
Die Berliner Techno-Kultur ist seit 2024 immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe. Dies drückt einerseits die Wichtigkeit des rhythmisch-monotonen Sounds für die deutsche Bundeshauptstadt aus, andererseits ist es natürlich ein Schlag in die Magengrube jener, die Techno noch immer als Subkultur betrachten. Die Probleme in der Szene sind allerdings ganz andere.
Vor allem im Szene-Bezirk Friedrichshain, seit 2001 mit Kreuzberg südlich der Spree verwaltungstechnisch verbunden, rumort es. Dort ist nach dem Mauerfall der originäre Sound entstanden, in alten, verlassenen Banken und Fabriken, in denen, aufgeputscht von Drogen, nächte- und tagelang gefeiert wurde. Linke Hausbesetzer lieferten sich zahlreiche Auseinandersetzungen mit der Polizei, es sperrten immer mehr Lokale, Bars und Clubs auf. 35 Jahre nach der Wende allerdings steht das Image Friedrichshains als Szene-Schmelztiegel und kreative Spielwiese auf des Messers Schneide. Die Gentrifizierung schreitet voran – mit steigenden Mieten, nur kurzfristig abgeschlossenen Pachtverträgen, immer strengeren behördlichen Auflagen, einer ungebremsten Invasion der Immobilienbranche und fragwürdigen, von der Regierungspolitik forcierten Bauprojekten, die den Charme des Bezirks langfristig zerstören könnten.
„Der Mercedes-Platz ist städtebauliches Elend“, so Florian Schmidt von den Grünen, die gemeinsam mit den Linken gegen diese Transformation Friedrichshains auf die Barrikaden gehen. Seit März 2025 heißt das 2018 eröffnete Areal – man mag es kaum glauben – Uber-Platz. Denn der Sponsor hat gleichzeitig das Namensrecht. Dort befinden sich u.a. die futuristische Uber-Arena (in der Mega-Stars wie U2, Madonna oder Kylie Minogue auftreten), die kleine Uber Eats Music Hall, mehr als 20 Gastronomiebetriebe, ein Kino, ein Bowlingcenter und drei Hotels.
Gleich in der Nähe direkt an der Warschauer Straße und nur rund 800 Meter von der wunderschönen Oberbaumbrücke entfernt ragt seit März 2025 der Edge East Side Tower in die Höhe. Mit 142 Metern Höhe ist das postmoderne Konstrukt derzeit das höchste Gebäude Berlins. 400 Millionen Euro hat der Turm gekostet, die Büro-Fläche beträgt 65.000 m2, verteilt auf 36 Etagen. Wer dort hauptsächlich einzieht, ist kein Geheimnis. Denn bereits jetzt trägt das umstrittene Hochhaus den Spitznamen „Amazon Tower“.
Ein rund 100 Meter hoher Turm droht auch dem benachbarten RAW-Gelände. Das Areal auf dem ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerk Berlin, das bis zu seiner Stilllegung nach der Wende der Instandhaltung von Lokomotiven, Personen- und Güterwägen diente, zählt heute zu den exzessivsten Partymeilen Berlins. Auf dem riesigen Gelände findet man Skater- und Boulderhallen, Konzerthallen, Clubs (wie das Cassiopeia, den Weißen Hasen oder das Badehaus Szimpia) und zahlreiche Events (wie den wöchentlichen Flohmarkt). Wird dieses neue Hochhaus gebaut, dann müssten u.a. die Street Art-Galerie Urban Spree und der Electro Club Lokschuppen Berlin schließen bzw. verlegt werden. Und vermutlich ist diese erste Umgestaltung nur der Anfang einer langen Kette von mammongesteuerten Eingriffen in das Szene-Esprit Friedrichhains.
Das größte Ungemach droht Friedrichshain allerdings durch den geplanten neuen Bauabschnitt der Stadtautobahn A 100, die zahlreiche Clubs im Umfeld des Ostkreuzes bedroht. „Diese Standorte sind keine beliebig reproduzierbaren Flächen, sie sind Teil der Berliner Identität“, so das Credo der Clubszene, die laut aktuellen Zahlen jährlich rund 1,5 Milliarden Euro durch nachgelagerte Effekte im Tourismus und der dazugehörigen Wirtschaft erzielt.
Nur wenige Veranstaltungsstätten sind langfristig rechtlich abgesichert, darunter das Holzmarkt-Gelände mit dem Kater Blau (das von den ehemaligen Bar 25-Machern und einer Schweizer Genossenschaft erworben wurde) und der Kult-Techno-Club Berghain auf dem Gelände des ehemaligen Wriezener Güterbahnhofs. Eröffnet im Dezember 2004 (als Nachfolgelocation des Technoclubs Ostgut in der Mühlenstraße nahe der Spree) hat das Berghain den Ruf als „härteste Tür der Welt“. In der Klubnacht ab Samstag Mitternacht wird – bei strengstem Foto- und Videoverbot – zumeist bis Montag früh in der 18 Meter hohen Halle durchgefeiert. God is a Techno DJ. Die Betreiber haben das außerdem denkmalgeschützte Gebäude 2011 vom Energieunternehmen Vattenfall erworben.
Die lange zumeist ganz in schwarz gekleidete Menschenkette vor dem legendären Eingangstor hätte eigentlich schon fast selbst die Trademark eines Weltkulturerbes. Dies würde allerdings auch nichts daran ändern, dass die Clubkultur in Friedrichshain unsicheren Zeiten entgegengeht. Das Kapital schafft an, nicht die kulturelle Aura. Und das nicht nur in Berlin…