen. Die wunderschöne Altstadt mit dem Rathaus, der Astronomischen Uhr und dem jüdischen Areal, der Hradschin mit der Prager Burg, dem Veitsdom und dem pittoresken Goldenen Gässchen oder der Wenzelsplatz als Epizentrum des Prager Frühlings 1968 und der Samtenen Revolution im legendären November 1989. Man kann die 1,3 Millionen-Einwohner-Metropole allerdings auch auf eine alternativere Art entdecken, und zwar in Zusammenhang mit den kreativ-provokanten Kunstwerken des tschechischen Bildhauers David Cerny, die über ganz Prag verstreut sind.
Quo Vadis (1990)
Cerny, im Dezember 1967 in Prag geboren, studierte zwischen 1988 und 1994 an der Akademie für Kunst und Architektur und nahm in den 90ern am unabhängigen Studienprogramm des Whitney Museums in New York teil. Erste Aufregung (und Popularität) erlangte der Kunst-Aktivist mit der pinken Bemalung eines sowjetischen Panzers (die in einer kurzfristigen Festnahme wegen Vandalismus resultierte) und mit seiner Skulptur „Quo Vadis“ (1990), die aus einem Trabant mit vier Beinen besteht. Letztere bezieht sich auf die Flucht tausender DDR-Bürger in die deutsche Botschaft im September 1989, die nach einer durch Außenminister Hans-Dietrich Genscher genehmigten Ausreise Richtung Westdeutschland ihre Trabis in Prag zurückließen. Eine Kopie steht heute noch im Park der Botschaft, im Palais Lobkowitz, unweit der Prager Burg.
Horse (1999)
Nicht ungeschoren von Cernys Aktivitäten bleibt auch der Heilige Wenzel, dessen Reiterdenkmal direkt vor dem Nationalmuseum am Wenzelsplatz residiert. Cerny hat um die Jahrtausendwende eine Kunststoff-Variation dieses Denkmals konzipiert: Der Reiter sitzt dabei auf dem Bauch eines toten, mit dem Kopf nach unten aufgehängten Pferdes. Als Standort wurde die Lucerna Passage gewählt, die erste – jugendstilartige - Großstadt-Passage Prags direkt am Wenzelsplatz, die vom Großvater Vaclav Havels Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut wurde.
Sigmund Freud (1997)
Im historischen Zentrum Prags, in der Husova Straße, wurde schon öfters Alarm geschlagen, weil sich angeblich ein Mann vom Dach stürzen wollte. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Kunstwerk Cernys aus dem Jahre 1997, um eine Skulptur des Psychoanalytikers Sigmund Freud, der sich mit einer Hand an einem Dachbalken festhält, während die andere in seiner Tasche steckt. Interpretationen seiner Kunstwerke lässt Cerny gerne offen. Der in Mähren geborene Freud soll hier allerdings als Personifikation für die Intellektuellen des 21. Jahrhunderts stehen, deren künftige Bedeutung im Schwanken ist.
3 junge Mädchen im New Yorker Little Italy vor einer Häuserfassade, die Spaß daran haben, Kaugummiblasen zu fabrizieren und wieder platzen zu lassen. Ein Bild unbeschwerter Jugend mitten im Großstadtdickicht. Die junge, ursprünglich aus Baltimore stammende Fotografin Susan Meiselas hat Carol, JoJo und Lisa in den 70ern zufällig kennengelernt und hat diese beim Erwachsenwerden visuell begleitet. Die erste Zigarette, die ersten Küsse, der erste Liebeskummer, das unbeschwerte Tanzen am Strand ohne Eltern bis zur Hochzeit und Familiengründung. „Prince Street Girls“ nennt sich diese wunderbare, lebensjahende und melancholische Foto-Serie, die derzeit im Wiener Kunsthaus im Rahmen der Meiselas-Retrospektive „Mediations“ zu sehen ist.
Die Teenager-Erinnerungsfotos der drei Mädchen, mit denen Meiselas jetzt noch in Kontakt ist, zählen neben den Studenten-Porträts der „44 Irving Street“ und den „Carnival Strippers“, bei denen die Fotografin Jahrmarkt-Stripperinen und ihr Umfeld (teils begleitet von Audio-Tönen) abgelichtet hat, zu den Frühwerken der späteren New Yorker Magnum-Fotografin. Ende der 70er reiste Meiselas zufällig nach Nicaragua und wurde dort Zeugin einer Revolution. Die sozialistischen Sandinisten putschten gegen den damaligen Präsidenten Anastasio Somoza Debayle, der danach aus dem Land flüchtete. Eines der Fotos von Meiselas ging in die Geschichte ein. Auf dem Bild ein Mann, der Che-Guevara-ähnlich einen Molotov-Cocktail gegen die Soldaten-Armee des Diktators wirft, der „Molotov Man“.
„Wenn Bilder einmal in die Welt gesetzt wurden, dann gehören sie nicht mehr nur dir allein“, so Meiselas. Das war – trotz aller rechtlichen Barrieren – vor den sozialen Medien nicht anders. Die Fotografin zeigt in ihrer dreiteiligen Installation „Mediations“ eine Reihe von Originalbildern, den Hintergrund und wie diese Fotos in den verschiedensten Medien verwertet (und teils auch missinterpretiert) wurden. Der „Molotov Man“ selbst wurde zu einem Symbol der Revolution und ist auf Wänden, Streichholzschachteln, Broschüren und T-Shirts abgebildet. Die politische Situation dagegen hat sich nicht verändert. Der einstige Rebellenführer Daniel Ortega wurde selbst zum einem autoritären Herrscher, gegen den die Menschen seit Jahrzehnten auf die Straße gehen. Ein brillantes Facebook-Posting (das als Postkarte in der Ausstellung gratis erhältlich ist), zeigt unter dem Text „40 Years later“ ein frappant ähnliches Doppel-Bild mit dem Molotov Man aus dem Jahr 1978 und einem Widerstandskämpfer des Jahres 2018.
Weitere Schwerpunkte der Ausstellung sind häusliche Gewalt und das Leben in Frauenhäusern („A Room of their Own“) bzw. das langfristige Multi-Media-Projekt „Kurdistan“, das mittels Fotografien, Videos, Websites und schriftlichen Unterlagen Genozid und Diaspora der Kurden seit 1991 dokumentiert.
„Mediations“ ist von 16. September 2021 bis 13. Februar 2022 im Kunst Haus Wien zu sehen.
Eine junge Frau mit langen Haaren und nacktem Oberkörper steht auf einer Betonplatte, gegen die das weite Meer prasselt. Man hört das Meeresrauschen und dröhnenden Ambient-Sound. Die Frau nimmt emotionslos eine Peitsche und drischt auf das Meer hin, das keine Veränderung zeigt. 30 Minuten lang. Diese faszinierende Videoinstallation nennt sich „Untitled (Wave)“ und stammt aus den Kreativsträngen der deutschen Künstlern Anne Imhof, die bereits mit ihrer „Angst“-Trilogie und mit der fünfstündigen, mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten „Faust“-Performance bei der Biennale in Venedig für Furore gesorgt hat. Hauptdarstellerin des im Sommer 2020 in der Normandie fabrizierten Clips ist neben der Meereswelle Eliza Douglas, seit 2017 Performance-Star der Imhof-Aktionen.
Die mysteriöse „Wave“-Installation hatte ihre Premiere in der Julia Stoschek Collection Berlins. Kritiker bezeichnen sie überschwenglich als „Kunstwerk der Pandemie“. Ob hier tatsächlich (vergeblich) die Corona-Wellen ausgepeischt werden, bleibt offen. Weitere Interpretationen reichen von einer Kritik am Klimawandel (der ein Ansteigen der Wassermassen bewirkt) bis hin zu einem Konnex zwischen der Endlichkeit des Lebens und der Unendlichkeit des Meeres. Man könnte das Meer auch als Metapher für die Informationsflut sehen, gegen die der Mensch ankämpft, oder auch als Todesstätte vieler Flüchtlinge, die vor lauter Sehnsucht nach einem neuen Leben die Flucht über das unendliche Meer antreten und qualvoll scheitern. Beim Kremser Donaufestival hatten die Besucher 6 Tage Zeit, sich in einem verdunkelten Chill Out-Room niederzulassen und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen.
„Krems hat, was Wien fehlt. Ein international renommiertes Festival im Zeichen der Popavantgarde“. So und nicht anders rühmte die Wiener Stadtzeitung Falter das Kremser Donaufestival, das – nach der corona-bedingten kompletten Absage 2020 – im Jahr 2021 auf die ersten beiden Oktoberwochenenden verschoben wurde.
Das erste Donaufestival in dieser progressiv-experimentellen Art und Weise fand 2005 unter der Leitung von Tomas Zierhofer-Kin statt, seit 2017 ist der Kulturjournalist und FM4-Ö1-Radiomacher Thomas Edlinger verantwortlich für das Programm.
„Es ist ein bisschen so, als würde man eine Oper im Urwald veranstalten“, zitierte einst ein Geschäftsführer des Donaufestivals. Das hat sich bis dato nicht verändert. Die Kremser Bevölkerung selbst kann sich mit dem innovativen Konzept nicht anfreunden und besucht nur rudimentär die Österreichhallen oder die Minoritenkirche während der beiden Festivalwochen. Zielgruppe sind vorwiegend Musik- und Kulturfreaks aus dem urbanen Wiener Milieu – es wird an jedem Festival-Tag ein Shuttle-Bus zwischen Krems und dem Wiener Karlsplatz angeboten – und internationales Publikum. Das Programm ist trotz der Corona-Pandemie, Reisebeschränkungen und logistischer Schwierigkeiten hochkarätig.
Das diesjährige Festival steht unter dem Motto „In the Year of the Metal Ox“. Kurator Edlinger verweist dabei auf das chinesische Sternzeichen des Jahres 2021, den Metall-Büffel, und damit auf den Ursprung der Pandemie in Wuhan. Im Gegensatz zu den sonstigen Festival-Editions existiert kein eigenes Leitmotiv, einige Acts wurden auch aus dem abgesagten „Machines like us“-Konzept des Vorjahres übernommen.
Zutritt zum Donaufestival haben voll geimpfte, genesene und PCR-getestete Besucher. Die Eintrittsvoraussetzungen wurden – inklusive Lichtbildausweis – an allen Eingängen genau kontrolliert.
„Heimat ist dort, wo mein Herz ist, und mein Herz ist da“: Das soll Superstar Falco einst über seine Wahlheimat Gars am Kamp gesagt haben. Es war ab Mitte der 80er, als viele Politiker, Musiker, Sportler und Künstler in die Waldviertler Gemeinde strömten und sich in Willi Dungls Bio-Trainings-Resort von ihren körperlichen und seelischen Strapazen erholten. Darunter auch Hans Hölzel, der mit „Rock me Amadeus“ u.a. Platz 1 in England und Amerika belegte und einen Rückzugsort vor dem Starrummel und der Boulevardpresse suchte. Die sozialen Medien waren damals nicht einmal eine Zukunftsfiktion.
Um sich die lästigen Hotelkosten zu ersparen, kaufte Falco die schicke Villa in der Hornerstraße 214 und war dort ab Sommer 1993 temporär zu Gast, was teilweise nicht einmal die Einheimischen registrierten. Nach seinem tödlichen Autounfall in der Dominikanischen Republik am 6. Februar 1998 blieb die Villa, abgesehen von notwendigen Reparaturen und Sanierungen, nahezu unverändert. Derzeit steht sie – nach dem Tode der Mutter – im Eigentum der Falco Privatstiftung.
Aus Anlass einer Falco-Ausstellung im deutschen Theatermuseum Hannover fertigte der Fotograf Niko Havranek Fotos von der Villa an. Dies brachte den Leiter des Zeitbrücke-Museums Gars, Mag. Anton Ehrenberger, auf die Idee, auch in Gars eine Falco-Sonderausstellung zu konzipieren. Gesagt, getan. Von 2. Juli bis 26. September 2021 haben Falco-Fans die Möglichkeit, einen Ausflug ins wunderschöne Gars zu planen und dort neue private Facetten der „Kunstfigur Falco“ kennenzulernen.
„Ich hab mit den Leuten viel Amusement. Ich glaub, sie mit mir auch. Ich bin vielleicht a bissl a Blutauffrischung da“, das schwadronierte Falco einst in einem ORF-Interview über die Garser „Zeitzeugen“. Diese kommen in der Ausstellung auch selbst zu Wort, und zwar durch Video-Interviews, in der sie über persönliche Erlebnisse mit dem Falken berichteten. „Mama, des is de Anni, des ist de anzige Frau, de mi schimpfen deaf“, so Hans Hölzel über die ehemalige Kellnerin im Dunglzentrum, Anni Gräff, die Falco nicht nur Tee servierte und zu einer Vertrauensperson des Künstlers wurde. Zu dieser wurde auch Helmut Ranftl, der für Falco die Alarmanlage in seiner Villa installierte und stets auf Wunsch des Sängers sein Kind mit dessen Luxusschlitten von der Schule abholte. Falco lud ihn zu seinem 40er in die Dominikanische Republik ein, diesen Termin musste er leider absagen, die nächste Geburtstagsfeier fand nicht mehr statt.
„Falcos letzte Show“, das titelte die Krone nach seinem Begräbnis auf dem Wiener Zentralfriedhof, bei dem Ranftl zu den geladenen Trauergästen zählte und neben Prominenten wie Udo Jürgens oder Niki Lauda stand. Die Show war und ist noch immer nicht zu Ende. Die Plattenverkäufe schnellten wieder in die Höhe, was auch die zahlreichen Exponate in der Falco-Ausstellung zeigen: Goldene CD´s von „Out of the Dark“ oder „Egoist“, zahlreiche Falco-Tribute-Events und Musicals, Coverversionen, Remixes und die Falco-Privatstiftung mit ihren Talentewettbewerben für die Young Generation.
In Gars selbst wurde am 8. Oktober 2011 ein Falco-Denkmal im Kurpark enthüllt, unter Beisein zahlreicher Freunde und Fans inklusive der aus dem „Rock me Amadeus“-Video bekannten „Outsider Austria“-Motorrad-Rocker. Ob in der Garser Falco-Villa jemals ein reguläres Museum eröffnet wird, ist nicht nur aufgrund baulicher Gegebenheiten eher fraglich.
Die Stadt Wien, in der Falco einst im fünften Bezirk (Margareten) aufgewachsen ist und in der er seine größten Hits geschrieben hat (von „Ganz Wien“ bis „Vienna Calling“ und „Nachtflug“), sollte allerdings endlich in Kontakt mit der Falco Privatstiftung treten und ein hippes-avantgardistisches Falco-Museum initiieren, das auch einen Konnex zur gegenwärtigen Popkultur zieht. Kongeniales Vorbild: Das Abba-Museum in Stockholm…
Es gibt Künstler, deren Werke man aufgrund ihrer Eigenheit und Struktur auf den ersten Blick erkennt. Friedrich Stowasser aka Friedensreich Hundertwasser gehört dazu. Der österreichische Maler, Architekt und Umweltschützer ist im Laufe seines Lebens viel herumgekommen, von Italien, Paris, Kalifornien, Japan bis hin nach Australien und Neuseeland. Eines seiner letzten Werke steht im Salzburger Tourismus-Hot Spot Zell am See, der sogenannte „Österreich-Brunnen“.
In Auftrag gegeben wurde der Brunnen von Wilfried Holleis, dessen Familie 1996 das an der Uferpromenade stehende Grand Hotel, seit 1896 ein architektonisches Wahrzeichen der Stadt, erworben hat. Platziert wurde der Brunnen im Garten des Hotels mit Blick auf den wunderschönen Zeller See und die Gebirgswelt. Hundertwasser entwickelte eine ökologische Landschaftsinstallation, in der Wasser aus dem See in den Brunnenteich fließt bis zum höchsten Teil des Brunnens und danach in Kaskaden wieder in den Teich zurückfließt. Im Brunnen sorgen Gräser für die Selbstreinigung des Brunnens. Ein Art geschlossener Kreislauf.
Später entschied Hundertwasser, den Brunnen den neun österreichischen Bundesländern zu widmen. Jede Säule repräsentiert dabei ein Bundesland. Die Höhe jeder Säule entspricht der Bevölkerungszahl des jeweiligen Bundeslandes. Die Farben der Säulen entsprechen proportional dem Anteil der Farben in jedem Bundesländer-Wappen.
Konstruiert wurde der Brunnen vom Wiener Künstler Hans Muhr. Die Fertigstellung im Jahre 2003 erlebte Hundertwasser selbst nicht mehr. Er starb im Februar 2000 auf der Rückreise von Neuseeland nach Europa an der Bord der Queen Elizabeth 2 im Alter von 71 an Herzversagen. Das Wasser im Brunnen allerdings fließt weiter…
Es gibt geflügelte Zitate, die sich bei den Menschen im Gedächtnis eingebrannt haben. „Zack Zack Zack“ (We´re going to Ibiza), aber auch „Zack, Bum, In die Gosch´n“. Rene Dattel war jene Person, die diese Worte geprägt hat. „Der Ringer“ die Programm-Nummer einer Kabarettgruppe, die seit 40 Jahren die Comedy- und Satirefans begeistert: Die Hektiker.
Es begann alles im Jahre 1981, im Bundesgymnasium Keimgasse in Mödling, als vier Schüler mit 16 ihren ersten Auftritt hatten: Florian Scheuba, Wolfgang Fifi Pissecker, Werner Sobotka und Mini Bydlinski. Ihr nur wenig prickelnder Name: „Theaterkabarett Mödling“. Nach ihrem ersten Programm, „Hektische Zeiten“ (1982), nannten sie sich dann ganz simpel „Die Hektiker“, ihr Name wurde zur Trademark, und das auch noch 40 Jahre später.
Tatsächlicher „Geburtstag“ ist der 21. Oktober, die dazugehörige Tour, die großteils Open Air-Bühnen umfasst, findet allerdings bereits im Sommer statt. Dass beim ersten Auftritt auf der Wiener Praterbühne ein derartiger Starkregen einsetzte, dass die Hektiker das mit Ponchos umhüllte Publikum auf die Bühne baten, hätte auch bestens in die Pop-Star-Ära der Kabarettisten Anfang der 90er gepasst. Als das von Alexander Goebel regiegeführte Programm „Nackt“ mehr als 100.000 Besucher (Goldenes Ticket) in die Theater lockte, ihre LP „Endlich“ im Juni 1991 Platz 1 der Alben-Charts belegte und die vier Gagzauberer in zahlreichen Shows (inklusive der Gottschalk-Late Night) zu den Dauergästen zählten.
Mini Bydlinski, bekannt geworden durch seine Polster-Parodien („Ich bin ein Fußballer“), wurde 1994 durch den Musicaldarsteller Viktor Gernot ersetzt, der mehr musikalisches Esprit in die Formation brachte. Seit 1. Juli 2021 betreibt Gernot gemeinsam mit Paul Kolarik und dem Casanova Vienna die Praterbühne im Herzen des Vergnügungsparks. Eine ideale Gelegenheit, die Show „40 Jahre Hektik, Gibt´s Fragen“, in das Sommerprogramm zu platzieren. Beim zweitenmal ohne Regen.
Im Rahmen einer fast 3stündigen Jam Session (mit einer Pause) erzählten die vier Hektiker Anekdoten aus ihrer langen Karriere, erinnerten mit Videoeinspielungen an die wilden und kitschigen Bad-Taste-80er und 90er und spielten bekannte Sketches aus der Vergangenheit. Absoluter Kult: Fifi Pissecker als „Der Ringer“ im roten Originalkostüm mit Stretch, „Weil ich ein Orschloch bin“ (mit einem „I am from Austria“-Cover Viktor Gernots) oder das Take That-Cover „Ich scheiß dir ins Hirn“, mit den vier Ü50ern lässig am Stehsessel.
Alle vier Mitglied der Kabarettgruppe haben in den letzten 15 Jahren erfolgreiche Solokarrieren gestartet. Florian Scheuba, der Texter der Formation, als Staatskünstler (mit Maurer und Palfrader), zwei Soloprogrammen („Bilanz mit Frisur“, „Folgen Sie mir auffällig“) oder gemeinsam mit Florian Klenk als analytischer Polit-Satiriker, Werner Sobotka als Regisseur u.a. am Rabenhof oder bei den Seefestspielen in Mörbich, Viktor Gernot mit zahlreichen Kabarettshows und Pissecker mit Solorevues und TV-Auftritten (u.a. in den „Vorstadtweibern“). Der gemeinsame Spirit hat darunter nicht gelitten. Könnte auch an einem Prinzip der Jungs liegen: „Streit ist Energieverschwendung“. Einer weiteren Jubiläumsshow in 10 (?) Jahren steht also nichts im Wege…
„Der erste erwirtschaftet´s, der zweite da´holts, beim dritten, da fallts“ – Eine der lyrischen Meisterleistungen des aus Krems stammenden Musikers Alex Miksch, die ein Fragment seiner Familiengeschichte auf den Punkt bringt. Im Mittelpunkt ein Zinshaus in der Kremser Göglstraße 2, das sein Großvater erworben, sein Vater verwaltet hat (und damit auch seine Träume aufgegeben hat) und Miksch als Dritter verkaufen musste, weil durch die denkmalschutzrechtlichen Auflagen die Schulden immer größer wurden.
Der in Wien-Meidling lebende Musiker, der bereits 6 CD´s in den letzten 15 Jahren veröffentlicht hat, hat per Crowd-Funding mit einer neuen Band die „Kremser Songs“ in einem Tonstudio im Burgenland aufgenommen und sie das erste Mal beim Kremser Festival „Glatt und Verkehrt“ im Juli 2020 präsentiert. „Mit ana Toschn voi Krems“ der kongeniale Titel der Show, ein Teil der brillanten Texte über persönliche Schicksale, Sehnsüchte und die komplizierten Einfachheiten des Lebens wurden zusätzlich vor der Live-Show von der Schauspielerin Esther Hollosi rezitiert.
Im Rahmen des Wiener Kultursommers präsentierte der Musiker seine Kremser Anekdoten bei einem Special-Open Air in Oberlaa. Gemeinsam mit seiner ausgezeichneten Band: Anna Anderluh (Gesang, Autoharp), Jelena Poprzan (Gesang, Bratsche, Maulgeige), Philipp Moosbrugger (Bass) und Andreas Hellweger (Schlagzeug).
Im Repertoire die bereits erwähnte „Geschichte vom easchtn“, das bereits aus dem letzten Miksch-Album bekannte „Haus“ (das „erste Kremser Lied“) und zwei Duette („Nosse Schuach“, „Nur a Opfe“) mit der aus Klagenfurt stammenden Klassik- und Jazz-Sängerin Anna Anderluh, die gerade selbst ein Album veröffentlicht hat („Leave me something stupid“) und einen idealen Gegenpart zum autodidaktischen Blues-Rock´n Roller Miksch bietet. Die Geigerin Jelena Poprzan, beim diesjährigen Glatt & Verkehrt mit einem eigenen Quartett vertreten, liefert den balkanesken Folk-Sound, der nach mehr Lebenslust und Euphorie schreit.
Bei „Spanplattn zan“ erzählt Miksch von den 90ern, als er Spanplatten in die neu erbaute Kunsthalle Krems schleppte, die traurig-melancholische Ballade „Hinter robenschwoaze hoar“ widmete er dem verstorbenen Musikförderers und Eventveranstalters Hans Kulisch, der einst die Zusammenarbeit von Miksch und Anderluh eingefädelt hat.
„Der Letzte, der geht, der Letzte an der Bar“ swingt Miksch lässig vor der langsam sinkenden Sonne im Süden Wiens. Ehrlich und authentisch. Nach dem Finale „Die Welt is nur a Opfe“ ein langer Schlussapplaus für Miksch und seine großartige Band. Mehr als verdient.
„Meine Welt ist weiblich. Frauen sind komplexer, widersprüchlicher und sind für die Kunst die interessanteren Figuren.“ Die österreichische Künstlerin Xenia Hausner, die kürzlich ihren 70. Geburtstag feierte und deren Werke im Rahmen einer Retrospektive in der Wiener Albertina zu sehen sind.
Großformatige, grellfarbige Frauenporträts stehen insofern auch im Mittelpunkt ihrer Werkschau, allerdings nicht auf die Art und Weise, wie man es erwartet. Bereits der Titel ihrer Ausstellung, „True Lies“, weist daraufhin. „Wir leben alle mit unseren jeweiligen Annahmen der Wirklichkeit. Über die Fiktion der Kunst lernen wir die Welt besser verstehen. Ich male erfundene Geschichten, die der Betrachter mit seinem eigenen Leben zur Deckung bringen kann“, so die Künstlerin.
Die Themen: Flucht (im brillanten, mehrteiligen Zyklus „Exiles“), Verteilungskampf (dargestellt durch drei bös schauende Mädchen mit Baseballschläger und Hammer in einem Zugabteil), die Spannungen zwischen West und Ost (im Bild „Look Left – Look Right“, bei dem der Diktator Kim Jong-Un drei westlich gekleideten Frauen gegenübergestellt wird) oder der „Clash of Cultures“.
Viele Bilder Hausners zeigen fragmentierte Ausschnitte mysteriöser und geheimnisvoller Sachverhalte, die vom Betrachter selbst gedeutet und interpretiert werden sollen. Ein Kunstwerk mit zwei sexy, spärlich gekleideten Frauen trägt den Titel „Twin Peaks“, man hätte die gesamte Ausstellung so nennen können.
Spannend sind auch die Entstehungsgeschichten der Bilder. Für das Gemälde „Das blinde Geschehen“ kaufte Hausner ein Autowrack, platzierte darin die beteiligten Personen und verwendete die Fotografien als Vorlage für ihre malerischen Variationen. Ein ÖBB-Zugabteil vom Schrottplatz diente als visuelle Inspiration für die „Exiles“. Für das gesellschaftskritische Meisterwerk „Cage People“ ließ die Künstlerin, die vor ihrer Tätigkeit als Malerin jahrelang erfolgreich als internationale Bühnenausstatterin tätig war, in ihrem Studio den beengten Wohnraum einer Asiatin und einer Europäerin nachbauen, Hausner selbst ließ sich bei der Konzeption der Vorlagefotos von einem Gerüst aus abseilen.
Xenia Hausner, „True Lies“, 30. April bis 8. August 2021 in der Wiener Albertina.
„We are all mad here. You must be mad, (too), or you wouldn´t have come here“ – So umschmeichelt die Grinsekatze die kleine Alice, die sich ins verzaubernde Wunderland verirrt hat. In ein buntes, schrilles, aber auch bedrohliches und düsteres Wunderland der Künste lädt derzeit die Albertina Modern mit ihrer extravaganten Ausstellung „Wonderland“. Als titelprägend fungiert dabei nicht nur der Roman des britischen Schriftstellers Lewis Carroll, sondern auch das farbenprächtige Bild der zu den Young British Artists zählenden Künstlerin Fiona Rae, das unmittelbar beim Eingang zu bewundern ist.
„Die Utopie eines gelungenen Lebens voller Glück trifft auf dystopische kahle Landschaften, in denen Isolation und Einsamkeit, Melancholie, Grausamkeit und Tod herrschen“, so Direktor Klaus Albrecht Schröder über die aus rund 110 Werken bestehenden dritte Ausstellung der im Mai 2020 eröffneten Albertina Modern.
De facto handelt es sich bei „Wonderland“ um „eine Ausstellung von mehreren Ausstellungen, die sich aufeinander beziehen, aber dennoch unabhängig voneinander existieren können. Die aus der Sammlung der Albertina stammenden Kunstwerke wurden dabei in sieben Kapitel gegliedert.
Links neben dem Eingang fasziniert die „Boy-Band“ Gelitin unter dem Motto „Anarchy of Art“ mit ihren Plastillin-Collagen „Guernica“ und „Mona Lisa“. Der Pop Art-Floor zeigt nicht nur bekannte Werke von Andy Warhol, Roy Lichtenstein oder Tom Wesselmann, sondern auch extravagante Kreationen jüngerer Künstler. Alex Katz lässt mit seinen „Cutouts“ im Badekostüm Sommernostalgie aufkommen, Aufbruchsstimmung vermittelt das riesige Streichholz-Gemälde Harold Ancarts mit dem typischen Hard Edge Painting-Style. Dass der Mensch von der Geburt bis zum Tod fremdgesteuert von seiner Sexualität und seinen Genen ist, zeigt der Londoner Künstler Marc Quinn mit seinen kopulierenden Skeletten direkt in der Mitte des Raumes.
Ein großer Teil der Ausstellung widmet sich den deutschen Individualisten rund um Jörg Immendorff, Markus Lüpertz, Penck und Anselm Kiefer, die den Besucher auch mit düsteren Themen wie dem Nationalsozialismus oder dem Kalten Krieg konfrontieren. Die Werke von Gottfried Baselitz, der gerne seine Motive (wie einen afrikanischen Nomaden) auf den Kopf stellt, um den Blickwinkel auf andere Faktoren zu richten, wurden neben Werken der österreichischen Malerin Maria Lassnig platziert. In der Abteilung „Abstrakte Expression“ brilliert vor allem das sexuell aufgeladene Kunstwerk „Cherries and Pearls“ der britischen Malerin Cecily Brown, die mit ihrer zwischen Figuration und Abstraktion befindlichen Technik den Betrachter auf eine visuelle Entdeckungsreise schickt.
„The Face and the Mask“ zeigt großformatige Black & White-Fotografien von Gottfried Helnwein. Die Motive: Schillernde Stars der Pop- und Kunstszene von Andy Warhol, Keith Haring, Mick Jagger, Keith Richards bis Michael Jackson. Melancholie, Isolation und Einsamkeit, versteckt hinter ästhetisch glänzenden Gesichtern wie aus Lifestyle-Magazinen, vermitteln die Bilder des Künstlerduos Markus Muntean und Adi Rosenblum. Die während des Millenniums-Wechsels entstandenen Gemälde, ergänzt mit passenden Aphorismen, sind der Corona-Realität so nahe, dass einem ein wehmütiger Schauer über den Rücken läuft. „There are Times when Life seems not so great but better than anything else and when you´re happy to be alive, though not exactly ecstatic“. Jugendkultur Sommer 2021…
Albertina Modern – „Wonderland“ – 7. Mai bis 19. September 2021
„Maneskin, das sind diese vier magischen Typen, die Italien wieder zum Lächeln gebracht haben“, so jubelten die italienischen Gazetten nach dem bombastischen Songcontest-Sieg der römischen Band.
Es war ein Herzschlagfinale kurz nach Mitternacht in der Rotterdamer Ahoy Arena. Nach dem Jury-Voting lagen die Schweizer (mit dem Pop-Falsett-Akrobaten Gjon´s Tears) und die Franzosen (mit der bezaubernden Edith Piaf-Epigonin Barbara „Voila“ Pravi) noch klar voran. Die nach Live-Feeling und Rock-Exzessen dürstenden Zuschauer beförderten allerdings dann die Indie-Hymne „Zitti e Buoni“ noch auf Platz 1 der Wertung.
„We just wanted to say to the hole of Europe, to the whole world, Rock´n Roll never dies“, das brüllte Sänger Damiano David – mit nacktem Oberkörper, schrillen Hals-Tattoos und engen Lederhosen – in die Menge. Für das wilde Image und die Popularität der Band konnte nichts besseres passieren, als dass (falsche) Vorwürfe des Kokain-Konsums im Green Room die sozialen Medien überfluteten.
History of Maneskin
Das Quartett, bestehend aus Sänger Damiano David, Bassistin Victoria de Angelis, Gitarrist Thomas Raggi und Drummer Ethan Torchio, wurde 2016 gegründet. Der Bandname „Maneskin“ (dt. Mondschein) wurde von der halb aus Dänemark stammenden Bassistin de Angelis kreiert. Die ersten Gagen verdienten sich die ehemaligen Schulkollegen als Straßenmusiker u.a. in der berühmten Via del Corso. 2017 belegten sie beim X-Factor-Wettbewerb den 2. Platz, in den Charts waren sie die echten Gewinner. Nach einer EP („Chosen“) folgten zwei Nr. 1-Alben („Il Ballo della Vita“ und „Teatro d´Ira“), eine Nr. 1-Single („Torna a Casa“) und drei Nr.2-Singles. 2021 gewannen sie – als erster Rock-Act der Geschichte – das San Remo-Festival und dadurch die Eintrittskarte, vor rund 200 Millionen ESC-Zuschauern ihre heiße Show zu präsentieren.
Best Lyric Award
Ausgezeichnet mit einem Preis wurden Maneskin bereits einen Tag vor dem Finale, und zwar mit dem seit 2016 verliehenen „Eurostory Best Lyric Award 2021“ für den besten Songtext. „Zitti e buoni“ heißt zwar übersetzt „still und brav“, tatsächlich geht es in der Rock-Hymne um das Gegenteil. „Siamo fuori di testa, ma diversi da loro“ – „Wir sind verrückt, aber anders als sie“, ist ein Aufruf an die rebellische Jugend, sich nicht den Konventionen und Erwartungen zu unterwerfen und selbstbewusst eigene Werte zu vertreten. „Ein roher Schrei von den Außenseitern dieser falschen Gesellschaft“, so die vorwiegend aus Dichtern, Journalisten und Autoren zusammengesetzte Jury.
Italien beim ESC
Italien holte mit Rock-Power zum dritten Mal den Sieg bei einem Songcontest. 1964 siegte Gigliola Cinquetti mit dem melancholischen „Non ho l’età“, 1992 Toto Cotugno in weißem Anzug mit dem Schmachtfetzen „Insieme 1992“. Der musikalische Kontrast könnte nicht größer sein. Nach einer Songcontest-Pause zwischen 1998 und 2010 begeisterten die Italiener aber bereits in den letzten Jahren mit lässig produzierten Dance-Tracks (wie Francesco Gabbanis „Occidentali´s Karma) oder authentischen Hip Hop-Klängen (wie dem zweitplatzierten „Soldi“ Mahmoods im Jahr 2019). Für die Musik-Nation Italien bietet sich jetzt auch die Chance, sich abseits von melodiösem Pop und operesken Balladen zu etablieren.
Feldtest
Für die gesamte Event-Branche ist der Songcontest ein Beweis dafür, dass Live-Events trotz der Corona-Pandemie wieder sicher stattfinden können. Jeweils 3500 Zuschauer (ca. 20 % der Kapazität der Rotterdamer Arena) bejubelten bei den drei öffentlichen Shows und sechs öffentlichen Proben die ESC-Kandidaten, getestet, mit Masken (außer am eigenen Platz) und ohne Sicherheitsabstand. Seit dem Beginn der Vorbereitungen am 6. April wurden – bei mehr als 25.000 Tests – bis zum 20. Mai gerade einmal 16 Personen positiv getestet, eine Infektion direkt am Veranstaltungsort fand nicht statt.
Italiens Presse hat den Maneskin-Sieg verglichen mit dem Freude über die Leistungen Fabio Grossos. Das ist jener italienische Außenverteidiger, der bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sowohl im Halbfinale gegen Deutschland als auch beim Elfmeterschießen gegen Frankreich das entscheidende Tor geschossen hat. Dieses Mal geht es um mehr, um eine globale Rückkehr zu Euphorie, Enthusiasmus und Lebenslust. Mögen dazu (noch) einige Voraussetzungen fehlen, der Soundtrack wurde bereits geschrieben…
„Strike a Pose – Vogue“ überschallte Anfang der 90er die Dance- und Fashionfloors der Welt. Die in Wels geborene Elfie Semotan war ein Teil davon. Nach Absolvierung der Modeschule Hetzendorf übersiedelte die 20jährige nach Paris, arbeitete einige Jahre als Mannequin und wurde - mit Unterstützung ihres damaligen Partners John Cook – selbst Fotografin.
In Österreich wurde sie bekannt durch die Werbekampagnen für Palmers und Römerquelle, ab Mitte der 80er arbeitete sie auch für internationale Modemagazine wie Vogue, Harper´s Bazaar oder Elle, für die sie Supermodels wie Naomi Campbell, Claudia Schiffer oder Cordula Reyer ablichtete. Reyer, die Falco-Fans aus dem Clip „Brillantin Brutal“ kennen, ist natürlich auch in ihrer neuen Ausstellung im Kunst Haus Wien zu sehen, und zwar im Rahmen ihrer Foto-Serie „Puszta“, die 1990 kurz nach dem Mauerfall und dem Niedergang des Kommunismus entstanden ist.
„Haltung und Pose“ ist die erste große Wiener Ausstellung Elfie Semotans, zu Ehren ihres 80. Geburtstages im Juli. Zuletzt waren ihre Werke in der Kunsthalle Krems (2013) und im C/O Berlin (Contradiction, 2019) zu bewundern.
„Es kann nur etwas entstehen, wenn man die Person von sich selbst, von ihrem Bedürfnis nach Selbstdarstellung ablenkt“, das ist die berufliche Philosophie von Semotan, von der beispielsweise auch Helmut Lang angetan war, mit dem Semotan jahrelang in New York zusammengearbeitet hat.
Inspiration holt Semotan sich gerne aus der Kunstgeschichte, der Malerei und aus der historischen Fotografie. Die „Madonna mit Hunden“ gleich beim Eingang der Ausstellung hat ihren Ursprung in der Renaissance, die weltberühmte Fotoserie „Präraffealiten“ basiert auf einer britischen Künstlervereinigung des 19. Jahrhunderts, die vor allem die italienische, extrem realitätsbezogene Malerei des Mittelalters verherrlicht hat. Ikonische Fotografien von Diana Arbus, Robert Frank oder Irving Penn standen Pate für die in Wien fotografierte Serie „Americana“ (2018). Dass die grelle Blondine mit dem Rossschwanz an Roy Lichtensteins Pop-Art-Culture angelehnt ist, ist auch schwer von der Hand zu weisen.
Modeshootings macht Semotan heute kaum mehr. „Werbung soll verkaufen und nicht der Kunst Konkurrenz machen. Das verhindert Experimente“, so die Fotografin in einem Interview der „Zeit“. Vor vielen Jahren hat eine Modelagentur sogar die Veröffentlichung eines Fotos des russischen Models Natalia Wodianova verhindert. Die extravagante Ablichtung des schreienden Models passe nicht dessen Vermarktungsimage, eine Aufnahme dieser Serie „Bad Seed“ ist im Kunst Haus zu sehen.
Zum Repertoire Semotans zählten zuletzt vor allem Landschaftsbilder, Stillleben und Porträtfotos. Letzere umfassen das Who is Who der nationalen und internationalen Promi-Szene. Von Hollywood-Stars wie William Dafoe oder Benicio del Toro, Hip Hop Stars wie Missy Elliott bis Autorin Elfriede Jelinek oder der ehemaligen Frauenministerin Dohnal. Ein Corner ist auch dem Maler und Performance-Künstler Martin Kippenberger gewidmet, der kurze Zeit - bis zu seinem frühen Tod 1997- mit Elfie Semotan verheiratet war.
Wie die Fotografin ihre Shootings plant, organisiert und durchführt, kann man auch auf einer Videoleinwand im 4. Stock des Museums beobachten. Dort läuft die erst 2019 publizierte Doku „Elfie Semotan, Photographer“ des Regisseurs Joerg Burger. Noch bis Ende August im Hundertwasserhaus…
„Rückkehr in die Heimat“ nennt sich der dritte Band der Trilogie des Journalisten und Autors Herbert Lackner, die sich mit den Schicksalen prominenter Schriftsteller, Schauspieler, Musiker und Intellektueller vor, während und nach der Nazi-Diktatur auseinandersetzt. Während Band 1 die „Flucht der Dichter und Denker“ (so auch der Titel) beleuchtet und Band 2 („Als die Nacht sich senkte“) sich mit der Zeit des langsam, aber stetig wachsendem Faschismus in der Zwischenkriegszeit beschäftigt, wirft Lackner in seinem neuen Buch den Blickwinkel auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Vorgestellt wurde sein neues Buch u.a. (online) im Wiener Thalia und im Kreisky-Forum bei einer spannenden historischen Diskussion mit dem ehemaligen Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky.
Eines vorweg. Die Heimkehrer, die nicht nur ihr gesamtes Vermögen, sondern zumeist auch ihre gesamten Angehörigen verloren hatten, waren keineswegs so willkommen wie erwartet. Nur rund 1/5 der geflüchteten Bürger kamen zurück nach Österreich. „Von den Daheimgebliebenen wurden sie dennoch nicht als Opfer gesehen. War es den Emigranten nicht in ihrem Exil besser gegangen als ihnen zu Hause“, das war das Credo, so Lackner. Vranitzky weist daraufhin, dass die nach England emigrierten Menschen einen besseren Ruf hatten, weil sie im Gegensatz zu den Schweden-Flüchtlingen (wie der spätere Bundeskanzler Kreisky) durch die deutschen Bombardements selbst den brutalen Krieg miterlebt hatten.
Viele Künstler flüchteten von Lissabon aus direkt oder auf Umwegen in die USA. Obwohl in Europa umjubelt, wurden die deutschen Schriftsteller in Hollywood nicht mit offenen Armen aufgenommen. Autoren wie Thomas Mann, die Verträge mit internationalen Verlagen hätten, lebten in Los Angeles von diesen Einnahmen, sein Bruder Heinrich Mann dagegen konnte sich aufgrund seiner gesperrten deutschen Konten finanziell kaum über Wasser halten.
In der Alpenrepublik selbst wurde traditionell „weggeschaut“. Heimkehrer wie der auch in den USA gefeierte jüdische Kabarettist Karl Farkas verdienten sich mit lustigen Programmen ihr Geld, ihre Vergangenheit blieb bei ihren Auftritten ein Tabu. Ehemalige NSDAP-Sympathisanten wurden, wenn überhaupt, mit zeitlich begrenzten Auftrittsverboten „bestraft“ oder wurden später sogar mit Staatspreisen für Literatur belohnt. Stücke von Bertolt Brecht dagegen durften aufgrund seiner Nähe zum Kommunismus bis 1962 – außer im 1955 geschlossenen Scala in der Favoritenstraße – nicht aufgeführt werden.
Der spätere Bundeskanzler Bruno Kreisky wurde als Vize-Kabinettschef von Bundespräsident Körner mit antisemitischen Tönen des sozialistischen Innenministers Oskar Helmer konfrontiert. Im Jahre 1952 wussten die Spitzenpolitiker nicht einmal, wie viele österreichische Juden eigentlich von den Nazis umgebracht wurden. Die von der Israelitischen Kultusgemeinde übermittelte Zahl – 65.000 (von insgesamt 206.000 1938 im Land lebenden Juden) – erstaunte die Bundesregierung, dann wurde wieder zur Tagesordnung übergegangen.
Erst in den 80ern kam das Thema Vergangenheitsbewältigung durch die Waldheim-Affäre und die Wahlerfolge Jörg Haiders wieder ins öffentliche Interesse. Am 8. Juli 1991 bekannte der damalige Bundeskanzler Vranitzky in einer legendären Nationalratsrede offiziell die Mitschuld der Österreicher am Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen.
Vranitzky ist es auch, der die Trilogie Lackners wärmstens empfiehlt: „Politik ist Erklären. Dieses Buch erklärt und stellt Dinge richtig, die vorher falsch gesehen wurden!“ Und soll laut Autor Lackner auch die Wachsamkeit in der gegenwärtigen politischen Lage mobilisieren….
„Mein Name ist Volker Bruch. Ich bin Schauspieler. Und ich habe Angst. Aber ich merke, wie die Angst nachlässt. Und das macht mir Angst“. Eindringlich blickt der „Babylon Berlin“-Hauptdarsteller dabei in die Kamera und notiert mit einer Kreide das Wort „Angst“ zigfach auf eine Schultafel. Dann folgt der Appell an die Exekutive: „Liebe Regierung, macht uns mehr Angst!“ Und an die Bürger die Bitte: „Bleiben Sie gesund. Und halten Sie sich an Ihrer Angst fest!“
Das erste Video von insgesamt 52 unter dem Hashtag #allesdichtmachen, mit denen sich 52 Schauspieler aus dem deutschsprachigen Raum an die Öffentlichkeit gewandt haben, um die teils unverhältnismäßigen und absurden Corona-Maßnahmen in Zweifel zu ziehen. Ziel des Projekts sei es laut Regisseur und Mitinitiator Dietrich Brüggemann („Tatort“), den Diskursraum wiederaufzumachen und zu verbreitern. Das Echo der Medien, diverser Künstlerkollegen und linksliberaler Moralisten war unüberhörbar.
Angst
In Österreich kennen wir noch die Aussagen des Bundeskanzlers Kurz. „Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“ oder „Hätten wir diese Schritte nicht gesetzt, dann gäbe es eine massive Ausbreitung in Österreich mit bis hin zu über 100.000 Toten“. Der renommierte Demokratieforscher Wolfgang Merkel bezeichnet diese Art von Regierung als „Governance by Fear“. Politiker wie Kurz oder Söder nutzen die Worst Cases-Expertisen diverser Wissenschaftler als Rechtfertigung ihrer Politik. Und zwar nicht deswegen, weil diese Verbote unbedingt notwendig sind, sondern um in der Gunst der Wähler zu steigen. Und ein Schauspieler darf diese Angst-Tiraden der von den Bürgern demokratisch nicht legitimierten Exekutivorganen nicht satirisch abhandeln?
Kulturverbote
„Niemand braucht Kunst. Überhaupt nie wieder Aufsperren. Das Analoge ist vorbei. Lasset uns gemeinsam nur noch zu Hause bleiben“ spöttelt Manuel Rubey resigniert in seinem Clip. Gleichzeitig liegen Verfassungsklagen 10 verschiedener Künstler und Intellektueller vor dem Verfassungsgerichtshof, die das monatelange Kultur- und Kunstverbot und damit auch das Verbot ihrer Berufsausübung als unverhältnismäßig erachten. Das spannende – auch für die Zukunft emiment wichtige – Erkenntnis wird in wenigen Wochen erwartet.
Eine dieser höchstgerichtlicher Klägerinnen ist „Vorstadtweib“ Nina Proll, die bereits mit ihrem Song „I zag di an“ die Corona-Maßnahmen und das Denunziantentum der Österreicher in Verbindung mit den Ausgangsbeschränkungen kritisiert hat. „Ich wünsche mir auch weiterhin, dass Virologen unser Leben bestimmen, denn nur sie können bestimmen, was für uns wirklich gesund ist“, so ein Textzitat. Und tatsächlich standen bei den Entscheidungen der Politiker die 7-Tages-Inzidenzen, die Reproduktionszahl und diverse Simulationsmodelle stets im Mittelpunkt. Auf Kollateralschäden für Wirtschaft, Bildung, Familien und Kinder wurde kaum Rücksicht genommen.
Pleitenwelle
„Dieser Laden hinter mir hat zwei Weltkriege überlebt.Ich freue mich, dass er jetzt weg ist, denn wir haben eh nichts mehr zu feiern“ fabuliert die kecke Schauspielerin Kea Könneker. Im Hintergrund blickt man auf das im März 2021 für immer geschlossene Kostüm- und Party-Artikel-Geschäft Deko Behrendt in Berlin-Schöneberg. Ein immenser Verlust auch für die queere Community der Szenemetropole und nur die klitzekleine Spitze des Eisberges. Laut einer Simulation der Nationalbank droht in Österreich bis Ende 2022 eine enorme Insolvenzwelle. 9,7 Prozent der heimischen Unternehmen, das sind über 50.000 Betriebe, stehen vor der Pleite. Ist die Wahrheit den Menschen nicht zumutbar, auch wenn diese satirisch umschifft wird?
Regierungstreue Medien
Kritik an der Homogenisierung der Medien kommt von einem Schauspieler, der bereits kurz vor dem Mauerfall am Berliner Alexanderplatz gegen das SED-Regime demonstrierte: Jan Josef Liefers. „Danke an die Medien, die dafür sorgen, dass kein unnötiger kritischer Disput uns ablenken kann von der Zustimmung zu den sinnvollen, immer angemessenen Maßnahmen unserer Regierung!“ Er hätte wohl weniger höflich formuliert, wenn er in Österreich leben würde.
„Reporter ohne Grenzen“-Präsidentin Rubina Möhring kritisierte zuletzt in einem Online-Pressegespräch mit Blick auf die Pressekonferenzen der Kurz-Regierung, dass „die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt während der harten Zeit der Corona-Krise benutzt wurde wie ein Staatsfernsehen“. Alleine das Bundeskanzleramt schaltete 2020 Inserate von 21 Millionen Euro, alle Ministerien gemeinsam 47 Millionen Euro. Dazu wurden die (Boulevard)-Zeitungen und Privatsender von der Regierung mit einer Corona-Medienförderung von rund 32 Millionen Euro ausgestattet, die ihresgleichen sucht. Wer beißt schon die Hand, die einen füttert?
Psychische Belastungen der Kinder
Die Wiener Schauspielerin Christine Sommer erzählt in ihrem Kurz-Clip von einem 13jährigen Mädchen, das sich in ihrem Zimmer versteckt, komplett schwarz kleidet und sich das Essen vor die Türe stellen lässt. Seit drei Tagen wurde dieses nicht mehr angerührt. Essstörungen, Depressionen, Rückzug aus dem sozialen Leben, Angst, Verzweiflung und Perspektivlosigkeit, das sind Zustände, die gehäuft bei jungen Menschen auftreten. Laut einer Studie der Donau-Universität Krems leiden 55 Prozent der Schüler und Schülerinnen ab 14 unter einer depressiven Symptomatik, die Hälfte unter Ängsten, ein Viertel unter Schlafstörungen. 16 Prozent haben sogar suizidale Tendenzen.
Soziale Ungleichheit
Die Corona-Krise wirkt wie ein Turbo-Boost auf die ohnehin schon gravierende finanzielle und soziale Ungleichheit in der Gesellschaft. Auf der einen Seite die Müllarbeiter, Lieferdienste, Supermarktkassiererinnen und Pflegerinnen, die stundenlang unter strengsten Hygienebedingungen und erhöhter Infektionsgefahr ihre Arbeit verrichten, auf der anderen Seite privilegierte Arbeitnehmer und Selbständige, die ihre Home Office in ihren großen Wohnungen einrichten oder eine freiwillige Siesta einlegen. Und wehe, die schlecht bezahlten Systemerhalter halten am Wochenende bei ihrer Flucht aus ihren engen, dunklen Wohnungen den Sicherheitsabstand nicht ein, dann wird von den Balkonen und Dachterrassen aus denunziert. Brillant arrogant und dekadent dargestellt von Nadine Dubois.
Die eigentlich inkompatible Gleichsetzung von Distanz und Nähe bzw. Sicherheit und Freiheit, die (vor allem in Österreich) grassierende „Testpandemie“ („Zum PCR-Test nur mehr mit negativem PCR-Test“, Miriam Stein), der „Schutzwall aus Masken, Regeln, Zahlen und Abmachungen“ (der die Menschen in die Isolation treibt) und die rigide Abhängigkeit des gesellschaftlichen Lebens von Inzidenzzahlen (die von vielen – in den reichweitenstarken Medien fast ungehörten – Experten angezweifelt wird) sind weitere Themen, die in den Clips behandelt werden.
Rechte Ecken
Dass dazu Applaus aus dem rechten Lager kommt, war vorauszusehen. Auch von den Schauspielern selbst. „Ich lass mich nicht in die rechte Ecke stellen“, so Markus Gläser, der sich Filmsets in runden Räumen ohne Ecken wünscht.
Die öffentlichen Medien und linksliberalen Kritiker der Clips registrierten diese klare Distanzierung (oder wollten sie nicht registrieren?), sind brutal in die Falle gegangen und merken gar nicht, dass sie noch immer drinnenliegen. Nur weil rechte Gruppierungen gegen die Corona-Politik auftreten, heißt das nicht, dass damit Kritik an den Maßnahmen tabu ist und man untertänig die Regierungspolitik huldigen muss. Bedingungsloses Grundeinkommen, Vermögenssteuer für Millionäre, Unterhaltsgarantie für Kinder, Erweiterung des Gleichbehandlungsrechts,,… - Reformvorschläge, die dann obsolet sind, wenn sie von Rechten gefordert werden? Anscheinend die strange, heuchlerische Denkweise diverser Medien, Meinungsmacher und Moralisten.
Dies gilt auch für die weltweit stattfindenden Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Wenn sich dort auch nur wenige Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker befinden, werden pauschal alle Demonstranten mit diesen gleichgesetzt und diskreditiert. Tatsächlich befinden sich unter den Gegnern der Corona-Maßnahmen mehr als zwei Drittel Linke und Grüne, die mit rechten Parolen nicht geködert werden können und laut Polit-Experten großteils ins Lager der Nichtwähler abwandern werden.
Den frappanten Unterschied zwischen der medialen Öffentlichkeit und der tatsächlichen öffentlichen Meinung zeigt auch eine YouTube-Statistik vom 25. April. Der Kanal #allesdichtmachen hatte zu diesem Zeitpunkt 11,4 Millionen Aufrufe und 681,279 Reaktionen. 96 Prozent (657.209) waren positiv, nur 4 Prozent (24.070) negativ.
„Verzweifeln Sie, aber zweifeln Sie nicht“, Jan Josef Liefers…
Vor mehr als 110 Jahren, im Juni 1909, wurde das Technische Museum in Wien gegründet, das auf ca. 22.000 m2 und 5 Stockwerken einen umfassenden Einblick in die Welt der Technik bietet. Die Ausstellungen sind allerdings nicht nur vergangenheitsorientiert, sondern auf dem Puls der Zeit und der aktuellen Entwicklung. Bestes Beispiel: Die Sonderausstellung „Künstliche Intelligenz?“, die sich auf 5 Ebenen noch bis Sommer 2022 mit dieser komplexen, futuristischen und teils auch umstrittenen Thematik beschäftigt.
Formell handelt es sich dabei um die dritte Ausstellung der Reihe „weiter gedacht“, die im Zusammenarbeit mit dem „Umweltministerium“ (BMK) konzipiert wurde. Sie findet genauso wie ihre Vorgänger „Zukunft der Stadt“ (2014) und „Arbeit und Produktion“ (2018) im „Koffer“ statt, einem turmartigen Einbau mitten im Technischen Museum.
„Schön, dass du bist“ – Empfangen wird der Besucher im Untergeschoß von Cruz, einem Service-Roboter, der unmittelbar vor der „Ahnengalerie“ der Roboter herumfährt. Die hier – wohl absichtlich – das Klischeedenken der Bürger aktiviert, die sich unter KI oftmals humanoide Roboter vorstellen. Tatsächlich handelt es sich bei KI um Software, die eigentlich laut den Kuratoren Christian Stadelmann und Florian Schlederer aufgrund fehlender Objekthaftigkeit schwierig darzustellen ist. Dabei ist die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine täglicher, wenn nicht minütlicher Alltag, vor allem im Umgang mit Handys und Tablets, bei deren neuesten Anwendungen ein bestimmtes Verhalten des Menschen durch das Gerät interpretiert wird.
Neuronale Netzwerke
Die Neuronen im menschlichen Gehirn inspirierten die Forscher zu Computerprogrammen. Sie kopierten die netzartige Struktur und fütterten sie mit Daten. Die 2. Ebene der Ausstellung zeigt dabei einerseits das historische „Gläserne Gehirn“ des Physikers und Ex-TMW-Direktors Josef Nagler aus dem Jahr 1959, das in zehnfach vergrößertem Maßstab den Informationsfluss veranschaulicht, andererseits eine eigens für die Ausstellung konzipierte Darstellung eines Neuronalen Netzwerks, das durch die Besucher interaktiv bedient werden kann.
„Die Installation demystifiziert die KI, und man begreift: Es sind nichts als Informationsflüsse, die – ausgelöst von einem bestimmten Input ablaufen. All diese Parameter müssen im vorhinein programmiert und festgelegt werden als Algorithmusstrategien. Im Gegensatz zum menschlichen neuronale Netz ist das künstliche nicht veränderbar“, so Schlederer.
KI im Alltag
Im dritten Stock („Alltag“) kann man es sich im Wohnzimmer bequem machen und Deep Fake-Videos von Boris Johnson, Brad Pitt, Angelina Jolie bis BK Kurz („Ein bisschen Frieden“) betrachten. Ein Schreibtisch steht unter dem Motto „Life has become flat“, ein dazugehöriges Video („Desktop Revolution“) zeigt, wie im Zeitablauf immer mehr Utensilien des privaten Arbeits- und Studienortes auf einen PC-Desktop verfrachtet wurden. In der Wohnung sind dementsprechend KI laut Kurator Stadelmann vor allem „dort vertreten, wo nicht viel in Bewegung ist, im Wohnzimmer, im Kinderzimmer und im Unterhaltungsbereich.“
Mitten im Raum auf einem legeren Bett wurde die Sexpuppe Lina positioniert. Und die sieht ziemlich menschengetreu aus. Dies resultiert daraus, dass diese „Sexroboter“ nicht mehr aus Latex oder PVC produziert werden, sondern aus Silikon. Das wichtigste Motiv sei aber das Bedürfnis nach sozialer Nähe. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang der nicht nur subtil lodernde Sexismus: Die Standardobjekte sind vorwiegend junge, zierliche Frauen mit großer Oberweite und devotem Blick.
Kunst und Kreativität
Im vierten Stock wirft die Ausstellung die Frage auf, inwiefern Künstliche Intelligenz bereits jetzt oder künftig Einfluss auf die kreative Berufen und die Kunst- und Kulturszene ausüben wird. „KI kann relativ leicht ein neues Beatles-Lied bauen, aber eben immer nur auf Basis der bestehenden Beatles-Lieder“, so Co-Kurator Florian Schlederer. Die Avantgarde-Künstlerin Holly Herndon, zuletzt beim Kremser Donaufestival zu sehen, hat mit „Spawn“, einer KI, die mehr als 6 Monate mit der Stimme der Musikerin „gefüttert“ wurde, ein Album („Proto“) produziert.
Künstliche Intelligenzen eignen sich auch dazu, Unvollendetes nach bestehenden Mustern fortzuschreiben (wie klassische Sinfonien). Der deutsche Autor und Poetry Slammer Fabian Navarro hat eine Software („Eloquentron 3000“) entwickelt, die selbständig zusammenhanglose Gedichte formuliert. KI unterstützt Architekten bei der Entwicklung des Stadtbildes (beispielsweise durch die Integrierung von Wolkenkratzern), kann Kunstsammlungen ordnen oder Kunstwerke automatisch kolorieren. Die individuelle, menschliche, von Algorithmen losgelöste Kreativität allerdings dürfte zumindest vorerst ungeantastet bleiben.
Autonomes Fahren
Im Obergeschoß wirft die Ausstellung einen nicht unbedrohlichen Blick auf den Überwachungsstaat (mittels Drohnen und Kamerasystemen) und thematisiert das „autonome Fahren“, das derzeit auf dem Level 2 (von 5) stagniert. Unter einem Level 5-Auto versteht man ein Fahrzeug ohne Lenkrad, bei der die Maschine alleine die Entscheidungen trifft. Als erster Einsatzort für Pilotversuche eignet sich vor allem die Autobahn, bei der die wenigsten kritischen Vorfälle zu erwarten sind. Wie leicht derzeit noch Manipulationen getätigt werden können, die sich desaströs auf den Straßenverkehr auswirken können, veranschaulicht ein Stopp-Halteschild, das – verklebt mit einem Streifen – vom Algorithmus als Tempo-Limit erkannt wird.
„Künstliche Intelligenz?“ ist noch bis Sommer 2022 zu sehen und wird virtuell erweitert durch die digitale Publikation KI-Zine auf der Website des Technischen Museums, auf der regelmäßig Videos, Interviews, Online-Rundgänge und wissenschaftliche Artikel platziert werden.
https://www.technischesmuseum.at/museum/tmw-zine_-_unsere_stories/ki_zine
Gleich drei künstlerische Epochen des 20. Jahrhunderts stehen im Mittelpunkt der kürzlich eröffneten Ausstellung „Auf zu Neuem“ in der Landesgalerie Niederösterreich. Im Untergeschoß des imposanten Marte-Marte-Museumsbauwerks in der Kunstmeile Krems erwartet die Besucher ein spannender, abwechslungsreicher Streifzug durch die 10er, 50er und 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die rund 150 Werke von 40 Künstlern und Künstlerinnen stammen aus 20 Privatsammlungen. „Oft waren Sammler den Museen weit voraus. Sie kauften Werke, deren Wertschätzung nicht zur Musealisierung gereicht hätte“, so Kurator und künstlerischer Direktor, Christian Bauer.
Epoche Egon Schieles
Egon Schiele, im Jahr 1901 2 Monate lang Schüler am BRG Krems, krönt mit seinen Aktzeichnungen, Selbstporträts und Landschaftsgemälden den ersten Teil der Ausstellung. Zu sehen ist u.a. sein Bild „Zerfallende Mühle“, das sich einst in der Kollektion des Filmregisseurs Fritz Lang befunden hat und das – ebenso wie sein letztes Landschaftsbild vor seinem Tod (1918)„Wildbach“, gemeinsam mit den Vorzeichnungen präsentiert wird. Im Areal des ersten Trakts befinden sich auch Bilder von Broncia Koller-Pinell, die sich trotz der damaligen Diskriminierung von Künstlerinnen – Frauen wurden in der Wiener Akademie nicht aufgenommen – in der Kulturszene behaupten konnte und als Mäzenin gemeinsam mit ihrem Mann ein Netzwerk aufbaute. Richard Gerstl und Oskar Kokoschka repräsentieren den aufkeimenden Frühexpressionismus der 10er Jahre.
Aufbruch nach dem 2. Weltkrieg
Zeitsprung in die Jahre des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Künstler kennzeichnet eine radikale Ablehnung des Nationalsozialismus, die sich formalistisch in der Abstraktion kristallisiert. In Wien wird der Art Club zum Zentrum des Phantastischen Realismus. Einer der renommiertesten Vertreter: Arik Brauer, der nur wenige Tage vor seinem Tod sein Werk „Der Rattenkönig“ für die Ausstellung in Krems selektiert hat. Der ebenfalls kürzlich verstorbene Hans Staudacher verdrängt mit seinem Bild „Illusion Wien“ die traurige Realität vom zerstörten Wien. Nicht fehlen im 50er-Teil der Ausstellung dürfen Arnulf Rainer und Maria Lassnig, die sich ihre künstlerischen Inspirationen in Paris holten. Rainers erste Einzelausstellung fand in der 1954 gegründeten Galerie nächst Stephan statt, die zum Treffpunkt der österreichischen Avantgarde wurde.
Die 90er
Stilpluralismus der 90er prägt den dritten Teil der Ausstellung, konzipiert von Günther Oberhollenzer. „Es scheint, als ob manche Künstler Internet-Trends wie Selfies oder Memes vorweggenommen haben“, so der Kurator. Hauptprotagonisten sind hier vor allem das Künstlerehepaar Muntean/Rosenblum, die Bilder und Fotografien von cool-gelangweilten Teens und Twens mit Aphorismen wie „Too much truth can be worse than death and last longer“ befeuert haben, und der Münchner Tänzer und Fotograf Matthias Hermann, der sich mit seinen Foto-Inszenierungen bereits früh mit sexuellen Rollenbildern und der Queer Culture auseinandersetzte. Die extravagante Performance-Künstlerin Elke Silvia Krystufek beeindruckt mit ihren Self-Porträts, einem Marilyn Monroe-Alter-Ego und der „Leopard Lily“, mit der sie u.a. Österreich bei der Biennale in Sao Paolo 1998 vertreten hat. Grundtenor a la Freud: „Jeder Exhibitionist ist im Unterbewusstsein auch Voyeur“. Krystufek fotografiert sich erst selbst, die Fotobilder dienen dann als Vorlage für die extravaganten Acryl-Bilder.
Inmitten dieser grellen Bilder und Fotografien wurde vom Kurator mitten im Raum eine bizarre, transparente Installation platziert. Eine amorphe Figur verharrt dort unter einer durchsichtigen Blase, daneben ein Gebrauchsgegenstand in Form eines neumodischen Sessels. „Es gibt eine Welt der greifbaren Dinge, und es gibt eine Welt des Denkens, eine Wirklichkeit, die wir in uns tragen und die von unseren Erlebnissen und Erfahrungen geprägt ist. Die Hohlwelten widerspiegeln diese Welt: ein innerer Raum, der physische Gestalt annimmt.“ Entstanden ist dieses futuristische Werk im Jahr 1996, gerade jetzt während der Corona-Pandemie wirkt es bedrohlich und steril. Sieht so die dystopische Zukunft von Veranstaltungen und freundschaftlichen Treffen aus? Individualistisch eingehüllt und abgegrenzt in Hohlwelten? Beim aktuell weltweiten Sicherheits- und Gesundheitsmantra kann man gar nichts mehr ausschließen…
Eine Zeit ohne Hunger, ohne Gefahren, ohne Pandemie, eine freie Welt bis zum Ausbruch von Aids, das waren die 80er. So der Galerist Rafael Jablonka, dessen gesammelte Werke von 14 verschiedenen Künstlern jetzt unter dem Titel „My Generation“ in der Albertina zu sehen sind.
Der 1952 in Polen geborene Jablonka war ursprünglich Ingenieur, studierte dann später Kunstgeschichte und organisierte Ausstellungen (u.a. auch gegen das Kriegsrecht in Polen und als Assistent von Kasper König). Im Jahr 1988 gründete er selbst eine Galerie in Köln, die er fast 30 Jahre lang führte und in der er innovative Künstler wie Damien Hirst, Mike Kelley, Andreas Slominski oder Sherrie Levine in Kontinentaleuropa präsentierte. Im Juli 2019 übergab er über 400 Werke der 80er als Stiftung an die Albertina Wien. Und kuratierte selbst – von Direktor Klaus Albrecht Schröder mit einer „Carte Blanche“ ausgestattet – die erste Ausstellung aus seiner Sammlung.
In insgesamt 12 Räumen, verteilt auf 2 Geschossen, eröffnet sich dem Besucher eine bunte, kreative Mixtur aus großformatigen Malereien, Siebdrucken, Installationen und Skulpturen, die gleichzeitig auch verschiedene Komponenten der selektierten Künstler zeigen sollen. So wird man gleich nach der Rolltreppen-Abfahrt empfangen von den imposanten Keramik-Konstrukten des spanischen Künstlers Miquel Barcelo, die eine Variation der Jesus-Parabel von der „wundersamen Vermehrung von Brot und Fischen“ darstellen soll. Der deutsche Künstler Andreas Slominski arbeitet mit subtilen Vogelfallen in Kinderwägen, ambivalenten Fahrrad-Collagen und mit scheinbar harmlosen Windmühl-Modellen, die allerdings einen schaurigen Hintergrund veranschaulichen. Sie symbolisieren den Wind, der zur Zeit des Nationalsozialismus von den Verbrennungsöfen im KZ Buchenwald in das nahe gelegene Weimar geweht hat.
Der aus New York stammende Philip Taafe ist mit großformatigen abstrakten Bildern vertreten, sein Landsmann Eric Fischl mit knalligen Bildern über die scheinbar perfekte Welt der Middle Class, die gleichzeitig aber Leere, Langeweile und Einsamkeit ausdrücken. Dazu zählt auch ein Bild des „Krefeld Projekts“, im Rahmen dessen sich Fischl durch „Szenen einer Beziehung“ eines Schauspielerpaares inspirieren ließ.
In einem separaten Raum platzierte Jablonka „spontan“ eine Parade extravaganter Skulpturen und Installationen. Damien Hirst, der britische Konzeptkünstler, lässt hier Tischtennisbälle durch Wasserfontänen aus Schläuchen schweben und thematisiert im „letzten Abendmahl“ die Abhängigkeit der Menschheit von schädlichen Medikamenten und Fast Food. Daneben thront Sherrie Levines´s Körpermaske aus hochpolierter Bronze, die die Silhouette einer schwangeren Frau repräsentiert. Da werden zwei Hühnereier vom Sammler selbst als Slominski-Remake an die Wand geworfen, während auf dem Boden eine aus Stoffpuppen zusammengenähte, fragmentierte „Frankenstein“-Figur liegt. Der Schöpfer: Mike Kelley, dessen Werke 1989 zum ersten Mal von Jablonka in Deutschland publiziert wurden und der in einem speziell abgedunkelten Raum der Albertina mit seiner „Kandor“-Rauminstallation und den „strukturalistischen Pantomimen“ die Besucher erstaunen lässt.
Die imposanteste, fast schiffsgroße Skulptur ist im letzten Raum der faszinierenden Ausstellung zu sehen. Die bizarre Konstruktion des Londoner Künstlers Richard Deacon aus Edelstahl und gebogenem Eichenholz lässt viele Interpretationen und Phantasien offen. Ganz im Sinne Jablonkas: „Ich ermutige dazu, zu schauen, die Nase in die Bilder zu stecken. Ein Künstler stirbt, aber ein Kunstwerk lebt, solange es betrachtet wird.“
Vertretene KünstlerInnen:
Miquel Barceló | Ross Bleckner | Francesco Clemente | Richard Deacon | Eric Fischl | Damien Hirst | Roni Horn | Mike Kelley | Sherrie Levine | Cady Noland | Thomas Schütte | Andreas Slominski | Philip Taaffe | Terry Winters
Die Ausstellung ist von 2. Oktober 2020 bis 5. April 2021 in der Albertina zu sehen.
Das Karikaturmuseum in der Kunstmeile Krems feiert am 29. September 2021 seinen 20. Geburtstag. Grund genug, im Erdgeschoß des einzigen österreichischen Museums für satirische Kunst eine „Best of“-Ausstellung zu kreieren. Kurator und Museumsdirektor Gottfried Gusenbauer selektierte insgesamt 230 Werke von 20 Künstlern aus der umfangreichen Landessammlung Niederösterreich und aus dem Privatbesitz der Karikaturisten.
Begrüßt wird man beim Eintritt des Karikaturmuseums nicht von den Deix-Katzen (die sieht man dann später, thronend auf den mit zahlreichen Cartoons gefüllten Deix-Schubladen), sondern von einem kleinen Baby-Elefanten mit Schutzmaske auf dem Rüssel. Humor steht hier auf jedem Quadratmeter an der Tagesordnung. Die „Schätze aus 20 Jahren“ bieten dabei in satirisch-pointierter Art und Weise gleichzeitig einen Überblick über die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse der letzten 70 Jahre.
Da witzelt der legendäre Erich Sokol über die jubelnden CVler der 60er und den rot-blauen Supergau beim Sturm der Hainburger Au, der die Grünen ins Parlament torpedierte. Der bereits verstorbene Salzburger Karikaturist Dieter Zehentmayr schraffiert den roten Sonnenkönig Bruno Kreisky mit seinem Standardsatz „Ich bin der Meinung“, während Oliver Schopf die ehemalige Außenministerin Benito Ferrero-Waldner trotz EU-Sanktionen mit breitem Lächeln durch die Welt düsen lässt. „Krone Bunt“-Karikaturist Bruno Haberzettl, vor ca. einem Jahr in Krems mit einer Werkschau vertreten, persifliert den ersten Frauenminister Herbert Haupt und die schwarzen Abgründe unter dem oberflächlichen Glanz des türkisen Messias.
Brandaktuelle Karikaturen sind gleich rechts beim Eingang der Ausstellung zu sehen. Der aus Jugoslawien stammende Petar Pismetrovic porträtiert Gesundheitsminister Rudi Anschober, vergleicht das Corona-Management mit einer von Schlangen (aus Unwahrheiten, Übertreibungen, Beschuldigungen, Verschwörungstheorien,…) umwälzten Laokoon-Truppe und lässt HC Strache durch gefährliche Sümpfe touren. Das zeichnerische Genie des „Kurier“, Michael Pammesberger, mahnt mit einer Grafikserie ein zum „Leben MIT dem Virus“, während der bei den Salzburger Nachrichten ansässige Thomas Wizany mit einem „Rodeo Joe“-Trump-Cartoon und einer Impfpflicht-Impflicht-Zeichnung begeistert.
„Lachen, gute Stimmung und glückliche Besucher“, das wünscht sich Direktor Gusenbauer auch weiterhin für das Karikaturmuseum Krems. Und eine Mickey Mouse-Ausstellung zum 100. Geburtstag der Disney-Ikone im Jahr 1928…
Knapp zwei Drittel der Menschen fürchten sich vor einem weltweiten Klimanotstand. Diese Feststellungen basieren auf einer Umfrage des UN-Entwicklungsprogramms UNEP und der britischen Oxford University, an der 1,2 Millionen Bürger aus 50 Ländern teilgenommen haben. Besorgt sind nicht nur die durch Bewegungen wie Fridays for Future inspirierten Jugendlichen, sondern auch ältere Menschen.
Das Kunsthaus Wien (mit seinem USP als „erstes grünes Museum“) präsentiert dazu kongenial seine Ausstellung „Nach uns die Sintflut“, die sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf die unterschiedlichsten Kontinente, Landschaften und Populationen unserer bunten Welt beschäftigt. Der Ausstellungstitel stammt aus dem ersten Band von „Das Kapital“. Der Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Karl Marx hat bereits vor 150 Jahren die menschliche Intervention als faktische Umweltzerstörung erkannt und ein Verhalten kritisiert, das nur auf den eigenen Profit bedacht ist und die Folgen auf das gesamte Ökosystem ignoriert.
Insgesamt 21 nationale und internationale Künstler zeigen im 3. und 4. Stock des Kunsthauses eindrucksvolle Fotografien, Collagen, Filme und Videoinstallationen, die die dramatischen Folgen der klimatischen Veränderungen auf unsere Lebenswelten, die Wirtschaft und die sozialen Verhältnisse veranschaulichen. Zentraler Anknüpfungspunkt ist laut der Direktorin Bettina Leidl „die An- und Abwesenheit des Wassers, das sich in schmelzenden Polkappen, einem Anstieg des Meeresspiegels, Dürren und dem Abschmelzen der alpinen Gletscher“ widerspiegelt.
Gleich beim Eintritt zur Ausstellung provoziert der aus New York stammende Künstler Justin Brice Guariglia mit dem riesigen Aufdruck „The End“. Daneben zieht die Schweizerin Ursula Biemann in ihrem Video-Film „Deep Weather“ einen Konnex zwischen der Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Globalen Norden (wie bei der Teersandförderung in Kanada) und den negativen Folgen im Globalen Süden. Beispiel: Die Überschwemmungen in Bangladesh aufgrund der Erderwärmung und des Anstiegs des Meeresspiegels.
Der steirische Künstler Michael Goldgruber erstellte aus 420 Einzelaufnahmen die zehn Meter lange Wandinstallation „Talschluss“, die unterschiedlichste Ausprägungen des Gepatschferner, eines der am schnellsten schmelzenden Gletscher, zeigt. Die Wienerin Verena Dengler konzipierte nach einer Reise ins norwegische Spitzbergen (wo die Durchschnittstemperatur seit 1971 um 4 Grad gestiegen ist) eine Wandcollage mit dem ominösen Titel „Dr. Envy Nordpol (ihr Pseudonym) besucht das nördlichste Sushi-Restaurant der Welt. Der Berliner Benedikt Partenheimer macht mit seinen „Methane Experiments“ das Entweichen von Treibhausgasen in Folge des Auftauens der Permafrostböden sichtbar. Seine in Alaska abgelichteten „drunken trees“ bezeichnet der Berliner „as a perfect symbol for a world that has lost ist balance“.
Ein Sinnbild für eine aus den Fugen geratene turbokapitalistische Welt stellt auch das künstlich geschaffene Insel-Archipel „The World“ vor der Küste Dubais statt. Die österreichische Fotografin Genoveva Kriechbaum projiziert kongenial ihre futuristischen Landschaftsaufnahmen auf Stahlplatten, untermalt durch Musik des Komponisten Hassam Mahmoud.
28 Minuten lang schlägt eine dunkel gekleidete Person mit der Hacke auf eine gefrorene Eisschicht ein, bis das Videobild erlischt und man nur mehr ein Krachen und einen Schrei hört. Eine metaphorische Untergangs-Installation der beiden Wiener Nicole Six und Paul Petritsch mit dem Titel „Räumliche Maßnahme“.
Die niederländische Künstlerin Anouk Kruithof ist im Kunsthaus Wien vertreten mit ihrer Video-Collage „Ice Cry Baby“, die aus zusammengeschnittenen You Tube-Videos von schmelzenden Gletschern besteht, und mit ihrer auf Beinprothesen stehenden Installation „Folly“, deren Körper sich aus einer Gesteinsattrappe mit Luftaufnahmen der Erdoberfläche zusammensetzt. Dahinter hängt die ästhetisch hochwertige Bilder-Serie „Flood Zone“ der in Miami lebenden Fotografin Anastasia Samoylova, die subtil die durch den Klimawandel verursachten Probleme der Urlaubsmetropole (wie Sturmfluten, überlastete Kanalisation und Klima-Gentrifizierung) thematisiert.
Der Videofilm „Tuvalu“ beschäftigt sich mit dem Leben der Bewohner des gleichnamigen Inselstaates im Südpazifik, die aufgrund des geringen Unterschieds zum Meeresniveau mit dem Verschwinden ihrer Heimat konfrontiert sind. Solmaz Daryani zeigt in „The Eyes of Earth“ Aufnahmen des ausgetrockneten Urmiasees, der einst der sechstgrößte Salzsee im Iran war. Einen besonders traurigen Beigeschmack erhalten diese Bilder dann, wenn man im beigelegten Album die privaten Fotografien aus der Vergangenheit dieser einstigen Urlaubsregion betrachtet.
Die US-Amerikanerin Christina Seely finalisiert den Reigen der Umweltimpressionen mit einem faszinierenden, audiovisuellen Ausgleich zwischen dem arktischen und dem tropischen Ökosystem („Terra Systema. Tempo“). Ein emotionell-optimistischer Abschluss im Vergleich zur apokalyptischen „The End“-Eingangspforte.
Ob Kunst die Klimakrise verbessern kann, das ist natürlich fraglich. Sarker Protick, in „Nach mir die Sintflut“ mit Fotos seines Heimatlandes Bangladesh und dem Videofilm „Monsoon“ vertreten, sieht Kunst zumindest als Initialzündung: „Art can question the things and address the things that needs to be changed.“ Zumindest beim Klimanotstand braucht es dazu keines Beweisverfahrens…
Nach uns die Sintflut – 16. September 2020 bis 5. April 2021
„Derjenige, der mit dem Leben nicht lebendig wird, braucht die eine Hand, um die Verzweiflung über sein Schicksal ein wenig abzuwehren. Mit der anderen Hand aber kann er eintragen, was er unter den Trümmern sieht, denn er sieht anderes und mehr als die anderen“. Dieses Tagebuch-Zitat Franz Kafkas aus dem Jahr 1921 inspirierte Fiona Tan zum Titel ihrer Mid Career-Retrospektive „Mit der anderen Hand“, die in Form einer Doppelausstellung im Museum der Moderne Salzburg und in der Kunsthalle Krems präsentiert wird.
Die 1966 in Indonesien geborene und in Australien aufgewachsene Künstlerin lebt seit ca. 30 Jahren in Amsterdam, wo sie u.a. auch an der Rijksakademie van beelnde kunsten studierte. Ihre bevorzugten Medien sind Foto, Film und Video, ihre aktuellen Werke kreisen rund um die Themen Erinnerung, Vergänglichkeit und Geschichte. 2009 vertrat sie die Niederlande bei der Biennale in Venedig, ihre Artefakte sind in zahlreichen renommierten Museen der Welt zu sehen, im Tate Modern London, Guggenheim Bilbao oder im Centre Pompidou Paris.
In der Kunsthalle Krems präsentiert Fiona Tan im 1. Stock ihre 16minütige Videoinstallation „Elsewhere“ (2018). Tan filmte dabei aus ihrem Atelier im Getty Center von Los Angeles auf die Stadt, auf Wolkenkratzer, Autobahnen und die verschmutzte Umwelt. Im Hintergrund erzählt eine weibliche Stimme über eine ideale Welt, ohne Abgase, Lärm, ohne Hass, Habgier, Rassismus und Ungerechtigkeit. Eine Welt, die zwar verlockend ist, aber gleichzeitig aufgrund ihrer sterilen Perfektion auch Angst macht.
„Countenance“ aus dem Jahr 2002 zeigt Porträts von 200 Personen aus Berlin, die, angeregt durch die Fotoserie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sanders, nach Beruf und gesellschaftlicher Stellung gruppiert werden und die, abwechselnd auf mehreren Video Screens eingeblendet, ein Abbild dieser ehemals getrennten, seit 1989 wiedervereinten Stadt darstellen. In ihrer computergenerierten Videoinstallation „Archives“ ließ sich Fiona Tan von Paul Otlet (1868-1944) inspirieren, die einst die visionäre Idee hatte, mittels Karteikarten das Wissen der Welt zu sammeln. Ein Art Google der Vorzeit. Tan kreierte dazu einen düsteren architektonischen Raum, den der Betrachter fasziniert durchwandern kann.
Speziell für die Kunsthalle Krems aufgrund ihrer Nähe zur Justizanstalt konzipierte Fiona Tan die „Pickpockets“. Die alten Bilder stammen aus dem Jahre 1889 und zeigen Taschendiebe, die während der Pariser Weltausstellung festgenommen wurden. Dazu wurden Monologe aus der Sicht der Porträtierten eingesprochen.
Ein Konnex zum Strafvollzug zeigt auch die in der Zentralen Halle platzierte Videoinstallation „Correction“ aus dem Jahr 2004. „Correctional institution“ entspricht dem Terminus „Justizanstalt“. Der Betrachter befindet sich dabei in der Mitte und wird umringt von amerikanischen Häftlingen und Justizwachebeamten, die mittels Projektionsflächen von allen Seiten bedrohlich auf den Besucher starren. Angelehnt ist dieses Werk an das Panopticon-Prinzip des Philosophen Jeremy Bentham, das die perfekte Überwachung aller Gefangenen durch einen einzigen Beamten garantieren sollte und das auch in zahlreichen dystopischen Romanen (wie 1984 oder V wie Vendetta) Einzug gefunden hat.
„2020, our whole year has been lost, no tours, no shows, no exceptions. We can´t be together in clubs or concert arenas, but we can still put on a show for you.“ Pete Tong, britische DJ-Legende der Rave-Ära und der La Isla Blanca, BBC-Radio One Moderator und Zeremonienmeister der „Ibiza Classics“. Und so platzierte das vorwiegend aus klassischen Streichern und Bläsern bestehende Heritage Orchstra seine Instrumente im weiträumigen Stehplatzbereich des Londoner O2 und präsentierte dort unter Leitung von Tong und Dirigent Jules Buckley seine lässig-chilligen Classic House Tracks in einer menschenleeren Arena. Getanzt, gefeiert, getrunken wurde in den Privatwohnungen, wo dieser sensationelle Auftritt digital per Live-Stream übertragen wurde. Zum Preis von 15 Pounds aufwärts je nach Zeitpunkt der Buchung.
Aufgrund der noch immer grassierenden Corona-Pandemie ist Online Streaming derzeit die einzige Möglichkeit für Artists, Bands und DJ´s, ihre Fans mit ihrem Sound zu unterhalten. Waren die ersten Versuche teilweise noch amateurhaft und ohne Inszenierung, handelt es sich bei den aktuellen Online-Events um High Class-Produktionen, für die man gerne auch Geld überweist. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass jene Künstler die Nase vorn haben, die auch analog ihre Fans bei überfüllten Festivals und ausverkauften Konzerten begeistern.
Auf den virtuellen Dancefloor lockten beispielsweise Kylie Minogue mit ihrer „Infinite Disco“ und ihre kongeniale Nachfolgerin Dua Lipa, die ihre „Studio 2054“-Show nach der New Yorks Kult-Disco der 70er benannte und neben Kylie Minogue selbst auch Miley Cyrus und Elton John in den perfect gestylten Electro Club Room lud. Die Gorillaz, das kreative Sound-Kollektiv Damon Albarns, streamten live aus dem Londoner Kong Studio, mit schnellen Cuts zwischen der großartigen Live-Band, Gastsängern (wie Robert Smith, Peter Hook und einem Elton John-Avatar) und den Comic-Kult-Figuren 2D, Murdoc, Noodle und Russel, die immer wieder über den PC flitzten. Ex-Bowie-Pianist Mike Garson organisierte die bereits aus der Wiener Arena bekannte „Bowie Celebration Tour“ mit Stars wie Duran Duran, Boy George und Adam Lambert, ein mehr als 3 Stunden langes Spektakel aus den Rolling Live Studios aus L.A. mit allen Hits des 2016 verstorbenenen Pop-Rock-Chamäleons. Zum nicht ganz billigen Preis von 28 Euro.
Zu Silvester übertrugen die Macher von „Tomorrowland“ ein digitales Mega-Festival mit den Superstar-DJ´s der Welt, das auch noch 14 Tage länger on demand verfügbar war. David Guetta begrüßte das neue Jahr live vor dem menschenleeren Louvre mit einer Benefiz-Club-Show, dystopisch, mit flashigen Light Effects und partiell Vocal-überfluteten EDM-Sound, den der in Paris geborene DJ und Produzent selbst als „Future Rave“ bezeichnet.
Damit derartige Shows ohne Publikum, ausgestrahlt im biedermeierlichen Wohnzimmer, nicht zur horriblen Zukunft werden, arbeiten schon zahlreiche Wissenschaftler und Szene-Protagonisten an sicheren Konzepten, um bereits vor der Durchimpfung der Bevölkerung wieder für echte Live-Atmosphäre zu sorgen. Die Zeichen für einen Re-Start in Bälde stehen nicht schlecht.
Ein Experiment in der Konzerthalle Dortmund zeigte, dass eine zentrale Lüftungsanlage und das Tragen einer Face Mask die Aerosol-Belastung so stark verringern, dass theoretisch sogar eine Vollbesetzung im Saal denkbar wäre. Bei einer 50%igen Besetzung im Schachbrettmuster können die Masken ohne Bedenken abgenommen werden.
Spannende Erkenntnisse auch nach einem Experiment in Barcelona: Bei einem Konzert im legendären Sala Apolo infizierte sich kein einziger der 463 Besucher mit dem Corona-Virus. Die Zuschauer wurden nach einem negativen Antigentest in die Halle geschleust, trugen FFP2-Masken (die sie nur zum Trinken und zum Rauchen abnahmen) und mussten keine Sicherheitsabstände halten. Ein eindeutiger Nachweis, dass Massenevents bei Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen keine Infektionsherde darstellen.
Der ehemalige Pratersauna-Besitzer Hennes Weiss hat gemeinsam mit Partnerfirmen und dem Virologen Dr. Christoph Steininger das Sicherheits-Produkt TestFrWD entwickelt. Festival- oder Stadienbesucher bekommen dabei 48 Stunden vor dem Event ein Test-Kit nach Hause geschickt. In der eigenen Wohnung testet man sich per PCR-Gurgel-Methode selbst, eine App filmt den Vorgang. Das Paket wird dann per Post an das Labor geschickt, das Testergebnis erhalten die Personen vor dem Event per Handy. Da ein negativer PCR-Test zu 99 % garantiert, dass man die nächsten 3-4 Tage nicht ansteckend ist, können die Besucher auf den Events feiern wie früher. Ohne Sicherheitsabstand und ohne Masken.
Die Zukunft ist hier ausnahmsweise die Vergangenheit. Menschen freuen sich auf Konzerte, Festivals und Club Nights. Auf Feiern, Tanzen, Trinken, Flirten, Leidenschaft, Sex, Ekstase und Exzesse unter vielen Gleichgesinnten. Digitale Online-Streams sind dagegen nur eine nette Berieselung in einsamen, vielleicht zweisamen Stunden.
Düster und dunkel ist es (nicht nur in Wien) geworden. Gastronomie, Kultur und Tourismus aufgrund (unverhältnismäßiger) Maßnahmen von Türkis-Grün-Rot geschlossen, nach Sonnenuntergang nur wenige Menschen auf den Straßen, Gassen und Plätzen der lebenswertesten Stadt der Welt, zumeist mit traurigem Blick und verhüllt in Einheits-Masken, die ein Symbol des Ausnahmezustandes darstellen. Auch im Haupthof des Museumsquartiers (dessen Gallionsschiffe, die Museen, frühestens am 8. Februar wieder öffnen) nur wenige Menschen, die sich mit lässigem 16er-Blech und inspirierender Kommunikation bei Laune halten. Doch hier ist tatsächlich Licht am Ende des Tunnels.
"Lumen" (lat. Licht, Fenster) heißt die faszinierende Kunst-Installation des Wiener Fotografen und Performance-Künstlers Johannes Rass, die vom 13. Jänner bis 10. März in der MQ Art Box (neben dem Leopold Museum) für eine Aufhellung der trüb-melancholischen Stimmung sorgen soll. Rass hat dort 112 Stehlampen mit modernen LED´s platziert, 15 davon stammen aus einer Erbschaft, der Rest wurde projektorientiert von der MA 48 gesammelt.
Mit Einbruch der Dunkelheit, ab ca. 16.30 Uhr bis 20.30 Uhr, verwandelt sich das bunt zusammengewürfelte Konglomerat aus Lampen in ein Schauspiel aus Licht und Ton. Insgesamt 18 Sequenzen zu je 10 Minuten hat Rass gemeinsam mit Sound- und Light-Technikern konzipiert, die Zuschauer geraten durch diese wechselseitige Abfolge von Licht, Dunkelheit und mystischen Ambient-Geräuschen "in einen Sog von Assoziationen, in denen sich kollektives Wissen mit individuellen Erfahrungen vermischt". Beim nächsten Spaziergang durch das schöne Wien unbedingt einplanen!
Im Jahr 2007 wurde "Donald Duck - Die Ente" zum Mensch, so die ähnlich lautende Ausstellung im Kremser Karikaturmuseum Krems. 13 Jahre später beehren trotz Corona-Krise die deutschen Pendants, die frechen Füchse Fix und Foxi, die Hallen des von Gustav Peichl errichteten Museums in der Kremser Kunstmeile.
Schöpfer Rolf Kauka selbst wurde in den 50ern von Walt Disney inspiriert und wollte damals auch in die Trickfilmproduktion einsteigen. Er wurde schließlich Verleger in München und gründete das zunächst an deutsche Fabeln angelehnte Magazin "Till Eugenspiegel". Dessen Galionsfiguren waren die beiden - zuerst noch naturalistisch gezeichneten - Fuchszwillinge Fix und Foxi, die ab Heft 29 (1955) zu den Namensträgern der Reihe wurden.
In den Generationen der nächsten 40 Jahre wurden die Protagonisten der "Fix und Foxi"-Family im deutschen Sprachraum zu den Helden der Jugend: Der liebenswerte im "Mäuseturm" lebender Wolf Lupo, die konservative, tortenbackende Oma Eusebia, die flotte Enkelin Lupinchen, Onkel Fax oder der leicht zerstreute Erfinder Knox. Parallelen zum Entenhausen-Reich der Ducks und Mickey Mäuse sind nicht zu übersehen. In der Hochphase des Fix und Foxi-Magazins, zwischen 1960 und 1972 (der sich auch die Ausstellung widmet), hatte dieses eine Druckauflage von bis zu 400.000 Exemplaren.
Kauka war ein nicht unumstrittener Selbstinszenierer und Geschäftsmann, die brillanten Zeichnungen selbst wurden von verschiedensten europäischen Illustratoren angefertigt (wie dem Münchner Kunstmaler Dorul van der Heide, Chefzeichner Walter Neugebauer oder dem "Pauli"-Zeichner Branco Karabajic).
Die Ausstellung im Karikaturmuseum Krems zeigt nicht nur Comics, Dokumente und Merchandising der Fix und Foxi-Family, sondern auch jene zumeist franko-belgischen Comic-Figuren, die aufgrund von Lizenzen in den FF-Magazinen erschienen sind und zum Erfolg dieser Hefte kräftig beigetragen haben: Lucky Luke (von Morris), Die Schlümpfe (1958 erstmals erschienen im belgischen Magazin "Spirou", 1969 mit der Geschichte "Prinz Edelhart und die Schlümpfe" im FF Nr. 20) oder die Abenteuer von Spirou und Fantasio.
Ende 1994 wurde das Fix und Foxi-Magazin wegen sinkender Verkaufszahlen eingestellt. Schöpfer Rolf Kauka starb im September 2000. Nach einer kurzen Wiederbelebung mit mäßigem Erfolg, allerdings verbunden mit einer Ausstrahlung bzw. Platzierung in digitalen Medien, wurde der Druck der Print-Version 2010 erneut beendet.
2014 wurden sämtliche Rechte vom Medienunternehmer und Sammler Stefan Piech übernommen. Dieser zeichnet nicht nur verantwortlich für den Pay-TV-Sender "Fix und Foxi", sondern auch für die Leihgaben an das Karikaturmuseum Krems. Die eines klar darlegen: Fix und Foxi sind auch im 21. Jahrhundert noch immer Kult...
„In the Future, everyone will be famous for 15 minutes“ – Ein berühmtes, visionäres Zitat von Andy Warhol, das der Begründer der „Pop Art“ 1968 lakonisch in die Menge geworfen hat und das später – durchaus kontroversiell – tatsächlich Realität geworden ist. Warhol selbst wurde seine künstlerische Karriere nicht in die Wiege gelegt, der jüngste von drei Söhnen einer armen, slowakischen Migrantenfamilie (Warhola), machte zwar einen Abschluss in Malerei und Design auf der Universität in Pittsburgh, arbeitete aber zuerst in einer New Yorker Schuhfabrik und dann in den 50ern als Werbegrafiker und Schaufensterdekorateur in diversen Gelegenheitsjobs. Das Wiener Mumok zeigt jetzt unter der Trademark „Andy Warhol Exhibits – A Glittering Alternative“ sein bis dato unter Verschluss gehaltenes Frühwerk und sein Renommee als Inszenierer von Ausstellungen.
„Wer alles von Andy Warhol wissen will, braucht nur die Oberfläche anzusehen, die meiner Bilder und Filme und von mir, und das bin ich, Da ist nichts dahinter.“ Homoerotische Zeichnungen und Illustrationen dürften in das Konzept des „Pop Art“-Genies nicht gepasst haben. Die Kuratorin der Ausstellung, Marianne Dobner, platzierte die ansehnlich-lasziven Porträts seiner Lover („Studies for a Boys Book“) in schlichte Vitrinen des Erdgeschosses. Dazu singuläre Geschlechtsteil-Motive, kesse Zeichnungen von Drag Queens und Friseuren oder extravagante Schuhdesigns, mit denen Warhol in den 50ern kommerziell sehr erfolgreich war.
In der 1. Etage treffen die Besucher im Eingangsbereich auf einen weißen Raum mit der Siebdruck-Serie „Cow Wallpaper“ und auf die „Silver Clouds“, einer Rauminstallation Warhols mit Helium gefüllten Luftballons in Kissenform, die aufgrund physikalischer Wirkung in Interaktion stehen. Eine Rekonstruktion einer 66er-Warhol-Ausstellung in der New Yorker Galerie von Leo Castelli.
„Andy Warhol exhibits“ widmet sich im speziellen auch den Filmen und Videoinstallationen Warhols, deren Screens wie einst in den 60ern unmittelbar neben den Bildern angeordnet wurden. Im Mittelpunkt standen zumeist die kreativen Szene- und Party People der New Yorker „Factory“, deren Protagonisten von Warhol frontal mit einer Bolex-16mm-Kamera gefilmt wurden. Daraus entstanden Undergroundfilme wie „Blow Job“, „Eat“, das 8 Stunden lange „Empire“ oder der berühmte Split Screen-Film „Chelsea Girls“, auf Polstern leger im Mumok visierbar. Die in einem quadratischen Raum positionierte Multimedia-Installation „Exploding Plastic Inevitable“ torpediert die Besucher direkt mitten in die exzessiven, sexuell freizügigen Sixties. Die Hauptdarsteller in dem von Licht- und Stroboskopeffekten aufgeheizten Raum: Die Kult-Band „The Velvet Underground“ rund um Lou Reed und Nico, die anfänglich auch von Warhol produziert wurde, und die ausgeflippten, drogenberauschten „Factory“-Paradiesvögel.
Andy Warhol konzipierte allerdings auch Ausstellungen für Kinder, beispielsweise 1983 in Zürich, wo er Bilder von Tieren und Spielzeugen in Augenhöhe der jungen Besucher hängte. In den Eighties hatte Warhol bei seinen Streifzügen durch die Szene immer eine Kamera bei sich. Die danach zusammengenähten „Sewn Portraits“ (u.a. mit Mick Jagger, Romy Schneider oder dem Studio 54-Gründer Steve Rubell) sind im Mumok in einer langen Schwarz-Weiß-Foto-Galerie zu bewundern.
Pop Art – nicht nur von Andy Warhol – gibt es auch in der Ausstellung „Misfitting Together“ im Untergeschoß zu sehen. Und natürlich im Außenbereich des Museumsquartiers, auf der Hauptstiege zum Mumok, die mit den farbenprächtigen „Flowers“-Motiven des 1987 gestorbenen Künstlers geschmückt ist. Go for it!
Noch bis 7. März 2021…
Performance und Fotomontagen bei gleichzeitig offenem Umgang mit Nacktheit, Sexualität und Körpersubstanzen, das sind die Markenzeichen des im Londoner Eastend ansässigen Künstlerpaares Gilbert & George. Das zeigen sie progressiv und schamlos mit ihrem aus 90 Tafeln bestehenden Werk „Bloody People“ im ersten Hauptraum der Albertina Modern. Die Künstler dreimal nackt mit Posen im Stile der japanischen Affen („Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“) vor dem Hintergrund mikroskopisch vergrößerter Bluttropfen, die auf die dramatische AIDS-Krise der 80er und 90er hinweisen.
Nur eines von 130 Werken der zweiten Ausstellung in der Albertina Modern, die am 7. Dezember unter dem Titel „The Essl Collection“ eröffnet wurde. Die Albertina Modern befindet sich im Künstlerhaus am Karlsplatz, das in den letzten Jahren vom Unternehmer Hans Peter Haselsteiner restauriert und erweitert wurde. Die aktuelle Ausstellung besteht einerseits aus Kunstwerken der im Jahr 2019 erfolgten Schenkung der Familie Essl an die Albertina, andererseits aus der Dauerleihgabe der Familiensammlung Haselsteiner.
Während sich die erste Ausstellung „The Beginning“ auf österreichische Kunst zwischen 1945 und 1980 konzentrierte, werden bei dieser Exhibition – mit einigen Ausnahmen – die Akzente auf die letzten 40 Jahre gesetzt. Rund ein Drittel der Sammlung Essl umfasst internationale Kunst, zwei Drittel der Werke kommen aus Österreich.
Das Ehepaar Karlheinz und Agnes Essl ist seit dem Beginn ihrer Sammlertätigkeit dafür bekannt, dass sie enge Freundschaften mit den Künstlern pflegen und diese auf ihren Karrierewegen begleiten. In der Ausstellung selbst erfolgen keine Einteilungen, weder nach Nationalität, noch nach Entstehungsjahr oder Kunstrichtung. Und so befindet man sich in den geräumigen Hallen der Albertina auf einer Magical Mystery Art Tour zwischen Pop Art eines Alex Katz, Klorollen-Skulpturen des Kärntners Heimo Zobernig, expressiven Gemälden eines Georg Baselitz oder Plastillin-Collagen des österreichischen Künstlerkollektivs „Gelitin“, die an der nicht mehr so blauen Donau einst die „Wachauer Nase“ kreiert haben.
Daniel Richter erinnert mit seinem großformatigen Ölbild „Flash“ an die Flüchtlingskrise, Jonathan Meese mit seiner Bronzeskulptur „Dr. Pounddaddy“ an die römische Wolfssaga rund um Romulus und Remus. Annette Messager installiert 28 am Boden liegende Formen aus Fallschirmseide, die sich nach dem Aufblasen in Organe und Extremitäten verwandeln.
Neo Rauch fabriziert auf einem fünf Meter breiten Bild eine rätselhafte Revolution, die vielleicht bereits wieder vorbei ist. Farbprächtige Gemälde des chinesischen Realisten Fang Lijun demonstrieren subtile Bedrohlichkeit unter dem Deckmantel eines Liebespaares. Daneben die überlebensgroßen Skulpturen der ehemaligen Päpste Benedikt und Johannes Paul II., die – aufeinander gebückt - vom rumänischen Künstler Virgilius Moldovan alt, rauh und zerschunden konzipiert wurden.
Ein bunter Stil-Mix erwartet auch die Besucher des Untergeschosses, in dem Fotografien der Essl Collection gezeigt werden. Vertreten sind dort u.a. Cindy Sherman mit ihren legendären „Clowns“, Gregory Crewdson, die auch als Regisseurin („Nowhere Boy“, „Fifty Shades of Grey“) arrivierte Fotografin Sam Taylor Johnson mit ihrem kunstvoll arrangierten „Bram Stoker´s Chair“ oder den Amerikaner Philip-Lorcia diCorcia, der mit Hilfe einer an einem Baugerüst montierten Blitzlichtanlage Passanten am New Yorker Times Square anonym fotografierte.
Ein besonderes Augenmerk richtet die Ausstellung auf die Absolventen der Becher-Schule, die an der Düsseldorfer Kunstakademie von Bernd Becher ausgebildet wurden und zu den Koryphäen zeitgenössischer Fotografie zählen: Thomas Ruff, Thomas Struth, der auf Landschaften spezialisierte Axel Hütte, Candida Höfer oder der „Toten Hosen“-Cover-Fotograf Andreas Gursky. Letzterer ist in der Albertina Modern mit einer Luftaufnahme auf die mit Party People überquillenden Berliner Love Parade vertreten. In (temporären) Zeiten von Social Distancing, Tanz- und Clubverboten ein Kulturschock, der - verhüllt unter der dunklen Face Mask - am schmerzhaftesten in die offenen Wunden brennt…
Zwei junge Männer blicken auf das endlos weite Meer. Der rechte greift sich mit seiner Hand parallel auf die Stirn und hält Ausschau nach fernen Ländern, er stellt den legendären Seefahrer und Entdecker Amerikas, Christoph Kolumbus dar. Neben ihm steht ein Polizist von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Er hält mit einem Fernglas Ausschau nach „illegalen“ Flüchtlingen, um die Grenzen Europas zu schützen. Eine geniale Fotoarbeit („There be Dragons“) der österreichischen Künstlerin Lisl Ponger, die zu den prägnantesten Werken der Ausstellung „Spuren und Masken der Flucht“ in der Landesgalerie Niederösterreich zählt.
Ca. 40 internationale und nationale Künstler zeigen bis 26. September 2021 ihre Kunstwerke zum Thema Migration und Flucht. Die Bandbreite reicht von Malereien, Fotografien, Videoarbeiten, Installationen bis hin zu Skulpturen, das Thema ist trotz der leichten Abebbung der „Flüchtlingskrise“ von 2015 hochbrisant und spannend. Die Zahl der Menschen, die weltweit vor Verfolgung und Gewalt fliehen, beträgt aktuell um die 80 Millionen, Kinder machen dabei 40 Prozent der Flüchtlinge aus.
Im Jahr 2019 gewährten laut Europäischem Parlament die EU-Länder 295.800 Asylsuchenden Schutz, ein Rückgang gegenüber den vorhergehenden Jahren (2018: 333.400; 2017: 533.000). Die drei größten Gruppen stammten aus Syrien (27 Prozent), Afghanistan (14 Prozent) und Venezuela (13 Prozent). 2019 wurde über 735.000 Personen die Einreise an den EU-Außengrenzen verweigert, 1319 Menschen starben oder verschwanden bei der Flucht über das Meer (2018: 2277, 2017: 3139. Die Diskussionen, private Schiffe dürften keine Flüchtlinge retten, weil sonst noch mehr Menschen per Schlepper nach Europa drängen, lassen an der Empathie und der Humanität mancher Politiker zweifeln.
Wie gefährlich, anstrengend und nervenaufraubend eine Flucht ist, zeigt der Videofilm von Rania Mustafa Ali, die als 20jährige von Kobane in Syrien nach Österreich flüchtete. In „Rania´s Odyssey“ wird der Ausstellungsbesucher konfrontiert mit überfüllten Flüchtlingsbooten, schlammigen Zeltlagern und Tränengas- und Schlagstockattacken. Ebenfalls auf der Flucht war einst 1978, kurz vor Ausbruch der Islamischen Revolution, Ramesch Daha, die bereits an der Mauer der Steiner Justizanstalt ein Mahnmal zur Kremser Hasenjagd errichtet hat. In der Landesgalerie dokumentiert Daha die Routen ihrer Flucht unter dem Titel „Unlimited History“.
Promotiontechnisch treffsicher wurde im Titel der Ausstellung auch der Begriff der Maske platziert. Der Zusammenhang wird aber im Einleitungstext evident: „Für die Reise müssen Identitäten verborgen und gewechselt werden, der behördliche Asylprozess ist ein weiteres Maskenspiel“. Der nach eigenen Angaben staatenlose Alaa Arkurdi verwandelt sich in einer Videoinstallation vom blonden Mann mit blauen Augen in einen dunkelhaarigen Mann mit braunen Augen. Die fremdenfeindliche Stigmatisierung von Flüchtlingen kann nicht besser reflektiert werden. Die aus Syrien stammende Künstlerin Linda Zahra zeigt Fotoserien von geflüchteten Frauen und Bildcollagen, darunter ihren eigener bandagierten Kopf mit Fingerprint und Passstempel.
Manche stellen die realen Zustände auch anders da, als sie tatsächlich sind. Mehmet Emir beispielsweise zog als 16jähriger nach Wien zu seinem Vater, der als „Fotograf der (türkischen und jugoslawischen) Gastarbeiter“ zahlreiche verklärerische Wohlstands-Fotos in die Heimat schickte. Massenquartiere, Not und harte Arbeit wurden unter den Tisch gekehrt. Emir selbst wurde auch Fotograf, seine chronisch angelegten Arbeiten über seine neue und alte Heimat können sind im 1. Stock der Landesgalerie zu betrachten.
Die bulgarische Künstlerin Olga Georgieva zeigt ihr Haus aus Holzschnittplatten, das sie während ihres Studiums in Wien aus Sehnsucht nach ihrer Heimat hergestellt hat. Der aus Chile stammende Künstler Patricio Handl, der die aktuelle Kampagne „Ohne Kunst und Kultur wird´s still“ konzipiert hat, präsentiert seine „Wir Wiener“-Plakate, Symbole der multikulturellen Gesellschaft in der Metropole Wien.
Jeder ist Ausländer, fast überall. Sollte man annehmen. Die Russin Lena Lapschina hat im Jahr 2000 ID-Cards mit der Bezeichnung „Inländer“ und „Ausländer“ erstellt. Diese können auch im Shop der Landesgalerie erworben werden. Robert Jelinek gründete 2003 auf der unbewohnten finnischen Insel Harraka den „State of Sabotage“, der Zettelspieß in der Ausstellung zeigt die über 14.000 Pass-Anträge des im August 2013 aufgelösten Staates.
Ebenfalls vertreten in der Ausstellung ist Deborah Sengl, die zuletzt mit präparierten Ratten „die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus inszenierte. Auf dem Boden platziert wurde ein „Mensch-Hund-Mischwesen“ mit einer Schwimmweste. Auf den Wänden sieht man Migranten auf der Flucht, eingesperrt, in der Wüste bzw. in überfüllten Flüchtlingslagern. Der menschliche Kopf wurde durch ein treuherziges Hunde-Antlitz ersetzt. Werktitel „Wer will mich“ in Anlehnung an die Edith Klinger-Tiervermittlungs-Sendung der 80er und 90er. Erregen arme Hunde tatsächlich mehr Mitleid bei vielen Wohlstandsbürgern als verzweifelte Menschen auf der Flucht?
Viele Themen und künstlerische Arbeiten zum Nachdenken in der Ausstellung „Spuren und Masken der Flucht“ noch bis 26. September 2021…
Im Laufe der Geschichte bestanden in Wien 93 Synagogen. Die einzige historische Synagoge, die die Novemberpogrome 1938 überstanden hat, war der Stadttempel in der Seitenstettengasse, in dessen Umfeld am 2. November dieses Jahres ein Terroranschlag mit vier Toten und 22 Schwerverletzten stattgefunden hat.
Viele Geschichten über das Jüdische Wien gibt es zu erzählen. 100 davon hat die ehemalige ZIB-Nachrichtenmoderatorin und seit 2010 als Direktorin des Jüdischen Museums tätige Danielle Spera in einem Buch zusammengefasst. „100x Österreich –Judentum“ nennt sich das im Amalthea-Verlag erschienene Werk dementsprechend. Die Autorin hat ihr neues Buch kürzlich im Thalia Wien-Landstraße online vorgestellt und einige Anekdoten daraus erzählt.
Spera referierte beispielsweise über die Fotografin Margit Dobronyi, die 1956 als Flüchtling von Budapest nach Wien kam. 40 Jahre lang fotografierte sie die jüdische Gemeinde in Wien mit übergroßem Blitzlicht und der charmanten Aufforderung „Ein Foto, bitte!“ Viele ihrer über 200.000 analogen Fotos sind im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse ausgestellt und werden derzeit digitalisiert.
Wien war in der Zwischenkriegszeit die drittgrößte jüdische Gemeinde Europas, jeder zehnte Wiener war jüdischer Abstammung, darunter viele Künstler wie die Kabarettisten Fritz Grünbaum oder Hermann Leopoldi, Viktor Frankl, Sigmund Freud, die Komponisten Gustav Mahler und Arnold Schönberg, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Friedrich Torberg oder Franz Kafka. Während in Wien im Jahr 1938 noch über 200.000 Juden lebten, waren es im Jahr 1946 nur mehr 25.000, die teils versteckt, teils durch gemischte Ehen überlebten und großteils nach dem Krieg auswanderten. Über 65.000 österreichische Juden starben durch die nationalsozialistische Shoah, ein Denkmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread in Form eines Stahlbetonkubus wurde im Oktober 2000 auf dem Judenplatz eröffnet.
Im Laufe der Jahre vergrößerte sich laut Spera die jüdische Gemeinde wieder, und zwar durch Zuwanderer aus dem Osten. Juden aus Polen, Ungarn, Rumänien, Tschechien oder der ehemaligen Sowjetunion ließen sich in Österreich nieder, es entwickelte sich vor allem seit den 70ern eine multikulturelle, bunte Gesellschaft verschiedenster Riten und Bräuche. Und das nicht nur in Wien, sondern auch in Salzburg (unter dem einst ältesten Holocaust-Überlebenden und Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Marko Feingold) oder Hohenems.
Danielle Spera räumte auch mit dem Vorurteil auf, dass die Juden vorwiegend der reichen und schicken Gesellschaft angehörten. Zahlreiche jüdische Bürger, Kaufleute und Unternehmer (wie die Familien Ephrussi oder Rothschild) waren zwar verdienstvoll am glanzvollen Erstrahlen Wiens durch den Bau der Ringstraße und ihrer Prachtgebäude beteiligt, die meisten Juden waren aber zu jeder Zeit Systemerhalter und „einfache Leute“, die Schwierigkeiten hatten, finanziell über die Runden zu kommen.
Der erfolgreiche Betrieb der einst verschuldeten Ottakringer Brauerei durch die später emigrierte Familie Kuffner (die auch die gleichnamige Sternwarte finanzierte), die jüdische Brüder und Riesenrad-Besitzer, Gabor und Eduard Steiner, und ihre Visionen über den späteren Vergnügungspark Prater, die Verbindung zwischen dem Münzmeister Schlom und Richard Löwenherz, Karlskirche, Schloss Schönbrunn, Jüdische Friedhöfe, Freud, Herzl, der Salon der Berta Zuckerkandl,… - Viele weitere amüsante, tragische und wissenswerte Geschichten über die Jüdische Gemeinde erzählt Danielle Spera in ihrem Buch. Empfehlenswert.
Danielle Spera: 100x Österreich – Judentum. Amalthea Verlag, 256 Seiten, 25 Euro.
„Show me the Monet“ brachte den britischen Street-Art-Künstler Banksy kürzlich in die Schlagzeilen. Die an das Monet-Gemälde angelehnte Neuinterpretation der „Japanischen Brücke“, deren Seerosenteich mit Müll und einem Verkehrskegel beschmutzt ist, erzielte mit 8,4 Millionen Euro den – nach den britischen Unterhaus-Affen („Devolved Parliament“) – zweithöchsten Versteigerungserlöses eines Banksy-Werkes.
Banksy soll aus Bristol stammen und im Jahre 1974 geboren sein. Außer wenigen Eingeweihten kennt keiner seine Identität, manche vermuten hinter dem Schablonen-Graffiti-Artist und politischen Aktivisten auch ein Künstlerkollektiv. Diverse Ausstellungen über sein umfangreiches Ouevre haben immer einen Schönheitsfehler, sie sind vom Schöpfer persönlich nicht autorisiert. Was allerdings nicht unbedingt den Wertvorstellungen Banksys widerspricht. Stichwort „Copyright is for losers“.
„The Art of Banksy“, eine Wanderausstellung, die u.a. bereits in Berlin, Budapest, Amsterdam, Paris und Melbourne leicht variiert zu sehen war, zeigt nun erstmals Banksy-Werke in Wien, und zwar im ehemaligen Clubbing-Tempel der nach einem Brand neu restaurierten Sofiensäle. Die Kritiken sind angesichts der billigen Reproduktionen, kaum vorhandener Originale und ambivalenter Installationen zwar eher negativ ausgefallen. Dies sollte aber niemanden davon abhalten, sich die gegen Rassismus, Polizeigewalt und staatliche Autoritäten gerichteten Motive der Street Art-Ikone anzusehen und sich politisch inspirieren und beeinflussen zu lassen. So frei nach dem Motto: „If Graffiti changed anything, it would be illegal“.
Im Mittelpunkt der Banksy-Galerien stehen Frühwerke des Künstlers, deren Hintergründe kurzweilig erläutert werden. Darunter „Girl with a Balloon“, „Pulp Fiction“ (mit dem Bananen- statt Colt-ziehenden John Travolta), „Laugh Now“, „Bomb Hugger“ (das großformatig auf den Wänden platziert wurde) oder die „Monkey Queen“. In einem Nebenraum wird Banksy als Warhol des 21. Jahrhunderts positioniert, mit Kate Moss-Motiven im Marilyn Monroe-Style.
Eine Video-Dokumentation zeigt einen kurzen Film über das Wirken Banksys, im Vordergrund der Lounge sieht man einen vermummten Sprayer in einem Studio, der bei einer ähnlichen Ausstellung in Lissabon („Banksy - Genius or Vandal“) durch eine Verdunkelung des Show Rooms mysterischer in Szene gesetzt wurde.
Im Foyer zeigt die Ausstellung eine Installation eines Straßenstandes mit mehreren Gemälden, die Banksy 2018 auf dem Markusplatz von Venedig aufgebaut hat. Die Bilder ergeben zusammengefügt einen Luxusfrachter vor der Kulisse Venedigs, der Titel „Venice in Oil“ verweist auf die Umweltverschmutzung durch die Kreuzschiffahrtsindustrie.
Nicht fehlen darf die Bathroom-Installation, die Banksy während des Corona-Lockdowns in seiner Home-Office konzipiert hat. Mit Ratten, die im Badezimmer tanzen, offene Zahnpastatuben bespringen und ins WC urinieren. Eine auf einen Spiegel projizierte Ratte macht – wie ein Häftling eines Gefängnisses – Stricherl, die Tage der Quarantäne. Auf eine Fortsetzung dieses Banksy-Artefakts können wir alle getrost verzichten…
The Art of Banksy – 23. Juli bis 8. November 2020 in den Sofiensälen.
Der Rabenhof, das Gemeindebautheater im 3., hat wieder Saison. Mit allen Größen der Kabarett- und Satireszene und einem ausgeklügelten Covid-19-Präventionskonzept, das jeweils an die geltenden gesetzlichen Vorschriften angepasst wird. Und das "shortly without von delay". Jener Spruch des Jahres der ehemaligen ÖVP-Finanzministerin Maria Fekter, der den Satiriker Klaus Oppitz und den Profil-Wirtschaftsjournalisten Michael Nikbakhsh zu ihrem ersten Programm "Niemand nennt uns Mitzi" inspirierte.
Kurz vor der Wien-Wahl präsentierten die beiden im Rabenhof eine (letzte) Sonderausgabe ihres Programms, das witzige, peinlich und entlarvende Zitate von Spitzenpolitikern enthält, die im Rahmen eines Publikumsquiz den "Verbalakrobaten" zugeordnet wird. Mit dabei Kapazunder wie Kurz, Strache, Grasser oder Ex-Kanzler Faymann, dessen Wortspende bei einer Diskussionssendung zwar voller Selbstvertrauen, aber ohne Sinn in die Audienz geschleudert wurde.
Was dieses Mal anders war: Die Besucher mussten im gesamten Theater, auch am Sitzplatz, eine Schutzmaske tragen, ein Sitz blieb zwischen den Besuchergruppen frei. Dazu als besondere Vorsichtsmaßnahme Fiebermessen vor dem Eintritt. Außerdem gab es keine Pause. Die Bar wurde vor dem rot erleuchteten Theater ins Freie versetzt, wo Drinks sowohl vor als auch nach der Vorstellung ausgeschenkt wurden. Der Stimmung tat dies keinen Abbruch.
Rabenhof-Direktor Thomas Gratzer bedankte sich bei den Besuchern fürs Kommen. Sowohl vor der Mitzi-Show, als auch zwei Tage später vor dem Auftritt der Staatskünstler Florian Scheuba, Robert Palfrader und Thomas Maurer, die ihr Programm "Jetzt erst recht" mit politischen Updates adaptieren. Koste es, was es wolle. Schonungslos dekonstruiert werden die Marketing-Tricks der türkisen Message Controller, das legendäre Ibiza-Video erlebt ein NS-Revival mit Palfrader als Hitler, HC Strache (Maurer) trifft mit Eigenurin-Amulett auf seinen Vorgänger Jörg Haider (Scheuba), und die Corona-Verschwörungstheoretiker versammeln sich unter dem Mantra des Hulapalu.
Stermann/Grissemann, Maschek, Andi Vitasek als Herr Karl, Ernst Molden oder 50 Jahre Austropop mit Katharina Straßer sind nur einige der Höhepunkte der nächsten Wochen im Rabenhof. Und natürlich das brandneue 2. Programm von Oppitz & Nikbakhsh, "Wählt uns (weil´s schon wurscht ist"). Vielleicht gibt es ja danach wieder eine Torte von der Managerin :-)
Hedy Lamarr, Film-Star und Celebrity der 40er, deren Biographie fast spannender ist als der Plot ihrer Hollywood-Blockbusters. Das Jüdische Museum am Wiener Judenplatz widmet der als Hedwig Kiesler 1914 in Wien geborenen Tochter eines jüdischen Bankiers und einer Konzertpianistin eine Sonderausstellung, die bis 8. November in drei Räumen besucht werden kann.
Kiesler wurde von Max Reinhard für das Theater entdeckt, bekannt wurde sie allerdings durch eine Nackt- und Orgasmusszene in dem tschechoslowakischen Kunstfilm "Ekstase" 1933, dessen Filmplakat zentral in den Räumlichkeiten der Ausstellung platziert wurde. Kiesler heiratete den Waffenproduzenten Fritz Mandl, der sie von den Dienstboten einsperren und bewachen ließ. Auf der Flucht Richtung Amerika nahm sie im September 1937 auf dem Luxusdampfer Normandie ein Angebot des Filmproduzenten Louis B. Mayer ein, auf dessen Rat sie ihren Namen in Hedy Lamarr ändern ließ. Der erste US-Film der bildhübschen, dunkelhaarigen Schauspielerin, "Algiers", wurde bereits ein Riesenhit. In der Ausstellung sind zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotos Lamarr aus den 30er und 40ern zu sehen, u.a. mit den damaligen Filmstars Clark Gable, Robert Taylor, Lana Turner oder mit "Over the Rainbow"-Ikone Judy Garland, mit der sie nicht nur den Film "Ziegfeld Girl" drehte, sondern auch die US-Soldaten im Kampf gegen die Nazis unterstützte.
Während dieser Zeit entwickelte sie gemeinsam mit dem Avantgarde-Komponisten George Antheil eine Funkfernsteuerung für Torpedos. Das sogenannte Frequenzsprungverfahren wird heute in der Kommunikationstechnik bei Bluetooth verwendet, daher auch die beifügende Ausstellungstrademark "Lady Bluetooth". Spät, aber doch erhielt Lamarr dafür den Electronic Frontier Foundation Pioneer Award. Seit 2018 wird in Wien der mit 10.000 Euro dotierte "Hedy Lamarr-Preis für innovative Frauen in der IT" verliehen, zuletzt an die Computertechnikerin Laura Nenzi für die Analyse komplexer Computersysteme.
Nach dem 2. Weltkrieg landete Lamarr zwar noch einen großen Film-Hit mit dem Historiendrama "Samson & Delilah", war aber ansonsten eher in den Klatschspalten mit ihren insgesamt sechs Ehen und Schönheitsoperationen vertreten. Nach einem Ladendiebstahl widmete Andy Warhol ihr seinen Film "Shoplifter". Warum Lamarr außer einem kleinen Besuch im Jahr 1955 niemals nach Wien zurückkehrte, begründete ihr Sohn Anthony in einem TV-Interview mit der Direktorin des Jüdischen Museums, Danielle Spera, damit, dass sie in ihrer Heimat als wunderschöne Actress in Erinnerung bleiben wollte und nicht als alternde Frau.
In einem speziellen Raum der Ausstellung, auf dessen Wand eine Nachbildung des 1960 am Hollywood Boulevard eingravierten Sterns platziert wurde, thematisieren die Kuratoren Lamarrs Einfluss auf die Nachwelt. Die ehemals schönste Frau der Welt war u.a. Inspiration für die Figur der Replikantin Rachael im Ridley Scott-Klassiker "Blade Runner" und für die Catwoman in "Batman". Dazu Dokus (wie "Calling Hedy Lamarr"), Kunstinstallationen, Graphic Novels, Briefmarken, das Peter Turrini-Theaterstück "Sieben Sekunden Ewigkeit" in der Josefstadt (mit Sandra Cervik in der Titelrolle),...
Hedy Lamarr selbst zog sich nach ihrer Hollywood-Karriere aus der Öffentlichkeit zurück und lebte zuletzt in Florida, wo sie im Jänner 2000 starb. Ihre Asche wurde gemäß ihres letzten Willens von ihren beiden Kindern Anthony und Deedee im Wienerwald verstreut. Zu ihrem 100. Geburtstag erhielt Lamarr ein Ehrengrab der Stadt Wien am Wiener Zentralfriedhof...
"Die Bürgschaft", "Der Taucher" oder die endlos lange "Glocke": Das sind Gedichte Friedrich Schillers, mit denen sich Schüler bis weit nach Mitternacht plagen, um sie am nächsten Tag in der Deutschstunde textlich und (halbwegs) rhetorisch vorzutragen. Was nicht immer gelingt. Philipp Hochmair, seines Zeichens Meisterschüler von Klaus Maria Brandauer und Ex-Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater und am Hamburger Thalia Theater, beherrscht das im Effeff. Die Dresdner Band "Elektrohand Gottes" mixt seine Verbalakrobatik mit elektronischen Beats, die auch für die Kids die Welt bedeuten.
"Schiller Rave" nennt sich dementsprechend das Projekt von Hochmair, Gitarrist Tobias Herzz Hallbauer, Ex-Punk und Elektronik-Mastermind Jörg Schittkowski und Schlagzeuger Alvin Weber und ist nicht die erste Zusammenarbeit der Künstler. Seit 2013 touren die vier mit ihrem Projekt "Jedermann Reloaded" durch die Lande, das u.a. auch im Wiener Burgtheater und im Stephansdom (als Aids-Charity-Event für ein südafrikanisches Hospiz) aufgeführt wurde. Hochmair, dem TV-Publikum als schlitzohriger Minister Schnitzler aus den Vorstadtweibern" bekannt, verhalf dessen Hofmannsthal-Textkenntnis zu einem überraschend schnell Ersatzauftritt im Original-"Jedermann" der Salzburger Festspiele, als Hauptdarsteller Tobias Moretti plötzlich erkrankte.
In einer club- und partylosen Corona-Zeit, in der Raves nur illegal in Kellern, auf Wiesen, an verlassenen Teichen oder sonstigen Freiräumen stattfinden, lud der Wiener Musikverein zum (legalen) "Schiller Rave". (Sauerstoff)-Masken wurden immerhinn damals auch in der Hochzeit der UK-Raves getragen, Hochmair selbst schlüpfte in die Rolle eines orange gekleideten Bauarbeiters mit Helm, Metallstange und Zangen, der die eleganten lyrischen Texte des Dichterfürsten Schiller per Mikro, aber auch per Megaphon wie ein Rapper in die Menge brüllte. "Die Elektrohand Gottes" residiert, schlicht gekleidet, hinter dem exzentrischen Solisten. "Die Band reagiert auf mich, auf meine Verse, Arabesken, Spracheskapaden - und ich auf die Beats der Band. Dieses Duett ist jedes Mal ein Experiment", so Hochmair in einem Interview.
Der Sound: Techno, Trance, Ambient. Es blubbert so herrlich, wenn sich "der Taucher" inmitten von blauen Lichtprojektionen in die Tiefe stürzt. Die Texte der Schiller-Balladen - inklusive dem Goethe-Bonus vom "Erlkönig" (der "so spät reitet durch Nacht und Wind") - bleiben übrigens unverändert. Der progressiv-exzessive Vortragsstil Hochmairs dürfte manch ältere Literaturpuristen schockieren, aber das ist ja auch die Absicht: Die (scheinbar) verstaubten Schiller-Texte des 18. Jahrhunderts per Zeitreise in die Gegenwart zu beamen.
Für Hochmair haben "die Balladen einen zeitlosen Kern. Die Bürgschaft handelt von Freundschaft und Treue, im Taucher geht es um Risikobereitschaft, die Glocke spiegelt die Kultur des damaligen Lebens wieder." Aus 425 Zeilen besteht das 1799 entstandene Lied von der Glocke, die letzte "Friede sei ihr erst Geläute" beendet Hochmair mit einem freudvollen Juchzer " Das war die gesamte Glocke". Experiment "Schiller Rave" vollendet, jetzt dröhnt nur mehr der Applaus des begeisterten Publikums...
"The Beginning" nennt sich die erste Ausstellung der Albertina Modern im neuen Künstlerhaus am Karlsplatz, das von Hans Peter Haselsteiner um 57 Millionen Euro restauriert wurde.
Im Epizentrum steht dabei die Kunst in Österreich von 1945 bis 1980, die von reaktionären Kreisen bis in die 70er noch als "entartet" bezeichnet wurde. Das Künstlerhaus bietet dabei den idealen Standort, war doch dieser die letzte Station der Ausstellung "Entartete Kunst" im Dritten Reich. Zurückgegriffen wird dabei auf Werke der Sammlung Essl, der Albertina, internationaler Museen und Privatsammlungen.
Auf einer Fläche von rund 2000 Quadratmetern werden Artefakte von rund 70 Künstlern verschiedener Genres gezeigt, die in 13 Kapiteln einen überblickshaften Einstieg in die österreichische Kunst der Nachkriegszeit liefern. Dazu zählen Strömungen wie der Phantastische Realismus, der Wiener Aktionismus, Pop Art Made in Austria, abstrakte Malerei oder die Feministische Avantgarde. Das Gemeinsame der unterschiedlichen Künstler liegt laut den Kuratoren vor allem in der radikalen Auflehnung gegen Autorität und Hierarchie und der Kritik an der Verdrängung vergangener Schuld.
Inspirationen holten sich die österreichischen Künstler vor allem im Ausland, in Paris, Mailand oder in New York, wo sich Kiki Kogelnik im Warhol-Dunstkreis mit Konsum- und Massenkultur beschäftigte oder Maria Lassnig ihren "Body Awareness"-Stil entwickelte. Die Pop Art-Künstler bildeten in Österreich keine homogene Gruppe wie in anderen Ländern. Zu den prominentesten Vertretern zählten Christian Ludwig Attersee, Kiki Kogelnik, Cornelius Kolig und der früh verstorbene niederösterreichische Künstler Robert Klemmer, der mit seinen knallig bunt angezogenen, laufenden Männern die Promotion-Teaser der Ausstellung bildet.
Im Gegensatz zur Pop Art stand in den 60ern der Wiener Aktionismus, der auf die Farbwelt der Dinge vollkommen verzichtete und der die Fotografien und Filmaufnahmen der Aktionen als eigenständige Kunstwerke betrachtete. Hauptprotagonisten dieser teils umstrittenen Kunstrichtung sind Otto Mühl, Rudolf Schwarzkogler, Günter Brus und Hermann Nitsch, dessen "Orgien Mysterien-Theater" auf einem TV-Schirm betrachtet werden kann.
International arrivierte Künstler wie Gottfried Helnwein (dessen "Beautiful Victims" auf grausame Therapiemethoden in der psychiatrischen Klinik "Am Steinhof" hinweisen), Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer oder Franz West dürfen natürlich nicht fehlen. Ein eigener Abschnitt ist auch der Feministischen Avantgarde gewidmet, deren Protagonistin Valie Export sich als Kritik an der fehlenden Anerkennung von Künstlerinnen nach einer Zigarettenmarke und ihrem Kosenamen benannte und mit Aktionen wie dem "Tastkino" oder "Aktionshose Genitalpanik" die konservativen Zirkel schockierte.
In Planung ist eine Fortsetzung der attraktiven "The Beginning"-Ausstellung, die sich mit der Periode der 80er beschäftigt: "The Eighties", Vernissage vermutlich 2021...
Das Wien Museum am Karlsplatz wird derzeit saniert und um einen zweigeschoßigen Aufbau erweitert. Eine hochaktuelle Ausstellung gibt es trotzdem zu sehen, und das sogar ohne Maskenpflicht. Denn die Fotoexhibition "Face it" befindet sich im Freien auf dem Bauzaun vor dem Wien Museum. Der Clou: Alle 18 Porträtierten sind verhüllt mit einer Maske.
Die Idee zu dieser Freilichtausstellung entstand bereits während des Lockdowns Ende März. Abgelichtet wurden 18 Personen von der Fotografin Elodie Grethen, Kurator Peter Stuiber führte zusätzlich Interviews über die Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen der Porträtierten, die neben den großformatigen Fotos in deutscher und englischer Sprache platziert wurden.
So erzählt ein seit 12 Jahre in Österreich lebender Augustin-Verkäufer von seiner Quarantäne und dem Krankenhausaufenthalt. Eine Buslenkerin der Wiener Linien öffnet nach jedem Stopp beide Türen, um durch Lüften die Corona-Ansteckungsgefahr zu reduzieren. Die hippe Modedesignerin Romana aus Neubau eröffnete einen Online-Shop für Masken. Eine Alleinerzieherin aus Favoriten, die mit acht Personen in einer Wohnung lebt und mit zwei Kindern abgebildet ist, schildert ihre Angst über die Pandemie. Ihr Motto: "Es ist besser nicht rauszugehen". Eine Spar-Verkäuferin aus Währing, die erst im März ihren Job begonnen hat, schüttelt den Kopf über die Hamsterkäufe der Kunden, die sich mit massenhaft Klo-Papier und Nudeln Mitte März eingdeckt haben (obwohl nie von einer Schließung der Lebensmittelgeschäfte die Rede war).
Viele weitere Anekdoten aus der Zeit zwischen April und Juni 2020 eröffnen sich den Betrachtern auf der Foto-Allee vor dem Wien-Museum, von einer Ärztin, einem Polizisten, einem Notfallsanitäter, einem Friseur, einer Heimhilfe des Samariterbundes, einem Polier, einem Lehrer, einem Fahrradkurier und der Kulturproduzentin Tonica, die mit einer "Black Lives Matter"-Maske fotografiert wurde. Auch in Zeiten eines Lockdowns darf man nie auf seine Werte und Visionen vergessen.
Eine düster-melancholische Abendstimmung hängt über dem Wiener Naschmarkt, leichte Regentropfen und dunkle Wolken verdecken die August-Sonne. Eigentlich ein ideales Szenario für den Auftritt der österreichischen Liedermacherin Sigrid Horn, deren nachdenkliche Songs in diese Atmosphäre passen.
Die aus dem niederösterreichischen Mostviertel (Neuhofen/Ybbs) stammende Sängerin, die sich als Vocalistin des Quartetts "wosisig" und als Poetry Slammerin Giga Ritsch (auch bei Donnerstagsdemos) einen Namen gemacht hat, hat im März 2020 ihr zweites Album "I bleib do" veröffentlicht. Vorgestellt hat sie das von Ernst Molden co-produziertes Werk u.a. im Rabenhof-Theater und in der Elbphilharmonie Hamburg, bis die Corona-Krise ihre Träume von einer Promotion-Tour durch Europa beendete. Jetzt, nach 6 Monaten, wird der Gig-Kalender wieder voller. Nach einem Auftritt in Tirol düste Horn per Auto zum Wiener Naschmarkt, wo sie im Rahmen des Kultursommers einige ihrer Lieder aus ihren bisher erschienenen Alben "Sog I bin weg" (2018) und "I bleib do" (2020) präsentierte.
Gekleidet ist die seit dem letztjährigen Popfest hochgefeierte Liedermacherin stets in schwarz, die Augen beim Singen geschlossen, konzentriert, authentisch - eine Sängerin, der man nicht nur bei ihren Liedern, sondern auch bei ihren Erzählungen dazwischen gerne zuhört. Musikalisch begleitet sich Horn bei diesem Auftritt selbst mittels Ukulele und Keyboard, ansonsten tritt sie auch im Trio (wie am 2. September im Museumsquartier) auf.
Die Themen der in Dialekt vorgetragenen Songs drehen sich um Familiengeschichten, Umwelt, Gedanken über das Leben und die Zukunft oder um emotionale Liebesgefühle. Mit "Baun", einer Anklage gegen die Zersiedelung der österreichischen Landschaft, gewann Horn 2019 den FM4-Protestsongcontest. "Daham" reflektiert den Heimatbegriff, der in einer multikulturellen Gesellschaft nur schwer eruierbar ist. Ein Wink auf ihre eigene Historie, der Vater ist ein in Chile aufgewachsener Bildhauer. Die erste Single "Radl" aus ihrem neuen Album widmete Horn ihren Großeltern, die seit über 60 Jahren glücklich miteinander verheiratet sind und ihre Karriere gefördert haben.
"Kassandra" (nicht zufällig namensgleich mit der Seherin aus der griechischen Mythologie"), "Heazn", "Frühling" "Ripm" und "Zombies" sind weitere Songs aus dem
Repertoire, die das Publikum am Naschmarkt bezaubern, bis sich stärkerer Regen in die Performance der jungen Sängerin einmischt. Man kann aber getrost behaupten, dass trotz der teils düsteren
Texte die Sonne für Sigrid Horn steil aufsteigt...
https://www.sigridhorn.at/
Mit 18 Jahren besuchte der junge Fotograf Michael Horowitz die aus Kärnten stammende Kiki Kogelnik in New York, die sich dort im Dunstkreis von Andy Warhol einen Namen als gesellschaftskritische Künstlerin gemacht hat. Eines der imposanten Bilder: Kiki mit Bomben aus Plastik, fotografiert auf einem Dach eines Gebäudes in der Lower East Side.
Viele weitere großartige Bilder des 1950 in Wien geborenen Fotografen, Schriftstellers, Journalisten und Verlegers Horowitz sind noch bis 6. September in der Wiener Albertina zu bewundern. Im Mittelpunkt stehen vor allem Aufnahmen aus den 1960er- bis 1980ern, als Horowitz als freier Fotograf arbeitete und Porträts zu seiner Lieblingsdisziplin zählten. Sein persönlicher Freund Qualtinger, Arnold Schwarzenegger, der ansonsten eher scheue Thomas Bernhard, Klaus Maria Brandauer, Helmut Berger & Sydney Rome, Oskar Werner, Udo Proksch, Erika Pluhar, Senta Berger, "Ostbahn Kurti" Willi Resetarits, Legenden des österreichischen Kultur-, Theater- und Gesellschaftslebens, die alle vor der Linse von Horowitz landeten.
Zu sehen sind in der in der Basteihalle der Albertina platzierten Ausstellung allerdings auch Pop-Heroes wie Mick Jagger (beim Konzert der Rolling Stones in Wien 1967), John Lennon und Yoko One, die deutsche Chanson-Legende Hildegard Knef oder Andy Warhol, den Horowitz bei einer privaten Fotosession mit der Hans Dichand-Tochter Johanna porträtierte.
Die ersten eindrucksvollen Fotos publizierte Horowitz bereits im zarten Alter von 15, als er linke Aktivisten in den Straßen Wiens ablichtete, die gegen rechtsextreme Umtriebe auf den Universitäten und den Ernst Kirchweger-Mord demonstrierten. Für den Spiegel fotografierte er 1977 am burgenländischen Friedrichshof die umstrittene Otto Mühl-Kommune. Zu seinen Motiven gehörten auch die Gugginger Künstler Johann Hauser oder Ernst Herbeck, deren Werke 1970 erstmals in der Galerie nächst St. Stephan ausgestellt wurden. Den gesellschaftlichen Aufbruch Wiens zu einer liberalen, weltoffenen Stadt veranschaulicht Horowitz, der 1989 das Kurier-Magazin "Freizeit" gründete, durch pointierte Alltagsszenen der Sixties, als transparente Blusen noch zu einem "Tumult in Vienna" führten.
"Michael Horowitz" - Von 28. Februar bis 6. September 2020 in der Galerie der Basteihalle der Wiener Albertina...
Champagner aus Stacheldraht, Fahnen aus Ziegeln oder aufgeklappte Kampfmesser. Bizarre Motive, die der aus Südafrika stammende Künstler Robin Rhode in seiner aufgrund der Corona-Krise verspätet eröffneten Ausstellung in der Kremser Kunsthalle präsentiert. Bizarr allerdings nur, wenn man nur die oberflächliche Ästhetik seiner Werke betrachtet und den politisch-gesellschaftlichen Hintergrund ausblendet.
Robin Rhode lebt seit 2002 in Berlin und betreibt dort ein Studio in einem ehemaligen Brauhaus, aufgewachsen ist er allerdings in Johannesburg zur Zeit der Apartheid. Der Titel seiner Ausstellung, "Memory is a Weapon", stammt vom Dichter Don Mattera, der einst die gefürchtete Gang der "Vultures" (so auch die Tradermark der bereits erwähnten Messer-Serie) anführte und dann zum Widerstandskämpfer und Sozialarbeiter kristallisierte. Rhode bezieht sich dabei explizit nicht auf Gewalt, sondern auf die Erinnerung an die eigenen Wurzeln, die vor dem Vergessen schützen sollen. Der 1976 geborene Künstler gehörte als Kind persisch-jamaikanischer Vorfahren zur sogenannten "Coloured Community". Weder Schwarz noch Weiß.
Dass sich seine ersten Arbeiten mit dem Fahrrad beschäftigten, ist kein Zufall. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden heimkommende südafrikanische Soldaten belohnt, die Weißen mit Land, die Schwarzen mit einem Fahrrad. Die Methodik seiner Kunstwerke hat er bereits zu Beginn seines künstlerischen Schaffens begründet. Als Oberfläche dienten stets eine Mauer oder der Boden, die per Kohlestift mit bestimmten Motiven bemalt wurden. Verschiedene Personen, zuerst er selbst, dann Jugendliche aus der Umgebung (die er als "Art Army" bezeichnete) fungierten als Akteure, die - wie in Filmen der Frühzeit - diverse (serielle) Handlungen gemäß Storytelling setzen. Diese Aktionen werden fotografiert, per Computer bearbeitet und teils zu Videoinstallationen transformiert (die alternierend im Obergeschoß der Kunsthalle auf Videoscreens projiziert werden).
Beim weltberühmten digitalen Animationsfilm "Piano Chair" beispielsweise wird ein Pianist gezeigt, der sein Klavier zertrümmert und in Flammen setzt. Grundlage dieser Installation ist die Tragödie des Jazzpianisten Moses Taiwa Molelekwa und seiner Frau, die tot aufgefunden wurden und deren Morde bis heute nicht aufgeklärt sind. "Twilight" zeigt Federn in verschiedenen Black & White-Schattierungen, die auf die Identität der Coloured Community hinweisen. Die "Stone Flag" zieht einen Konnex zu Migranten des 19. Jahrhunderts, die damals Ziegelhäuser für die Oberschicht fabrizierten. Imposant ist auch die Performance "Fate of Destiny", bei der die zwei Schauspieler Kevin Narain und Maxime Scheepers inmitten eines Klettergerüsts aus Johannesburg Inhalte des Gedichtbandes "Cry Rage" rezitieren, der 1972 von der südafrikanischen Regierung verboten wurde.
Bis 2018 kreierte Rhode seine Werke immer auf derselben sonnenumfluteten Mauer in Johannesburg. Dann zog er sich aus diesem immer gefährlicher werdenen Distrikt zurück. Seine Assistenten wurden von Gangs überfallen oder kauften sich mit dem verdienten Geld Drogen. Zwei seiner neueren Werke entstanden daher auf einer Mauer in Jericho, "Melancholia" (mit Referenzen zu Dürer) und "Tree of Life".
Rhode selbst sieht sich nicht als Street Artist im klassischen Sinn, sondern übermalt nach Fertigstellung seine Kreationen wieder, die bereits in zahlreichen renommierten Museen wie dem MoMA in New York, dem Pariser Centre Pompidou oder dem Tate Modern in London zu bewundern waren. Viel eher als DJ-Remixer in dem Sinne, "dass sich auf dem einen Plattenspieler die Welt dreht, mit der ich aufgewachsen bin, während auf dem anderen Gerhard Richter, Albrecht Dürer oder Max Ernst spielen." Pump up the Volume!
"Robin Rhode - Memory is the Weapon" - Von 1. Juli bis 1. November 2020 in der Kunsthalle Krems.
Österreich ist im Vergleich zu Paris, Mailand oder New York sicher nicht das Mode-Mekka der Welt, es schaffTen allerdings schon zahlreiche Austro-Designer in den letzten Jahrzehnten den Sprung an die Fashion-Weltspitze. Der Bekannteste sicher: Helmut Lang, der sich 2005 von der Modewelt zurückgezogen hat und jetzt als in New York lebender Künstler tätig ist. Was es noch nie in Österreich gab, das ist eine Ausstellung über die österreichische Fashion-Szene. Diese Lücke wurde jetzt gefüllt durch die Exhibition "Show Off" im MAK (Museum der angewandten Kunst) am Stubenring.
"Show Off", zu deutsch etwa "sich aufspielen" bzw. "protzen", ist hier allerdings positiv im Sinne von "Dress to Impress" zu verstehen. Die in der Haupthalle präsentierten Kleider, Schuhe, Jacken, Taschen und Accessoires der letzten 40 Jahre bieten einen - nicht chronologischen - Überblick über die kreativ-schrille Fashion-Szene der Alpenrepublik, der selbst auf Trachten nicht vergisst. Platziert wurden diese auf einem von Architekt Gregor Eichinger konzipierten, ca. 7 Meter hohen und 18 Tonnen schweren Gerüst, das die Besucher per Stiegen betreten können und dadurch die Möglichkeit haben, die Designerstücke von allen Seiten zu betrachten. Rund 60 Designer sind vertreten, darunter die bereits verstorbene 60er-Legende Rudi Gernreich (von dem die "Mondbasis Alpha 1-Uniformen stammten), das Duo Wendy & Jim (das einst auf den Straßen von Paris Spaziergänger für eine Fashion-Show castete), Lena Hoschek, Helmut Lang, der kürzlich in London mit Lobeshymnen überschüttete Petar Petrov, Andreas Eberharter aka And I (dessen mechanische Augenklappen im Lady Gaga-Clip "Paparazzi" verwendet wurden) oder Shooting Star Maximilian Rittler, der für seine "Rock me Amadeus"-Abschlussarbeit in Antwerpen mit einem Award ausgezeichnet wurde.
Auf den Seitenwänden der Zentralen Halle beeindrucken großformatige Bilder 30 bekannter Modefotografen, während man im vorderen Gang auf Filmprojektionen prominenter Zeitzeugen trifft, die Anekdoten aus der Fashion-Szene erzählen. Zumindest 15 Sekunden fühlt man sich als Star, wenn man einen von Video Screens umhüllten Red Carpet abschreitet. Präsentiert werden dort auch per Videoinstallation Highlights aus der Modeklasse der Universität für angewandte Kunst.
Der ehemalige Rektor, der kürzlich verstorbene Oswald Oberhuber, war zu Beginn der 80er einer der innovativen Geister des österreichischen Fashion-Booms. Er lud mit Karl Lagerfeld erstmals einen Gastprofessor an die Uni, Jil Sander, Vivienne Westwood, Helmut Lang und viele weitere folgten. Der pulsierende Zeitgeist, zahlreiche Magazine wie das erstmals 1979 erschienene Lifestylemagazin "Wiener" (das laut Co-Kurator Andreas Bergbaur Kooperationen mit dem renommierten "Face"-Magazin in London eingegangen ist), Events wie die U Mode (1984) in Ossi Schellmanns Szenedisco U 4 und Multiplikatoren wie Superstar Falco waren weitere Faktoren für die Entwicklung einer kleinen, aber feinen Szene. Zu sehen mit zahlreichen Fotos, Videos, Zeitschriften und Kuriositäten in einem abgesonderten Saal der Ausstellung.
Wie es in der Mode-Szene weitergeht, das steht in den Sternen. Fashion-Kenner prognostizieren nach der Corona-Krise eine Reduzierung des Tempos so nach dem Prinzip "Why do we need so many things", der gegenteilige Effekt würde uns aber auch nicht wundern...
Show Off - Noch bis 30. August 2020. im MAK.
Im Jahr 1994 flog ein gewisser Andreas Brunner nach New York, um das 25. Jubiläum der "Stonewall Riots", die alljährlich an den erstmaligen Widerstand der LGBT-Bewegung anno 1969 erinnert, live mitzuerleben. Zwei Jahre später organisierte er gemeinsam mit Gesinnungsgenossen die erste Wiener Regenbogenparade 1996, an der zuletzt im Rahmen der Euro Pride 2019 mehr als eine halbe Million Menschen teilnahmen und im Party-Trubel gegen Diskrimierung, Ausgrenzung und Stigmatisierung protestierten. Aufgrund der Corona-Krise muss die 25. Ausgabe der Regenbogenparade dieses Jahr ausfallen, stattdessen findet am 27. Juni ab 17 Uhr unter dem pinken Schirm der Online-Stream-Party "Global Pride" ein rund einstündiger Regenbogencorso mit Autos, Motorrädern, Fahnen, Plakaten und Transparenten statt.
Am Nimbus von Wien als toleranter und weltoffener Stadt rüttelt die Absage der Pride-Weeks nicht, allerdings an den Umsätzen der Tourismuswirtschaft. Im Jahr 2018 wurde die Donaumetropole bei den Australian LGBT-Awards als "Destination of the Year" ausgezeichnet, auch die pinke Reiseplattform GayTravel.com verlieh Wien den ersten Preis. Vor allem der Sicherheitsfaktor und die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber Homosexuellen sprechen für Wien. Als schwules Pärchen durch die Kärntner Straße oder über den Naschmarkt zu flanieren juckt - im Vergleich zu einigen anderen (vor allem osteuropäischen) EU-Staaten – kaum jemanden. Der historische Background und die kleinen, feinen Clubs, Bars und Cruising-Lokale für die Community sind ein zusätzliches, nicht unterschätzbares Dessert, in die Bundeshauptstadt zu reisen.
Einer der bekanntesten Schwulen der österreichischen Geschichte war Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736), dessen Sommerresidenz im wunderschönen Schloss Belvedere gelegen war. Er machte sich als Feldherr bei den Türkenkriegen einen Namen, erstmals 1683 bei der Entsatzschlacht von Wien. Ein Reiterstandbild aus dem Jahre 1865 thront noch heute vor der Nationalbibliothek auf dem Heldenplatz.
Weniger Ehre kam Erzherzog Ludwig Viktor, dem jüngeren schwulen Bruder Kaiser Franz Josephs, zuteil. In der legendären Herrensauna Kaiserbründl in der Weihburggasse, die auch heute noch die Szene mit ihren erotischen Wandmalereien und ihrer heißen Atmosphäre anlockt, machte sich der unter dem Namen „Luziwuzi“ bekannte Adelige an einen Offizier ran und kassierte dafür eine Ohrfeige. Die Verbannung auf Schloss Klessheim bei Salzburg folgte auf dem Fuße.
Eine schwule Beziehung wird auch Karl VI. (1685-1740) nachgesagt, und zwar zu Graf Michael Johann III. Althan. Der Vater Maria Theresias erteilte nach der Pestepidemie 1714 den Auftrag zur Bau der Karlskirche im 4. Gemeindebezirk Wieden nahe der Innenstadt. Dem eigenen Geschlecht zugeneigt war auch der Komponist Franz Schubert (1797-1828), dessen Sterbehaus in der Kettenbrückengasse 6 liegt, unweit zahlloser Lokale für die Gay Community.
Die Wiener Staatsoper wurde vom schwulen Architektenpaar Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg geplant. Aufgrund unterschiedlicher Niveaus zwischen Ringstraße und Oper kam es zu heftiger Kritik seitens Franz Joseph und der Öffentlichkeit. Der depressive van der Nüll beging Selbstmord, zehn Wochen später starb auch Sicardsburg.
Als schwule architektonische Ikonen der Stadt gelten die 1922 von Josef Müllner geschaffene Bronze-Skultur „Der Sieger“ vor dem Theseustempel, die Statuen des Herakles im Hofburg-Areal (am Michaelerplatz und im Inneren Burghof) und die muskulöse Gestalt des Traun auf dem Donnerbrunnen, die aufgrund von Bauarbeiten am Hohen Markt derzeit nicht begutachtet werden kann.
Stadtspaziergänge durch das schwule Wien werden von Qwien, dem Zentrum für queere Geschichte, angeboten (http://www.qwien.at/guide/). Führungsguide Andreas Brunner gibt dabei auch Tips für das Day- und Nightlife Homosexueller in Wien. Als Epizentrum gilt vor allem das Areal rund um den Naschmarkt, wenn auch Wiens älteste Gay Bar, die Alte Lampe in der Heumühlgasse, bereits geschlossen ist. Daneben befindet sich aber das Cafe und Vereinszentrum der Hosi Wien, das Gugg, das auch für Lesben spezielle Themenabende und Veranstaltungen organisiert. In der Schönbrunner Straße befinden sich die ehemalige Disco „Wiener Freiheit“, die nur mehr im Barbetrieb läuft, und die kleine Cafe-Bar Rifugio.
Als erste Kontaktanbahnung bietet sich auch das wunderschöne Cafe Savoy in der Linken Wienzeile an, das im Inneren mit riesigen, belgischen Spiegeln aus dem 19. Jahrhundert ausgestattet ist und im Außenbereich mit einem Schanigarten glänzt. Ca. 1 Kilometer westwärts liegt die Türkis Rosa Lila Vila, die seit ihrer Besetzung durch Aktivisten im Jahr 1982 Beratungsstelle für Homosexuelle ist und mit dem „Villa Vida“ auch ein queeres Community-Cafe inkludiert. Wer sich für queere Literatur interessiert, sollte die Buchhandlung Löwenherz in der Berggasse 8 aufsuchen. Der einst in Dürnstein inhaftierte Namensgeber, der englische König Richard Löwenherz, soll trotz einer Ehe mit Königin Berningaria vorwiegend sexuelle Neigungen für Männer gezeigt haben.
Wenn die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden ist, locken das Motto in der Schönbrunnerstraße (das auch mit einem Restaurant am Donaukanal vertreten ist), das Village, das Felixx in der Gumpendorferstraße oder die seit 1980 existierende Innenstadtdisco „Why Not“ im Tiefen Graben mit buntem Publikum und drei Soundfloors.
In der Kettenbrückengasse 4 – direkt nebem dem Schubert-Haus - wartet die „Men Only“-Cruising-Night Bar Sling auf aufgeschlossene Wiener und Touristen. Das Pissoir ist mit einer Glaswand ausgestaltet, die einen „wichtigen Teil des männlichen Körpers“ zeigt. Wer mehr auf Freiraum steht, soll laut Insidern vor allem im Rathauspark oder im Votivpark „fündig“ werden.
„No Homophobia! No Discussion“ – Das ist das Motto des Wiener Clubs Grelle Forelle an der Spittelauer Lände, die in den letzten Jahren zu einem der wichtigsen Safer Spaces für die LGBITQ-Community avanciert ist. Ein Regenbogen ziert dauerhaft die Gemäuer des Szene-Clubs, zu dessen Top-Events die queere Tech-House-Party „Fish Market“ unter dem Zepter von Gerald van der Hint zählt. Abgefeiert wird aber auch in der Arena („The Circle“), bei der Vienna Fetish Week, beim Kreativ- und Regenbogenball oder bei der Regenbogenparade, die aufgrund der Corona-Pandemie regulär erst wieder nächstes Jahr am 19. Juni 2021 stattfindet.
Die letzteren Zeilen klingen zwar nach Easy Life für queer lebende Menschen in Wien. Tatsächlich hinkt die konservative Politik weit hinter den progressiven gesellschaftlichen Entwicklungen nach. Homosexualität wurde in Österreich erst 1971 legalisiert. Im Jahre 2002 wurde nach einem VfGH-Erkenntnis das Schutzalter für männliche Homosexuelle von 18 auf 14 Jahre gesenkt. Erst seit 2004 ist die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung infolge der Umsetzung von EU-Antidiskriminierungsvorschriften verboten.
Seit 1. Jänner 2010 dürfen Homosexuelle eine eingetragene Partnerschaft eingehen. Adoptionen leiblicher Kinder sind seit 1. August 2013, jene nichtleiblicher Kinder durch verpartnerte Paare seit 1. Jänner 2016 zulässig. Diese neuen Rechtsansprüche basieren nicht auf dem Willen des Gesetzgebers, sondern auf verfassungsgerichtlichen Erkenntnissen. Dies gilt auch für die gleichgeschlechtliche Ehe, die seit 1. Jänner 2019 eingegangen werden kann und die ÖVP und FPÖ trotz höchstgerichtlicher Entscheidungen noch verhindern wollten.
Zahlreiche Vertreter der Gay Community hofften, dass mit dem Regierungseintritt der Grünen eine weitere Verbesserung der Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender kommen würde. Das war allerdings ein Irrglaube. Die SPÖ brachte erst kürzlich im Nationalrat einen Antrag auf eine Erweiterung des Diskriminierungsschutzes („Levelling Up“) ein. Die Grünen stimmen ebenso wie die ÖVP und die FPÖ gegen diesen Antrag.
Koalitionsdisziplin gegenüber der rechtskonservativen Kurz-ÖVP, die seit jeher alle rechtlichen Gleichstellungen und Gleichbehandlungen für Homosexuelle verhindern wollte, ist anscheinend wichtiger als die Interessen ihrer (einstigen?) Wähler aus dem queeren Lager zu vertreten, die weiterhin ohne Sanktionen aus Kaffeehäusern und Pubs geschmissen oder bei Mietvertragsverhandlungen diskriminiert werden dürfen. Ein politisches Trauerspiel, das den Grünen noch leid tun wird…
Das Wiener Burgtheater hat derzeit aufgrund der Corona-Krise seine Pforten geschlossen, stattdessen fällt den Einheimischen und (noch) spärlichen Touristen eine vierteilige Installation des Malers Daniel Hosenberg ins Auge. Kongenialer Titel: "Die Große Pause".
"Mit dem Triptychon direkt am Haupteingang - das vierte Werk steht auf der Wiese vor dem Vestibül - wird die Brücke des Burgtheaters in die Öffentlichkeit vollends versperrt. Gleichzeitig wird mit den großformatigen Werken ein Lebenszeichen gesendet", so der ursprünglich aus Klagenfurt stammende Wiener Künstler, der auf der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert hat. Als Basis seiner Werke dienen Bildausschnitte, die fotografisch reproduziert, digital bearbeitet, gedruckt und als letzter Schritt übermalt werden. Bei seiner Burgtheater-Installationen waren dies klarerweise Szenen aus diversen Burgtheater-Produktionen: Dörte Lyssewski in "The Party", Felix Rech im Zukunftsthriller "Dies Irae-Tag des Zorns", Birgit Minichmayr in "Das Interview", Itay Tiran und Martin Reinke in "Der Henker" sowie Aufnahmen von Ensemble-Star Bibiana Beglau.
"Die Schauspieler und Schauspielerinnen schweigen. Es gibt kein Publikum". Insofern steht die Maske als globales Symbol dieses Schweigens. Durch die Veranstaltungsverbote erhalten allerdings der öffentliche Raum und urbane Flächen eine erweiterte Bedeutung als Kulturvermittler, so Hosenberg.
Die Theaterfans sehnen sich aber schon nach der Wiedereröffnung des Burgtheaters. Das umfangreiche Programm 2020/21 wurde kürzlich präsentiert und reicht von "Das Leben ein Traum", dem 9/11-Grundrechts-Epos "Reich des Todes. Politische Theorie" (von Rainald Goetz) bis hin zu den "Troerinnen" und "Des Kaisers Neue Kleider". Man kann nur hoffen, dass die türkis-grüne Bundesregierung den Theaterherbst nicht durch Zutrittsbeschränkungen oder Sitzplatzdezimierungen sabotiert. Ausnahmsweise darf hier der Flugverkehr Vorbild sein...
Die in New Jersey 1954 geborene Künstlerin Cynthia Morris "Cindy" Sherman gilt als Ikone der US-Fotografie, die sich in ihren Fotoserien vor allem mit der Identität und den Rollenbildern der Gesellschaft auseinandersetzt. Von 1972 bis 1976 studierte sie am Art Department der State University of New York und gründete zusammen mit ihren Freunden Charles Clough und Robert Longo die unabhängige Künstlergalerie Hallwalls in Buffalo. Bereits zu Beginn ihrer Karriere in den 70ern erstellte sie ihre stilprägenden Fotoserien "Untitled Film Stills" (1977-1980) und "Bus Riders" (1976), bei denen Sherman alle Funktionen am Set selbst übernahm. Inklusive der Rolle als Foto-Model im Stil einer Kunstfigur, die man persönlich auf der Straße nicht erkannt. Eine progressive "Selfie"-Protagonistin in einer Ära, als Internet und soziale Medien noch weit in der Zukunft lagen.
Die Werke Cindy Shermans zählen zu den teuersten am Kunstmarkt und übersteigen an den Auktionshäusern die Millionen Euro-Grenzen. Das Museum of Modern Art in New York zeigte 2012 eine Ausstellung unter dem Titel Cindy Sherman. A retrospective.
Das Bank Austria-Kunstforum konzipierte unter der Trademark "The Cindy Sherman Effect" eine spannende Konfrontation zwischen den Kunstwerken der Amerikanerin und neuen zeitgenössischen Positionen, die sich ebenfalls mit Identitäten, Rollentäuschungen, Klischees und queeren Geschlechterbildern beschäftigen. Sherman, die zuletzt 2019 mit dem Max Beckmann-Preis ausgezeichnet wurde, war von der Idee begeistert.
Zu sehen sind in der Ausstellung einige Exponate Shermans aus der berühmten Schwarz-Weiß-Bildserie "Untitled Film Stills", bei denen Sherman die stereotype Darstellung von Frauen in den Hollywood-Filmen und der Werbung kritisierte, aber auch kontroverse Werke der "Disasters"-Serie und der "Sex Pictures"-Reihe, bei denen sie Schaufensterpuppen, Prothesen und anatomische Modelle in Szene setzte. Sherman bezeichnete einst die artifiziell inszenierten Körper der Mode-Fotografie ekelhafter als ihre eigenen Schöpfungen.
Insgesamt 21 internationale und nationale Künstler hat die Kuratorin des Kunstforums, Bettina Busse, selektiert und den Werken Cindy Shermans gegenübergestellt. So wie die US-Ikone porträtiert sich der aus Kamerun stammende Samuel Fosso selbst, in Schwarz-Weiß als Malcolm X und Angela Davies oder knallbunt als "The Liberated American Woman of the 70´s". Die Britin Sarah Lucas sitzt lässig-"manlike" auf einem Sessel, Spiegeleier dort platziert, wo sich ihre Brüste am Pullover erheben. Der deutsche Filmkünstler Julian Rosefeld lässt Hollywood-Star Cate Blanchett in verschiedene Rollen schlüpfen ("Manifesto"). Latin LGBTIQ-Spirit versprüht die aus Guatemala stammende Künstlerin Martine Gutierrez. In der Säulenhalle lässt Monica Bonvicini schwarze Gurtbänder von der Decke baumeln, als Trennlinie zwischen einem Madonna-Porträt Shermans mit blanker Brust und einer Fotografie Catherine Opies, die ein Kind stillt. Der "Young British Artist" Gavin Turk schockiert mit demolierten Face-Skulpturen. Eine außergewöhnliche Perspektive wählte die französische Künstlerin Sophie Calle. Sie ließ sich von einem Detektiv beschatten, dessen Fotos und Berichte wurden im Rahmen des Kunstwerks "Der Schatten" in einem Medizinschrank ausgestellt.
Erstmals wurden im Kunstforum auch Videoinstallationen eingesetzt, und zwar in den kleineren Sälen, die - über den Buch-Shop erreichbar - den Beginn der Ausstellung darstellen. Die in Berlin lebende Südafrikanerin Candice Breitz imitiert in der siebenteiligen Installation "Becoming" Filmszenen mit Julia Roberts, Meg Ryan und Cameron Diaz. Die Schweizerin Pipilotti Rist zeigt in dem Videoloop "Ever is Over All" (1997) eine Frau im kurzen Kleid, die mit einem Blumenstengel die Fenster geparkter Autos einschlägt und dabei von einer Polizistin freundlich begrüßt wird.
Den Selbstdarstellungs-Fetischismus von Social Media-Influencern thematisiert der amerikanische Filmregisseur Ryan Trecartin. "The Re´Search" stammt aus dem Jahre 2010 und ist heute brisanter denn je. Cindy Sherman selbst bezeichnete 2016 im New York Times Magazine soziale Medien als "vulgär", jetzt hat sie selbst ein Profil auf der heißbegehrten Foto-Plattform Instagram. Dem Zeitgeist-Express entspechend prall gefüllt mit Animationen, Videos, Face-Verzerrungen und gesellschaftlichen Statements. Wie zu Beginn ihrer Karriere in den 70ern…
Eröffnet wurde die Gruppenausstellung "... von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden" in der Kunsthalle Wien bereits am 8. März. Wenige Tage später wurde das Museum allerdings wegen der Corona-Krise vorübergehend geschlossen. Jetzt wurden aufgrund der Lockerungsmaßnahmen die Pforten im Areal des Museumsquartiers wieder geöffnet.
Der Titel der Exhibition basiert auf den Gedanken des libanesischen Schriftstellers Bilal Khbeiz, der zu Beginn der 2000er-Jahre mit diesen fünf Worten jene Grundbedürfnisse auf den Punkt brachte, die für die Menschen ein "gutes Leben" darstellten. Im Gegensatz zu früher seien diese jetzt aber auch für Bewohner von Orten gefährdet, an denen sie früher selbstverständlich waren. Die Werte haben laut den Kuratoren (WHW) sogar mittlerweile einen "üblen Beigeschmack". Die Gründe reichen vom Klimawandel, der global ungerechten Verteilung von Nahrungsmitteln, dem Luxuskonsum bis hin zum Überwachungsstaat und populistischen Strömungen.
Die amerikanische Autorin Laurent Berlant bezeichnet in ihrem Buch "Cruel Optimism" die Vorstellung des guten Lebens als eine Fantasie, als eine hartnäckige und grausame Anhänglichkeit an eine Welt, die es nicht mehr gibt. Die Künstler der Ausstellung versuchen mit ihren Werken das Gegenteil zu beweisen und eröffnen mit ihren Kreationen Reflexionen auf die Vergangenheit und Perspektiven für die Zukunft. In Form von Malereien, Installationen, Videos, Gedichten, Skulpturen, Basteleien, Zeitungsschnipseln, Wandvorhängen, Cartoons oder einfach nur Zitaten.
So präsentiert die Londoner Künstlerin Sonia Boyce ihr "Dada Migrant Wallpaper", das im Rahmen eines Improvisationsworkshops in Nizza erstellt wurde. Die Wienerin Melanie Ebenhoch thematisiert die Repräsentation von Frauen in der Kunst, indem sie im Hintergrund eines ihrer Plakate mit der Aufschrift "I mean I use my brains so much that at night they don´t seem to do anything else but rest" nackte weibliche Oberschenkel abbildet. Vlatka Horvat platziert auf einem dünnen Holzbalken, der fragil zwischen zwei Stühlen angebracht ist, verschiedene Alltagsobjekte von Bällen, Obst, Nägel, Klopapier, Fäden bis hin zu einer Discokugel. "Balance Beam" nennt sich die Installation und soll das prekäre System widerspiegeln, in dem wir leben. Die aus Ankara stammende Künstlerin Gülsün Karamustafa deutet mit ihrem in den 80ern entstandenen Wandteppich "Motorcycle" den fließenden Übergang zwischen Tradition und Moderne in ihrem Heimatland an.
Eines der Glanzstücke der Ausstellung ist das überdimensionale Comic-Wandbild "Under Water" der Russin Victoria Lomasko. Während die Stadtkulisse (vermutlich von Moskau) nur rudimentär aus dem Wasser ragt, findet das echte, prickelnde Leben abseits folkloristischer Klischees im Untergrund statt. "Immer wenn ich nach Russland zurückkehre, fühle ich, wie ich langsam zurück zu Boden sinke. wie ein Wesen, das an Land kroch, aber ursprünglich für ein Leben im Wasser geboren war", so die Künstlerin.
"Jetzt! Solidarität! Diversität!" - Das ist einer der aktivistischen Slogans auf dem Protest-Wagen der Berlinerin Marina Naprushkina, die sich vor allem im Arbeiterbezirk Moabit für sozial benachteiligte Menschen und Migranten einsetzt. Unmittelbar daneben sticht eine Installation der Künstlerin HC Playner (der Name ist natürlich kein Pseudonym :-) über die Burschenschaft Hysteria ins Auge, Hyänen, Akademiker-Ball-Assoziationen, Stefanie Sargnagel und "Gegen Nazis"-Sprüche natürlich inbegriffen.
Eine Video-Serie des Wieners Oliver Ressler unter dem schnittigen Titel "Everything´s coming together while everything´s falling apart" befasst sich mit dem Versagen internationaler Klimapolitik. So seien die "Technologien zur Überwindung des fossilen Zeitalters bereits vollständig vorhanden, die Behörden allerdings verweigern deren Anwendung, um der Wirtschaft nicht zu schaden". Beeindruckend ist auch die "Heads"-Installation des Berliner Künstlers Andreas Siekmann, der die Väter und Mütter des Kapitalismus und Neoliberalismus als Plastillin-Figuren modelliert und daraus ein mehrdimensionales Netzwerk konstruiert hat.
Es gibt bei "Von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden" vieles zu entdecken, reflektieren, sinnieren, vielleicht auch zu visionieren. Ein 155 Seiten dickes Programm-Heft bietet zusätzliche Information. Manchmal erzeugt aber auch die individuelle Interpretation eines Kunstwerkes jenes Brainstorming, das man für neue Inspirationen braucht. Spontane Eindrücke über die Ausstellung in der Kunsthalle Wien können dort unmittelbar per "Flaschenpost" übermittelt werden...
Noch zu sehen bis 4. Oktober 2020
Leopoldmuseum, Mumok, Kunsthalle Wien - Das sind die Flaggschiffe des Wiener Museumsquartiers. Es gibt allerdings im hippen Areal des 7. Bezirks auch Kunst abseits der großen Museen, und zwar seit 2014 in der MQ Art Box. Kuratiert wird dieser vor dem Haupthof befindliche Ausstellungsraum für temporäre Kunstinstallationen von Elisabeth Melichar. Zu sehen sind in diesem transparenten Raum bis zu 6 Installationen internationaler und nationaler Künstler pro Jahr, 24/7.
Von 15. Mai bis zum 1.Juli erblickt man in der Art Box übereinandergestapelte weiße Bücher, konzipiert von der studierten Bildhauerin Claudia Märzendorfer aus Wien. "White Noise" nennt sich die Kunstwerk-Bibliothek. Die Bücher wurden dementsprechend mit einer Frequenzkurve am Schnitt schraffiert. Die Gestaltung des Bücherregals erfolgt nach den Regeln der Proportionalität: Das Verhältnis von Regalböden und den mit Büchern gefüllten Bereichen beschreibt exakt die Verhältnisse einer aufgeschlagenen Doppelseite.
Der Titel "White Noise" ist natürlich nicht zufällig gewählt, sondern zieht einen Konnex zur Akustik, bei der weißes Rauschen als gleichmäßige Überlagerung aller Frequenzbereiche definiert ist. Analog beschreibt die Installation Mayerhofers ein überdimensionales, weißes Buch als Summe der Inhalte aller Bücher. Die Regalböden repräsentieren die Zeilenraster, die Bücher die Sprache an sich.
Aufgrund der Platzierung inmitten des MQ erinnert die Installation auch an das einstige Projekt eines Leseturms, das schlussendlich nach heftigen Debatten verworfen wurde. Stattdessen flattert hier bald eine Libelle :-)
Zum 50. Jubiläum der ersten bemannten Mondlandung präsentierte das Naturhistorische Museum in Wien eine Sonderausstellung zum Thema "Der Mond. Sehnsucht, Kunst und Wissenschaft."
Neil Armstrong war der erste Mann, der am 21. Juli 1969 den Mond betrat. Keineswegs anonym, denn ca. 600 Millionen weltweit verfolgten die Expedition auf den Fernsehschirmen. In der Ausstellung sind zahlreiche Fotos der Astronauten Armstrong, Edwin "Buzz" Aldrinn und Michael Collins und der Apollo-Raketen zu sehen, die u.a. vom deutschen Weltraum-Techniker Wernher von Braun, zuvor in Diensten der Nationalsozialisten, entwickelt wurden. Der Sieg im internen Wettbewerb gegen die Russen, die mit Yuri Gagarin 1961 den ersten Mensch ins All schossen, war keineswegs sicher. Davon zeugt auch ein publizierter Brief des US-Präsidenten Nixon, der veröffentlicht worden wäre, wenn die Mission gescheitert wäre.
Speziell für das NHM wurde ein Mond-Rover entwickelt, mit dem Besucher virtuell ein Mond-Fahrzeug auf einem Bildschirm steuern können. Zu den besonderen Highlights der Ausstellung zählt ein neu erworbener Mondmeteorit, der 2011 von Nomaden gefunden wurde.
Der Schwerpunkt der Ausstellung ist laut Kurator Christian Köberl naturwissenschaftlicher Art. Gezeigt werden u.a. die Entstehung und Entwicklung des Mondes, seine Zusammensetzung und Mineralogie, Mondbahn, Mondphasen bzw. Sonnen- und Mondfinsternisse. Bei einer Mondfinsternis wirft die Erde ihren Schatten auf den Mond, der aber auch bei einer totalen Finsternis - durch eine Brechung des Sonnenlichts in der Erdatmosphäre - in rot erscheint. Bei einer totalen Sonnenfinsternis deckt der Mond die Sonne ab, die letzte war am 11. August 1999. Die nächste wird erst am 3. September 2081 stattfinden, in etwa 700 Millionen Jahren wird es diese Erscheinung nicht mehr geben, da sich der Abstand von Erde und Mond immer mehr vergrößert.
Auf dem Plakat der Ausstellung sieht man einen Hasen, der ebenso wie der Mond in vielen Kulturen als Symbol der Fruchtbarkeit gilt. Aztekische Legenden beispielsweise zeigen den Mond als halbmondförmiges Gefäß, in dem das Abbild eines Hasen erscheint.
Zahlreiche Artefakte zeigen in der Ausstellung den Einfluss des Mondes auf die Kunst: Von Statuen ägyptischer Mondgötter, Sichelmonden, Ton-Monden (aus der Hallstatt-Kultur) bis hin zu Gemälden (u.a. von Klemens Brosch oder Robert Rauschenberg), Science Fiction-Literatur, Mond-Songs aus der digitalen Juke-Box (a la "Space Oddity", "Moonlight Drive" oder "Walking on the Moon") und Gedichten von Trakl, Borchert oder Heine, die auf die Wand projiziert wurden.
Die unmittelbarste Auswirkung des Mondes auf die Erde erfolgt durch die sogenannten Gezeiten, Ebbe und Flut, deren unterschiedlich hohen Wasserstände sich durch die Stellung von Mond, Erde und Sonne zueinander ergeben. Bei Tieren hat der Mond Einfluss auf deren Tätigkeiten (Zugvögel fliegen in hellen Vollmondnächten, Löwen jagen in dunklen Neumondnächten), dient als Kompass oder sorgt für das Zusammenkommen der Geschlechtspartner.
Die Folgen der Mondphasen auf Schlaf, Menstruation, Geburt oder Arztbesuche von Menschen konnten bisher nicht wissenschaftlich bestätigt werden. Schaut der Vollmond allerdings freundlich ins offene Schlafzimmerfenster, dann hat die Wissenschaft meistens bereits ein Nickerchen eingelegt :-)
"Der Mond. Sehnsucht, Kunst und Wissenschaft." (30. Oktober 2019-1. Juni 2020)