Reiches, armes Österreich: 353.000 Kinder armuts- oder ausgrenzungsgefährdet!

„Was heißt, ein Kind kriegt in Österreich keine warme Mahlzeit?“ Es gibt ja McDonalds, dort koste der Hamburger nur 1,40 (Anm.: vor der Preiserhöhung), plus Pommes Frites nur 3,50 Euro. „Und jetzt behauptet wirklich einer ernsthaft, wir leben in einem Land, wo die Eltern ihrem Kind dieses Essen nicht leisten können?“ Ein schlechter Scherz eines schlechten Kabarettisten, dann könnte man wenigstens darüber noch mitleidig schmunzeln. Tatsächlich stammt dieses Zitat vom türkisen Bundeskanzler Nehammer, der sich mit seinem Monatsgehalt von 23.440 Euro brutto wohl einen Hamburger-Speicher zulegen könnte, um wie Dagobert Duck in seinem Geldmammon dort herumzukraulen. Ein armseliger Tiefpunkt österreichischer Politik, und das beim Thema Kinderarmut, über das jeder Volksvertreter eigentlich Bescheid wissen müsste, Dies gilt insbesondere für einen Regierungschef, in dessen Regierungsprogramm im Kapitel Armutsbekämpfung der Satz „Kein Kind darf in Österreich zurückgelassen werden“ verankert ist.

 

22 % der Kinder armuts- oder ausgrenzungsgefährdet

 

Laut den aktuellen EU-SILC-Zahlen für das Jahr 2022 sind in Österreich rund 1.555.000 Personen (17,5 %) armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. 353.000 (22 %) davon sind Kinder und Jugendliche unter 18. 14,8 % der Bevölkerung (= 1.314.000 Menschen) sind armutsgefährdet und leben unter der Armutsgefährdungsschwelle von aktuell 1392 Euro, davon sind 316.000 Kinder und Jugendliche (19 %). Gäbe es keine Sozialleistungen in Österreich, dann würde sich der Prozentsatz an armutsgefährdeten Jugendlichen auf 36 Prozent (591.000) erhöhen. Besonders betroffen sind Kinder in Ein-Eltern-Haushalten (32 %) und Mehrkindhaushalten (29 %). 

 

Materielle und soziale Deprivation

 

104.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind materiell und sozial depriviert und können aufgrund der finanziellen Situation ihrer Eltern nicht am gesellschaftlichen Leben adäquat teilhaben. So gibt es in Haushalten von 123.000 Kindern Zahlungsrückstände, 363.000 Kinder leben in einem Haushalt, der unerwartete Zahlungen in einer gewissen Höhe nicht finanzieren kann. Für 78.000 Kinder ist es nicht möglich, sich ausgewogen zu ernähren bzw. jeden zweiten Tag Fisch, Fleisch oder eine vergleichbare vegetarische Alternative zu konsumieren. 175.000 Kinder wohnen in feuchten Wohnungen, 7 Prozent der Kinder unter 16 (103.000) können sich eine Teilnahme an mit Kosten verbundenen Freizeitaktivitäten nicht leisten. 27.000 Kinder können an kostenpflichtigen Schulveranstaltungen nicht teilnehmen und haben dadurch Probleme bei der ohnehin schwierigen Integration in eine Klassengemeinschaft. Zahlen und statistische Erhebungen im neuntreichsten Land Europas, die schockieren und zum Nachdenken anregen, aber sicher kein Anlass sind für zynische Scherze im politischen Freundeskreis.

 

Die türkis-grüne Regierung hat zwar die Sozial- und Familienleistungen valorisiert und einen in Relation zur Teuerung vergleichsweise geringen Sonderzuschuss von 60 Euro für sozial bedürftige Eltern beschlossen, die Malus-Seite ist aufgrund der konservativen Vorherrschaft in der Koalition allerdings bei weitem länger. So wurden im Regierungsprogramm neue Unterhaltsgesetze und ein parlamentarischer Unterausschuss „Armutsbekämpfung“ vereinbart, beides ist ein Jahr vor den nächsten Nationalratswahlen reine Makulatur.

 

Säumigkeit beim Aktionsplan gegen Kinderarmut

 

Die EU hat 2021 eine „Europäische Garantie für Kinder“ gestartet, durch die Kinder bis 2030 kostenlosen Zugang zu Betreuung, Bildung, gesunde Mahlzeiten, Gesundheitsversorgung und angemessenen Wohnraum erhalten sollen. Die österreichische Regierung hätte bis 15. März 2022 der EU einen nationalen Aktionsplan vorlegen sollen, ist allerdings bis dato damit säumig. Nur Rumänien und Lettland sind ebenso in Verzug wie Österreich.

 

Kindergrundsicherung

 

Und natürlich existiert da noch das u.a. von der Volkshilfe konzipierte Modell der Kindergrundsicherung. Statt der aktuellen Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag soll jedes Kind zumindest 285 Euro monatlich erhalten, je nach Haushaltseinkommen steigen die Beträge bis maximal 872 Euro pro Kind. Laut Michael Fuchs vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung würde die Kindergrundsicherung rund 4,6 Milliarden Euro kosten, die Armutsgefährdung würde in der Gesamtbevölkerung auf 8,6 Prozent sinken, die Kinderarmut sogar auf 2,8 Prozent.

 

Man kann davon ausgehen, dass mit rechten und konservativen Parteien ein derartiges Modell nicht umgesetzt werden wird. Es liegt daher auch in der Verantwortung der Wähler, bei der nächsten Nationalratswahl für eine klare Änderung der politischen Verhältnisse zu sorgen. Denn Kinderarmut hat in einem reichen Land wie Österreich nichts verloren.