"Die neue ArbeiterInnenklasse" - Veronika Bohrn Mena über prekäre Beschäftigung!

Ein junger Paketzusteller für die Post, nicht angestellt, sondern tätig als Einpersonen-Unternehmen für eine Subfirma. Pro Zustellung 45 Cent, abzüglich diverser Pönalen, Arbeitszeit meistens über 12 Stunden täglich. Soziales Leben fast Null, keine Frau, kaum Freunde. Eine Akademikerin, tätig als Lektorin an 4 verschiedenen Unis und Fachhochschulen, keine fixe Anstellung und auch kaum Hoffnung auf eine. Mit ca. 1000 Euro pro Monat lebt sie an der Armutsschwelle, an ein Kind ist derzeit nicht zu denken.

 

Zwei Lebensläufe, die die ehemalige Gründerin der Plattform "Generation Praktikum" und Gewerkschafterin Veronika Bohrn Mena in ihrem Buch "Die neue ArbeiterInnenklasse" beschreibt. Armut, Ausbeutung und geringe Bezahlung habe es in der Geschichte der Arbeit immer gegeben. Vor der Digitalisierung waren allerdings vorwiegend die unqualifizierten, schlecht ausgebildeten Arbeiter und manuellen Hilfsarbeiter betroffen. Jetzt habe sich "die Optik verändert", so die Autorin. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse findet man in allen Branchen, unabhängig vom Ausbildungsniveau und der Berufserfahrung der Arbeitnehmer. Was alle gemeinsam haben: Eine mangelnde soziale Absicherung, schlechte Bezahlung und vor allem unsichere Zukunftsperspektiven.

 

Auf einer Österreich-Karte zeigt Bohrn Mena bei der Buchpräsentation in der Wiener Arbeiterkammer, dass aktuell 34,6 % instabil beschäftigt sind, laut Statistik Austria 1,2 Millionen Menschen. Als "atypisch beschäftigt" bezeichnet man alle Formen, die vom klassischen "typischen" Normalarbeitsverhältnis mit unbefristeter Vollzeit abweichen. Fast 800.000 Menschen arbeiten in Österreich Teilzeit, vorwiegend Frauen, die zusätzlich noch mit zahlreichen Mängeln der öffentlichen Kinderbetreuung konfrontiert sind. 236.500 haben befristete Verträge, 201.000 sind geringfügig beschäftigt (und müssen sich selbst versichern). 84.900 sind Leiharbeiter, die bei Ausbleiben der Aufträge meistens Richtung AMS geschickt werden und dort auf das geringere Arbeitslosengeld angewiesen sind. 32.500 sind freie Dienstnehmer. Diese sind seit 2008 zumindest sozialversichert, einen arbeitsrechtlichen Schutz (Urlaub, kollektivvertraglicher Mindestlohn, Arbeitszeit,...) genießen diese nur bei Vereinbarung. In Österreich derzeit nur rudimentär erfasst sind sogenannte "crowd worker", die ohne irgendwelche Absicherung auf digitalen Plattformen vermittelte Kleinstaufträge on demand erledigen.

 

Veronika Bohrn-Mena hat in ihrem Buch zahlreiche Betroffene interviewt und dabei festgestellt, dass die prekär Beschäftigten großteils nicht unglücklich sind über ihre Situation. Und das, obwohl kaum Aufstiegschancen bestehen, eine unsichere (berufliche und private) Zukunft droht und auch Altersarmut nicht ausgeschlossen ist. Viele haben sich damit abgefunden, dass sie trotz Arbeit kein ausreichend erfülltes Leben führen, andere wiederum verstecken ihre Armut geschickt durch billige Supermarkt-Einkäufe und spartanische Einrichtungen. 

 

Die progressive Autorin und Gewerkschafterin dagegen fordert zum Widerstand und zur Solidarität aller Generationen auf. Jedermann hat Anspruch auf eine faire Entlohnung, Selbstverwirklichung im Beruf und auf ein menschenwürdiges Dasein, noch dazu in einer Zeit, in der immer mehr Tätigkeiten durch Computer und Roboter erledigt werden können.

 

Schwarz-Blau versetzt die neue Arbeiterklasse in zusätzliche Turbulenzen: 12 Stunden-Tag "auf Freiwilligkeit", die Beendigung der Aktion 20.000 (für ältere Arbeitnehmer), Studiengebühren für Berufstätige, Einschränkungen bei der Mindestsicherung und die geplante Abschaffung der Notstandshilfe (die Betroffene Richtung Mindestsicherung drängt und damit zur Vermögensverwertung verpflichtet) lassen erkennen, auf welchem Pfad die unsoziale, neoliberale, rechte Regierung unterwegs ist. Nach unten treten gegen Arbeitslose, Mindestsicherungsempfänger und Flüchtlinge und nach oben Geschenke verteilen an Großkonzerne in Form von Steuersenkungen, Steuerbeseitigungen und Pauschalstrafen.

 

Widerstand ist angesagt, da hat die engagierte Gewerkschafterin Veronika Bohrn Mena recht. Je schneller Schwarz-Blau Vergangenheit ist, desto besser für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.