Buch Wien 2021: Corona, Kurz und andere verschissene Zeiten!

„Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste“, sprach einst Heinrich Heine. Insofern fielen für Bücher-Freaks mit der – nach einem Jahr Pause – wieder stattfindenden Buch Wien einige Feiertage zusammen. Von 10. bis 14. November 2021 präsentierten 323 Aussteller aus 31 Ländern ihre Produkte, insgesamt 513 Autoren stellten in den Messehallen ihre neuesten kreativen Werke vor. Von Sachbüchern, Polit-Analysen, Biographien bis hin zu Romanen, philosophischen Ergüssen und Kinderbüchern. Ein besonderer Schwerpunkt wurde der von der schwedischen Autorin Astrid Lindgren erschaffenen Kult-Figur Pippi Langstrumpf gewidmet, deren erstes Buch vor 75 Jahren publiziert wurde. Als Gastland bei der Buch Wien vertreten war Russland, dessen großer Literat Fjodor Dostojewski dieses Jahr seinen 200. Geburtstag feierte.

 

Liebe in Zeiten des Hasses

 

„Weltgeschichte ist zur Hälfte Liebesgeschichte“ – So promotete der deutsche Autor Florian Illies sein neues Buch „Liebe in Zeiten des Hasses“, das sofort nach Erscheinen auf Platz 1 der Bestsellerlisten schoss. Im Mittelpunkt stehen dabei Liebes-, Sex- und Eifersuchtsgeschichten prominenter Zeitgenossen wie Sartre, Picasso, Brecht, Zweig & Co. während der (noch zügellosen) 30er. Akribisch recherchiert und spannend geschrieben.

 

Corona

 

Die Corona-Pandemie bzw. deren Begleiterscheinungen und das Phänomen Sebastian Kurz waren die Haupt-Themen bei den politischen Sachbüchern. ORF-Wissenschaftsjournalist Günther Mayr präsentierte sein mit Hans Bürger gestaltetes Buch „Entscheidung – Ein Virus diktiert“, Ingrid Brodnig („Einspruch“) gab einen Einblick in die täglich skurriler werdenden Verschwörungstheorien, und Robert Misik skizzierte die „neue Abnormalität“. Ex-Rockstar und Filmregisseur Reinhold Bilgeri verwendete die New Yorker-Lockdown-Atmosphäre als Hintergrund für seinen Roman „Die Liebe im leisen Land“, in dem ein verheiratetes Pärchen (Reporter Thomas Maas und Anwältin Amy Alister) ins emotionale Straucheln gerät.

 

Phänomen Kurz

 

Am 9. Oktober 2021 trat Sebastian Kurz als österreichischer Bundeskanzler zurück. Seine Taktiken und Tricks wurden bei der Buch Wien von Natascha Strobl und Peter Pilz schonungslos analysiert. „Radikaler Konservatismus“, so bezeichnet die Politikwissenschaftlerin Strobl die zuletzt im Zuge von Politikern (wie Trump, Johnson oder eben Kurz) konzipierten, von rechten bis rechtsextremen Parteien kopierten Strategien. Dazu zählen u.a. die Übernahme von Feindbildern (wie „fremdländische Kultur“ oder Feminismus), der Angriff auf Medien, NGO´s oder die Justiz und die tägliche Schlagzeilen-Politik („riding the news cycle“), die nur der eigenen Marke und nicht gesamtstaatlichen Zielen dient. Hinter die Kulissen des System Kurz blickt Peter Pilz mit seinem Buch „Kurz – Ein Regime“. Der türkise Ex-Kanzler sei ein reines Propagandaprodukt, der sich nicht für Politik, sondern nur für seine eigene Macht interessiert, so Pilz vor einer prall gefüllten Audienz in den Wiener Messehallen.

 

Einen anderen Ansatz wählte der 27jährige Wiener Schriftsteller Elias Hirschl, um die oberflächliche Yuppisierung der Politik anzuprangern. „Salonfähig“ heißt sein – unter dem zündenden Slogan „Austrian Psycho“ beworbene – Roman, dessen namenloser Ich-Erzähler Mitglied einer rechtskonservativen Partei („Junge Mitte“) ist. Sein großes Vorbild ist der junge Vorsitzende und künftige österreichische Bundeskanzler Julius Varga, Ähnlichkeiten mit realen Figuren sind natürlich nur rein zufällig.

 

 

Ein anderes politisches Kaliber war einst der sozialdemokratische Bundeskanzler Vranitzky, der auf der ORF-Bühne sein gemeinsam mit der Autorin Margarethe Kopeinig erstelltes Buch „Politik mit Haltung“ präsentierte. Vranitzky verwies dabei auf die Bedeutung des Kompromisses und des sozialen Ausgleiches in der Alltagspolitik und erinnerte an die Abkehr Österreichs von der „Opfertheorie“ in bezug auf die Ereignisse des 2. Weltkriegs durch seine parlamentarische Rede im Juli 1991.

Jugoslawien

 

Barbi Markovic, geboren 1980 in Belgrad, hat in den 90ern den Krieg in Jugoslawien hautnah miterlebt. Ihre Erfahrungen verarbeitet sie in dem flott und modern geschriebenen Roman „Verschissene Zeit“. Im Phil und auf der Standard-Bühne der Buch Wien servierte sie teils deftige Leseproben aus dem Coming of Age-Buch, in dem drei jugendliche Außenseiter per Zeitmaschine nicht durch die Kriegswirren, sondern auch durch ihre Pubertätskrisen driften.

 

Diskutiert wurde in einer Gesprächsrunde unter dem Titel „Mein Vaterland hat keinen Namen mehr“ über das Nachkriegs-Jugoslawien. Die einhellige Meinung: Die Jugend glaubt nicht an die neuen „Splitterstaaten“, man brauche neue Visionen, um die nationalistischen Strömungen zu überwinden.

 

Populismus, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit sind auch Thema in Nick Thorpes Buch „Die weinende Straße vor mir – Entlang der Balkanroute“. Der in Budapest lebende BBC-Korrespondent beschreibt ein realistisches Stimmungsbild über die Flüchtlingskrise in Südosteuropa. Den Erfolg Orbans erklärt er damit, dass die Ungarn aufgrund geringer Erfahrung mit ausländischen Kulturen für patriotische Botschaften („Haus Ungarn“) anfällig sind.

 

„China ist eine klassische Erziehungsdiktatur“, so Ex-Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust auf der ORF-Bühne. Social Credit-Systeme und eine digitale Dauer-Überwachung kennzeichnen das Ursprungsland der Pandemie, in dem alle Bürger eines Stadtbezirks mitten in der Nacht wegen eines Covid-19-Verdachtsfalls zu Tests verpflichtet werden. Aust hat gemeinsam mit dem Journalisten Adrian Geiges eine spannende Biographie über den Staatspräsidenten Chinas geschrieben: „Xi Jinping – Der mächtigste Mann der Welt“.

 

Ausgezeichnet wurden bei der Buch Wien auch die Gewinner des Österreichischen Buchpreises: Raphaela Edelbauer für ihr Science Fiction-Epos „Dave“ und Anna Albinus für ihren Debütroman „Revolver Christi“.

 

Obwohl durch die Corona-Krise die Menschen mehr Zeit haben, um Bücher zu lesen, stehen die Verlage unter finanziellen Schwierigkeiten. Ein Grund sind auch die gestiegenen Rohstoffpreise. Vor allem kleine Verlage haben Probleme, rechtzeitig Nachdrucke ihrer erfolgreichen Publikationen herzustellen.

 

 

Die nächste Buch Wien wurde jedenfalls bereits fixiert, sie findet zwischen 23. und 27. November 2022 statt…