Tejo-Metropole Lissabon: Zwischen Melancholie und Lebensfreude!

Stadt des Lichts, Metropole am Tejo, Geburtsstätte des Fados: Lissabon, die portugiesische Hauptstadt direkt am Tor zum weiten Atlantik lockt unabhängig von der Jahreszeit Touristen aus aller Welt mit seinem milden Klima und ca. 300 Sonnentagen pro Jahr. 2018 besuchten 6 Millionen Menschen die 500.000-Einwohner Metropole, erster "Overtourism"-Alarm zeigt sich nicht nur in den überfüllten Gassen, sondern auch angesichts eines Widerstands der Einheimischen gegen illegale Vermietungen in der Altstadt. Die Anzahl der Touristen wird aber in den nächsten Jahren noch steigen, wurde Lissabon doch gerade PR-trächtig zur "World´s Leading City Destination 2018" gewählt.

 

Die Anreise nach Lissabon gestaltet sich ziemlich einfach. Der Flughafen Aeroporto de Lisboa ist nur 7 km vom Stadtzentrum entfernt. Von dort gelangt man mit der roten Metrolinie direkt zu den Hotels und Hostels der Stadt. Insgesamt gibt es in Lissabon vier verschiedene U-Bahn-Linien, die nach den Farben (amarela-gelb, azul-blau, verde-grün, vermelha-rot) benannt sind. Zum Verkehrssystem zählen weiters über 100 Buslinien, Fähren (mit drei Anlegestellen) und 5 Straßenbahnlinien. Am kultigsten ist der Transport mit den gelben Electricos der Linie E-28, die - immer vollgestopft mit Touristen - sich durch die engen Gassen der Altstadtbezirke Alfama und Baixa schlängeln und dabei Steigungen mit bis zu 13,5 Prozent absolvierten. Ebenfalls mit historischen Triebwägen unterwegs sind die seit 2002 zum Nationaldenkmal erklärten drei Standseilbahnen Ascensor da Gloria, da Bica und da Lavra, die die Touristen und Einheimischen tagtäglich vor die Entscheidung stellen: Treppensteigen oder Warten auf die Bahn.

 

Ein exklusives Monument Lissabons ist der Elevador de Santa Justa, ein 45 Meter hoher Stahlturm, der vom Gustave Eiffel-Schüler Raoul Mesnier de Ponsard konstruiert wurde. Der darin befindliche Aufzug befördert seit 1902 (!!!) die Menschen von der Unterstadt nahe dem Hauptplatz Rossio in die Obertstadt zu dem nur mehr als Ruine erhaltenen Kloster Convento do Carmo. Unmittelbar daneben, am Largo do Carmo, endete am 25. April 1974 durch einen linken Militärputsch die portugiesische Diktatur. Bei der berühmten "Nelkenrevolution" steckten sich aufständische Soldaten Nelken in ihre Gewehrläufe.

Einer der schönsten Plätze Lissabons ist der Praca do Comercio direkt am Tejo. Im Volksmund nennt man ihn immer noch "Terreiro do Paco" (Palastgelände), da bis zum verheerenden Erdbeben von 1755 (mit bis zu 100.000 Todesopfern) hier das Uferschloss des Königs stand. Heute genießt man dort die strahlende Sonne, diniert in schicken Restaurants, feiert die Silvesternächte oder Events (wie 2018 die Songcontest-Parties im extra angelegten ESC-Village).

 

Östlich der Shopping- und Flaniermeile der Rua Augusta liegt das älteste Viertel Lissabons, die sogenannte Alfama, die maurischen Charakter aufweist und einst vom Erdbeben verschont wurde. Touristen besuchen hier gerne die engen, alten Gassen mit ihren steilen Stiegen (u.a. auf das Kastell de Sao Jorge), werden gleichzeitig aber auch damit konfrontiert, wie hier Reich und Arm nebeneinander scheinbar ungeniert residieren. Auf der einen Seite Luxushotels, extravagante Gebäude (wie das Casa dos Bicos, heute Museum für den Autor Jose Saramago) und architektonische Meisterwerke (wie die aus dem Jahr 1147 stammende Kathedrale Se oder das Panteao Nacional, Grabstätte u.a. für die Fado-Legende Amalia Rodriguez), auf der anderen Seite verfallene Baracken und schwer vernachlässigte Wohnstätten, deren Instandhaltung sich die Eigentümer aufgrund der Mietenbegrenzugen nicht mehr leisten können. Die Arbeitslosigkeit in Portugal ist unter der Führung einer linken Minderheitsregierung zwar dank des Tourismus-Booms innerhalb weniger Jahren von 18 auf unter 10 Prozent gesunken, doch nicht jeder profitiert davon. 

Mit der Tram 15 (oder auch per Rad am wunderschönen Tejo-Ufer) gelangt man nach ca. einer halben Stunde direkt vom Praca do Comercio in das westlich gelegene Viertel Belem. Dort drängeln sich Warteschlangen von Touristen vor den UNESCO-Weltkulturerbestätten "Mosteiro dos Jeronimus" (Hieronymus-Kloster) und "Torre von Belem". Das 56 Meter hohe Denkmal "Padrao dos Descobrimentos", das 1960 zum 500. Geburtstag von Heinrich, dem Seefahrer errichtet wurde, erinnert an das Zeitalter der Entdeckungsreisen Portugal. 

 

Progressive zeitgenössische Kunst präsentieren das direkt am Tejo gelegene, von der britischen Architektin Amanda Levete entworfene extravagante MAAT (Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia), das Museu Berardo oder das Cordoaria Nacional, das zuletzt mit Banksy- und Pop Art-Ausstellungen die Massen lockte.

 

In unmittelbarer Nähe der Museen liegt eines der Wahrzeichen Lissabons, die 3,2 km lange Hängebrücke 25 de Abril. 1966 noch unter Diktator Salazar errichtet, ist sie heute nach dem Datum der Nelkenrevolution benannt. Auf dem südlichen Tejo-Ufer wacht die 110 Meter hohe Cristo Rei-Statue, die auch mit einer per Lift erreichbaren Aussichtsplattform ausgestattet ist, über das wunderschöne Lissabon.

 

Unterhalb der Brücke befindet sich seit 2012 die sogenannte "LX Factory". Einst standen hier auf dem 23.000 m2 großen Industrie-Gelände eine Textilfabrik und eine Druckerei, die beide aus wirtschaftlichen Gründen schließen mussten. Heute residieren in den ehemaligen Fabrikshallen Start-Up-Unternehmen, Kreativbüros, Designer, Büchereien und Restaurants, die die einst brach liegende Fläche zu einem der hippsten Areale Lissabons gemacht haben. Jeden Sonntag findet hier der LX Market statt, mit "Hipster"-Vintage-Waren jeglicher Art und lokalem Kunsthandwerk, dazu lässige Straßenmusik, Snacks, Drinks und Street Art Kunst. 

 

Nur einige hundert Meter entfernt liegt der alte Hafen Lissabons, der während der Zeit des Nationalsozialismus als "Hafen der Hoffnung" galt. Portugal war im 2. Weltkrieg neutral, und so flüchteten viele (jüdische) Dichter und Denker in die portugiesische Hauptstadt und genossen mit dem weiten Blick in den Atlantik zum ersten Mal die Sehnsucht nach Freiheit und Rettung vor den Nazi-Schergen.

Die unter dem Motto "Die Ozeane - Ein Erbe für die Zukunft" stehende Weltausstellung 1998 sorgte in Lissabon für die Entstehung eines neuen, modernen Stadtteils: Parque das Nacoes (Park der Nationen). Nahe dem vom Stararchiteken Santiago Calatrava konzipierten Bahnhof Oriente reihen sich Wolkenkratzer, Messehallen, Museen, ein Kasino und die Altice Arena, als Veranstaltungshalle beim Songcontest 2018 im Einsatz.

 

Ein besonderes Highlight für alle Altersgruppen ist das Oceanario de Lisboa, das größte Indoor-Aquarium Europas mit Haien, Rochen, Mondfischen, Krebsen, Oktopussen und über 400 weiteren Tierarten. Ebenfalls 1998 erbaut wurde die 18 km lange Ponte Vasco da Gama, die zweitgrößte Brücke Europas, die eine enorme Verkehrsentlastung Richtung Süden nach sich zog.

Lissabon gilt - auch in der Homosexuellenszene - als sehr tolerante Stadt. Auf dem Largo de Sao Domingos wurden 2008 zum Gedenken an ein Judenpogrom 1506 ein Mahnmal und eine Mauer errichtet. Auf dieser wurde der Schriftzug "Lissabon, Stadt der Toleranz" in 34 Sprachen platiert. Dieser Platz gilt auch als Treffpunkt für Migranten, Minderheiten, Arme und vom Schicksal schwer getroffene Menschen und macht deutlich, welche Kluften hier zwischen den einzelnen Gesellschaftschichten mitten im Zentrum bestehen.

 

Wer mit Einheimischen in Kontakt kommen und sich bereits am Vormittag ein Gläschen genehmigen will, besucht auf der Südseite des Platzes die seit 1840 (!) existierende Stehbar "Ginjinha Espinheira", in der den ganzen sonnigen Tag traditioneller Sauerkirschlikör ausgeschenkt wird. Die Wirkung des 18 Prozent-Drinks ist nicht zu unterschätzen. :-)

Auch wenn Lissabon als Geburtsstadt des melancholisch-sehnsüchtigen Fado gilt (der seit 2011 zum immateriellen Weltkulturerbe zählt), wird in der Hauptstadt Portugals bis weit nach Morgengrauen gefeiert, in den feucht-fröhlichen Bars und Kneipen von Chiado und Bairro Alto, bei Konzerten und Festivals (wie in der Stierkampfarena Campo de Pequeno) oder in aus ehemaligen Lagerhallen transformierten House- und Techno-Clubs am Tejo (wie dem Lux Fragil). Am Wochenende drücken die Einwohner stets fanatisch den Star-Kickern von Benfica Lissabon und Sporting Lissabon die Daumen. 

 

2016 stand am 10. Juli das ganze Land Kopf, als die portugiesische Nationalmannschaft trotz einer Verletzung des Kapitäns Cristiano Ronaldo die Franzosen im EM-Finale 1:0 besiegten. Diese Zeit war auch irgendwie eine Initialzündung für das arme, hoch verschuldete Land im Süden Europas. Der konservative Premierminister Coelho wurde durch ein Misstrauensvotum gestürzt, seit 2015 regiert in Portugal (ebenso wie in Lissabon selbst) ein Sozialdemokrat (Antonio Costa), der den – auch durch das 78 Milliarden-Euro-Hilfspaket verursachten - rigiden Sparkurs beendete. Die Tourismus-Einnahmen sprudeln seitdem, auch die hohe Arbeitslosigkeit ging zurück.

 

Lissabon ist 365 Tage lang eine Reise wert: Historie, Kultur, die bezaubernden Azulejo-Häuser, der lässig-unaufgeregte Lebensstil, das heiße Nachtleben oder einfach nur die inspirierende Sonneneinstrahlung. Denn: "Im hellen Tageslicht glänzen sogar die Geräusche", so einst der Lissaboner Dichtergott Fernando Pessoa.