EuGH-Urteil: Fluggastdatenspeicherung vor dem Aus ?!

Nach zwei Jahren Corona-Beschränkungen erholt sich – trotz Flugabsagen, Verspätungen, Streiks und Personalmangel – die Flugindustrie weltweit wieder. Im Hintergrund dieser Entwicklungen hat der Europäische Gerichtshof am 21. Juni 2022 ein epochales Urteil ausgesprochen, das für die Grund- und Freiheitsrechte der Flugpassagiere enorme (positive) Auswirkungen haben sollte.

 

Das Urteil bezieht sich auf die sogenannte PNR-Richtlinie, aufgrund der die EU-Mitgliedstaaten nationale Regelungen erlassen haben, in Österreich beispielsweise das BG über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Vorbeugung, Verhinderung und Aufklärung von terroristischen und bestimmten anderen Straftaten, kurz PNR-Gesetz. PNR steht für „Passenger Name Record“, also für die Buchungsdaten, die von den Fluggesellschaften gespeichert werden müssen. Für die Verarbeitung von Fluggastdaten ist die Fluggastdatenzentralstelle (Passenger Information Unit – PIU) beim Innenministerium eingerichtet.

 

Nichtigkeitsklage in Belgien

 

Die Ligue des droits humans (Liga für Menschenrechte) hat beim belgischen VfGH eine Nichtigkeitsklage gegen das nationale belgische Gesetz erhoben. Begründung: Das Gesetz verletze das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten. Der VfGH hat daraufhin dem EuGH 10 Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die die Auslegung der PNR-Richtlinie betreffen.

 

Die Große Kammer des EuGH hat zwar die Gültigkeit der PNR-Richtlinie bestätigt, die damit einhergehende Auslegung könnte aber zu einem Ende der Fluggastdatenspeicherung in Europa führen. 

 

Fluggastdaten

 

Als Fluggastdaten bezeichnet das österreichische Gesetz insgesamt 18 Unterpunkte, darunter Zahlungsinformationen, Reiseverlauf, Reisestatus, Sitzplatznummer, Gepäckangaben oder die Namensangaben von Mitreisenden. Ein klarer Widerspruch zum Urteil des EuGH, für den die Verarbeitung von Daten auf das „absolut Notwendige beschränkt werden muss“. Bezüglich der strafbaren Handlungen muss ein Konnex mit der Beförderung von Fluggästen gegeben sein, das PNR-Gesetz nennt u. a. auch Umweltkriminalität, Betrugsdelikte oder schwere Körperverletzung.

 

Die PNR-Richtlinie bezieht sich eigentlich auf Flüge zwischen EU-Staaten und Drittstaaten. Die meisten EU-Staaten (inkl. Österreich) haben den Anwendungsbereich aber auf ALLE Flüge innerhalb der EU erweitert. Der EuGH betrachtet dies als generell unzulässig, ausgenommen es liegen „konkrete Umstände für eine terroristische Bedrohung“ vor. 

 

Künstliche Intelligenz

 

Bezüglich der Vorabüberprüfung der PNR-Daten dürfen keine Technologien der künstlichen Intelligenz im Rahmen selbstlernender Systeme herangezogen werden, die keiner menschlichen Kontrolle unterliegen. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf die hohe Zahl „falsch positiver Ergebnisse“ in den Jahren 2018 und 2019. So wurden in Deutschland bei 94.098 verdächtigen Fluggästen gerade einmal 277 positive Treffer erzielt, eine „Erfolgsquote“ von 0,29 Prozent.

 

Speicherfrist

 

Als unverhältnismäßig betrachtet der EuGH die 5jährige Speicherfrist der PNR-Daten. Eine Frist von 6 Monaten erscheint laut EuGH angemessen, das ist jene Frist, ab der laut dem österreichischen PNR-Gesetz erst eine Depersonalisierung der Daten eintritt. Diese kann übrigens durch richterliche Genehmigung sogar rückgängig gemacht werden.

 

Fazit: Das EuGH-Urteil als Himmelfahrtskommando für die EU-Gesetzgebungsorgane und die EU-Mitgliedstaaten, die hier wieder einmal versucht haben, mit den unsäglichen Mitteln der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in die Grund- und Freiheitsrechte unschuldiger Bürger einzugreifen. Und das, ohne tatsächliche Erfolge beim Kampf gegen den Terrorismus zu erzielen.

 

https://curia.europa.eu/juris/documents.jsf?num=C-817/19