Europäische Bürgerinitiative - Direkte Demokratie mit Millionen-Stimmen-Aufwand

Demokratiedefizit, Bürokratiestarre und ein Parlament, das abgehoben und weit entfernt von den Wünschen der EU-Bürger platziert ist. Das sind Vorurteile, die von EU-Kritikern gestreut werden, die aber keineswegs der Wahrheit entsprechen. Tatsächlich haben trotz der Größe des Binnenmarkes sogar einzelne Bürger die Möglichkeit, Themen in den europäischen Institutionen unterzubringen, wenn auch mit großem Aufwand.

 

In der österreichischen Verfassung existiert als Mittel der direkten Demokratie das Volksbegehren, in der EU die "Europäische Bürgerinitiative", die 2012 durch den Vertrag von Lissabon und eine ergänzende Verordnung eingeführt wurde. Um eine Bürgerinitiative zu starten, muss ein Bürgerausschuss gebildet werden, der aus mindestens 7 EU-Bürgern besteht, die in mindestens 7 verschiedenen Mitgliedstaaten wohnhaft sind. Eine Bürgerinitiative ist in jenen Bereichen möglich, in denen die Kommission Rechtsakte setzen darf. Der Bürgerausschuss muss die Initiative - in einem (leider) sehr formellen Verfahren - auf einem Internetportal registrieren. Nach einer Registrierungsbestätigung haben die Organisatoren dann ein Jahr Zeit, die notwendigen Unterschriften zu sammeln. Die Mindestanzahl beträgt aktuell 1 Million, wobei in allen 7 Mitgliedstaaten separat eine Mindestanzahl von Stimmen (in Österreich: 14250) erreicht werden muss.

 

Nach einer Prüfung der Unterstützungsbekundungen wird die Initiative bei der Kommission vorgelegt. Es besteht auch die Möglichkeit, die Initiative bei einer öffentlichen Anhörung im Parlament vorzustellen. Innerhalb von maximal drei Monaten erfolgt eine offizielle Antwort der EU-Kommission, ob und welche Maßnahmen sie als Antwort auf die Bürgerinitiative vorschlägt. Die Kommission ist allerdings nicht dazu verpflichtet, einen Gesetzesvorschlag zu erstellen. (Dies ist allerdings in Österreich bei Volksbegehren nicht anders.) Wird eine Verordnung oder eine Richtlinie konzipiert, dann muss diese im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren vom Rat und dem Europäischen Parlament genehmigt werden.

 

4 Europäische Bürgerinitiativen erfüllten seit 2012 die notwendigen Voraussetzungen, bei dreien (Gegen Tierversuche, Schutz von Trinkwasser, Verbot von Glyphosat) hat die Kommission Folgemaßnahmen eingeleitet, beim "Schutz menschlicher Embryonen" wurde auf die aktuelle EU-Politik verwiesen. Aktuell laufen 13 Bürgerinitiativen, darunter "Housing for all" (für leistbares Wohnen), "Stop Extremism", "New Rights Now" (für bessere Rechte von prekär Beschäftigten) und "Achtung der Rechtsstaatlichkeit in der EU". 

 

Ab 2020 soll eine neue Online-Plattform errichtet und die Formalitäten des Verfahrens erleichtert werden. Aufrecht bleiben aber die Millionen-Stimmen-Hürde und die (allerdings auch gut argumentierbare) Unverbindlichkeit der Initiative bei Erfüllung aller Kriterien. Die Motivation, eine EBI einzuleiten, bzw. der Bekanntheitsgrad dieser Form direkter EU-Demokratie werden dadurch aber nicht steigen.