Kremser TV-Krimi „Vermisst“ – Die Laura Palmerisierung der Wachauer Unschuld.

17 Jahr, brünettes Jahr. Die sympathisch-kokette Heurigentochter und Vorzugsschülerin Alexandra Walch bittet inbrünstig ihren Vater, dass sie ausnahmsweise länger wegbleiben wolle und mit ihren Freunden beim traditionellen Stadtfest ihren Geburtstag feiern wolle. Die bunt dekorierte Geburtstagstorte ihrer Mutter könne man auch am Tag danach im einträchtigen Familienkreis verzehren. Get the Party started – Girls just want to have Fun. Der Vater willigt nach langem Zögern ein – auch die braven, unschuldigen Kremserinnen in der gediegenen Wachau-Idylle sollen einmal ihren Spaß haben. Es soll das letzte Lebenszeichen der Lieblingstochter im Kreise der Familie sein.

 

Nach einem Streit mit ihrem (der Familie unbekannten) Freund in der dunklen Hafengegend ist Alexandra Walch vermisst. Grund der Auseinandersetzung: Ihr Freund soll auch ein Verhältnis mit ihrer besten Freundin und Cousine Christine begonnen haben. Es ist erst der erste Abgrund, der sich auftut am vermeintlich unschuldigen Wachauer Horizont. Die brave Vorzugsschülerin hatte angeblich einen pädophilen Internet-Freund, der bereits wegen Vergewaltigung inhaftiert war, begann eine sexuelle Affäre mit ihrem Lehrer und konsumierte mit ihrem Freund neben Alkohol auch Marihuana und Kokain, eingekauft im sündigen Großstadtdiscotempel. Außerdem war sie im 2. Monat schwanger, wollte abtreiben und auf die Schauspielschule gehen. Alles ohne Wissen und Vorahnungen ihrer im biederen Lifestyle-Strom mitschwimmenden Familie ?

 

Der Regisseur des TV-Krimis „Vermisst“ heißt nicht David Lynch, sondern Andreas Prochaska, der sich mit den beiden erfolgreichen Low-Budget-Horror-Verfilmungen „In 3 Tagen bist du tot“ einen Namen gemacht hat. Aber die berühmte Wasserleiche Laura Palmer grinst – auch ohne laszives „Twin Peaks“-Theme“ – teuflisch hinter dem makellosen Teenager-Backfisch-Gesicht von Alexandra Walch hervor. Mit nur 4 Millionen Euro Budget hat der renommierte österreichische Regisseur einen spannenden 180-Minuten-Krimi produziert, gedreht in der schönen Wachaumetropole Krems. Langsame Hubschraubereinstellungen auf die Silhouette der Stadt, die Weinberge oder den romantischen Sonnenuntergang kontrastieren zum traurigen Vermissten-Status der 17jährigen Schülerin.

 

Einheimische TV-Zuschauer sehen Realität und Fiktion ineinander vermischt – das Landesgericht Krems wird zur Polizeistation, das biedere „Cafe 5 Sinne“ zum coolen Szene-Treffpunkt, das konservative Piaristengymnasium zum Tatort eines verbotenen, sexuellen Verhältnisses und einer Schlägerei in einer Unterrichtsstunde, die anspruchslose Unterschicht-Großraum-Diskothek „Fifty“ (gottseidank ohne Original-Atzen-Musikeinspielung) am Stadtrand zum Drogen- und Gewaltepizentrum, in der 14jährige substanzenberauscht um halb 5 früh dem physischen und psychischen Untergang entgegentanzen. Die Fabriksmeile „An der Schütt“ mutiert zum billigen Straßenstrich, an dem sich blutjunge Frauen reichen Heurigenwirten anbieten und auch vor skrupellosen Erpressungen nicht zurückschrecken. Ob sich Landeshauptmann Pröll dieses Sodom&-Gomorrha-Wachau-Bild für seine touristisch-medialen PR-Aktionen so vorgestellt hat, als er den 250.000-Euro-Steuerzahlerscheck für die ORF-SAT1-Produktion gezückt hat, bleibt ein offenes Geheimnis. Prochaska allerdings ist es hoch anzurechnen, dass keiner der regionalen Polit-Freunderwirtschaftsclique im Film sein Antlitz blicken lassen durfte, sondern nur der populäre ORF-Anchorman Robert Rafreider.

 

In der Titelrolle der Alexandra Walch glänzt Jungstar Emilia Schüte, die Eltern spielen „Tatort“-Kommissar Richy Müller und Krassnitzer-Ehefrau Ann-Kathrin Kramer, als Cops auf der Suche nach der dunklen Wahrheit ermitteln Hary Prinz und „Shoppen“-Lady Julia Koschitz. Kabarettist Erwin Steinhauer spielt den undurchsichtigen Onkel der Vermissten. Sabrina Reiter, Shooting-Star der „3 Tagen“-Horror-Thriller Prochaskas, sexelt und korrumpiert am dunklen Straßenstrich der Krems. Die Vorlage für „Vermisst“ basiert angeblich auf der spanischen 13teiligen Fernsehserie „Desaparecida“, naheliegend ist allerdings auch der Reality-Fall Julia Kührer, die seit Juni 2006 verschwunden ist. Vielleicht auch ein Mitgrund, dass auf Werbetafeln und in den Print-Medien verstreute Inserate anfangs nicht für eine Fernsehwerbung, sondern für einen tatsächlichen Fahndungsfall gehalten wurden. Durchschnittlich sind in Österreich 800 Personen (davon 200 Minderjährige) abgängig, deren aktueller Lage-Status aber meist schnell geklärt wird. In Wien bleiben 15-20 der 3000 Fälle jedes Jahr offen, zumeist Kindesentziehungen. Die Polizei hadert bei derartigen Fällen vor allem mit den rechtlichen Rahmenbedingungen – Abgängigkeit ist keine Straftat, sodass dem Gesetz nach keine Konten geöffnet und keine Handys angepeilt werden dürfen.

 

Ob sich das nach dem spannenden Zweiteiler ändern wird, bleibt eher fraglich. Dass sich manche Eltern aber mehr Gedanken und Sorgen machen werden, was ihre Söhne und Töchter in der dunklen gefährlichen Nacht so treiben, steht zweifelsohne fest. Das schöne Antlitz der Dorian Grays und Laura Palmers versteckt seine dunklen Seiten unter einer undurchsichtigen Maske. Manchmal ist es zu spät, wenn man sie entdeckt...

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