Kremser Donaufestival 2022: Future Pop, Electro Punk, Rap & Twin Peaks-Performance!

Es ist wieder Donaufestival-Time in Krems. Nach einem programm- und besucherbeschränkten Spezial-Termin unter dem Motto „In the Year of the Metal Ox“ konzipierte Artistic Direktor Thomas Edlinger für das reguläre Frühjahrsintervall  ein derart spannendes Programm, dass gleich die ersten beiden Tage des April-Wochenendes ausverkauft waren. Die Freude über das Ende der Corona-Maßnahmen verbunden mit der Lust, endlich wieder Konzerte zu besuchen, Gleichgesinnte zu treffen, zu feiern, zu tanzen, die Sorgen des Alltags zu vergessen, tat ein übriges. Und so füllten sich die bewährten Veranstaltungsorte Minoritenkirche, Stadtsaal und Österreichhallen so wie zuletzt vor 3 Jahren. 

 

Auch das Publikum hat sich nicht verändert: Viele Kultur- und Musikfans aus dem Umkreis von Wien, die per Zug oder Shuttle-Busse anreisten, dazu „babylonisches Sprachgewirr“ von hochdeutsch, spanisch, englisch bis holländisch. Alternative-Nerds, die sich vermutlich wundern, warum in diesem traditionell angehauchten 25.000 Einwohnerstädtchen Acts auftreten, die man sonst nur beim Primavera in Barcelona, in düsteren Clubs von Berlin oder in London zu sehen bekommt. Der einst im Falter zitierte „Crash der Kulturen“ mit den Kremser Einheimischen fand allerdings zu keinem Zeitpunkt statt und wurde auch gar nicht angestrebt, der Kremser Jazzkeller fungierte an beiden Saturday Nights spontan als After Hour-Location für jene, die in Krems die Nacht zum Tag machen wollten.

 

The Motto

 

„Stealing the Stolen“ nennt sich das Festival-Motto dieses Jahres. Und es bezieht sich auf das ambivalente Thema der kulturellen Aneignung, die einerseits vor allem von Anti-Rassismus-Aktivisten kritisiert wird, andererseits in Form von Samples, Remixes, Appropriation Art (a la Cindy Sherman) oder Memes zu einer Weiterentwicklung der Kultur führt. Kurator Edlinger spricht im Programmheft von „Counter Appropriations“, die „nicht auf Ächtungen, sondern auf Inspirationen setzen, die sich in einer befreienden Praxis von unten und anderswo finden, die sich jenseits der Vorstellung von Besitz und Diebstahl bewegt.

 

Kriegsspiele

 

In die Tat umgesetzt wurde dies gleich am Opening Day durch den deutschen Künstler Julian Warner, der in der Kunsthalle Krems einen militärischen Sandkasten installierte und mittels dieses Instruments aus der preußischen Historie Reflexionen auf moderne Kriegsspiele vornahm. In seiner Rolle als Musiker „Fehler Kuti“ (angelehnt an den nigerianischen Afrobeat-Sänger Fela Kuti) zog er mit einer Blaskapelle und Mitgliedern der Band Notwist durch die Gänge der Kunsthalle bis hin auf die Straße und verbreitete dort seine politischen Botschaften über Kapitalismus, Rassismus und die Überwachungsgesellschaft.

 

Fire walk with me

 

In der Kremser Dominikanerkirche ließ sich der Performance-Künstler Ariel Efraim Ashbel vom Kult-Regisseur David Lynch und seiner Serie „Twin Peaks“ inspirieren. Nackte Frauen, laute Schreie, teuflische Symbole, Techno-Beats, die Besucher, die jederzeit den Handlungsspielraum betreten und verlassen dürfen, mitten im Geschehen unter dem Regisseur, dem Team und den unmittelbaren Akteuren. „Fire walk with me“ erstreckte sich an zwei Nachmittagen jeweils auf eine Länge von rund sechs Stunden.  

 

Queer Sex Photography

 

Die Künstlerin Stefanie Seibold zeigte am Messegelände mit ihrer enthüllenden Foto-Installation „Expropriating Appropriators“ die Konflikte zwischen feministischer Kritik und lesbisch-queerem Begehren. Der brillant gewählte Anwendungsfall: Sexualisierte Mode-Fotografien in der LGBTQ-Szene.

Tirzah vs. Soap & Skin

 

Hochkarätig das Musik-Programm im Kremser Stadtsaal. Die Londoner Sängerin Tirzah feierte ihr Österreich-Debüt und versetzte die Besucher mit ihren zarten Songs aus ihren beiden Alben „Devotion“ (2018) und „Colourgrade“ (2021) in Melancholie und Besinnlichkeit. Zum ersten Mal beim Donaufestival vertreten war auch Anja Plaschg aka Soap & Skin, die keine eigenen Songs präsentierte, sondern sich gemäß dem Festival-Motto die Aura fremder Soundkonstrukte überstülpte. Von Robert Johnson („Me and the Devil“), „Mawal Jamar“ (Omar Souleyman) bis hin zu „Song to the Siren“, David Bowie („Girl loves me“) und Desireless´ Voyage Voyage reichte die Palette.

 

Techno, Rap & Kuduro-Vibes

 

In der Halle 2 setzten die aus Kenia stammende Rapperin MC Yallah und der französische DJ Debmasta „the roof“ und die Festival-People on fire. Die New Yorker Underground DJ Emma Burgess-Olsen aka Umfang, die nicht nur zur selektiven Garde der progressiven Boiler Room-DJ´s zählt, sondern mit ihrem Discwoman-Kollektiv auch weibliche und queere DJ´s fördert, servierte schnörkellosen Minimal-Techno für die Endlos-Trance. Bereits im Donaufestival-Trailer mit ihrem genialen Track „Ta bater“ vertreten, erfüllte das polnisch-angolische Duo Lua Preta alle Vorschusslorbeeren: Extrem tanzbare Kuduro-Vibes, gemixt mit Euro Dance und Hip Hop, aus ihrem Debüt-Album „Diaspora“. Donaufestival-Stammgast Moor Mother aus Philadelphia stellte exklusiv ihr neues Projekt mit DJ Haram vor: 700 Bliss, eine wilde Mixtur aus Trap, Electro, Noise und politischen Messages. 

 

Arca

 

 

Mit Hochspannung wurde im Stadtsaal der Auftritt der non-binären Future Pop-Avantgardistin Arca erwartet, die nicht nur mit ihren innovativen Sound-Kreationen (zuletzt die Album-Pentalogie „Kick“), sondern auch mit ihren Videos und ihren Postings in sozialen Medien für Akzente sorgt. Fakt ist: Die hohen Erwartungen haben sich erfüllt. Ein explosives DJ-Set im weiten Bandbereich zwischen Techno, Reggaeton und Hip Hop, dann nach dem Juchzer „I love the energy in the room“ ein Piano-Set am beigestellten Klavier, zu dem sich dann ein Fan dazugesellte, der dann auf dem Klavier sitzend seinen Oberkörper entblößte. Da fehlten dann nur mehr die Gürtel-Hiebe einer ebenfalls aus der Crowd herbeigeholten Lady. Excellente.

 

Jehnny Beth

 

„Electronic Power Punk“ – Das war das explosive Rezept in der zweiten Samstag Nacht im Stadtsaal. Hinter dem Mikro: Die Ex-Savages-Punk-Sängerin, Moderatorin und Schriftstellerin Jehnny Beth. On Stage auch ihr kongenialer Produzent und Partner Johnny Hostile. Beide aus Frankreich, der Geburtsstätte des Existentialismus. „Existential Music“ im fließenden Übergang zwischen „good and bad“, so bezeichnet Beth im FM4-Interview auch ihren progressiven Sound mit Understatement. Kunstfigur David Bowie als Inspiration – „Heroine“ - ist unverkennbar. „I´m the Man“, „Innocence“, „More Adrenaline“ oder das laszive „We will sin together“: Tracks, mit denen Beth und ihre euphorische Band mit pure energy, dark atmosphere und light effects das ekstatische Publikum anheizen. „On the stage I feel free“, und Jehnny schmeißt sich mit ihrem hautengen, schwarzen Outfit in die Crowd. 

 

„To Love is to Live“: So heißt übrigens das (erste) Solo-Album von Jehnny Beth. Eine famose Lebensphilosophie (nicht nur) bis zum nächsten Donaufestival 2023…