Frühlingserwachen in Barcelona!

Am 23. April schenken die Männer ihrer großen Liebe eine Rose, diese revanchiert sich mit einem Buch. Wo es diese Sitte gibt ? In Katalanien zum Gedenktag des katalanischen Schutzheiligen St. Georg (Sant Jordi), und natürlich auch in Barcelona, der Hauptstadt der autonomen Region. 

 

Leidenschaftlich und romantisch zugleich präsentiert sich die ehemalige römische Siedlung (Barcino) und zweitgrößte Stadt Spaniens (1,6 Millionen Einwohner) im Frühlingserwachen des Jahres 2008. Auf den legendären Ramblas, der Flaniermeile zwischen dem City-Epizentrum Placa de Catalunya und dem alten Hafen, zelebriert ein bunt gemischter Melting Pot aus Einheimischen, Touristen, Freaks, Straßenmusikern, Künstlern und Blumenverkäufern südländisches Lebensgefühl; verliebte Pärchen schmusen unter der Kolumbussäule, die 1888 im Rahmen der Weltausstellung errichtet wurde und an die Rückkehr von Christoph Kolumbus nach seiner ersten Amerika-Reise in Barcelona erinnert.

 

Die City-Police, die Guardia Urbana, streift durch die Straßen, um - eher aussichtslos - die grassierende Taschendiebszene einzudämmen. Im Einkaufszentrum Maremagnum bietet das spanische Trendlabel „Desigual“ (dt. „anders“) seine neuesten Jeans und Shirts mit knalligen Farben und kreativ-bizarren Kunstsymbolen zum Spontan-Kauf an, während nigeranische Brillen- und Taschenverkäufer gefälschte Markenware an der Hafenmole „Come on“-like anpreisen und bei Polizeisirenengeheul schnurstracks in die hinteren Gassen abströmen. Die täglich verkehrende Fähre zu den Balearen supportet den exzessiven „24-Hour“-Marathon der Ibiza Party People, schlafen kann man, wenn man tot ist. 

 

Voll gefüllt bis zum letzten Platz düsen die unzähligen Bus-Turistico-Open-Air-Fahrzeuge durch die Straßen Barcelonas und vermitteln den Touristen aus aller Welt auf einem abwechslungsreichen 3-Linien-Trip, das was die einzige am Strand liegende europäische Millionenstadt heute darstellt - eine perfekte Symbiose aus Tradition und Innovation. Hervorstechend die architektonischen Meisterwerke Antonio Gaudis, dem spanischen Vertreter des Jugendstils, der die bizarren Bauten des Casa Mila und des Casa Battlo auf der teuren Einkaufsstraße Passeig de Gracia konzipiert und Ende des 19. Jhdt. das Wahrzeichen Barcelonas, die ca. 100 m hohe Sagrada Familia, geplant hat. Die Basilika soll nach den Originalplänen Gaudis mit 18 Türmen, geweiht den 12 Aposteln, den 4 Evangelisten bzw. Maria und Jesus Christus, ausgestattet werden - gegenwärtig sind 8 Türme fertiggestellt, zum 100. Jubiläum des Todes Gaudis (1926) soll das Meisterwerk vollendet werden, vorausgesetzt die (ausschließliche) Finanzierung durch Spenden und Stiftungen ist gesichert.

 

Ebenfalls von Gaudi kreiert und 1984 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt ist der Parc Güell, der - als „englische Gartenstadt“ originär angelegt - nie fertiggestellt wurde, aber mit seinen mit Zuckergussdächern ausgestatteten Pförtnerhäusern, der von Mosaiken und Skulpturen verzierten Freitreppe (in deren Mitte der berühmte Salamander als Eye-Catcher thront), dem von einer schlangenförmigen Bank eingerahmten riesigen Terrassenplatz und den unzähligen Grotten, Arkadengängen und Kakteen zu den Schmuckstücken Barcelonas zählt.

 

War bereits der „Planbezirk“ Eixample im 19. Jhdt. mit seinen quadratischen Häuserblocks und abgeschrägten Ecken ein Meilenstein des „Modernisme“ und der städtebaulichen Entwicklung, so waren die Olympischen Sommerspiele 1992 im 20. Jhdt. ein progressiver Impulsgeber für eine moderne Metamorphose der traditionellen Hafenstadt Spaniens - neben der Sanierung der 4 km langen Strände und der Erneuerung des Hafens (Port Olympic) entstanden das neue Viertel Diagonal Mar und viele hypermoderne Gebäude wie der Torre Agbar, ein 142 m hohes Bürogebäude, dessen Oberfläche mit Lackfarben versehen wurde, wodurch sich je nach Tageslicht die Farbe verändert. Der amerikanische Star-Architekt Richard Meier entwarf in seinem typischen „rational white style“ das Museum für zeitgenössische Kunst auf dem von jungen Bohemiens, Künstlern und Skatern bevölkerten Placa dels Angels, in dem moderne, ambivalente Kunstwerke jeglicher Art ausgestellt werden. Futuristisch angehaucht auch der Torre de Collserola (von Sir Norman Foster) und der Torre Telefonica (von Santiago Calatrava) auf dem Montjuic, wo 1929 die Weltausstellung und 1992 die Olympischen Spiele stattfanden.

 

Der 173 m hohe Hausberg Barcelonas beherbergt auch einen der schönsten Naturparks Spaniens und zeigt anschaulich, wie sich Natur und Technik perfekt ergänzen können, wenn man dafür das richtige Gespür hat. Als grüne Oasen Barcelonas gelten auch der Parc Ciutadella - eine ehemalige militärische Festung (!) - im Zentrum der Stadt, der neben Seenanlagen, dem edlen Cascada-Brunnen und dem 1888er-Weltausstellungs-Mammut (noch) den Zoologischen Garten beherbergt, und das Areal rund um den 500 m hohen, nördlich gelegenen Berg Tibidabo, der per Tramvia Blau (einer historischen Straßenbahn) und Zahnradbahn erreichbar ist. Dort genießt man eine wunderschöne, makellose Aussicht auf ganz Barcelona und das Meer, während BTX-Cracks die steile, hügelige Querfeldein-Strecke für halsbrecherische Manöver nützen. 

 

Wer in Barcelona die Nacht zum Tag machen will, muss damit spät anfangen oder in auch früher gut frequentierte Irish Pubs mit coolen Karaoke-Shows (mit talentierten Prince- und Michael Jackson-Epigonen), Fußball-Liveübertragungen und Special-Getränkeaktionen (1 Bier um 1 Euro, Long Island Ice Tea um 5 Euro) vor Mitternacht ausweichen. So auch in der Bubblic Bar im Maria Cubi-Distrikt, wo Party People und Studenten erst gegen halb 1 in das doppelgeschössige Lokal strömen. Bei den ab ca. 2 Uhr früh überfüllten Discotheken en vogue die seit 1985 geöffnete Kult-Disco Otto Zutz mit House- und Electro-Sound, das Sala Apolo nahe den Ramblas und das Luz de Gas, das die Kulisse des legendären Belle Epoque-Revuetheaters übernommen hat und in dieser anrüchig-dekadenten Atmosphäre Saturday Night mit Live-Konzerten der exzellenten 70er-/80er-Coverband „Talking Rabbits“ für „Tempo Fiesta“ sorgt. 

 

Neben dem exzessiven Nightlife und dem emsigen Streben nach Autonomie und Unabhängigkeit zählt auch der Fußball zu den Heiligtümern der Katalanen - zu feiern gab es allerdings dieses Jahr wenig. FC Barcelona, beherbergt im größten Stadion Europas (Nou Camp, 98.787 Plätze), gewann wie im Vorjahr keinen Titel und wurde 3. der Primera Division, Espanyol Barcelona wurde 12. und spielt ab der nächsten Saison im neuen Cornella-Stadion. Die Hoffnung allerdings stirbt zuletzt, nicht nur jene auf einen Champions League-Titel Barcelonas, sondern auch jene auf eine Fertigstellung der Sagrada Familia des durch einen Tramway-Unfall 1926 tödlich verunglückten Schöpfers Gaudi bzw. auf eine persönliche Rückkehr in eine Metropole, in der Tradition und Moderne freundschaftlich Shake Hands pflegen. Denn Barcelona wird immer Saison haben, und das ist gut so.