Verfassungsexperten: Ohne Pro-Volksabstimmung kein Ausbau direkter Demokratie!

Die Schweiz gilt als Musterland direkter Demokratie. Dort werden auf allen gebietskörperschaftlichen Ebenen 4mal jährlich die Bürger zu den verschiedensten Themen befragt. Mittels sogenannter „Volksinitiativen“ können 100.000 Bürger Volksabstimmungen erzwingen, bereits 50.000 können ein Vetoreferendum über ein bereits vom Parlament beschlossenes Gesetz fordern. Auch in Italien fanden bereits 73 Volksabstimmungen statt. Rechtlich bindend sind diese aber nur, wenn ein Beteiligungsquorum von mehr als 50 Prozent vorliegt.

 

In Österreich sind die Formen direkter Demokratie bis dato eher spärlich entwickelt. Im B-VG unterscheidet man zwischen Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen. 

 

Ein Volksbegehren muss von 100.000 Stimmberechtigten (bzw. je 1/6 der Stimmberechtigten dreier Länder) unterstützt werden, damit es im Parlament behandelt wird. Der Nationalrat hat also nur die Verpflichtung, über einen solchen Gesetzesantrag zu beraten und einen Bericht zu verfassen. Bisher wurden 39 Volksbegehren eingeleitet, 34 erreichten die nötige Unterstützungszahl.

 

Volksabstimmungen sind in Österreich rechtlich nur zulässig, wenn sie auf einem Gesetzesbeschluss des Nationalrates basieren. Liegt eine Gesamtänderung der Bundesverfassung vor, dann muss obligatorisch eine Volksabstimmung durchgeführt werden. So wie 1994, als die Österreicher sich mit einer 2/3-Mehrheit für den EU-Beitritt entschieden. Fakultativ kann eine Volksabstimmung angeordnet werden, wenn der Nationalrat dies beschließt. Die einzige Volksabstimmung, die auf diese Weise durchgeführt wurde, war jene über das Atomkraftwerk Zwentendorf im Jahr 1978.

 

Als dritte Form direkter Demokratie existiert in Österreich die Volksbefragung, die auf Antrag von 5 Mitgliedern des Nationalrates oder der Bundesregierung durch den Nationalrat beschlossen wird. Eine Volksbefragung ist rechtlich nicht bindend. Dies galt auch bei der bisher einzigen Befragung über die allgemeine Wehrpflicht. SPÖ und ÖVP erklärten aber, sich an das Ergebnis zu halten. 

 

Elemente der direkten Demokratie sind auch in den einzelnen Landesverfassungen vorgesehen, darunter auch einige Verfahren, die – verfassungsrechtlich problematisch - über jene des Bundes hinausreichen (wie Vetoreferenden in Niederösterreich oder Steiermark bzw. zwingende Volksabstimmungen nach erfolgreichen Volksbegehren). 

 

Man darf gespannt, ob und in welchem Ausmaß die direkte Demokratie in der laufenden Legislaturperiode erweitert wird. Kernpunkt ist die Abhaltung von verpflichtenden Volksabstimmungen über Themen, die durch ein Volksbegehren ausreichend unterstützt wurden. Hier reicht – je nach Ansicht der Parteien - die Bandbreite von 3 bis 10 % der Wahlberechtigten. Diskutiert wird auch über ein Mindest-Beteiligungsquorum bei den Volksabstimmungen. Wird dieses unterschritten, ist die Abstimmung – so wie in anderen EU-Staaten - nicht verbindlich. 

 

Im neuen Gesetzesentwurf sollte unabdingbar verankert werden, dass die Inhalte der Volksabstimmung nicht gegen Völker- und Europarecht bzw. gegen Grund- und Freiheitsrechte verstoßen und eine Diskriminierung von Minderheiten ausgeschlossen ist. Eine objektive Informationsbroschüre sollte wie in der Schweiz als Abstimmungsgrundlage dienen. 

 

Bevor die österreichischen Bürger aber unmittelbar in die Gesetzgebung eingreifen können, müssen sie erst darüber entscheiden, ob sie dieses Procedere überhaupt befürworten. Denn der Ausbau der direkten Demokratie ist nach der Judikatur des VfGH eine Gesamtänderung der Bundesverfassung und muss daher obligatorisch einer Volksabstimmung unterzogen werden.