Rekordandrang bei der Buch Wien 2019: 55.000 Literaturfans besuchten über 500 Events!

Seit 2008 findet in Wien die Buchmesse statt, und das mit steigenden Besucherzahlen. Bei der diesjährigen Buch Wien 2019, die am 6. November mit der von Florian Scheuba moderierten "Lange Nacht der Bücher“ startete und am 10. November abends in der Messehalle D endete, freuten sich die Veranstalter über einen neuen Besucherrekord: Insgesamt 55.000 Menschen visitierten die über 500 Lesungen, Präsentationen und Vorträge. Die Eröffnungsrede hielt dieses Jahr der Falter-Herausgeber Armin Thurnher unter der Anwesenheit von Bundespräsident Alexander van der Bellen.

 

Thematisch bot sich den Besuchern ein bunter Reigen zwischen spannenden Romanen, realitätsbezogener Zeitgeistliteratur, technologieaffinen Sachbüchern und politischen Essays. Im Zentrum der politischen Werke standen vor allem der Rechtspopulismus und die grassierende Fremdenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft. So präsentierte Monika Salzer ihr Buch über die Entstehung der "Omas gegen Rechts". "Profil"-Innenpolitikjournalistin Eva Linsinger ("Alles nur Fake") bezeichnete die "Qualitätsmedien als Feinde der Populisten" und bezog sich dabei auch auf die Message Control der türkis-blauen Bundesregierung.

 

"Die ÖVP ist nur autoritär oder gar nicht führbar. Sie hat sich für erstes entschieden", so Ex-Kurier-Chefredakteur und nunmehriger Neos-Nationalrat Helmut Brandstätter, Autor des Buches "Kurz & Kickl - Ihr Spiel mit Macht und Angst“. Im selben Atemzug auf der ORF-Bühne Ex-ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, dem man in Gegensatz zu seiner Partei "Haltung" abnimmt, und Journalist Robert Misik ("Die Herrschaft der Niedertracht").

 

Politikwissenschaftler Emmerich Talos warnte nach seinem Vortrag über die "schwarz-blaue Wende" die Grünen, mit der Kurz-ÖVP zu koalieren. "Die Grünen werden abgewählt werden, und zwar länger als das letzte Mal". Unverständnis löst bei ihm der Mediendruck auf die Grünen aus, die „sehenden Auges ins Verderben geschickt“ würden.

Falter-Chefredakteur Florian Klenk versuchte gemeinsam mit Statistik-Austria-Chef Konrad Pesendorfer, die Besucher für die gar nicht trockene Statistik zu begeistern und kritisierte gleichzeitig, dass die rechtskonservative ÖVP-FPÖ-Regierung – vermutlich, um nicht genehme Recherchen zu reduzieren - das Budget für die Analyse- und die Pressestelle verkleinern wollte. Falter-Kollegin Nina Horaczek appellierte mit Co-Autor Sebastian Wiese in "Wehrt euch" zur Zivilcourage. Ebenso wie die deutsche Polit-Aktivistin und Journalistin Mareike Nieberding („Verwende deine Jugend“), die - argumentativ unterstützt durch die Fridays for Future-Bewegung - keine Politik-, sondern eine Parteienverdrossenheit der Jugendm beobachtet.

 

Aus der aktiven Politik ausgeschieden ist Neos-Gründer Matthias Strolz. Bei der Präsentation seines Buches "Sei Pilot deines Lebens", um halb 11 früh am Sonntag, waren die Sitzplätze bereits vor Beginn vollbesetzt. In fünf Schritten fordert der charismatische Unternehmer und Freigeist die Zuhörer auf, bei Unzufriedenheit ihr Leben zu verändern und neu zu gestalten, egal in welcher Position man derzeit verharre. Dass Autor und Vortrag bei den Zuhörern großen Anklang fanden, registrierte man unmittelbar danach an der langen Menschenschlange, die auf eine Signatur des Neo-Schriftstellers wartete.

 

Düstere Einblicke in die Welt der Internet-Konzerne gewährte Digital-Expertin Ingrid Brodnig mit ihrem Buch "Übermacht im Netz". Andreas Salcher forderte mit seinem Buch "Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde" endlich ein Umdenken in der antiquierten Bildungspolitik. Bella Italia war gestern, die politische Grundhaltung der Italiener wird immer xenophober und radikaler. Ex-ORF-Auslandskorrespondent Lorenz Gallmetzer beschreibt die Evolution Italiens in seinem spannenden Sachbuch "Von Mussolini bis Salvini".

In diesen Konnex passt auch die aus präparierten Ratten bestehende Ausstellung "Die letzten Tage der Menschheit" der Künstlerin Deborah Sengl, die 2014 erstmals im Essl-Museum zu sehen war und bei der Buch Wien (in einer verkleinerten Version) inmitten zwischen Showbühnen und Verlagsständen platziert wurde. Die Wahl für weiße Ratten erklärt Sengl damit, dass sie keine Hierarchien oder Wertungen schaffen wollte. "Alle sind an dem Krieg gleich schuld, die Soldaten, die morden, aber auch die propagandistische Presse oder die Zivilisten, die sich nicht dagegen wehren, Meinungen kolportieren und wiedergeben." Einzig die Nörgler-Ratte wurde schwarz dargestellt, da sie das Geschehen nur von außen betrachtet.

Politische Zeitgeschichte steht auch im Mittelpunkt vieler Romane auf der Buch Wien. Der deutsche Autor Eugen Ruge beleuchtet in "Metropol" das Schicksal seiner Großmutter, einer kommunistischen Agentin in den 30ern. Die gebürtige Ungarin Nikoletta Kiss spannt rund um eine Liebesgeschichte zwischen einer reichen Theaterschauspielerin und einem mittellosen Kunststudenten im Budapest der 50er ihren Roman "Das Licht vergangener Tage", der bis ins Berlin der Gegenwart reicht. Im "Karpartenkarneval", erstmals publiziert 1992, beschreibt der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch den eher subtilen Widerstand vierer Dichter gegen die Oligarchen. Ein düsteres Kapitel der Weltgeschichte, den Völkermord in Burundi, recherchiert die deutsche Autorin Nora Bossong in Person der UN-Diplomatin Mira. "Schutzzone" ist spannend, investigativ und melancholisch zugleich und wird bereits mit Robert Menasses "Die Hauptstadt" auf eine Ebene gestellt.

 

Im Burgtheater ein Routinier, präsentierte Sven Eric Bechtolf auf der Buch Wien seinen zufällig entstandenen Debüt-Roman "Nichts bleibt so, wie es wird", der ebenfalls in der Theaterszene spielt. Im Mittelpunkt des neuen Romans von Doris Knecht, "Weg", stehen zwei nicht mehr zusammenlebende Elternteile, die sich auf der Suche nach ihrer verschwundenen, unter Psychosen leidenden Tochter machen.  Zweifellos einer der Bestseller der nächsten Monate. Ebenso wie "Als ich jung war" von Norbert Gstrein, dem Gewinner des Buchpreises 2019.

Der Umsatz im Österreichischen Buchmarkt ist 2018 um 1,15 Prozent zurückgegangen. Bei Sachbüchern wurde - im Gegensatz zur Belletristik (minus 5,2 Prozent) - allerdings ein Plus von 6,1 Prozent erreicht. Man darf gespannt sein auf die Bilanz im Jahr 2019. Wie vielfältig und spannend das Buchangebot ist, hat man bei der diesjährigen Buch Wien gesehen, die auch nächstes Jahr wieder stattfinden wird. Und zwar vom  11. bis 15. November 2020.