"Vor dem Gesetz sind alle gleich" lautet einer jener Grundsätze, die jeder demokratischen Rechtsordnung immanent sind. In der Realität sieht dies leider nicht so aus. Sogar die Rechtsanwaltskammer warnt in ihrem aktuellen Wahrnehmungs-bericht vor einer grassierenden "Zwei-Klassen-Justiz". Dies beginnt schon bei der Verfahrenshilfe, die in der Praxis teils "unkooperativ, bürokratisch und bürgerfeindlich" vonstatten geht. Problematisch sind auch inakzeptable Verfahrensverzögerungen, die vor allem finanzschwache Bürger belasten. So wird von Fällen berichtet, in denen die Obsorgeentscheidung de facto nicht mehr von Bedeutung war, weil die Kinder bereits ihre Volljährigkeit erreichten. Ursache dieser Verzögerungen sind Personalmängel im Richter- und Bedienstetenbereich, überbelastete Richter und Gerichtsschließungen.
Hauptkritikpunkt im Justizsystem sind aber die Gerichtsgebühren. Diese sind gesetzlich an den Verbraucherpreisindex gekoppelt und werden dann erhöht, wenn die Inflationsrate seit der letzten Erhöhung 5 Prozent (bis 2009: 10 Prozent) übersteigt. Im Oktober 2013 war es – im Gegensatz zu vielen notwendigen Valorisierungen bei sozialen Transferleistungen - wieder einmal so weit: Eine einvernehmliche Scheidung kostet jetzt bereits 279 Euro (2008: 198 Euro), für die Abfrage eines Grundbuchsauszuges sind jetzt 13,70 Euro (2008: 8 Euro) fällig. Ein Antrag auf Besuchsrecht eines Kindes nach einer Scheidung der Eltern war bis 2008 kostenlos, jetzt wird eine Gebühr von 128 Euro (!) eingehoben.
880 Millionen Euro wurden 2012 an Gerichtsgebühren eingenommen, die Zahl der Geschäftsfälle liegt bei rund 3 Millionen und ist leicht im Sinken. Ein Indiz dafür, dass weniger Bürger aus Kostengründen den Weg zum Gericht in Angriff nehmen.
Gemäß einer aktuellen Studie finanziert sich die Justiz (ohne Strafvollzug) zu 110 Prozent aus Gerichtsgebühren, der europäische Durchschnitt liegt bei 22 Prozent. Laut Justizministerium finanzieren sich 75 % der Justizkosten (MIT Strafvollzug) aus den Gerichtsgebühren, was bedeutet, dass Fälle der Zivilgerichtsbarkeit den eigentlich sachlich getrennten Bereich des Strafvollzuges mitfinanzieren.
Bei 1,4 Millionen Armutsgefährdeten und 600.000 Arbeitslosen muss der Staat handeln und die Kluft zwischen Arm und Reich im Rechtssystem schließen, einerseits durch Senkung der Gerichtsgebühren, andererseits durch Deckelung bei hohen Streitwerten (wie in Deutschland). Die Gerichtskosten bestimmen sich – wie die Anwaltskosten – nach dem Streitwert. Liegt dieser über 350.000 Euro (wie beispielsweise beim Streit über den Kauf einer Eigentumswohnung), so werden 1,2 Prozent vom Streitwert plus 2987 Euro eingehoben, für einen Normalbürger de facto nicht mehr leistbar...
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tsSLAueP (Montag, 22 August 2022 10:58)
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