"The Essl Collection": Ein Streifzug durch die neue Ausstellung der Albertina Modern!

Performance und Fotomontagen bei gleichzeitig offenem Umgang mit Nacktheit, Sexualität und Körpersubstanzen, das sind die Markenzeichen des im Londoner Eastend ansässigen Künstlerpaares Gilbert & George. Das zeigen sie progressiv und schamlos mit ihrem aus 90 Tafeln bestehenden Werk „Bloody People“ im ersten Hauptraum der Albertina Modern. Die Künstler dreimal nackt mit Posen im Stile der japanischen Affen („Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“) vor dem Hintergrund mikroskopisch vergrößerter Bluttropfen, die auf die dramatische AIDS-Krise der 80er und 90er hinweisen. 

 

Nur eines von 130 Werken der zweiten Ausstellung in der Albertina Modern, die am 7. Dezember unter dem Titel „The Essl Collection“ eröffnet wurde. Die Albertina Modern befindet sich im Künstlerhaus am Karlsplatz, das in den letzten Jahren vom Unternehmer Hans Peter Haselsteiner restauriert und erweitert wurde. Die aktuelle Ausstellung besteht einerseits aus Kunstwerken der im Jahr 2019 erfolgten Schenkung der Familie Essl an die Albertina, andererseits aus der Dauerleihgabe der Familiensammlung Haselsteiner. 

 

Während sich die erste Ausstellung „The Beginning“ auf österreichische Kunst zwischen 1945 und 1980 konzentrierte, werden bei dieser Exhibition – mit einigen Ausnahmen – die Akzente auf die letzten 40 Jahre gesetzt. Rund ein Drittel der Sammlung Essl umfasst internationale Kunst, zwei Drittel der Werke kommen aus Österreich. 

 

Das Ehepaar Karlheinz und Agnes Essl ist seit dem Beginn ihrer Sammlertätigkeit dafür bekannt, dass sie enge Freundschaften mit den Künstlern pflegen und diese auf ihren Karrierewegen begleiten. In der Ausstellung selbst erfolgen keine Einteilungen, weder nach Nationalität, noch nach Entstehungsjahr oder Kunstrichtung. Und so befindet man sich in den geräumigen Hallen der Albertina auf einer Magical Mystery Art Tour zwischen Pop Art eines Alex Katz, Klorollen-Skulpturen des Kärntners Heimo Zobernig, expressiven Gemälden eines Georg Baselitz oder Plastillin-Collagen des österreichischen Künstlerkollektivs „Gelitin“, die an der nicht mehr so blauen Donau einst die „Wachauer Nase“ kreiert haben.

 

Daniel Richter erinnert mit seinem großformatigen Ölbild „Flash“ an die Flüchtlingskrise, Jonathan Meese mit seiner Bronzeskulptur „Dr. Pounddaddy“ an die römische Wolfssaga rund um Romulus und Remus. Annette Messager installiert 28 am Boden liegende Formen aus Fallschirmseide, die sich nach dem Aufblasen in Organe und Extremitäten verwandeln. 

 

Neo Rauch fabriziert auf einem fünf Meter breiten Bild eine rätselhafte Revolution, die vielleicht bereits wieder vorbei ist. Farbprächtige Gemälde des chinesischen Realisten Fang Lijun demonstrieren subtile Bedrohlichkeit unter dem Deckmantel eines Liebespaares. Daneben die überlebensgroßen Skulpturen der ehemaligen Päpste Benedikt und Johannes Paul II., die – aufeinander gebückt - vom rumänischen Künstler Virgilius Moldovan alt, rauh und zerschunden konzipiert wurden. 

 

Ein bunter Stil-Mix erwartet auch die Besucher des Untergeschosses, in dem Fotografien der Essl Collection gezeigt werden. Vertreten sind dort u.a. Cindy Sherman mit ihren legendären „Clowns“, Gregory Crewdson, die auch als Regisseurin („Nowhere Boy“, „Fifty Shades of Grey“) arrivierte Fotografin Sam Taylor Johnson mit ihrem kunstvoll arrangierten „Bram Stoker´s Chair“ oder den Amerikaner Philip-Lorcia diCorcia, der mit Hilfe einer an einem Baugerüst montierten Blitzlichtanlage Passanten am New Yorker Times Square anonym fotografierte. 

 

Ein besonderes Augenmerk richtet die Ausstellung auf die Absolventen der Becher-Schule, die an der Düsseldorfer Kunstakademie von Bernd Becher ausgebildet wurden und zu den Koryphäen zeitgenössischer Fotografie zählen: Thomas Ruff, Thomas Struth, der auf Landschaften spezialisierte Axel Hütte, Candida Höfer oder der „Toten Hosen“-Cover-Fotograf Andreas Gursky. Letzterer ist in der Albertina Modern mit einer Luftaufnahme auf die mit Party People überquillenden Berliner Love Parade vertreten. In (temporären) Zeiten von Social Distancing, Tanz- und Clubverboten ein Kulturschock, der - verhüllt unter der dunklen Face Mask - am schmerzhaftesten in die offenen Wunden brennt…