Zurück zur Lebenslust: Maneskins ESC-Sieg als Startschuss für eine neue Euphorie!

„Maneskin, das sind diese vier magischen Typen, die Italien wieder zum Lächeln gebracht haben“, so jubelten die italienischen Gazetten nach dem bombastischen Songcontest-Sieg der römischen Band. 

 

Es war ein Herzschlagfinale kurz nach Mitternacht in der Rotterdamer Ahoy Arena. Nach dem Jury-Voting lagen die Schweizer (mit dem Pop-Falsett-Akrobaten Gjon´s Tears) und die Franzosen (mit der bezaubernden Edith Piaf-Epigonin Barbara „Voila“ Pravi) noch klar voran. Die nach Live-Feeling und Rock-Exzessen dürstenden Zuschauer beförderten allerdings dann die Indie-Hymne „Zitti e Buoni“ noch auf Platz 1 der Wertung.

 

„We just wanted to say to the hole of Europe, to the whole world, Rock´n Roll never dies“, das brüllte Sänger Damiano David – mit nacktem Oberkörper, schrillen Hals-Tattoos und engen Lederhosen – in die Menge. Für das wilde Image und die Popularität der Band konnte nichts besseres passieren, als dass (falsche) Vorwürfe des Kokain-Konsums im Green Room die sozialen Medien überfluteten. 

 

History of Maneskin

 

Das Quartett, bestehend aus Sänger Damiano David, Bassistin Victoria de Angelis, Gitarrist Thomas Raggi und Drummer Ethan Torchio, wurde 2016 gegründet. Der Bandname „Maneskin“ (dt. Mondschein) wurde von der halb aus Dänemark stammenden Bassistin de Angelis kreiert. Die ersten Gagen verdienten sich die ehemaligen Schulkollegen als Straßenmusiker u.a. in der berühmten Via del Corso. 2017 belegten sie beim X-Factor-Wettbewerb den 2. Platz, in den Charts waren sie die echten Gewinner. Nach einer EP („Chosen“) folgten zwei Nr. 1-Alben („Il Ballo della Vita“ und „Teatro d´Ira“), eine Nr. 1-Single („Torna a Casa“) und drei Nr.2-Singles. 2021 gewannen sie – als erster Rock-Act der Geschichte – das San Remo-Festival und dadurch die Eintrittskarte, vor rund 200 Millionen ESC-Zuschauern ihre heiße Show zu präsentieren.

 

Best Lyric Award

 

Ausgezeichnet mit einem Preis wurden Maneskin bereits einen Tag vor dem Finale, und zwar  mit dem seit 2016 verliehenen „Eurostory Best Lyric Award 2021“ für den besten Songtext. „Zitti e buoni“ heißt zwar übersetzt „still und brav“, tatsächlich geht es in der Rock-Hymne um das Gegenteil. „Siamo fuori di testa, ma diversi da loro“ – „Wir sind verrückt, aber anders als sie“, ist ein Aufruf an die rebellische Jugend, sich nicht den Konventionen und Erwartungen zu unterwerfen und selbstbewusst eigene Werte zu vertreten. „Ein roher Schrei von den Außenseitern dieser falschen Gesellschaft“, so die vorwiegend aus Dichtern, Journalisten und Autoren zusammengesetzte Jury.

 

Italien beim ESC

 

Italien holte mit Rock-Power zum dritten Mal den Sieg bei einem Songcontest. 1964 siegte Gigliola Cinquetti mit dem melancholischen „Non ho l’età“, 1992 Toto Cotugno in weißem Anzug mit dem Schmachtfetzen „Insieme 1992“. Der musikalische Kontrast könnte nicht größer sein. Nach einer Songcontest-Pause zwischen 1998 und 2010 begeisterten die Italiener aber bereits in den letzten Jahren mit lässig produzierten Dance-Tracks (wie Francesco Gabbanis „Occidentali´s Karma) oder authentischen Hip Hop-Klängen (wie dem zweitplatzierten „Soldi“ Mahmoods im Jahr 2019). Für die Musik-Nation Italien bietet sich jetzt auch die Chance, sich abseits von melodiösem Pop und operesken Balladen zu etablieren.

 

Feldtest

 

Für die gesamte Event-Branche ist der Songcontest ein Beweis dafür, dass Live-Events trotz der Corona-Pandemie wieder sicher stattfinden können. Jeweils 3500 Zuschauer (ca. 20 % der Kapazität der Rotterdamer Arena) bejubelten bei den drei öffentlichen Shows und sechs öffentlichen Proben die ESC-Kandidaten, getestet, mit Masken (außer am eigenen Platz) und ohne Sicherheitsabstand. Seit dem Beginn der Vorbereitungen am 6. April wurden – bei mehr als 25.000 Tests – bis zum 20. Mai gerade einmal 16 Personen positiv getestet, eine Infektion direkt am Veranstaltungsort fand nicht statt.

 

Italiens Presse hat den Maneskin-Sieg verglichen mit dem Freude über die Leistungen Fabio Grossos. Das ist jener italienische Außenverteidiger, der bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sowohl im Halbfinale gegen Deutschland als auch beim Elfmeterschießen gegen Frankreich das entscheidende Tor geschossen hat. Dieses Mal geht es um mehr, um eine globale Rückkehr zu Euphorie, Enthusiasmus und Lebenslust. Mögen dazu (noch) einige Voraussetzungen fehlen, der Soundtrack wurde bereits geschrieben…