
„Widerstand Vollzeit. Was hält dich davon ab?“ – Diese Frage richtete der Klimaaktivist „Rabbit“ an Mina Canaval, Codename „Rapunzel“, während eines Wiener Beisl-Besuchs. Die beiden hatten sich gerade vor dem Polizeianhaltezentrum kennengelernt, wo einige ihrer Mitstreiter inhaftiert wurden. Arbeit, Sozialversicherung, gesichertes Einkommen,… - Mögliche Antworten auf die Frage, die im Vergleich zur globalen Klimakrise allerdings an der Grenze zur Lächerlichkeit liegen. Und so wurde im April 2023 aus der Vorarlberger BWL-Studentin und IT-Projektmanagerin die 24-Hour-Klimaaktivistin und Pressesprecherin der Letzten Generation. „Der letzten Generation, die noch in der Lage sei, den völligen Erdzusammenbruch vielleicht noch aufzuhalten“.
Im August 2024 wurde der Österreich-Ableger der Letzten Generation aufgelöst. Die kurze Begründung: „Die Ignoranz der Regierung und die Apathie der Gesellschaft“. Die exzessiven Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien u.a. wegen schwerer Sachbeschädigungen und Gründung einer kriminellen Organisation (sic est, § 278 StGB) seien nicht der Anlass gewesen, so Mina Canaval bei der Präsentation ihres Buchs „Widerstand – Liebeserklärung an die Unbequemen“ im Thalia Mariahilfer. Die Aktivistin zieht dabei Resümee über die vergangenen Jahre und rechnet dabei mit Politikern, der Polizei, der Justiz und den untätigen, „auf der Zuschauertribüne sitzenden Bobos mit Falter-Abo“ ab.
Canaval kam durch zahlreiche, für einen Rechtsstaat untragbare Vorfälle in die Medien. So wurde sie bereits im Dezember 2022 als Mitglied der Extinction Rebellion bei einer Protestaktion im Vorarlberger Landtag von einem Verfassungsschutzbeamten an den Haaren gerissen und zu Boden gedrückt. Das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht gewann die Aktivistin. Bei einer Aktion der Letzten Generation wurde sie von einem Auto angefahren und einige Meter mitgeschleift, der Täter bekam gerade einmal eine Geldbuße von 1.000 Euro. In ihrem Buch beschreibt Canaval auch die Zustände im Wiener Polizeianhaltezentrum, in dem die Aktivisten nicht nur isoliert wurden, sondern sich auch komplett ausziehen mussten. Eine Kollegin, die bei einer Leibesvisitation an Vulva und Po abgetastet wurde, gewann eine diesbezügliche Maßnahmenbeschwerde wegen Unverhältnismäßigkeit.
Die ständige Kriminalisierung durch die Politik, Justiz und Medien stehe dem Prinzip der Gewaltfreiheit entgegen, das die Letzte Generation mit aller Vehemenz vertreten hat. Es wurde niemals physische oder psychische Gewalt ausgeübt, auch Rettungswägen wurden niemals blockiert. Die Mitglieder versteckten sich bei den Klebe-, Sprüh- oder Schüttaktionen auf (geschützte!) Bilder nicht und schreckten nicht vor Geldstrafen, Haft und Ersatzfreiheitsstrafen zurück. Warum diese umstrittenen Aktionen gewählt wurden, sei leicht erklärbar, so Canaval bei der Buchpräsentation. Petitionen, angemeldete Demos, Lichterketten, Bürgerinitiativen, Gespräche mit Politikern, nicht einmal Blockaden von Raffinerien hätten die Politiker zum Handeln bewegt. Und das, obwohl sich diese im Pariser Klimaschutzabkommen zu den auch von den Klimaaktivisten verfolgten Zielen (wie der Begrenzung der Erderwärmung zwischen 1,5 und maximal 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter) verpflichtet haben.
„Ich will nicht mehr“, so die Autorin enttäuscht und auch etwas ratlos angesichts der Erfolglosigkeit der Aktionen. Sie selbst studiert jetzt Rechtswissenschaften in Wien, hat allerdings nicht ganz die Hoffnung aufgegeben. Notwendig sei ein „kollektiv entschlossener Protest“ einer größeren Masse an Personen. Sie zieht dabei Vergleiche mit dem Frauenwahlrecht und der 40 Stunden-Woche. Jahrhundert-Hochwässer alle paar Jahre, Temperaturen über 40 Grad im Sommer, Gletscherschmelzen, die ständig steigende Bodenerwärmung durch den hohen Versiegelungsgrad, Ernteausfälle, Waldbrände… - Sind diese bedrohlichen Auswirkungen der Klimakrise noch immer keine Motivation, um zu handeln?