Mission VfGH: Corona-SchutzmaßnahmenVO auf Konfrontation mit den Grundrechten!

Es sind anspruchsvolle und gefürchtete Klausuren im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, die jährlich auf die Studenten der juridischen Fakultäten zukommen. Aktuell dauern sie bis zu 4 Stunden. Würden die immer stets auf neue Gesetzesmaterie abzielenden Professoren die Corona-Verordnungen der türkis-grünen Bundesregierung – formell erlassen durch den Gesundheitsminister – zum Prüfungsgegenstand machen, dann müssten die Studenten wohl Tag und Nacht im Prüfungssaal sitzen.

 

Zwei Jus-Studentinnen sind auch die ersten, die per Individualantrag die neueste „Schutzmaßnahmenverordnung“ vor den Verfassungsgerichtshof bringen. Wohl nur die Spitze des Eisberges. Im Mittelpunkt der Anträge stehen vor allem die „Ausgangsregeln“, die laut dem zugrundeliegenden Covid-19-Maßnahmengesetz nur als Ultima Ratio, als letztes, geeignetes Mittel, vorgesehen sind. Die gesetzliche Ermächtigung sei daher überschritten worden, da es noch andere Möglichkeiten gegeben hätte, den angeblich drohenden Zusammenbruch des Gesundheitssystems zu verhindern, wie beispielsweise die Schließung von Einzelhandelsbetrieben, Einkaufszentren oder Kirchen. Es liege daher eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit vor.

 

Geltend gemacht wird von den Studentinnen auch die mangelnde Bestimmtheit der Ausgangsgründe, die bereits im März 2020 zu zahlreichen Aufhebungen durch den Verfassungsgerichtshof geführt haben. Die bereits rechtskräftig verhängten Strafen wurden – trotz einer nachträglich als gesetzwidrig erkannten Anspruchsgrundlage – nicht rückerstattet (obwohl für derartige Fälle eine Aufhebung durch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde in Frage kommt).

 

Gemäß der neuen Schutzmaßnahmenverordnung existieren jetzt fünf Gründe, die die Bürger berechtigen, zwischen 20 und 6 Uhr ihren privaten Wohnbereich zu verlassen: 1.) Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum, 2.) Betreuung und Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen (wer darunter fällt, ist unklar) und die Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten, 3.) die Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse des täglichen Lebens (Rechtlich unverbindliche Infos des Sozialministeriums subsumieren darunter auch die Fahrt zu Zweitwohnsitzen, den Kontakt zu nicht im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebenspartnern, Kirchenbesuche oder die Grundversorgung von Tieren), 4.) Berufliche Zwecke und Ausbildungszwecke bzw. der wohl phantasievollste Ausnahmegrund 5.) Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung. 

 

Der Wiener Rechtsanwalt Florian Horn bezeichnet den gesamten Katalog der Ausgangsregeln als „äußerst unbestimmt“ und somit verfassungswidrig, „weil die Ausnahmen so weitgehend sind, dass sie das Verbot überhaupt aufzuheben scheinen“. In contrario sind die Ausgangsregeln so konzipiert, dass laut der Kurz-Regierung ein Besuch bei Freunden kein zulässiger Grund ist, den privaten Wohnbereich zwischen 20 und 6 Uhr zu verlassen. Der türkise Innenminister wiederum bezeichnet in einer der über 130 Pressekonferenzen das „Biertrinken im Park“ als rechtswidrig, das von der Polizei – die hier eine undankbare Vollzugs-Rolle zwischen der Regierung und den Bürgern spielen muss – streng bestraft werden muss. Eine einschlägige Rechtsgrundlage dazu gibt es nicht.

 

Rechtsprofessor Georg Eisenberger ist ebenfalls überzeugt, dass zahlreiche Fälle vor dem Verfassungsgerichtshof landen werden. Die Regierung müsse mit wissenschaftlichen Expertisen begründen, warum gewisse Maßnahmen getroffen wurden „also beispielsweise mit Zahlen zur Clusterbildung, der Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung oder Erfahrungswerten aus anderen Ländern“. Ein eindeutiger Wink auf die Kultur, den Sport, die Hotellerie und die Gastronomie, die durch die Schutzmaßnahmenverordnung – vorerst befristet bis 30. November – komplett geschlossen wurden. 

 

Laut der letzten AGES-Clusteranalyse sind Hotel und Gastro nur für 0,7 % der positiven Tests verantwortlich. Hinsichtlich Theatern, Konzerten, Kabaretts und Kinos, die in den letzten Monaten unter höchsten Sicherheitsbedingungen (inkl. Contact Tracing, Masken- und Sitzpflicht) betrieben wurden, gibt es keinen einzigen rückführbaren Covid-19-Fall. Insofern dürften die rigorosen Veranstaltungsverbote einen klaren Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz darstellen und daher verfassungswidrig sein.

 

In diese Richtung argumentieren auch deutsche Anwälte, die „Eilanträge“ (die im österreichischen Recht leider nicht existieren) gegen die Schließung gastronomischer Betriebe vor dem Verwaltungsgericht Berlin eingereicht haben. „Es kann nicht sein, dass Gaststätten nur deshalb geschlossen werden, weil man dort mit geringerem Widerstand rechnet als dies bei einer Schließung von Autohäusern, Shopping-Malls oder Baumärkten der Fall wäre“, so der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting. Restaurants seien laut RKI keine „Treiber der Pandemie“, statt einer kompletten Schließung kämen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch gelindere Mittel (wie die Einführung verschärfter Hygieneregeln oder größere Sicherheitsabstände) in Betracht. Härting verweist in seinem Schriftsatz auch auf andere Branchen und Orte, an denen Menschenansammlungen weiterhin erlaubt bleiben, wie im Handel, bei Gottesdiensten, in Fabriken, Fertigungsbetrieben, Schulen und Öffis, während die Gastro nicht einmal mit einer verringerten Gästezahl betrieben werden darf.

 

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland wird kritisiert, dass die massivsten Grund- und Freiheitsrechtseingriffe seit dem Zweiten Weltkrieg per Verordnung (allein durch den Gesundheitsminister bzw. durch die Landesregierungen) und nicht durch das Parlament erlassen werden. Nur in der ersten Phase der Pandemie sei es vertretbar, Freiheitsrechte durch Verordnungen der Exekutive einzuschränken. Laut ständiger Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts bedürfen schwere Grundrechtseingriffe einer parlamentarischen Grundlage. Die Erlassung einer Verordnung sei daher ein Verstoß gegen den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts.

 

Pharmaunternehmen weltweit befinden sich derzeit im (hoffentlich erfolgreichen) Kampf um einen wirksamen Impfstoff, der vorerst primär die (älteren) Corona-Risikogruppen schützen sollte. Wer aber schützt die Bürger vor unverhältnismäßigen Eingriffen der Regierungen in ihre Grundrechte, die ihr gesellschaftliches, berufliches und soziales Leben in den Abgrund treiben? Die Suche nach einem derartigen Impfstoff fällt wohl in das düster-fiktionale Reich der Dystopien…