100 Jahre Bundesverfassung: Hans Kelsen-Ausstellung im Jüdischen Museum Wien!

In Österreich ist - im Gegensatz zu den USA - der Verfassungspatriotismus überhaupt nicht ausgeprägt. Im Gegenteil: Bei einer aktuellen Studie zum "Grundrechtswissen in Österreich" schnitten die Befragten sehr schlecht ab. Nur 4 % konnten eine Aussage treffen, "die ein Grundrechtsverständnis von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten" im Sinne des Bundes-Verfassungsgesetz vorweist".

 

Nichtsdestotrotz wurde auch in Österreich das 100jährige Bestehen der Bundesverfassung gefeiert, die am 1. Oktober 1920 vom Parlament beschlossen wurde. Das Jüdische Museum in der Dorotheergasse (im 1. Bezirk)  widmet dem Architekten der Bundesverfassung, Hans Kelsen, eine Sonderausstellung im 1. Stock.

 

Hans Kelsen wurde am 11. Oktober 1881 als Kind einer jüdischen Familie in Prag geboren, die bald nach Wien zog. Dort studierte Kelsen Rechtswissenschaften und wurde 1917 außerordentlicher Professor an der Universität Wien. Während des 1. Weltkrieges war er Mitarbeiter des Kriegsministers Stöger-Steiner. Nach Ausrufung der Republik wurde Kelsen vom sozialdemokratischen Kanzler Karl Renner als Experte für Verfassungsfragen herangezogen und im März 1919 mit der Ausarbeitung der Verfassung beauftragt. Resultat war das B-VG 1920, bei dem Kelsen vor allem das Modell der (zentralisierten) Verfassungsgerichtsbarkeit konzipierte. Wie man auf einer Karte der Ausstellung betrachten kann, wurde diese Reformidee während des 20. Jahrhunderts von vielen anderen Staaten Europas übernommen. 

 

Kelsen selbst war zwischen 1919 und 1929 parteiunabhängiges Mitglied des Verfassungsgerichtshofes und beschäftigte sich auch mit Rechts- und Demokratietheorien. Er gilt als Begründer der Reinen Rechtslehre, bei der ausschließlich Rechtsnormen - ohne Bedachtnahme auf Sitte, Moral oder Naturrecht - im Mittelpunkt  der wissenschaftlichen Expertise stehen. Nachdem er 1929 unter einer konservativen Regierung nicht mehr nominiert wurde, zog er mit seiner Frau Margarete Bondi nach Köln, später nach Prag und Genf. 1940 emigrierte er in die USA, wo er bis 1957 an der University of California in Berkeley Politikwissenschaften unterrichtete. Obwohl Kelsen bis zu seinem Tod 1973 nicht mehr in Wien lebte, war er immer wieder Ziel antisemitischer Attacken wie beispielsweise durch den Welthandels-Professor Taras Borodajkewycz (Anm.: Bei Studentendemonstrationen gegen den Professor wurde der ehemalige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger von einem Neonazi getötet, das erste Todesopfer einer politischen Gewalttat der 2. Republik).

 

Neben einer ausführlichen Darstellung des privaten und beruflichen Lebens Kelsens (inkl. zahlreicher historischer Bilder) wirft die Ausstellung auch ein Augenmerk auf die Grundprinzipien der Bundesverfassung und - per Flugblätter - auf wesentliche Paragraphen der Bundesverfassung. Die Besucher werden aufgefordert, die Verfassung zu beurteilen bzw. Änderungsvorschläge einzubringen. 

 

Kelsen selbst wurde zuletzt im Volkstheater gewürdigt, im Rahmen des von Christine Eder und Eva Jantschitsch inszenierten Polit-Stückes "Die Verteidigung der Demokratie", die auf einem Aufsatz des vielleicht bedeutendsten Juristen des 20. Jahrhundert beruht. Speziell zur Ausstellung erschienen ist eine Graphic Novel mit Zeichnungen und Texten von Pia Plankensteiner.

 

Ortstafelstreit, Aufhebung der Bundespräsidentenwahl, die "Ehe für alle", die Aufhebung einiger Bestimmungen der türkis-blauen Mindestsicherung oder des Überwachungspakets oder zuletzt die Aufhebung der gesetzeswidrigen Covid-19-Verordnungen. Das sind nur einige wichtige Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes in den letzten Jahren, für dessen Institutionalisierung wir Hans Kelsen 100 Jahre später noch ehrfürchtig Danke sagen müssen...

 

 

Hans Kelsen und die Eleganz der österreichischen Bundesverfassung

01 Okt 2020 bis 05 Apr 2021,

Museum Dorotheergasse