Donaufestival Krems: African Beats, Mittelalter-Mystik und ausgepeitschte Wellen!

Eine junge Frau mit langen Haaren und nacktem Oberkörper steht auf einer Betonplatte, gegen die das weite Meer prasselt. Man hört das Meeresrauschen und dröhnenden Ambient-Sound. Die Frau nimmt emotionslos eine Peitsche und drischt auf das Meer hin, das keine Veränderung zeigt. 30 Minuten lang. Diese faszinierende Videoinstallation nennt sich „Untitled (Wave)“ und stammt aus den Kreativsträngen der deutschen Künstlern Anne Imhof, die bereits mit ihrer „Angst“-Trilogie und mit der fünfstündigen, mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneten „Faust“-Performance bei der Biennale in Venedig für Furore gesorgt hat. Hauptdarstellerin des im Sommer 2020 in der Normandie fabrizierten Clips ist neben der Meereswelle Eliza Douglas, seit 2017 Performance-Star der Imhof-Aktionen. 

 

Die mysteriöse „Wave“-Installation hatte ihre Premiere in der Julia Stoschek Collection Berlins. Kritiker bezeichnen sie überschwenglich als „Kunstwerk der Pandemie“. Ob hier tatsächlich (vergeblich) die Corona-Wellen ausgepeischt werden, bleibt offen. Weitere Interpretationen reichen von einer Kritik am Klimawandel (der ein Ansteigen der Wassermassen bewirkt) bis hin zu einem Konnex zwischen der Endlichkeit des Lebens und der Unendlichkeit des Meeres. Man könnte das Meer auch als Metapher für die Informationsflut sehen, gegen die der Mensch ankämpft, oder auch als Todesstätte vieler Flüchtlinge, die vor lauter Sehnsucht nach einem neuen Leben die Flucht über das unendliche Meer antreten und qualvoll scheitern. Beim Kremser Donaufestival hatten die Besucher 6 Tage Zeit, sich in einem verdunkelten Chill Out-Room niederzulassen und ihren Gedanken freien Lauf zu lassen.

Musikalisch lockte am zweiten Festivaltag „Die Wilde Jagd“ in den mystischen Klangraum der Minoritenkirche. Dabei handelt es sich um ein Projekt des deutschen Musikers Sebastian Lee Philipp. „Empfang, Himmelfahrten, Gondel und Sankt Damin“ heißen die überlangen Tracks des dritten Albums „Haut“, die laut dem Schöpfer „die Grenze zwischen Innerem und Äußerem“ darstellt. Der Sound: Eine verschwobene Mixtur aus Mittelalterreimen, Krautrock, Elektronik und Avantgarde. Eine bessere Location als eine Kirche aus dem 13. Jahrhundert hätte man kaum finden können.

 

 

Aus Kapstadt stammt die Transgender-Künstlerin Angelo Antonio Valerio aka Angel-Ho, die zum losen NON Worldwide-Kollektiv gehört, das populäre Club-Musik mit afrikanisch-asiatischen Beats verknüpft. Zuerst noch versteckt unter einem Kapuzengewand stilisierte sich Angel-Ho nach der Enthüllung kongenial als straighte Diva, die ihre Queer-Hymnen (wie „Liberation“) in die Menge schmetterte.

LGBT-Messages zählen neben sozialen und politischen Missständen auch zum Repertoire der aus Tunesien stammenden Künstlerin Deena Abdelwahed. „If in a family, something miserable happened, they would blame the gay member of the family because he had attracted „bad luck“ beklagt die jetzt in Frankreich lebende DJ und Produzentin, die bereits im Boiler Room, beim Sonar in Barcelona und im Berliner Berghain residierte. Ihr minimalistischer Sound, gemixt mit ihren esoterisch-euphorischen Vocals, begeisterte die prall gefüllte Halle 2 des Donaufestivals. 

 

Hip Hop Beats danach auf der Bühne der Halle 2. On Stage Bbymutha, 32jähriges Aushängeschild der Southern Rap-Szene von US-Tennessee. Der Name resultiert aus der eigentlich abwertenden Bezeichnung „babymama“ einer Freundin ihres untreuen Partners. Bei Ausbruch der Corona-Pandemie kehrten bei der Mutter zweier Zwillingspärchen die Schreckensgespenster der Depressionen zurück, das Mittel dagegen ihr neues Album „Muthaland“. Ein Rezept gegen düstere Lebenslaune dürfte auch die Live-Atmosphäre sein. Bbymutha erscheint mit Gläschen auf der Bühne, rappt ihre deftigen Stakkato-Vocals ins Mikro und swingt zu den groovigen Beats ihrer MC. Salt n´Pepa goes Avantgarde.

 

Den finalen Schlusspunkt setzt die aus Sambia stammende DJ Kampire, die seit ihrem Boiler Room-Auftritt zu den Breakthrough DJ´s gehört und zu den Aushängeschildern des Nyege Nyege Kollektivs Ugandas zählt. Hier geht es nicht nur um Lebenslust und Hedonismus, sondern auch um authentische Klubkultur und Safe Spaces für die LGBT-Community. Homosexualität ist in Uganda noch immer illegal. Afro House, Latin Bass, Baile Funk, Congolese Soukous und Gqom Power House sind die Ingredienzen ihrer basslastigen Mixes, Ekstase & Energy on the Dancefloor garantiert. Auch beim Kremser Donaufestival bis weit nach Mitternacht…