EU-Hauptstadt Brüssel: Reich & Arm, Modern & Volkstümlich!

Der Platz hinter der Eglise Sainte-Catherine (Katharinenkirche), einer in einem ehemaligen Hafenbecken zwischen 1854 und 1874 gebauten Kirche, zählt zu den schönsten Plätzen des historischen Stadtzentrums von Brüssel. Bis vor ca. 25 Jahren versammelten sich hier am 25. November noch unverheiratete Frauen, um von der heiligen Katharina einen Ehemann zu erbitten. Heute wird dort nicht nur Fisch verkauft, sondern vor allem am mediterranen Wasserbecken gescherzt, getrunken und geflirtet. Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse bezog hier seine erste Wohnung in Brüssel und schrieb an seinem Buch „Die Hauptstadt“, das über die politischen Mechanismen der Europäischen Union handelt…

EU-Hauptstadt Brüssel

 

„Brüssel ist der Ort, wo Politik gemacht wird, die auch in mein Leben in Wien hineinregiert“, so Menasse, der zuerst von Vorurteilen gegen den angeblich überbordenden EU-Beamtenapparat geprägt war. „Tatsächlich aber hat die Europäische Kommission zur Verwaltung eines ganzen Kontinents weniger Beamte als die Städte Wien, München oder Paris zur Verfügung.“ Seit 1958 ist Brüssel Sitz der EWG, der Vorläuferorganisation der EU. Im „Europaviertel“ zwischen dem Brüsseler Park, dem Jubelpark und dem Leopold-Park befinden sich heute in hypermodernen Glasgebäuden die Institutionen der EU. Dass dafür zahlreiche Wohngebäude abgerissen wurden, haben viele Einheimische bis heute nicht verziehen.

 

Das Europäische Parlament tagt trotz immenser Kritik weiterhin an zwei Orten. Während in Straßburg die meisten Plenarsitzungen stattfinden, werden im Brüsseler Paul Henri Spaak-Gebäude vorwiegend Ausschuss- und Fraktionssitzungen abgehalten. Per Voranmeldung kann das Europäische Parlament auch besucht werden. Ausgestattet mit einem Multi-Media Guide kann man selbstständig u.a. den Plenarsaal und die Kunstsammlung des Parlaments inspizieren.

 

Die EU-Kommission ist in dem nach einem Frauenkloster benannten Berlaymont-Gebäude untergebracht, das aufgrund von Asbestbelastung zwischen 1992 und 2004 geschlossen und generalsaniert wurde. Gegenüber befindet sich das Justus Lipsius-Gebäude, in dem der Europäische Rat tagt. Aus den Medien bekannt ist der vor den Gebäuden platzierte Robert Schuman-Kreisverkehr, zumeist Hauptstützpunkt demonstrierender EU-Kritiker.

 

 

Östlich des EU-Konglomerats liegt der 37 Hektar große Parc du Cinquantenaire („Jubelpark“), in dem die Brüsseler die Seele baumeln lassen können. Eine wunderschöne grüne Oase vor allem im Sommer zum Joggen, Flirten, Picknicken oder Studieren. Eingangstor zum Park ist ein 50 Meter hoher Triumphbogen, der aufgrund von finanziellen Reibereien zwischen König und Regierung erst 25 Jahre nach der Weltausstellung 1880 fertigggestellt wurde.

Brüssel - Fakten

 

Brüssel, dessen Name sich aus den Wortbestandteilen bruk und sella („Wohnort im Sumpf“) ableitet, ist einerseits Region, andererseits Gemeinde. Die Region Brüssel-Hauptstadt ist eine von insgesamt drei belgischen Regionen – die anderen heißen Flandern und Wallonie – und hat rund 1,21 Millionen Einwohner. Sie besteht ihrerseits wieder aus 19 selbständigen Gemeinden, eine davon ist die zentrale Gemeinde Brüssel-Stadt, die nicht nur den historischen Stadtkern, sondern auch das EU-Viertel, das volkstümliche Marollenviertel, das elitäre Quartier des Sablons und den Stadtteil Laeken (mit dem Atomium) umfasst.

 

UNESCO-Weltkulturerbe Grand Place

 

Zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt seit 1998 der wunderschöne Grand Place im Herzen der Altstadt mit seinen zahlreichen alten Zunfthäusern. Im Mittelpunkt steht das Anfang des 15. Jahrhunderts erbaute spätgotische Rathaus, das nicht nur durch seinen imposanten 96 Meter hohen Turm ins Auge sticht, sondern auch durch seine asymmetrische Bauweise. Gegenüber befindet sich das Maison du Roi, das ehemalige Haus des Königs, heute das Stadtmuseum. In den Kneipen und Gasthäusern (wie dem Le Cygne) trieben sich zwischen 1845 und 1848 Karl Marx und Friedrich Engels herum.

 

Weitere Sehenswürdigkeiten im historischen Stadtkern sind die Kathedrale Saint Michel, die Galerie Saint Hubert, eine der ältesten überdachten Einkaufspassagen Europas und natürlich der 62 cm (!) große Manneken Pis, der spätestens seit den Terroranschlägen auch als Symbol für Meinungsfreiheit und demokratische Werte steht. Das pissende Männlein hat übrigens „Nachwuchs“ bekommen, in Form der Jeanneke Pis (1985) und des Hündchens Zinneke Pis (1998).

 

Armut

 

Auf ein Merkmal kann Brüssel nicht stolz sein, und zwar auf die grassen Unterschiede zwischen Reich und Arm. Laut Eurostat ist Brüssel-Hauptstadt die fünftreichste Region der Europäischen Union, ein Drittel der Einwohner lebt allerdings unter der Armutsgrenze die Arbeitslosenquote liegt über 15 Prozent. Viele davon sind Migranten aus den ärmeren Stadtteilen Molenbeek, Anderlecht oder Sint-Joost-ten-Noode. Unabhängig von der Staatsbürgerschaft haben 71 % der Einwohner eine ausländische Herkunft, in einigen Gemeinden bis zu 90 Prozent.

 

Molenbeek

 

Vor allem die Gemeinde Molenbeek, die unmittelbar westlich der Brüsseler Altstadt liegt und nur durch den Charleroikanal von dieser getrennt ist, hat mit einem schlechten Image zu kämpfen. Sie gilt nicht erst seit den Selbstmordanschlägen 2016 am Brüsseler Flughafen und in der U-Bahn-Station Maalbeck (nahe dem EU-Viertel), bei denen 32 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt wurden, als Hochburg der IS-Terroristen. „Das kann überall passieren. Es ist ja nur, dass die Täter hier gelebt haben. Man sollte nicht mit dem Finger auf das Viertel zeigen. Die Stadt bleibt die gleiche. Die Leute dieselben“, so der Leiter eines sozialen Begegnungszentrums. Dass die extrem hohe Arbeitslosigkeit in der Gemeinde und die Perspektivlosigkeit vieler Migranten für den radikalen Islam empfänglich, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen.

 

Rapid im Europacupfinale

 

„Finale, Finale, Europacupfinale!“ – So feierten die Rapid-Fans den Einzug ihrer Mannschaft in das UEFA-Finale der Cupsieger 1996. Mehr als 15.000 Rapidler begleiteten per Flugzeug, Sonderzügen oder Auto ihre Mannschaft nach Brüssel, wo in den zahlreichen Bars, Cafes und Kneipen des Grand Place – auch gemeinsam mit den Fans der gegnerischen Mannschaft – auf das Finale angestoßen wurde. Beim Spiel selbst hatten die Rapidler gegen Paris St. Germain keine Chance. Das frühe 1:0 in der 27. Minute durch N´Gotty besiegelte bereits die Niederlage der Österreicher, die Fans klatschten trotzdem nach dem Abpfiff.

 

 

Das Europacup-Finale zwischen Rapid und Paris St. Germain am 8. Mai 1996 war gleichzeitig das erste Endspiel im König Baudoin-Stadion seit der Katastrophe vom 29. Mai 1985, als im selben Areal – damals noch unter dem Namen Heysel-Stadion – beim Europacup-Finale zwischen Juventus und Liverpool nach einer Massenpanik 39 Besucher starben und mehr als 400 Menschen schwer verletzt wurden. Englische Hooligans stürmten einen mit Italienern besetzten Trakt, in dem eigentlich „neutrale“ Zuschauer sitzen sollten. Menschen wurden totgetrampelt, gegen die Zäune gedrückt, Mauern brachen unter dem Druck der Menschenmenge zusammen, die Sicherheitskräfte waren heillos überfordert.

Atomium

 

Als Wahrzeichen Brüssels gilt das gigantische 102 Meter hohe Atomium, das im Rahmen der überaus erfolgreichen Expo 58 erbaut worden ist. Das Bauwerk stellt ein 165 Milliarden vergrößertes Eisenkristall mit neun Atomen dar und wurde als Symbol für das Atomzeitalter und die friedliche Nutzung der Kernenergie entworfen. Fünf der neun Kugeln mit einem Durchmesser von je 18 Metern sind für Besucher zugänglich. Die einzelnen Kugeln sind durch Röhren mit Rolltreppen im Inneren miteinander verbunden. Sportliche Touristen können den unteren Teil des Atomiums auch zu Fuß erklimmen, im Inneren warten Ausstellungen, Laser-Shows, ein Restaurant und natürlich eine tolle Aussicht auf die belgische Hauptstadt. Obwohl bereits in die Jahre gekommen, besuchten zuletzt weiterhin mehr als eine halbe Million Menschen das in den Jahren 2004-2006 renovierte Konstrukt.

 

Zum Atomium-Imperium zählt seit 2014 das in unmittelbarer Nähe gelegene Art & Design Atomium Museum (ADAM), das in einer Dauerausstellung die historische Entwicklung des Kunststoffes (aus dem ehemaligen Plasticarium) zeigt. Sonderausstellungen wie die kultige Exhibition „Night Fever-Design und Club Kultur“ mit zahlreichen Exponaten aus Clubs wie dem Studio 54, dem Ministry of Sound oder dem Berghain sorgen für zusätzlichen Esprit.

 

Marollenviertel

 

 

Ein weiteres imposantes, nicht unumstrittenes Bauwerk Brüssels ist der 142 Meter hohe Justizpalast, der zwischen 1866 und 1883 in der Oberstadt als Symbol für den neugegründeten Staat Belgien erbaut wurde. Teile des traditionellen Marollenviertels wurden damals enteignet und abgerissen. Der Charme dieses volkstümlichen und authentischen Viertels mit seinen Kneipen, kleinen Geschäften, Brauereien und Street Art-Wandmalereien konnte dadurch allerdings nicht zerstört werden. Insbesondere der bereits am Morgengrauen beginnende tägliche Flohmarkt am Place du Jeu de Belle ist ein Anziehungspunkt für Einheimische und Vintage-Fans aller Welt.

Comic-Hochburg

 

Brüssel bietet das ganze Jahr ein buntes Kultur- und Veranstaltungsprogramm. Mehr als 80 Museen warten auf die Besucher, darunter das Museum of Fine Art, das Magritte-Museum, das innovativ, auf das Web 2.0 und Subkulturen spezialisierte MIMA in Molenbeek oder das Museum der Naturwissenschaften mit der größten Dinosaurier-Sammlung Europas. Im Land mit der höchsten Zeichner-Dichte darf natürlich ein Comic-Museum nicht fehlen, das in einem renovierten Jugendstilwohnhaus des berühmten Architekten Victor Horta untergebracht ist. In einer Dauerausstellung erfahren Comic-Freaks detaillierte Infos über die Erfindung der Comic-Kunst, die verschiedenen Comic-Varianten und die belgischen Kult-Zeichner Peyo (Die Schlümpfe) und Herge (Tim & Struppi).

 

Comic-Kunst im öffentlichen Raum bietet die Route des Parcours BD, die aus über 50 Street Art-Motiven verstreut über ganz Brüssel besteht. Ein Tribut an Herge ist auch die von Tom Frantzen erstellte weltberühmte Skulptur „De Vaartkapoen“ in Molenbeek, bei der ein aus einem Kanal steigender Mann nach den Füßen eines laufenden Polizisten greift. Was danach passiert, liegt in der Vorstellungskraft des Betrachters.

 

Nightlife

 

 

Musikfans sind begeistert vom Alternativ-Club „Le Botanique“, der in ein ehemaliges Gewächshaus integriert wurde, und vom legendären Ancienne Belgique (engl. „Old Belgium“), in dem sich in verschiedenen Sälen die Rock-, Pop-, Reggae- und Avantgardeacts die Klinke in die Hand geben. Technofreaks düsen ab Richtung Marollenviertel ins „Fuse“, ins „C 12“ oder in den Electro-Club „Zodiak“. Und wer auf eine After Hour keine Lust mehr hat, kann ja im Jubelpark in die ersten Sonnenstrahlen blinzeln. Man ist schließlich nur einmal jung. Egal, wie alt man ist…