"Spuren und Masken der Flucht" in der Kremser Landesgalerie!

Zwei junge Männer blicken auf das endlos weite Meer. Der rechte greift sich mit seiner Hand parallel auf die Stirn und hält Ausschau nach fernen Ländern, er stellt den legendären Seefahrer und Entdecker Amerikas, Christoph Kolumbus dar. Neben ihm steht ein Polizist von Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Er hält mit einem Fernglas Ausschau nach „illegalen“ Flüchtlingen, um die Grenzen Europas zu schützen. Eine geniale Fotoarbeit („There be Dragons“) der österreichischen Künstlerin Lisl Ponger, die zu den prägnantesten Werken der Ausstellung „Spuren und Masken der Flucht“ in der Landesgalerie Niederösterreich zählt.

 

Ca. 40 internationale und nationale Künstler zeigen bis 26. September 2021 ihre Kunstwerke zum Thema Migration und Flucht. Die Bandbreite reicht von Malereien, Fotografien, Videoarbeiten, Installationen bis hin zu Skulpturen, das Thema ist trotz der leichten Abebbung der „Flüchtlingskrise“ von 2015 hochbrisant und spannend. Die Zahl der Menschen, die weltweit vor Verfolgung und Gewalt fliehen, beträgt aktuell um die 80 Millionen, Kinder machen dabei 40 Prozent der Flüchtlinge aus. 

 

Im Jahr 2019 gewährten laut Europäischem Parlament die EU-Länder 295.800 Asylsuchenden Schutz, ein Rückgang gegenüber den vorhergehenden Jahren (2018: 333.400; 2017: 533.000). Die drei größten Gruppen stammten aus Syrien (27 Prozent), Afghanistan (14 Prozent) und Venezuela (13 Prozent). 2019 wurde über 735.000 Personen die Einreise an den EU-Außengrenzen verweigert, 1319 Menschen starben oder verschwanden bei der Flucht über das Meer (2018: 2277, 2017: 3139. Die Diskussionen, private Schiffe dürften keine Flüchtlinge retten, weil sonst noch mehr Menschen per Schlepper nach Europa drängen, lassen an der Empathie und der Humanität mancher Politiker zweifeln.

 

Wie gefährlich, anstrengend und nervenaufraubend eine Flucht ist, zeigt der Videofilm von Rania Mustafa Ali, die als 20jährige von Kobane in Syrien nach Österreich flüchtete. In „Rania´s Odyssey“ wird der Ausstellungsbesucher konfrontiert mit überfüllten Flüchtlingsbooten, schlammigen Zeltlagern und Tränengas- und Schlagstockattacken. Ebenfalls auf der Flucht war einst 1978, kurz vor Ausbruch der Islamischen Revolution, Ramesch Daha, die bereits an der Mauer der Steiner Justizanstalt ein Mahnmal zur Kremser Hasenjagd errichtet hat. In der Landesgalerie dokumentiert Daha die Routen ihrer Flucht unter dem Titel „Unlimited History“.

 

Promotiontechnisch treffsicher wurde im Titel der Ausstellung auch der Begriff der Maske platziert. Der Zusammenhang wird aber im Einleitungstext evident: „Für die Reise müssen Identitäten verborgen und gewechselt werden, der behördliche Asylprozess ist ein weiteres Maskenspiel“. Der nach eigenen Angaben staatenlose Alaa Arkurdi verwandelt sich in einer Videoinstallation vom blonden Mann mit blauen Augen in einen dunkelhaarigen Mann mit braunen Augen. Die fremdenfeindliche Stigmatisierung von Flüchtlingen kann nicht besser reflektiert werden. Die aus Syrien stammende Künstlerin Linda Zahra zeigt Fotoserien von geflüchteten Frauen und Bildcollagen, darunter ihren eigener bandagierten Kopf mit Fingerprint und Passstempel.

 

Manche stellen die realen Zustände auch anders da, als sie tatsächlich sind. Mehmet Emir beispielsweise zog als 16jähriger nach Wien zu seinem Vater, der als „Fotograf der (türkischen und jugoslawischen) Gastarbeiter“ zahlreiche verklärerische Wohlstands-Fotos in die Heimat schickte. Massenquartiere, Not und harte Arbeit wurden unter den Tisch gekehrt. Emir selbst wurde auch Fotograf, seine chronisch angelegten Arbeiten über seine neue und alte Heimat können sind im 1. Stock der Landesgalerie zu betrachten.

 

Die bulgarische Künstlerin Olga Georgieva zeigt ihr Haus aus Holzschnittplatten, das sie während ihres Studiums in Wien aus Sehnsucht nach ihrer Heimat hergestellt hat. Der aus Chile stammende Künstler Patricio Handl, der die aktuelle Kampagne „Ohne Kunst und Kultur wird´s still“ konzipiert hat, präsentiert seine „Wir Wiener“-Plakate, Symbole der multikulturellen Gesellschaft in der Metropole Wien. 

 

Jeder ist Ausländer, fast überall. Sollte man annehmen. Die Russin Lena Lapschina hat im Jahr 2000 ID-Cards mit der Bezeichnung „Inländer“ und „Ausländer“ erstellt. Diese können auch im Shop der Landesgalerie erworben werden. Robert Jelinek gründete 2003 auf der unbewohnten finnischen Insel Harraka den „State of Sabotage“, der Zettelspieß in der Ausstellung zeigt die über 14.000 Pass-Anträge des im August 2013 aufgelösten Staates. 

 

Ebenfalls vertreten in der Ausstellung ist Deborah Sengl, die zuletzt mit präparierten Ratten „die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus inszenierte. Auf dem Boden platziert wurde ein „Mensch-Hund-Mischwesen“ mit einer Schwimmweste. Auf den Wänden sieht man Migranten auf der Flucht, eingesperrt, in der Wüste bzw. in überfüllten Flüchtlingslagern. Der menschliche Kopf wurde durch ein treuherziges Hunde-Antlitz ersetzt. Werktitel „Wer will mich“ in Anlehnung an die Edith Klinger-Tiervermittlungs-Sendung der 80er und 90er. Erregen arme Hunde tatsächlich mehr Mitleid bei vielen Wohlstandsbürgern als verzweifelte Menschen auf der Flucht?

 

Viele Themen und künstlerische Arbeiten zum Nachdenken in der Ausstellung „Spuren und Masken der Flucht“ noch bis 26. September 2021…