La Serenissima: Venedig zwischen Altstadt-Mystik und Overtourism!

„La Serenissima“ – Diesen bezaubernden Beinamen, abgeleitet von „serenus“ (Durchlaucht, adjektivisch auch heiter, fröhlich) trägt die wunderschöne Lagunenstadt Venedig seit Jahrhunderten. Und dieses Lebensgefühl trifft auch jene ins Herz, die mit einem Schiff von der Adria kommend sich Richtung Markusplatz und Markusdom nähern. Venedig – Die Stadt der Liebe und jener Romantikerinnen, die auf einen Heiratsantrag während einer Gondelfahrt warten, Venedig – Die Stadt der Masken (obwohl der Karneval erst wieder seit 1979 offiziell stattfindet), Venedig – Die Stadt ohne Autos und ohne Straßenverkehr, in der sich die Menschen zu Fuß im Labyrinth der engen, pittoresken Gassen und Brücken oder auf den Wasserstraßen der über 100 Kanäle bewegen. Zu schön, um wahr zu sein. Vielleicht. Denn die Einheimischen klagen seit Jahren über einen „Overtourism“. Im Jahr 2019 registrierte die Hauptstadt Venetiens rund 13 Millionen Übernachtungen, dazu kommen aber noch rund 18 Millionen Tagestouristen, die gerade einmal durchschnittlich 20 Euro in Venedig ausgeben. Das historische Zentrum, das die nationalen und internationalen Touristen erkunden, hat gerade einmal ca. 53.000 Einwohner.

 

Insgesamt zählte Venedig, seit 1987 UNESCO-Weltkulturerbe, am 1. Jänner 2020 259.150 Einwohner, davon leben ca. 180.000 in den Stadtteilen auf dem Festland. Die Stadt besteht aus sechs Bezirken, das historische Zentrum gehört zur Municipalita Venezia Murano-Burano, die wiederum aus sechs Sestieri besteht. Der 4 km lange Canal Grande, der das letzte Stück des durch die Lagune ziehenden Flusses Brenta darstellt, teilt die Sestieri in zwei Hälften. San Marco (inkl. Markusplatz, Dogenpalast,…), Cannaregio und Castello werden als citra (diesseits des Dogenpalastes), San Polo, Dorsoduro und Santa Croce als ultra bezeichnet. Der zweite insulare Bezirk Venedig ist die Municipalita Lido-Pellestrina im östlichen Teil der Lagune, bekannt durch das mondäne Seebad und durch die jährlich stattfindenden Filmfestspiele. Die anderen 4 Bezirke Venedigs – Mestre Carpendedo, die Industriehochburg Marghera, Favaro Veneto (inkl. Flughafen) und Chirignago-Zelerino - liegen am Festland.

Tod in Venedig, Wenn die Gondeln Trauer tragen, The Tourist, Moonraker, Casino Royale (James Bond),…  - Zahlreiche hochkarätige Blockbuster und Avantgarde-Streifen wurden vor der wunderschönen Kulisse Venedigs gedreht. So auch die geniale Neuverfilmung des Patricia Highsmiths-Romans „Der talentierte Mr. Ripley“. So diente u.a. das älteste Kaffeehaus Italiens, das Caffe Florian auf der Piazza San Marco, als Treffpunkt für böse und meisterhafte Intrigen des aus einfachen Verhältnissen stammenden Tom Ripley, der in die Rolle seines ermordeten Freundes Dickie Greenleaf (im Film: Jude Law) schlüpft. Das Caffe Florian, direkt unter den Arkaden der Procuratie Nuove gelegen, wurde im Dezember 1720 eröffnet. Einst ein Epizentrum der Künstler und Intellektuellen sind heute die Touristen dem Charme des Kaffeehauses verfallen. 

 

Bis zu 90.000 Menschen besuchen in der Hauptsaison den 175 Meter langen und 82 Meter breiten Markusplatz, laut Napoleon der „schönste Festsaal Europas“. Im Mittelpunkt steht der Markusdom mit seinem freistehenden Campanile (Glockenturm). Der nach einer Zerstörung im Stil Konstantinopels wiedererrichtete Markusdom (1094) diente einerseits als Schrein für die Gebeine des Evangelisten Markus, andererseits als Staats- und Palastkirche der Dogen. Der Campanile ist mit seinen 98,6 Metern das höchste Bauwerk Venedigs und hatte einst auch eine Funktion als Leuchtturm.

 

Auf dem Markusplatz befinden sich weiters die Prokuratien (die ehemaligen Verwaltungsgebäude der Republik) und der Dogenpalast. Weltberühmt ist die sogenannte „Seufzerbrücke“ (Ponte die Sospiri) über den 8 Meter breiten Rio di Palazzo, die den Dogenpalast mit dem neuen Gefängnis Venedigs (der Prigioni nuove) verbindet. Hier werden seit dem Jahr 1602 verurteilte Rechtsbrecher in die Haft (oder früher zur Hinrichtung) geführt. Mit einem letzten Blick und einem traurigen Seufzen Richtung Lagune und Freiheit.

Bis im 19. Jahrhundert war die Rialto-Brücke die einzige feste Verbindung über der Hauptwasserstraße Venedigs. Danach folgten die nördlich gelegende Scalzi-Brücke, die Accademia-Brücke (die San Marco mit dem östlichen Zipfel von Dorsoduro und seinen prunkvollen Museen verbindet) und die 2008 eingeweihte, vom spanischen Star-Architekten Santiago Calatrava entworfene Ponte della Costituzione in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Santa Lucia.

 

Die 48 Meter lange Rialto-Brücke, deren Namen sich vom ehemals wichtigsten Handelsplatz Venedigs, Rialto, und dieser wiederum von „riva alto“ (hohes Ufer) ableitet, ist der Hauptanziehungspunkt für Touristen, Model-Shootings und Filmaufnahmen. Zahlreiche Gondeln und Vaporetti (die „Wassertaxis“) queren dieses von zahlreichen Cafes, Pizzerien und Restaurants umgebende Areal, das zu den wohl meistfotografierten Motiven der Welt zählt. 

 

In unmittelbarer Nähe der Rialto-Brücke steht die älteste Kirche Venedigs, die Chiesa San Giacomo di Rialto, deren erste Spuren aus dem späten 11. Jahrhundert stammen. Die Kirche wurde nach den Rialto-Bränden 1531 und 1601 renoviert, die Säulen des zerstörten Bauwerks dabei inkludiert. Als besonderes Schmuckstück gilt die mit römischen Zahlen und einem gelben Zeiger ausgestattete Uhr aus dem 15. Jahrhundert. 

 

Gegenüber der Kirche steht eine etwas seltsame Figur aus Marmor, der sogenannte „Gobbo di Rialto“. Dieser wurde einst nicht nur als Podium für amtliche Verkündigungen verwendet, sondern hatte auch eine strafrechtliche Funktion. Nach einem rund 1 km langen Lauf von der Piazza San Marco, nackt und von Schlägen und Peitschenhieben begleitet, endete die Tortur für kleinere Sünder erst dann, wenn sie den Buckligen von Rialto küssten.

Obwohl durch die Corona-Pandemie es naturgemäß auch in Venedig zu Einbußen in der Tourismus-Industrie gekommen ist, steht diese vor einer Kehrtwende, die durchaus ihre Legitimation hat und die bereits seit einigen Jahren strategisch geplant wird. Der Massentourismus soll nicht mehr die einzige Unique Selling Proposition sein. Die Universität wurde ausgebaut und soll vermehrt junge Bevölkerung nach Venedig locken. Zahlreiche Wohnhäuser wurden restauriert, Kanäle gereinigt und Hochwasserschutz-Projekte entwickelt, um die Lebensqualität der Bewohner Venedigs zu erhöhen. Die Initiative #EnjoyRespectVenezia soll das Verantwortungsbewusstsein der Touristen erhöhen, die beispielsweise aufgefordert werden, sich nicht auf historischen Bauwerken niederzusetzen.

 

Seit 1. August 2021 ist die Einfahrt von Kreuzfahrtschiffen über 25.000 Bruttoregistertonnen, mit einer Länge von 180 Metern oder einer Höhe über 35 Metern durch den Giudecca-Kanal entlang des Markusplatzes verboten. Die Gründe liegen auf der Hand: Abgase, Feinstaub und eine Schädigung der hölzernen Fundamente der Altstadt durch die Wellenschläge.

 

Einschränkungen könnte es auch für Tagestouristen geben. In Diskussion steht nicht nur eine vorausgehende Buchung, sondern auch ein Eintrittsgeld zwischen 3 und 10 Euro je nach Andrang, um die städtische Müllentsorgung zu garantieren. Das werden die Venedig-Fans aber verschmerzen…