Art-Aktivismus in der Goldenen Stadt: Auf den Spuren des Prager Künstlers David Cerny!

Prag, die Goldene Stadt im Herzen Mitteleuropas, zu jeder Jahreszeit eine Reise wert und prall gefüllt mit traditionellen Stadt-Vierteln, prachtvollen Sehenswürdigkeiten und historischen Schauplätzen. Die wunderschöne Altstadt mit dem Rathaus, der Astronomischen Uhr und dem jüdischen Areal, der Hradschin mit der Prager Burg, dem Veitsdom und dem pittoresken Goldenen Gässchen oder der Wenzelsplatz als Epizentrum des Prager Frühlings 1968 und der Samtenen Revolution im legendären November 1989. Man kann die 1,3 Millionen-Einwohner-Metropole allerdings auch auf eine alternativere Art entdecken, und zwar in Zusammenhang mit den kreativ-provokanten Kunstwerken des tschechischen Bildhauers David Cerny, die über ganz Prag verstreut sind.

 

Quo Vadis (1990)

 

Cerny, im Dezember 1967 in Prag geboren, studierte zwischen 1988 und 1994 an der Akademie für Kunst und Architektur und nahm in den 90ern am unabhängigen Studienprogramm des Whitney Museums in New York teil. Erste Aufregung (und Popularität) erlangte der Kunst-Aktivist mit der pinken Bemalung eines sowjetischen Panzers (die in einer kurzfristigen Festnahme wegen Vandalismus resultierte) und mit seiner Skulptur „Quo Vadis“ (1990), die aus einem Trabant mit vier Beinen besteht. Letztere bezieht sich auf die Flucht tausender DDR-Bürger in die deutsche Botschaft im September 1989, die nach einer durch Außenminister Hans-Dietrich Genscher genehmigten Ausreise Richtung Westdeutschland ihre Trabis in Prag zurückließen. Eine Kopie steht heute noch im Park der Botschaft, im Palais Lobkowitz, unweit der Prager Burg.

 

Horse (1999)

 

Nicht ungeschoren von Cernys Aktivitäten bleibt auch der Heilige Wenzel, dessen Reiterdenkmal direkt vor dem Nationalmuseum am Wenzelsplatz residiert. Cerny hat um die Jahrtausendwende eine Kunststoff-Variation dieses Denkmals konzipiert: Der Reiter sitzt dabei auf dem Bauch eines toten, mit dem Kopf nach unten aufgehängten Pferdes. Als Standort wurde die Lucerna Passage gewählt, die erste – jugendstilartige - Großstadt-Passage Prags direkt am Wenzelsplatz, die vom Großvater Vaclav Havels Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut wurde.

 

Sigmund Freud (1997)

 

Im historischen Zentrum Prags, in der Husova Straße, wurde schon öfters Alarm geschlagen, weil sich angeblich ein Mann vom Dach stürzen wollte. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Kunstwerk Cernys aus dem Jahre 1997, um eine Skulptur des Psychoanalytikers Sigmund Freud, der sich mit einer Hand an einem Dachbalken festhält, während die andere in seiner Tasche steckt. Interpretationen seiner Kunstwerke lässt Cerny gerne offen. Der in Mähren geborene Freud soll hier allerdings als Personifikation für die Intellektuellen des 21. Jahrhunderts stehen, deren künftige Bedeutung im Schwanken ist.

 

Piss-Sculpture (2004)

 

Direkt vor dem Kafka-Museum im traditionellen Mala Strana-Viertel (Kleinseite) hat Cerny zwei männliche Skulpturen positioniert, die in einen der Tschechischen Republik formal angenäherten Teich pinkeln. Nicht die einzige Provokation Cernys gegen die herrschende Politik. Im Jahre 2014 platzierte Cerny einen über 10 Meter hohen, lilafarbenen „Fuck you“-Mittelfinger auf einer Plattform in der Moldau, der sich gegen die „Kommunisten auf der Burg“ richtete. Die während des EU-Beitritts Tschechiens entstandenen Piss-Skulpturen sieht Cerny selbst humorvoll und satirisch: „Es ist doch irgendwie ganz witzig, ein besseres Manneken Pis zu haben und die Brüsseler zu übertrumpfen.“

 

Miminka (2000)

 

 

Vorbei an der Karlsbrücke und der Lennon-Mauer geht es jetzt entlang der Moldau Richtung Kampa-Museum. Dort krabbeln im dazugehörigen Kampa-Park drei riesige 800 kg schwere Babies, die „Miminkas“, die Cerny im Rahmen der Wahl Prags zur Kulturhauptstadt 2000 entworfen hat. Kinder klettern dort gerne lachend herum, während deren Eltern und Reisegruppen Selfies ins Netz stellen. Tatsächlich sind die dystopisch – mit Barcodes statt freundlichen Gesichtern ausgestatteten – Figuren eine Kritik an der Entmenschlichung der Gesellschaft. Allerdings gleichzeitig auch Eyecatcher des noch in kommunistischen Zeiten geplanten und 1992 fertiggestellten Zizkov Television Towers im Süden Prags, an dem einige Modelle fixiert sind. Cerny im fließenden Übergang zwischen Provokation und Popularität.

Kafka-Head (2014)

 

 

Zurück über die Moldau Richtung Narodni Trida, Ursprung der Samtenen Revolution und heute einer der teuersten Shoppingmeilen Prags, trifft man direkt vor dem Einkaufszentrum Quadrio auf das wohl imposanteste Werk Cernys, den 10,6 Meter hohen Franz Kafka-Kopf. Dieser besteht aus 42 verspiegelten Edelstahlplatten, die sich unabhängig voneinander um eine zentrale Achse drehen. Die leichteste Platte wiegt 190 kg, die schwerste 520 kg, die großteils aus Edelstahl bestehende Skulptur wiegt 39 Tonnen. Zu jeder vollen Stunde findet zwischen 8 und 21 Uhr eine 15 minütige Choreographie statt, die seit der Errichtung zu den Touristenattraktionen Prags gehört. Die vom Einkaufszentrum finanzierten Kosten für Herstellung und Installation betrugen 30 Millionen tschechische Kronen (ca. 1,2 Millionen Euro). Es gibt wohl keine besser geeignete Persönlichkeit Prags für diese Skulptur als den deutsch-jüdischen Schriftsteller Franz Kafka, zu dessen Hauptwerken „Die Verwandlung“ zählt. „Metalmorphosis“ nennt sich dementsprechend das futuristische Meisterwerk Cernys.

Trifot (2016)

 

 

Direkt von der Narodni Trida dann ab in die gelbe Metro B zu einem der neuesten Werke Cernys. Unmittelbar vor dem Czech Photo Centre (Metrostation Nove Butovice) werden dort die Passanten vom 12 Meter hohen Trifot fixiert. Der Kopf dieser Skulptur besteht aus verschiedenen Fotoapparaten der letzten 10 Jahre, die Beine aus Stativen. Mit Hilfe von Linsen kann Trifot (dessen Idee und Name sich vom Science Fiction-Roman „Die Triffids“ ableitet) Personen in Echtzeit auf Bildschirmen abbilden. Cernys Abrechnung mit dem Big Brother-Überwachungsstaat, der in der kommunistischen Ära noch im „bloßen“ analogen Bespitzeln der Nachbarn bestand und durch den stetigen, digitalen Fortschritt immer zielgerichteter, systematischer und gefährlicher wird. Sofern die Gesetze bzw. die Bürger es zulassen.

Weitere Werke Cernys findet man in der Meet Factory, einem von ihm gegründeten multikulturellen Zentrum in Smichov (das Galerien, ein Theater und eine Konzertbühne beherbergt) oder im DocX Centre for Contemporary Art im nördlichen Bezirk Holesovice. Eine aktuelle Gesamtübersicht bietet die Website https://www.david-cerny-tour.com/en/home

 

 

Einige weitere Projekte sind bereits in Planung:  Riesige Metallfiguren im ehemaligen Arbeiterviertel Karlin, ein Schienenübergang zwischen zwei Gebäuden, ein aus einem Hochhaus ragendes Schiffswrack,…. - Eine Cerny-Tour durch Prag wird garantiert nie langweilig…